So gerecht, Frau Körtner und meine Damen und Herren von den Fraktionen von CDU und FDP, ist Ihre Schulreform!
Weil Frau Korter schon einiges gesagt hat, will ich mich auf einige andere Aspekte der Anträge beziehen. Ich beginne mit einem Zitat aus der Zeit. Sie schreibt in ihrer 6. Ausgabe dieses Jahres:
„Unser gegliedertes Schulsystem soll die Kinder begabungsgerecht fördern. Doch die Auslese geschieht völlig willkürlich. Ein Grundpfeiler des deutschen Schulsystems erweist sich als morsch, die so genannte Übergangsempfehlung am Ende des vierten Schuljahres.“
Eigentlich soll bei der Schullaufbahnempfehlung die Leistung der Schüler den Ausschlag geben. Doch das gelingt nur in Ansätzen, nämlich nur bei den sehr starken und bei den sehr schwachen Schülerinnen und Schülern. Bei dem großen Mit
telfeld, bei fast jedem zweiten Kind, wird recht willkürlich auf die verschiedenen Schularten verteilt.
Doch das ist leider noch nicht alles. Alle Vergleichsstudien belegen, dass der Nachwuchs von sozial Schwachen und Einwanderern systematisch benachteiligt wird. So hat das Kind eines Managers bei gleicher Leistung eine drei mal so große Chance auf eine Gymnasialempfehlung wie das Kind eines Arbeiters. Ich wiederhole: bei gleicher Leistung.
Herr Busemann, obwohl Sie diese Ergebnisse ganz genau kennen, und obwohl Sie wissen, dass 50 % aller Schullaufbahnempfehlungen falsch sind, haben Sie trotzdem alle Eltern der 4., 5. und 6. Klassen angeschrieben und sie aufgefordert, sich an die Schullaufbahnempfehlungen zu halten. Dazu muss man sagen: Bildungsbürgereltern schicken trotz eines solchen Schreibens ihre Kinder auf das Gymnasium oder auf die Realschule. Diejenigen aber, die wegen ihres Sozialstatus schon ungerecht beurteilt werden, haben meistens nicht den Mut, sich nach einem solchen Schreiben des Kultusministers anders zu verhalten, als die Empfehlung vorgibt. Deshalb, Herr Kultusminister, ist Ihr Handeln schlicht unverantwortlich.
In den vergangenen Tagen konnte man lesen, dass Sie erleichtert sind, weil nur 35 % der Eltern auf das Gymnasium pochen. Aber wieso sind Sie deshalb eigentlich erleichtert? - Andere Staaten erreichen Abiturquoten von mehr als 40, 50 und 60 %.
Unsere Kinder sind nicht dümmer. Die anderen Staaten erreichen diese Quoten dann auch noch mit besseren Leistungen als bei uns.
Herr Busemann, Sie sind erleichtert, dass immerhin 19,2 % der Eltern ihr Kind auf eine Hauptschule schicken, obwohl die Schulen 35 % dafür empfohlen haben. All diese Zahlen zeigen doch nur eines, nämlich dass die Schullaufbahnempfehlungen bei zehnjährigen Kindern problematisch sind. Aber das ist Ihnen ja egal. Hauptsache, Sie können Ihr gegliedertes Schulsystem durchziehen. Aber auf wessen Kosten? - Auf Kosten der Zukunftschancen unserer Kinder!
Doch das ist leider noch nicht alles. Sie streichen die Hausaufgabenhilfe und reduzieren die Förderstunden, Sie kürzen den muttersprachlichen Unter
richt, und selbst bei den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern für Schülerinnen und Schüler bei persönlichen Problemen, den Beratungslehrkräften, wird kräftig in den Topf der Anrechnungsstunden gegriffen. Statt bisher fünf Stunden pro 500 Schülerinnen und Schüler wird es künftig nur noch drei Stunden geben - pro Woche drei Stunden Beratung für 500 Schülerinnen und Schüler!
Aber Sie gehen noch weiter. Sie führen zwar den vorschulischen Sprachunterricht fort, streichen aber die dafür vorgesehenen 280 zusätzlichen Stellen
und nehmen stattdessen die benötigten Stunden aus dem allgemeinen Fördertopf der Schulen. Folge: Ab Februar, also jeweils im zweiten Schulhalbjahr, wenn es um die Versetzung und die Schullaufbahnempfehlung geht, gibt es wegen der vorschulischen Sprachförderung nur noch vereinzelt Förderung an den Grundschulen. Reicheren Eltern macht diese Kürzung nicht viel aus; die finanzieren ihrem Nachwuchs nämlich einfach außerschulischen Nachhilfeunterricht. Doch was machen die Ärmeren?
Deren Kinder, Herr Klare, werden von Ihnen einfach als nicht so begabt eingestuft und bekommen nur eine Real- oder Hauptschulempfehlung. Sie nennen das dann ein begabungsgerechtes Schulsystem. Ich nenne das soziale Ungerechtigkeit und Selektion à la CDU und FDP!
Aber bei der Regierungsmehrheit gelten nicht soziale Gerechtigkeit oder Leistungssteigerung als Qualitätsnachweis - nein, bei ihr muss ein Schulsystem einfach und schlicht sein. Dann ist es per se gut. Deshalb soll auch der Erlass zur Berechnung der Unterrichtsversorgung einfach sein. Aber nicht etwa, weil die Eltern und Schulen nicht mit einem komplizierteren Erlass umgehen konnten nein, die Kollegen von der CDU-Fraktion konnten im Ausschuss, obwohl ihnen die Soll- und Istzahlen genannt wurden, nicht die entsprechende Prozentzahl ausrechnen.
- Zum Lachen ist das leider nicht. Das ist eher traurig. - Ob so ein einfacher Erlass zur Unterrichtsversorgung tatsächlich den unterschiedlichen Gegebenheiten, Schulen und Klassen gerecht wird, wage ich anzuzweifeln.
Auch der Landeselternrat hat natürlich gemerkt, welche Spielchen sie da treiben, Herr Busemann. Sie redeten immer davon, dass der Unterrichtserlass nur einfach und verständlich sein muss. Die Eltern haben dann auch verstanden. Sie haben verstanden, dass mit diesem Erlass der Anspruch der Kinder auf Unterricht nicht erfüllt wird, weil tausende von Stunden gekürzt werden. Deswegen haben die Eltern ihre Zustimmung zu diesem Erlass verweigert und ihr Veto eingelegt. Denn sie haben Ihren Erlass als grandioses Täuschungsmanöver entlarvt. Vor der Wahl haben Sie eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung versprochen. Sie haben aber bereits ein Jahr nach der Wahl wieder Lehrerstellen einkassiert. Sie tricksen und rechnen die Unterrichtsversorgung schön!
Bei Ihnen werden aus ehemals 86 % - wie uns übrigens auch Herr Klare immer vorgerechnet hat ohne eine Unterrichtsstunde mehr plötzlich 100 %. Die Folge ist ein Streichkonzert bei Förderkonzepten, Wahlpflichtbereichen, schulformübergreifendem Unterricht, Differenzierungen und individuellen Förderungen. Sie streichen gerade bei den pädagogisch sinnvollen Maßnahmen. Aber Schule muss eben mehr sein als nur Unterricht. Wenn Sie nicht endlich die notwendigen Förderstunden zur Verfügung stellen, dann erfüllen die gerade beschlossenen Förderpläne für jedes Kind eigentlich nur eine Art Alibifunktion für Ihr Schulsystem. Aber sie sind dann keine Grundlage mehr für eine individuelle Leistungssteigerung bei den Kindern.
Herr Klare, ich finde es richtig perfide, wenn Sie sich auf den PISA-Papst Professor Baumert berufen. Der hat nämlich nicht gesagt, man könne die Klassenobergrenzen ruhig erhöhen, wie Sie es immer behaupten. Herr Professor Baumert hat gesagt, dass es sinnvoller sei, Geld in individuelle Förderung und zusätzliche Fördermaßnahmen zu stecken, anstatt die Klassenobergrenzen zu senken. Also, Herr Klare, missbrauchen Sie nicht Herrn Professor Baumert für Ihre Zwecke.
Ich gebe Ihnen stattdessen einen anderen Tipp: Schließen Sie sich lieber der FDP-Fraktion an. Diese will nämlich nach Finnland reisen, um sich über das dortige Schulsystem zu informieren und daraus zu lernen. Vielleicht hat sie ja noch ein paar Plätze für die CDU-Schulpolitiker frei. Es wäre besser gewesen, Sie wären vor Verabschiedung des Schulgesetzes gefahren. Aber zum Lernen ist es ja schließlich nie zu spät, und Schulgesetze kann man ändern.
Meine Damen und Herren, sowohl in unserem als auch im Antrag der Grünen werden zahlreiche Forderungen nach Änderungen in den Erlassentwürfen gestellt, damit pädagogische Konzepte weitergeführt werden können, den Schulen Entwicklungsmöglichkeiten bleiben und wenigstens ein Hauch von Durchlässigkeit erhalten werden kann. Doch Sie machen das Gegenteil. Sie hungern die Gesamtschulen systematisch aus. Nachdem Sie sich wegen der massenhaften Proteste nicht getraut haben, die Gesamtschulen aus dem Schulgesetz zu streichen, lassen Sie sie jetzt per Erlass verhungern. Es gab 1 500 Eingaben, die gegen Ihr Vorgehen protestiert haben, und zwar nicht nur von der Gesamtschule Göttingen, sondern auch von vielen anderen Schulen.
Wie ernst Sie die Anliegen der Petentinnen und Petenten nahmen, kann man daran erkennen, dass die Ausschusskolleginnen und -kollegen von den Fraktionen der CDU und der FDP über die Eingaben anfangs sogar ohne Beratung abstimmen lassen wollten. So gehen Sie mit Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, Eltern, Lehrkräften und Schulträgern um!
Die Grünen und wir haben solch ein skandalöses Vorgehen allerdings nicht zugelassen. Die Eltern haben nämlich Recht mit ihren Protesten. Deshalb hat meine Fraktion beantragt, diese 1 500 Eingaben der Landesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Bei der Abstimmung gleich wird sich ja zeigen, wer auf der Seite der Eltern steht, wer mit den Eltern für ein differenziertes pädagogisches Angebot und damit für die Möglichkeit von individueller Förderung der Kinder ist.
Meine Damen und Herren, auch im gegliederten Schulsystem zerstören die Erlasse fast alle pädagogischen Konzepte. Streichung der Teampflege zur Förderung in größeren Klassen, Kürzungen im Wahlpflichtbereich und beim schulformübergreifenden Unterricht - die Bildung von individuellen Lernschwerpunkten ist so doch kaum noch möglich. Wie soll eigentlich der Unterricht in Arbeit/Wirtschaft/Technik, der Unterricht in Hauswirtschaft, der Schwimmunterricht oder der naturwissenschaftliche Unterricht in Klassen mit 32 Schülerinnen und Schülern stattfinden? - Sie wissen doch selbst, dass die Werkstätten und Küchen der Schulen gar nicht groß genug sind und dass das Sicherheitsrisiko bei so großen Gruppen viel zu hoch ist. Aber Sie tun wirklich gnadenlos alles, nur um auf dem Papier eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung zu erreichen.
Selbst den Ausbau der Ganztagsschulangebote wollen Sie nur noch auf Kosten der bestehenden Ganztagsschulen vorantreiben. Deshalb werden dort die Zusatzstunden gekürzt. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel aus meiner Region, von einer Ganztagsschule vor Ort - übrigens einer Hauptschule, die Sie ja angeblich stärken wollen. Für diese Schule bedeuten Ihre Kürzungen, dass sie für ihre Schülerinnen und Schüler anstatt wie bisher 60 Zusatzstunden für Förderung in Sport, Spiel, Musik, Theater etc. ab dem kommenden Schuljahr nur noch 24 Stunden bekommt. Das nennen unsere Kollegen von den Fraktionen der CDU und der FDP dann Stärkung der Hauptschule! Das ist keine Stärkung, das ist ein Ausbluten von pädagogischen Konzepten! Das sind verpasste Chancen zur Förderung und Eingliederung!
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der FDP: Das sind mehr Stunden für die Schüler! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)
An dieser Schule wird mit großem Engagement versucht, den vielen Aussiedlerkindern Deutsch, Lesen, Rechnen und Schreiben beizubringen und sie nicht in ihrem Getto zu lassen.
Diese Schule überlegt übrigens, ob sie das Ganztagsangebot nicht verpflichtend machen muss Frau Körtner, halten Sie einfach Ihren Mund und hören Sie zu! -,
weil dort die hochproblematischen Kinder und Jugendlichen nämlich nicht freiwillig an den Nachmittagsangeboten teilnehmen.
Diese hatten nämlich bisher so viele Misserfolgserlebnisse, dass sie die Schule am liebsten von außen sehen und nicht noch nachmittags freiwillig dort bleiben. Von diesen Kindern haben wir gestern in der Aktuellen Stunde gesprochen.
Denen will diese Schule mit einem verpflichtenden Nachmittagsangebot Halt geben, so, wie Sie das gestern gefordert haben.
Deswegen plant diese Schule auch, den Vormittagsunterricht anders zu strukturieren. Doch dazu braucht sie mehr Zeit und das verpflichtende Nachmittagsangebot. Da ist es dann schon bitter, wenn Sie die Möglichkeiten der Schule, so etwas zu tun und auf die Ausgangslagen und Lernbedingungen der Schüler einzugehen, immer weiter einschränken. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen doch Chancen eröffnen, und zwar rechtzeitig. Wir müssen ihnen die Gelegenheit geben, Erfolgserlebnisse zu haben und mehr Selbstwertgefühl zu entwickeln.