Protokoll der Sitzung vom 11.03.2004

(CDU) Vizepräsident Ulrich B i e l (SPD) Vizepräsidentin Ulrike K u h l o (FDP) Vizepräsidentin Silva S e e l e r (SPD) Vizepräsidentin Astrid V o c k e r t (CDU) Schriftführer Lothar K o c h (CDU) Schriftführerin Georgia L a n g h a n s (GRÜNE) Schriftführer Wolfgang O n t i j d (CDU) Schriftführerin Christina P h i l i p p s (CDU) Schriftführer Friedrich P ö r t n e r (CDU) Schriftführerin Isolde S a a l m a n n (SPD) Schriftführerin Bernadette S c h u s t e r - B a r k a u (SPD) Schriftführerin Brigitte S o m f l e t h (SPD) Schriftführerin Irmgard V o g e l s a n g (CDU) Schriftführerin Anneliese Z a c h o w (CDU)

Auf der Regierungsbank:

Ministerpräsident Staatssekretärin Dr. Gabriele W u r z e l , Christian W u l f f (CDU) Staatskanzlei

Minister für Inneres und Sport Uwe S c h ü n e m a n n (CDU)

Finanzminister Staatssekretär Dr. Lothar Hagebölling , Hartmut M ö l l r i n g (CDU) Niedersächsisches Finanzministerium

Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Dr. Ursula von der L e y e n (CDU)

Staatssekretär Gerd H o o f e , Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit

Kultusminister Staatssekretär Hartmut S a a g e r , Bernd B u s e m a n n (CDU) Niedersächsisches Kultusministerium

Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Walter H i r c h e (FDP)

Minister für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Hans-Heinrich E h l e n (CDU)

Staatssekretär Gert L i n d e m a n n Niedersächsisches Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Minister für Wissenschaft und Kultur Lutz S t r a t m a n n (CDU)

Umweltminister Staatssekretär Dr. Christian E b e r l , Hans-Heinrich S a n d e r (FDP) Niedersächsisches Umweltministerium

Beginn der Sitzung: 9 Uhr.

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Ich eröffne die 30. Sitzung im 11. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 15. Wahlperiode und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 15 - Dringliche Anfragen -, es folgen Punkt 16 - Mündliche Anfragen und die Fortsetzung von Punkt 2 - Eingaben. Anschließend setzen wir die Beratungen, beginnend mit dem gestern zurückgestellten Tagesordnungspunkt 14, in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung wird somit gegen 16.50 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst wird hiermit erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer. Herr Pörtner!

Schriftführer Friedrich Pörtner

Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigt haben sich heute von der Landesregierung Frau Justizministerin Heister-Neumann, von der Fraktion der CDU die Kollegin Weyberg und der Kollege Dinkla und von der Fraktion der SPD Herr Brockmann, Frau Hemme, Herr Jüttner und Herr Schwarz.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 15: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor. Wir beginnen mit

a) Schulbuchmiete in Niedersachsen - Kostenabwälzung auf die Eltern, viel Bürokratie und pädagogischer Rückschritt - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/862

Ich rufe Frau Korter auf. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Beschluss über den Haushalt 2004 hat die Regierungskoalition von CDU und FDP die Lernmittelfreiheit vollständig abgeschafft. Selbst die Mittel, die zunächst noch für Sozialhilfeempfänger und Wohngeldberechtigte vorgesehen waren, wurden gestrichen.

Vor wenigen Tagen hat das Kultusministerium nun einen Erlassentwurf „Entgeltliches Ausleihverfahren für Lernmittel“ in die Anhörung gegeben. Dieser Erlass sieht ein Schulbuchmietmodell vor, nach dem die Eltern 33 bis 40 % des Neupreises zahlen sollen, um dafür ein Buch auszuleihen, welches drei Jahre und älter sein kann. Sie sollen zudem mit den Mietkosten auch die Verwaltungskosten der Ausleihe bezahlen. Gegenüber dem Eigentum an den Schulbüchern weist das Mietmodell erhebliche pädagogische Nachteile auf.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Warum sollen die Mietkosten für die Schulbücher in Niedersachsen 33 bis 40 % des Neupreises betragen, während in Sachsen-Anhalt die Schulbuchmiete nur 3 Euro pro Buch bzw. für Sozialhilfeempfänger 1 Euro pro Buch beträgt?

2. Wie will die Landesregierung mit dem Mietmodell den längst notwendigen pädagogischen Fortschritt bei der Entwicklung von neuen, flexibel einsetzbaren Unterrichtsmaterialien ermöglichen und unterstützen?

3. Wie hoch ist nach Ansicht der Landesregierung der Aufwand für Bestellung, Katalogisierung, Ausleihe, Ersatzbeschaffung, Lagerung, Geldverbuchung und Mahnung an den 3 400 Schulen in Niedersachsen?

Für Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Sie haben das Wort, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von der Vorgängerregierung zu verantwortende katastrophale Finanzlage des Landes

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Oh! bei der SPD - Ulrich Biel [SPD]: Herr Minister, Regierungen!)

hat sich durch politische Fehlsteuerungen der Bundesregierung weiter verschlechtert.

Wenn wir den Schuldenberg für die nachkommende Generation nicht unverantwortlich weiter ins Unermessliche auftürmen wollen, müssen wir unsere Ansprüche in vielen Lebensbereichen zurückschrauben. Vor diesem Hintergrund ist eine Lernmittelfreiheit nach dem Gießkannenprinzip nicht mehr finanzierbar und nicht mehr zu verantworten. Die Bundesbildungsministerin Bulmahn, SPD, schätzt die finanzielle Lage der öffentlichen Hand durchaus richtig ein, wenn sie in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 6. März sagt: „Die Bürger werden in Zukunft sicherlich mehr für ihre Bildung zahlen müssen.“

Aufgrund der Finanzlage des Landes war es zwingend erforderlich, die ursprünglich im Haushaltsplanentwurf für 2004 für Lernmittel vorgesehenen 9,7 Millionen Euro zu streichen. Auch in anderen Bundesländern hat es Einschnitte bei der Lernmittelfreiheit gegeben, weil sie in der bisherigen Form nicht mehr zu finanzieren ist. So hat Nordrhein-Westfalen die Elternbeteiligung auf 49 % erhöht, und Berlin hat eine pauschale Beteiligung von bis zu 100 Euro eingeführt.

Um in Niedersachsen trotz der erforderlichen Veränderung insbesondere Eltern zu helfen, die aus eigener Kraft die Schulbücher nicht kaufen können, wurde eine sozialverträgliche, intelligente Lösung gesucht und auch gefunden, wie Pressekommentare bestätigen. Zitat:

„Das neue Modell ist weder eine rücksichtslose Abzocke noch ein sozialer Kahlschlag.“

So die Braunschweiger Zeitung vom 25. Februar 2004. Und die Neue Osnabrücker Zeitung kommentiert am 24. Februar 2004:

„Wenn die Lernmittelfreiheit angesichts leerer Landeskassen schon nicht mehr durchzuhalten ist, sind die neuen Pläne vielleicht noch nicht das

Ei des Kolumbus – aber zumindest erst einmal eine gute Idee.“

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Hofbe- richterstatter!)

Um trotz der schwierigen Haushaltssituation des Landes die Eltern von hohen Schulbücherkosten zu entlasten, wird ab Schuljahresbeginn 2004/2005 ein Leihsystem eingeführt. Auf freiwilliger Basis können die Eltern die benötigten Schulbücher gegen ein Entgelt in Höhe von etwa einem Drittel des Anschaffungspreises ausleihen. Statt im Höchstfall bis zu 275 Euro im Schuljahr für Schulbücher auszugeben, fallen im Ausleihverfahren Beträge von durchschnittlich rund 20 Euro in der Grundschule bis durchschnittlich rund 60 Euro am Gymnasium an. Aber niemand wird davon abgehalten, die Bücher für seine Kinder selbst zu kaufen.

Für das Ausleihverfahren steht der in den Schulen vorhandene Buchbestand im Wert von etwa 50 Millionen Euro zur Verfügung. Die bisher nicht ausgegebenen Mittel in Höhe von rund 6 Millionen Euro und die zu erwartenden Einnahmen bilden das notwendige Startkapital.

Leistungsberechtigte nach dem Bundessozialhilfegesetz und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen nicht mit den Kosten für die Ausleihe von Lernmitteln belastet werden. Durch Schnellbrief vom 27. Februar 2004 sind die Schulen verpflichtet worden, diesen Personenkreis kostenfrei mit Lernmitteln aus dem Bestand der Schulen zu versorgen. Damit wird auch gewährleistet, dass schulische Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist.

Wenn etwas Neues auf den Weg gebracht wird oder wie hier auf den Weg gebracht werden muss, gibt es häufig Bedenkenträger, die nur Nachteiliges befürchten und Besorgnis äußern. Befürchtungen von Schulleitungen und Lehrkräften, das Leihverfahren würde sie mit einem unzumutbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand belasten, teile ich nicht. Auch im Rahmen der bisherigen Lernmittelfreiheit sind Bestellung, Katalogisierung, Ausleihe, Ersatzbeschaffung, Lagerung und Mahnwesen von den Schulen zu leisten gewesen und geleistet worden. Als zusätzliche Aufgaben sind von ihnen jetzt im Wesentlichen die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Verwaltung der eingenommenen finanziellen Mittel durchzuführen. Angesichts der den Eltern mit der entgeltlichen

Ausleihe angebotenen finanziellen Entlastung sollte dieser geringe Mehraufwand vertretbar sein.

Außerdem soll der Erlass den Schulen Möglichkeiten eröffnen, Schulleitung und Lehrkräfte von diesen Verwaltungsaufgaben zu entlasten. So können Schulen für die Abwicklung des Ausleihverfahrens Kräfte auf Honorarbasis beschäftigen, Eltern oder Fördervereine einbinden und sich des Arbeit entlastenden Einsatzes der neuen Technologien bedienen.

Es gibt Schulen, die damit bereits positive Erfahrungen gesammelt haben, so die IGS List in Hannover. Dort „haben die Elternvertreter 30 Euro Leihgebühr pro Schuljahr vorgesehen – und fast alle Eltern wollen mitmachen.“ berichtet die HAZ am 25. Februar dieses Jahres. Und weiter heißt es dort: „Um den Veraltungsaufwand macht sich das Kollegium keine Sorgen …“ Eine Schule ohne Assistenten könnte auch für eine Woche zur Bücherausgabe eine Honorarkraft einstellen und das Geld auf die Leihgebühr aufschlagen, sagt der Schulleiter. Selbst dann rechne sich das System noch für die Eltern. Davon können und werden andere Schulen lernen.

Während der Didaktische Leiter einer Gesamtschule in einem Leserbrief in der HAZ vom 6. März mit deutlichen Worten sagt, dass er „das Lamentieren einiger Schulleiter-Kollegen nicht verstehen“ könne, sage ich: Einige Schulleitungen haben die sie entlastenden Möglichkeiten noch nicht erkannt oder durchdenken können, weil ihnen das geplante Leihverfahren vielleicht erst seit wenigen Tagen im Grundsatz bekannt ist. Zur viel verlangten Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Schulen gehört es auch, sich neuen Herausforderungen zu stellen und sie kreativ zu meistern. Ich bin mir sicher, dass nach weiterer Beschäftigung mit den Möglichkeiten, die der geplante Erlass eröffnet, dieses den Schulen auch gelingen wird. So haben sie erstmals - auch dieses hat die Vorgängerregierung versäumt - die Möglichkeit, ein eigenes Konto zu führen.