Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

Aber, meine Damen und Herren von CDU und FDP, noch nie haben Parteien vor einer Landtagswahl und auch eine Landesregierung, nachdem sie für sich selbst völlig überraschend ins Amt kam, den Mund so voll genommen und so großspurig versprochen, alles besser zu machen. Wohl noch nie gab es einen so eklatanten Widerspruch zwischen Außendarstellung der Regierung und der Regierungswirklichkeit.

Ich kann Ihnen daher nicht ersparen, noch einmal aufzuzählen, in welchen Bereichen Sie in Ihrer kurzen Regierungszeit das Konnexitätsprinzip bereits verletzt haben - obwohl Sie zu Oppositionszeiten die strikte Beachtung des Konnexitätsprinzips hoch und heilig versprochen haben -: Sie organisieren eine teure Schulstrukturreform, aber zahlen müssen die Kommunen. Sie haben die Zahlungen an die Kommunen für die Unterbringung von Flüchtlingen um 19 Millionen Euro verringert. Sie haben den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Tierkörperbeseitigungsgesetz ins Verfahren gegeben, mit dem Sie den Kommunen erneut erhebliche Kosten aufbürden. Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit muss durch Sozialhilfe kompensiert werden, die wiederum Kommunen zu zahlen haben.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat den Kommunen vor der Landtagswahl eine sofortige Erhöhung der Bedarfszuweisungen von mindestens 50 Millionen Euro versprochen. Davon ist schon lange keine Rede mehr. Die Kommunen warten noch heute auf das Geld. Stattdessen beschließt die Landesregierung munter Gesetze, die zu weiteren massiven Belastungen der kommunalen Kassen führen. Was aber machen die CDUKommunalpolitiker? Sie tauchen ab, wie ich eben sagte; anscheinend schämen sie sich.

Meine Damen und Herren, ich denke es ist Zeit für eine Korrektur der Politik gegenüber unseren Kommunen.

(Hermann Eppers [CDU]: Was haben Sie eigentlich 13 Jahre lang gemacht? - Minister Uwe Schünemann: Er hat sich eben schon entschuldigt!)

- Ich habe eben gesagt, dass auch wir Fehler gemacht haben. Aber wir sind schon der Auffassung,

dass hier eine grundlegende Veränderung stattfinden muss.

Deshalb müssen wir die Kommunen als das begreifen, was sie geworden sind. Sie sind die zentrale Sozialisationsinstanz. Sie sind unser Lebensumfeld. Sie sind Heimat und sorgen am unmittelbarsten für die konkreten Umstände unseres täglichen Lebens. Wenn wir den Kommunen das Geld nehmen, das sie brauchen, gehen in unseren Heimatorten buchstäblich die Lichter aus. Ich meine das durchaus auch im wörtlichen Sinne.

Ich bin daher der festen Überzeugung, dass es höchste Zeit für einen solchen Paradigmenwechsel im Umgang des Landes mit seinen Kommunen ist. Die SPD hat diesen Paradigmenwechsel vollzogen. Wir hatten in unserem Wahlprogramm für die Landtagswahl 2003 als politisches Ziel formuliert:

„Auch bei allen Maßnahmen der Landespolitik werden wir uns als Partner der Kommunen begreifen. Deswegen werden wir keine weiteren Verpflichtungen für Städte, Gemeinden und Landkreise beschließen, ohne eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. Das Konnexitätsprinzip soll auch in Niedersachsen gelten.“

Meine Damen und Herren, wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir beweisen, dass wir auch aus der veränderten Verantwortung heraus genau die Politik machen, die wir vor der Landtagswahl zugesagt haben. Möglicherweise unterscheidet sich das ein bisschen von dem, was andere machen.

Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf wollen wir Bewegung in die nicht vorankommende Debatte um eine Verankerung von strikter Konnexität und kommunalem Vetorecht in die Niedersächsische Verfassung bringen. Dabei lassen sich die zentralen Eckpunkte, die wir für unverzichtbar halten, wie folgt zusammenfassen:

Nach unseren Vorstellungen soll es künftig eine strikte Gleichzeitigkeit zwischen Aufgabenzuweisung bzw. Aufgabenveränderung und der Regelung der einhergehenden Kostenfolge geben. Es darf keinen Verweis auf einen späteren Zeitpunkt bzw. auf die jährlichen Verhandlungen nach dem Finanzausgleichsgesetz erfolgen. Nur ein solches striktes Konnexitätsprinzip kann nach unserer festen Überzeugung die erforderliche Warnund Schutzfunktion entfalten.

Das Konnexitätsprinzip wird künftig nicht nur bei der Übertragung neuer öffentlicher Aufgaben greifen, sondern auch bei der Veränderung bestehender kommunaler Aufgaben und Standards. Das von uns vorgeschlagene Konnexitätsprinzip deckt die volle Bandbreite staatlicher Aufgabenübertragung ab. Es erfasst daher nicht nur Gesetze und Verordnungen, sondern auch Verwaltungserlasse oder staatliche Vorgaben mit finanziellen Auswirkungen für die Kommunen.

Nach unseren Vorstellungen sollen die Kommunen künftig einen sofort einklagbaren Anspruch auf Kostenerstattung bei der Übertragung von Aufgaben oder bei der finanzwirksamen Aufgabenveränderung durch ein Landesgesetz oder aufgrund eines Landesgesetzes haben. Dabei kann auch Bundes- und Europarecht Gegenstand des Konnexitätsprinzips werden, da die notwendigen Ausführungsgesetze ebenfalls der Konnexität unterliegen. Damit haftet das Land vorbehaltlich einer vollständigen Kostenerstattung durch den Bund für die durch Ausführungsgesetz entstehenden Mehraufwendungen.

Über den Anspruch auf vollständige Konnexität hinaus haben die Gemeinden künftig ein Vetorecht gegen finanzwirksame Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Richtlinien des Landes. Widerspricht mehr als die Hälfte der Gemeinden den Vorhaben des Landes und ist Klage vor dem Staatsgerichtshof erhoben worden, so tritt das Vorhaben des Landes in seinen finanzwirksamen Teilen nicht in Kraft, bis der Staatsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Kostenerstattungsregelung befunden hat. Dasselbe gilt, wenn die kommunalen Spitzenverbände gemeinschaftlich Klage vor dem Staatsgerichtshof erhoben haben.

Durch eine Änderung von Artikel 54 Nr. 5 der Niedersächsischen Verfassung sowie der entsprechenden Vorschriften im Gesetz über den Staatsgerichtshof wollen wir schließlich erreichen, dass die Kommunalverfassungsbeschwerde der Gemeinden und Gemeindeverbände künftig nicht nur gegen Landesgesetze, sondern auch gegen Verordnungen und andere aufgrund eines Landesgesetzes erlassene Rechtsvorschriften zulässig ist. Gleichzeitig wird ein Verbandsklagerecht für die kommunalen Spitzenverbände eingeführt.

Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen vernünftigen Vorschlag zur Verankerung von Konnexität und Vetorecht in der Niedersächsischen Verfassung vorge

legt haben. Wir werden sehr darauf drängen, dass die notwendige Verfassungsänderung erfolgt, bevor etwa bei der Verwaltungsreform weitere Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, es nützt den finanziell handlungsunfähigen niedersächsischen Kommunen nichts, wenn sie nur von Konnexität reden. Sie haben viel versprochen. Jetzt müssen Sie endlich handeln.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das sagen ausgerechnet Sie!)

- Das sage ich auch gern; denn schließlich haben Ihnen der Städtetag und der Landkreistag in den neuesten Ausgaben ihrer Zeitschriften genau das ins Stammbuch geschrieben. Das brauche ich nur zu zitieren, da brauche ich nichts selbst zu erfinden.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist Legende!)

Es nützt also nichts, wenn Sie nur viel versprechen. Das haben Sie getan, aber noch nichts davon eingelöst. Ihre bisherige Zurückhaltung beim Thema Konnexität lässt für mich nur den Schluss zu, dass Sie auf Zeit spielen wollen, bis sie die von Ihnen mehr oder weniger planlos betriebene Zerschlagung der Verwaltungsstrukturen in Niedersachsen vollendet haben.

Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen deshalb eine interfraktionelle Verabredung vor. Wir einigen uns an dieser Stelle, dass wir hier im Landtag kein Gesetz verabschieden werden, bis das strikte Konnexitätsprinzip und das Vetorecht für die Kommunen in der Verfassung verankert sind.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das ist Realsatire!)

- Das mögen Sie so sehen, Herr Kollege.

(David McAllister [CDU]: Dass ausge- rechnet Sie das sagen, ist Realsatire!)

- Es kann durchaus sein, dass Sie das so beurteilen, Herr McAllister. Aber ich möchte Ihnen eines ins Stammbuch schreiben. Sie haben - ich möchte das mit meiner Wortwahl nicht überzeichnen - vor und nach der Wahl eine Propaganda betrieben, dass Sie das Konnexitätsprinzip sofort umsetzen wollen. An diesem Maßstab und an nichts anderem messen wir sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal. Ich schlage Ihnen eine interfraktionelle Verabredung vor: Wir entscheiden nichts, bevor das strikte Konnexitätsprinzip in der Verfassung verankert ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn die nachfolgenden Rednerinnen und Redner eine entsprechende Erklärung für ihre Fraktionen abgeben würden.

Denken Sie daran, meine Damen und Herren, die Verankerung von strikter Konnexität und eines Vetorechts hilft nicht nur den Kommunen. Sie könnte auch dazu führen, dass die CDUKommunalpolitiker wieder aus den Büschen herauskommen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Kollege Bäumer. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zwar schon vieles gesagt worden, aber wohl noch nicht von jedem. So haben es sich die Sozialdemokraten nicht nehmen lassen, uns den heutigen Tag mit dem Thema Konnexität zu bereichern.

Ich sage Ihnen eines ganz klar: Die CDULandtagsfraktion steht zur Einführung des strikten Prinzips der Konnexität in der Landesverfassung. Das haben wir im Wahlkampf angekündigt, das steht im Koalitionsvertrag, und das wird in diesem Jahr in der Landesverfassung festgeschrieben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir tun das, was wir den Wählerinnen und Wählern und den Kommunen versprochen haben. Das mag zwar für Sie in der SPD-Fraktion neu sein, aber das ist bei uns gelebte Politik. Deshalb ist der von Ihnen vorgelegte Entwurf, Herr Kollege, in der Sache richtig, aber faktisch unnötig. Sie werfen sich damit hinter einen Zug, der schon lange fährt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wo fährt er denn?)

Der Zug in Richtung striktes Konnexitätsprinzip fährt. Der Zielbahnhof ist in Sicht - und das schon 13 Monate, nachdem wir im vergangenen Jahr die Regierung übernommen haben. Sie, Herr Bartling, haben 13 Jahre lang Zeit gehabt, das strikte Konnexitätsprinzip und einen Konsultationsmechanismus in der Verfassung zu verankern. Aber was ist in diesen 13 Jahren geschehen? - Es ist nichts geschehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Gegenteil! Sie haben ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet, ohne den Kommunen dafür die Mittel bereitzustellen. Erinnern Sie sich? - Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist gesetzlich verankert; aber das Geld legen die Kommunen auf den Tisch.

Jetzt tun Sie hier im Parlament so, als hätten Sie die Konnexität erfunden. Das ist zutiefst unredlich, und die Kommunen im Lande wissen das auch.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Haben Sie zugehört, was Herr Bartling gesagt hat, Herr Kollege?)

Meine Damen und Herren, es klingt wie Hohn, wenn Sie in der Begründung zu Ihrem Entwurf schreiben:

„Das Konnexitätsprinzip wirkt also als wichtiges Korrektiv gegenüber gesetzlichen Wohltaten, die sonst von den Kommunen finanziert werden müssten.“

Ist das die Erkenntnis aus 13 Jahren SPDRegierung in Niedersachsen? Ist das der Versuch, das Wahlergebnis vom 2. Februar 2003 zu verarbeiten? - Wahrscheinlich ist es nichts von beidem, sondern das Eingeständnis für 13 Jahre völlig verfehlte Politik.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber glauben Sie, dass Ihnen die Kommunen draußen im Lande diese Politik abnehmen? - Ich meine nicht. Mir persönlich kommt das so vor, als wenn der Dieb, der 13 Jahre lang einen Raubzug durch die kommunalen Kassen unternommen hat, jetzt einen Leitfaden zum Schutz vor Räubern und Wegelagerern geschrieben hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Axel Plaue [SPD]: Wie geht es Ihnen eigentlich sonst, Herr Kollege?)

Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie mir das als jemandem, der im Gemeinderat und im Kreistag als Kommunalpolitiker tätig ist: Diesen Leitfaden und Ihre Einstellung kauft Ihnen niemand ab.