Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

(Bernd Althusmann [CDU]: Doch, wir reden viel mit ihm!)

Da hat er nämlich immer gesagt: Das seien doch eigentlich große Erfolge gewesen - was soll er auch anderes sagen? -, die in der Zeit der SPDgeführten Regierung erzielt worden seien. Auf denen könne jetzt die von CDU und FDP geführte Landesregierung aufbauen. Denn immerhin habe es die SPD-geführte Regierung geschafft, seit 1994 real - und nicht nur auf dem Papier - fast 12 000 Stellen abzubauen. Das sei ein Erfolg, auf dem die CDU/FDP-geführte Regierung jetzt aufbauen könne - Zitat Meyerding!

Herr Meyerding, ich habe die Bitte: Kämpfen Sie um das Rederecht. Wir geben es Ihnen, damit Sie das hier einmal wiederholen können, und zwar in Anwesenheit der geschätzten Kollegen.

Dann zu Herrn Schünemann. Herr Schünemann, nur damit wir immer schön sauber bleiben: Wir haben nicht neun oder acht Regionen vorgeschlagen, sondern wir haben gesagt: Wenn man in die Zukunft denkt und sich überlegt, dass das Ergebnis eine solche Regionsbildung sein könnte, entweder weil Sie sie auslösen - dazu sage ich später noch etwas - oder weil eine stärkere Regionsbildung durch die veränderten Herausforderungen an Zusammenarbeit in den Kommunen faktisch notwendig wird, dann stellt man Folgendes fest: Es gibt ein paar Regionen in Niedersachsen, die sich schon zusammengefunden haben, und ein paar, wo das nicht der Fall ist. Wir schlagen da gar nichts endgültig vor. Die Kritik an unserem eigenen Vorgehen bei der Verwaltungsreform in der Vergangenheit und jetzt auch an Ihrem besteht darin, dass immer nur die Frage gestellt wurde, wie wir Kosten sparen und wie wir es effizienter machen, aber nicht, welche völlig veränderten Herausforderungen z. B. durch den europäischen Einigungsprozess auf öffentliche Verwaltungen zukommen und welche strukturellen Folgen das hat. Ich meine, das wäre eine Debatte, die möglicherweise zu anderen Ergebnissen käme.

Ich sage Ihnen: Im Jahre 2010 haben wir in Niedersachsen einen Landkreis mit 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern - der heißt Region Hannover, die nichts anderes als ein Landkreis nach unserer Gemeindeverfassung ist, also das Ergebnis der Einkreisung der Stadt Hannover - und

einen anderen mit nicht einmal 52 000 Einwohnerinnen und Einwohnern - Tendenz fallend -, nämlich Lüchow-Dannenberg. Wenn Sie den Menschen in Lüchow-Dannenberg erklären wollen, warum sie sich eigentlich damit zufrieden geben müssen, dass sie weit weniger Chancen haben als die Menschen in dem Landkreis mit 1,1 Millionen Einwohnern, dann möchte ich einmal erleben, wie wir das rechtfertigen wollen.

Herr Schünemann, abseits dieser Anwürfe, wer jetzt eine Debatte über eine solche Gebietsreform provoziert - ich habe das übrigens vorhergesehen, was Sie jetzt erzählen werden; das können Sie nachlesen -, möchten wir mit Ihnen auch darüber reden, welche Herausforderungen auf Kommunen zukommen und wie eine öffentliche Verwaltung, die sich in einen Landesteil, einen staatlichen Teil auf der kommunalen Ebene und einen Selbstverwaltungsteil auf der kommunalen Ebene gliedert, organisiert werden muss, damit diese Herausforderungen so angenommen werden, dass sich die Lebensverhältnisse in Niedersachsen zwischen Norden und Süden sowie Osten und Westen unseres Landes nicht dramatisch unterscheiden. Das hat etwas mit Chancengleichheit und Gerechtigkeit zu tun, meine Damen und Herren, und darauf müssen wir auch Verwaltungsstrukturen ausrichten.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion jeweils zwei Minuten zusätzliche Redezeit nach § 71 Abs. 2 der Geschäftsordnung. Herr Dr. Lennartz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin von der CDU und Herr Bode von der FDP haben sich über unseren Antrag und den früheren Antrag aus dem vorigen Jahr irritiert gezeigt. Frau Ross-Luttmann, Sie haben gefragt: Hat Sie der Mut verlassen? - Ich möchte nur kurz klarstellen: Wir haben im vergangenen Jahr gesagt - das Gleiche sagen wir immer noch -, dass man im Prinzip die Mittelbehörden in Niedersachsen abschaffen kann, aber dass dafür aus unserer Sicht bestimmte Voraussetzungen notwendig sind. Diese zentralen Voraussetzungen, die wir auf dem Weg zu einer wirklichen Zweistufigkeit sehen, sind eine Kreis

und Gebietsreform, wie auch immer Sie sie im Detail und konkret und mit welcher Methode bewerkstelligen, ob Top-Down oder anders herum, also auf freiwilliger Basis. Wir favorisieren die Entwicklung auf freiwilliger Basis.

Herr Althusmann, nach meiner Wahrnehmung gibt es derzeit in der Bundesrepublik Deutschland zwei führende Verwaltungswissenschaftler, nämlich Werner Jann in Potsdam und Joachim Hesse in Berlin. Hesse ist derjenige, der für die Länderebene der Spezialist ist. Den habe ich vorhin zitiert. Mit dem haben Sie angeblich oder tatsächlich Gespräche geführt. Er sagt, dass es eine Zweistufigkeit geben kann, wenn gleichzeitig die Territorialstrukturen verändert werden, d. h. im Klartext eine Kreis- und Gebietsreform.

Lassen Sie uns doch jetzt einmal aufhören, diese Popanze aufzubauen. Sie sind mit dem Niedersächsischen Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit, das Sie von der Vorgängerregierung übernommen und eingebracht haben und das wir einstimmig beschlossen haben, den richtigen Weg gegangen, nämlich auf freiwilliger Basis verstärkt zwischen Landkreisen zu kooperieren. Es geht im Grunde nur darum, diesen Prozess der verstärkten Kooperation zu begleiten, zu fördern und zu stimulieren. Ob man das zum Schluss „Regionen“, „Regionalverbände“ oder wie auch immer nennt, ist eine nachrangige Frage. Entscheidend ist, dass wir Schluss machen mit „Die wollen die Kreise zerschlagen!“ - darum geht es überhaupt nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann erteile ich jetzt Herrn Bode von der FDPFraktion das Wort.

(Zuruf von Heinrich Aller [SPD])

Herr Aller, warten wir einmal ab, wie viel Redezeit noch da ist, wenn ich mit Herrn Gabriel fertig bin. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass sich Herr Gabriel in die Diskussion zur Verwaltungsreform eingebracht hat. Ich sage ganz klar: Zu der jetzt aufgetauchten Diskussion über eine Gebietsreform, die wir brauchen oder nicht brauchen, gibt es eine ganz eindeutige Position der FDP-Fraktion: Wir stehen zu all unseren Kreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Herr Diek- wisch nicht!)

Wir brauchen keine Gebietsreform! Herr Gabriel, ich hätte gerne mit Ihnen über diese Frage diskutiert, wenn die Voraussetzung, die Sie vorher in den Raum gestellt haben, zuträfe, nämlich die Übertragung aller möglichen Aufgaben an die Kreise oder an die Städte und dass diese damit nicht fertig würden. Aber wir haben etwas ganz anderes gemacht - ich habe das vorhin gesagt, als Sie nur draußen zugehört haben -: Wir haben 800 Aufgaben betrachtet und haben die nicht etwa umverteilt. 400 davon werden auf Landesebene komplett entbehrlich gestellt. Lediglich einige wenige Aufgaben werden an die Kommunen umverteilt, nämlich diejenigen, die ohnehin schon von den Kommunen, von den Kreisen wahrgenommen werden, beispielsweise im Bereich Naturschutz. Das ist nichts, was einen Kreis überfordern würde. Deshalb brauchen wir wegen dieser Verwaltungsreform nicht eine Gebietsreform.

Wir fördern und unterstützen - das muss man auch einmal sagen - natürlich freiwillige Kooperationen. Unsere Kreise, Städte und Gemeinden werden sich, nachdem sie diese Verwaltungsreform des Landes gesehen haben, genau überlegen, wo in ihrem Verwaltungshandeln ebenfalls Schritte erforderlich sind, wo sie durch Zusammenarbeit etwas anders gestalten könnten. Den Rahmen dafür haben wir durch das eben auch von Herrn Dr. Lennartz erwähnte Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit noch einmal verbessert. Das ist der richtige Weg. Man kann nicht über Zwang etwas verordnen.

Um noch einmal auf die Region Hannover zu kommen: Natürlich ist die Region Hannover nicht falsch. Aber weil sie eine Modellregion mit der Besonderheit Landeshauptstadt ist, ist sie natürlich nicht auf einen anderen Bereich in diesem Land übertragbar. Das muss man in der Diskussion auch einmal ganz klar sagen.

(Beifall bei der FDP)

Freiwillige Kooperationen, kein Zwang - das sind die richtigen Maßnahmen. Das können wir uns erlauben; denn wir haben Aufgaben abgebaut und sie nicht auf andere übertragen. Weniger Staat, mehr Niedersachsen - das hatten wir schon mal bei der Landtagswahl plakatiert, und das ist richtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister Schünemann, Sie haben das Wort.

Ich habe mich nur noch einmal zu Wort gemeldet, weil Ihre Wortmeldung, Herr Dr. Lennartz, doch sehr wohltuend war; denn das, was Sie beschrieben haben, ist ein Weg, über den wir wirklich ernsthaft diskutieren sollten.

Es geht wirklich nicht darum, unter Zwang eine Region zusammenzufügen; das wäre völlig falsch. Aber es ist schon längst kommunale Praxis, dass man verschiedentlich bei der Aufgabenerledigung miteinander kooperiert. Das müssen wir fördern; das ist überhaupt keine Frage. Das haben wir über das Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit, das Sie erwähnt haben und das wir auf den Weg gebracht haben, auch getan. Wir sollten uns darüber unterhalten, ob, wenn es um Finanzhilfen geht, freiwillige Kooperationen nicht tatsächlich ein sinnvoller Weg zur Aufgabenerledigung sind. Nur, es müssen wirklich freiwillige Kooperationen sein.

Ich darf einmal ein Beispiel nennen. Ich komme bekanntlich aus dem Landkreis Holzminden. Dort ist es denkbar, dass man das Veterinäramt gemeinsam mit Hameln betreibt, dass man im Bereich Tourismusförderung aber mit Göttingen zusammenarbeitet, weil der Solling eben sehr viel näher an Göttingen liegt. Hier ein Zwangsmodell zu verordnen, wäre völlig falsch.

Solche Kooperationen wären gerade für kleinere Landkreise eine Chance, um ihre Strukturen insgesamt zu erhalten. Man muss die Aufgaben ja nicht automatisch an die größeren Landkreise geben. Darum geht es mir, und dafür werbe ich. Wenn wir auf dieser Basis zusammenarbeiten, dann wird das Land sicherlich eine sehr gute Struktur bekommen.

Ich habe mich nur sehr gewundert, dass Sie bereits acht Regionen namentlich exakt benannt haben. Damit würden Sie das vorschreiben. Das kann es, wie gesagt, nicht sein und ist mit mir nicht zu machen, weil es völlig falsch wäre.

Sehr geehrter Herr Gabriel, da Sie Staatssekretär Meyerding zitiert haben, will ich dies zum Abschluss auch noch tun: Die Bilanz der 13 Jahre Ihrer Regierungszeit weist aus, dass Sie unter dem Strich nicht eine einzige Stelle zur Haushaltskon

solidierung abgebaut haben. Vielmehr hat es saldiert insgesamt 63 Stellen mehr gegeben.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Das ist falsch!)

Das ist Ihre Bilanz, und daran sollten Sie sich messen lassen. Wir hingegen gehen daran, Stellen abzubauen, um den Haushalt zu konsolidieren. Sie haben dies nicht geschafft. Aber Sie werden sehen, dass diese Landesregierung das schafft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr.

Damit kommen wir zur Ausschussüberweisung. Der Antrag soll federführend im Ausschuss für Inneres und Sport und mitberatend im Ausschuss für Haushalt und Finanzen behandelt werden. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer ist anderer Meinung? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit haben Sie einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 27: Bevölkerung schützen, verantwortungsvollen Umgang mit Hunden sicherstellen Hundegesetz schnell überarbeiten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 5/945

Dieser Antrag soll ohne Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden. Federführend soll ihn der Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und mitberatend der Ausschuss für Inneres und Sport behandeln. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Damit haben Sie einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Wesermarsch in Bewegung - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/954

Ich erteile Herrn Will für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landkreis Wesermarsch mit ca. 95 000 Einwohnern befindet sich derzeit in einem dramatischen Strukturwandel. Bisher zeichnete sich der Landkreis durch eine hohe Industriedichte in den Bereichen Luft- und Raumfahrtindustrie, Elektro- und chemische Industrie, maritime Wirtschaft und Logistikunternehmen aus. Andererseits lag der Anteil der Arbeitsplätze bei Handwerk und Dienstleistungen traditionell sehr niedrig. Die Industrieunternehmen befinden sich zudem sehr konzentriert in einem schmalen Korridor von ca. 2 km entlang der Weser.

Durch die Schließung von und den Abbau von bis zu 1 400 vorwiegend industriellen Arbeitsplätzen in einer Reihe von Unternehmen noch in diesem Jahr wird die Arbeitsmarktsituation erheblich verschärft. Wenn nicht gegengesteuert wird, wird die Arbeitslosenquote Ende des Jahres bereits über 14 % liegen und die Anzahl der Arbeitslosen damit auf ca. 6 300 ansteigen. In den letzten zehn Jahren war bereits ein Rückgang von über 3 000 Arbeitsplätzen zu verzeichnen.

Die schwierige wirtschaftliche Entwicklung und die unterdurchschnittliche Arbeitsmarktentwicklung haben zudem gravierende Folgen für die Bevölkerungsentwicklung in dem gesamten Landkreis. Das Landesamt für Statistik geht von einem Bevölkerungsrückgang von 0,5 % bis 2012 aus. Insbesondere arbeitsfähige junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren verlassen diese Region. Sie droht auszubluten und zu überaltern. Es gilt, durch gezielte Maßnahmen und durch langfristig wirksame wirtschaftliche Konzepte die Abwanderung zu stoppen.

Vor diesem Hintergrund wollen wir die intensiven Anstrengungen zur nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im Landkreis Wesermarsch begrüßen und ausdrücklich unterstützen. Alle wichtigen Kräfte des Landkreises werden in einer regionalen Arbeitsgruppe, bestehend aus Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften, gebündelt.

In Gesprächen wird deutlich, dass die Region sehr geschlossen an einem Strang zieht und sowohl Lösungen für die aktuellen Beschäftigungsprobleme sucht als auch eine langfristige Strategie zu einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung vorantreibt. Wesentliche Grundlage für diese Arbeit ist das von der IHK vorgelegte Thesenpapier zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung des Landkreises Wesermarsch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier ist nun die Landesregierung gefordert, die örtlichen Akteure zu begleiten und entsprechend zu unterstützen, damit der Landkreis Wesermarsch den Anschluss an die Entwicklung der anderen Regionen in Niedersachsen erhält und sichert. Wir fordern die Landesregierung auf, kurzfristig Gespräche mit den Vertretern der regionalen Arbeitsgruppe zu führen, um die aktuellen Beschäftigungsprobleme gemeinsam zu bekämpfen und die negativen Folgen von geplanten Unternehmensschließungen bzw. Personalabbau zu vermindern.

Gleichzeitig ist das Land gefordert, die Entwicklung langfristiger Konzepte für eine wirtschaftliche Stabilisierung der Region mit zu unterstützen. Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei der Entwicklung und Verbesserung der Infrastruktur zu. Darunter verstehen wir sowohl eine bessere Anbindung in Richtung JadeWeserPort in Wilhelmshaven als auch einen besseren Ausbau der Verbindungen zu Bremen.

Die Inbetriebnahme des Wesertunnels ist ein wichtiger erster Schritt. Er muss jedoch durch den zügigen Bau der A 22