Protokoll der Sitzung vom 30.04.2004

Zweitens. Die Landesregierung wird das Vermittlungsverfahren zum Anlass nehmen, die Änderungen im Hartz-IV-Gesetz zu beraten. Bedenken Sie bitte auch, dass Sie Herrn Hartz Unrecht tun. Der Mann ist nun wirklich der Namensgeber für diese Gesetze und für diese Reformen. Aber diese Gesetze haben mit dem, was er gewollt hat, nun rein gar nichts mehr zu tun. Den Mann muss man wirklich einmal vor Ihnen und vor anderen, die seinen Namen für solche dilettantischen Gesetze benutzen, in Schutz nehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir werden einen Vorschlag einbringen, um die versprochene Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro tatsächlich sicherzustellen. Unser Vorschlag wird auf eine Mischfinanzierung der Geldleistungen aufbauen, die es erlaubt - anders als die jetzt im Gesetz vorgesehene Mischverwaltung -, eine feine und flexible Austarierung der Belastung von Bund und Kommunen zu erreichen. Die Geldleistungen würden dann aus einer Hand in der Trägerschaft der Landkreise beim Optionsmodell vergeben. Diese dezentrale Lösung ist allemal wirkungsvoller, bürgernäher und letztlich effizienter als der Zentralismus.

Die Entlastung der Kommunen würde nach unserem Vorschlag durch eine quotale Beteilung des Bundes erreicht. Sie haben ebenfalls - zu Recht eine quotale Beteiligung zur Entbürokratisierung in Niedersachsen eingeführt. Wir werden diese quotale Beteiligung so stricken, dass die Schwierigkeiten einer zentralen Datenerfassung und Datenverwaltung überflüssig werden, gar nicht entstehen können und damit vermeidbar sind.

Drittens werden wir bei der aktiven Arbeitsmarktförderung, die durch die aktiven Leistungen be

stimmt ist, den Systemwettbewerb zwischen Bundesagentur und kommunaler Ebene akzeptieren beide müssen kooperieren, mal der eine mit dem anderen, mal umgekehrt; denn beide sind aufeinander angewiesen -, aber zu fairen Bedingungen und bei einer auskömmlichen Finanzierung der kommunalen Ebene; dazu liegen mit dem Niedersächsischen Weg detaillierte Vorschläge vor.

Viertens und letztens wollen wir eine handwerklich saubere Lösung, die für die Kommunen Verlässlichkeit und Planungssicherheit bedeutet. Es könnte passieren, dass, wenn wir Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen zeigen wollen, das Gesetz erst zum 1. Juli 2005 in Kraft treten könnte. Dazu wären wir - im Konsens mit Gewerkschaften, mit vielen anderen Beteiligten - bereit. Lieber ein halbes Jahr später und gut als ein halbes Jahr zu früh und schlecht. Das sind wir den betroffenen Menschen schuldig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann gebe ich der Vollständigkeit halber, weil Sie darauf einen Anspruch haben, zu Protokoll, dass wir die damit im Zusammenhang stehende Nettoentlastung des Landes selbstverständlich ungeschmälert an die Kommunen weitergeben werden. Aber im Moment geht es um das große Ganze, das zwischen Bund und Kommunen auszutragen ist. Da sind wir auf einem verdammt schlechten Weg, und Sie könnten da verdammt viel tun, weil Frau Dückert für die Bundestagsfraktion der Grünen im Kern weiß, worum es hier geht, da sie es sich in Landkreisen wie dem Landkreis Emsland und dem Landkreis Osnabrück anschauen kann, wie erfolgreich man dort Menschen über Maßarbeit, über Bestätigungsgesellschaften in Arbeit vermittelt hat.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Aber mit dreimal so viel werden Sie es mit dem gleichen Personal lange nicht mehr bewältigen! Sie überschätzen sich auch hochgradig!)

- Liebe Frau Steiner, Sie sind noch näher am Landkreis Osnabrück; insofern wundert mich Ihr Zwischenruf noch mehr. Ich kann nur sagen: Gut, dass die Legislaturperiode verlängert wurde, dann können Sie auch die Qualität Ihrer Zwischenrufe verbessern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich meine, es sollte hier wirklich nicht darum gehen, dass wir gegenseitig versuchen, uns in die Suppe zu spucken.

(Ingrid Klopp [CDU]: Genau!)

Es geht vielmehr darum, dass es aus Gründen des Ansehens der deutschen Politik zwingend ist, damit uns nicht wieder so etwas passiert wie beim Dosenpfand oder bei der Lkw-Maut.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich gewähre ihr drei Minuten und erteile dem Abgeordneten Gabriel das Wort.

(Oh! bei der CDU - Bernd Althusmann [CDU]: Eigentlich ist alles gesagt!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, eines geht nicht: erst spucken und sich dann über die Qualität der Suppe beklagen.

(Hermann Eppers [CDU]: Das habe ich jetzt nicht verstanden!)

- Weil Sie ja nicht einmal ihm zuhören.

Ich würde ganz gerne ein paar Dinge klarstellen, und zwar ohne dass wir Sachen verteidigen, die nicht zu verteidigen sind.

Wie ist es denn zu dem Chaos, das jetzt entstanden ist, gekommen? - Es ist dadurch entstanden, dass SPD und Grüne einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag und danach in den Bundesrat eingebracht haben, der zuallererst das Ziel hatte, lediglich die Frage zu klären, wie wir eine Entlastung für die deutschen Kommunen von der Sozialhilfe schaffen

(Bernd Althusmann [CDU]: Alles ge- scheitert!)

und wie wir das mit einer Gemeindefinanzreform verbinden. Herr Wulff, Sie haben als Bedingung zur Zustimmung in der Frage der Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine Debatte über die Zuständigkeit der Betreuung und Vermittlung von Sozialhilfeempfängern eingebracht. Sie haben Folgendes gemacht

- Sie vermischen das immer gerne; ich finde, man muss das einmal klarstellen -:

Erstens. Sie haben den deutschen Kommunen eine Gemeindefinanzreform verweigert. Das ist das Erste, was Sie im Bundesrat gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie, Herr Wulff, und die CDU-geführten Länder haben gegen den erklärten Willen der CDU-Kommunalpolitiker in Deutschland gegen die Gemeindefinanzreform bei der Vitalisierung der Gewerbesteuer gestimmt. Damit haben Sie ihnen Millionen, wenn nicht gar Milliarden Euro vorenthalten. Stattdessen haben Sie - das haben Sie in dieser Landtagssitzung wieder getan - den Vorschlag eines kommunalen Hebesatzes bei der Einkommensteuer eingebracht. Das ist der Vorschlag, den in Deutschland nur eine einzige Institution macht, und zwar der BDI. Von Ihren eigenen Kommunalpolitikern ist er komplett abgelehnt worden. Das ist nichts anderes als die Umverteilung der Steuerlast von den Unternehmen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Falsch!)

Herr Wulff, Sie beklagen sich heute darüber, dass die Gemeinden nicht entlastet werden. Sie haben doch mit Ihrem Stimmverhalten im Bundesrat den Stein dazu erst ins Rollen gebracht.

Zweitens. Sie haben im Bereich der Arbeitslosenund Sozialhilfe etwas getan, was, wie ich finde, falsch gewesen ist. Sie haben das nämlich in der Tat mit der entscheidenden Frage vermischt: Wer soll in Zukunft in Deutschland Arbeitsmarktpolitik machen? - Da liegt das Problem. Weil ich selbst einmal Vorsitzender des Vermittlungsausschusses war, weiß ich, dass es falsch ist, nachts um 3 Uhr verfassungsrechtliche Fragen zu beschließen, weil da die meisten nach Hause wollen und nicht mehr auf die Verfassungsrechtler hören.

Wenn Sie sich hier beklagen, dass es nicht zur Trägerschaft, sondern zur Organleihe kommt, dann liegt das daran, dass Sie in der Sitzung des Bundesrates - Sie waren ja beteiligt - auf die Bedenken, dass das verfassungsrechtlich nicht geht, nicht reagiert haben und dass jetzt, um eine Grundgesetzänderung zu vermeiden, die Organ

leihe eingeführt worden ist. Das ist der rechtliche Hintergrund und kein böser Wille.

Sie wollen, dass wir eine unmittelbare Verbindung zwischen Bund und Gemeinden in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankern, und zwar mit Finanzbeziehungen, um sich an dieser Stelle hinsichtlich Ihrer Verantwortung selbst herauslügen zu können,

(Widerspruch bei der CDU)

weil Sie wissen, dass die Gemeinden verfassungsrechtlich Länderbestandteil sind.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde es gut, dass Sie hier gesagt haben, Sie wollen die Nettoentlastung weitergeben.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wir wollen doch einmal sehen, was für Sie Nettoentlastung ist. Es gibt ein paar Pakete, bei denen es gar keine Belastung, sondern nur Entlastungen gibt. Von netto kann also gar nicht die Rede sein.

Wir gehen immer noch von 250 Millionen Euro aus. In Ihrem Antrag schreiben Sie 75 Millionen Euro. Ihr Finanzminister gibt im Ausschuss sogar 125 Millionen Euro zu. Meine Damen und Herren, was stimmt denn nun? - Offensichtlich gibt es auch bei Ihnen ganz erhebliche Probleme in der Berechnung. Frau von der Leyen hat ja im letzten Tagungsabschnitt im Landtag sogar jede Entlastung verweigert. In ihrem ersten Redebeitrag hatte sie gesagt, es hätte gar keine gegeben. In ihrem zweiten Redebeitrag hat sie sich dann korrigiert.

Das heißt, Sie haben durch dieses Optionsmodell für Chaos gesorgt. In Wahrheit haben Sie an einer Stelle völlig Recht, nämlich dass man sich entscheiden muss, ob man - das ist meine persönliche Auffassung - entweder die Agentur für Arbeit für Arbeitslosigkeit zuständig macht oder zu einer kompletten Kommunalisierung kommt, wie beim Social Benefit Act unter Bill Clinton oder wie in den Niederlanden und in anderen Ländern, z. B. in Schweden. Es geht nur eines von beiden. Sie haben versucht, die SPD und die Grünen im Bundesrat bei der Gemeindefinanzreform und bei der Entlastung auf dem Gebiet der Sozialhilfe zu erpressen, und haben ein solches Modell eingebracht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Wären Sie Ihrem Vorvorvorgänger Herrn Albrecht gefolgt und hätten endlich zugestimmt, dass die Kommunen von der Sozialhilfe entlastet werden, ohne dabei den Erpressungsversuch zu machen, das Optionsmodell einzuführen, dann wäre es zu einer sauberen Lösung gekommen. Das haben Sie nicht gewollt. Deshalb haben wir jetzt das Chaos in der Debatte.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU)

Herr Gabriel, kommen Sie bitte zum Ende. Sie haben jetzt schon fast fünf Minuten gesprochen.

Komme ich gerne.

Ich sage Ihnen - -

(Zurufe von der CDU)