Man hat nachgerade den Eindruck, als seien Sie bei den Verhandlungen im Dezember überhaupt nicht dabei gewesen. Das ist Ihr Kompromiss genauso gut wie unserer. Tun Sie nicht so, als hätten Sie mit dieser Sache nichts zu tun!
Dieser Kompromiss muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Was Sie machen, ist die reine Blockade. Sie können doch nicht so tun, als hätten Sie zum Beispiel die gestrige Bundestagsdebatte nicht mitbekommen, Herr Matthiesen. Im Zweifel muss man einmal die dpa-Meldungen lesen. Dort hätten Sie nachlesen können, dass für die Kommunen 2,5 Milliarden Euro zugesagt worden sind. Dann können Sie sich nicht heute hier hinstellen und sagen, dass sei nicht der Fall.
Wenn Sie schon den Vorstand der BA zitieren - es ist das gute Recht des Vorstands der BA, darauf hinzuweisen, dass der Zeitplan eng ist -, dann sagen Sie bitte auch - auch das war eine Meldung von gestern; ich nehme an, dass Sie diese Meldung gesehen haben -, dass der Vorstand erklärt hat, wenn bis Juni Klarheit bestehe, könne das Gesetz in Kraft treten. Es kommt jetzt auf Sie an, nicht unnötig zu blockieren, damit wir bis Juni fertig werden und die Betroffenen zum 1. Januar die Leistungen bekommen, die ihnen zustehen.
Daran haben Sie aber überhaupt kein Interesse. Das zeigt ganz besonders das Verhalten Ihres Verhandlungsführers Koch aus Hessen, der bei allem gern den Scharfmacher spielt. Er kann sich doch nicht hinstellen und den Kommunen allen Ernstes vorschlagen, sich dem Reformprozess zu verweigern, und sie auffordern, die Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen zu verweigern. Das ist doch wirklich unsäglich!
Das Zeitfenster ist offen. Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, dann werden wir es schaffen. Wenn der Start von Hartz IV - das darf natürlich nicht passieren - so aussähe, dass zwar die passiven Leistungen ausgezahlt werden, die aktiven Leistungen aber nicht kommen, dann würden die Bündnisgrünen das nicht mitmachen. Zum Fordern gehört gleichzeitig auch das Fördern. Das gestehe ich Ihnen zu.
Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen ist im Kompromiss gut angelegt. Sie ist bereits Bestandteil des SGB II und für den Einsetzungszeitpunkt 1. Januar 2005 gut aufgestellt. Die Instrumente sind doch vorhanden. Der Gestaltungsspielraum für die Jobcenter ist ebenfalls abgesteckt, meine Damen und Herren.
Unabhängig davon, ob es ein Optionsgesetz gibt oder nicht, wird der Gestaltungsspielraum schon jetzt von vielen Kommunen genutzt. Sie befinden sich ja in Verhandlungen mit der BA. Mit dem Optionsgesetz wollen Sie sozusagen Honig auf dem Rücken der Erwerbslosen saugen. Sie spielen mit verdeckten Karten und sagen den Betroffenen nicht die Wahrheit.
Zu einer Reform - so stand es dieser Tage in der WELT in einem Kommentar - gehören Willen und Können.
Das politische Personal hat im vergangenen Jahr ungefähr neun Monate gebraucht, um diesen Willen zu finden und zu fassen. Das war eine gemeinsame Aktion. Sie waren daran ebenso beteiligt wie wir.
Die Debatte um die Zusammenlegung ist sogar noch sehr viel älter. Es war immer gemeinsamer Wille, die Systeme zusammenzulegen und Doppelstrukturen abzubauen. Wenn jetzt aber im weiteren Verfahren nicht der gemeinsame Wille aller Beteiligten da ist und der politische Betrieb nicht das leisten kann, was zu machen ist, dann allerdings ist es allmählich zum Verzweifeln, meine Damen und Herren.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfehle dem Kollegen Harden, das Protokoll nachzulesen. Sie
werden darin u. a. die Aussage finden, dass wir mit Herrn Clement den Kompromiss geschlossen hätten und uns nun nicht aufregen dürften, wenn er gebrochen wird. Das ist Ihnen eben so entflohen.
Durch diesen Freud’schen Versprecher ist die Situation im Grunde wunderbar beschrieben. Man könnte sogar sagen: Damit ist sie umschrieben. Im Zusammenhang mit dem Kompromiss, der nachts um halb vier mit der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss erzielt wurde, ist protokolliert, dass die Kommunen eine Optionsmöglichkeit erhalten, bei der sie für diesen Bereich die Trägerschaft bekommen. In dem Gesetz, das Sie gestern verabschiedet haben, steht „Organleihe“. Das ist ein glatter Wortbruch.
Den Beratungen im Vermittlungsausschuss ist ein Rechenmodell der verschiedenen Bundesministerien zugrunde gelegt worden. Danach ergab sich eine Nettoentlastung der Kommunen in Deutschland um 2,5 Milliarden Euro. Die Nachberechnungen, die gemeinsam mit dem Bund angestellt worden sind, ergeben eine Mehrbelastung von mindestens 2,5 Milliarden Euro bis zu 5 Milliarden Euro aufgrund der Neuregelung, wenn diese am 1. Januar in Kraft tritt. Das ist ein doppelter Wortbruch; Sie haben hier mit falschen Zahlen operiert.
Ich will das im Zusammenhang ganz sachlich darstellen. Mich hat das schon erschüttert. Ich habe hier auch manches Mal die Politik der von uns getragenen Bundesregierung verteidigen müssen, obwohl ich gedacht habe, man hätte es im Detail auch anders machen können. Aber bei einer Sache, die im Detail erkennbar zum 1. Januar nicht funktionieren wird, bei der es erkennbar um Millionen von Menschen geht, die Linie der Bundesregierung so kritiklos zu verteidigen, wie dies Ihre Sprecher hier getan haben, halte ich für absolut unverantwortlich.
Sie verstärken den Druck auf die Arbeitslosen, Arbeit aufzunehmen, Sie erhöhen aber nicht die Chancen der Arbeitslosen, tatsächlich Arbeit zu finden. Das hängt miteinander zusammen: Wenn
ich eine Verörtlichung vornehme, die Zuständigkeiten an einer Stelle bündele, dann brauche ich die Gewissheit, dass das am Ende nicht für viele, viele Familien und arbeitslose Sozialhilfeempfänger zu einer schlichten Katastrophe wird.
Sie vermitteln im Moment in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck, das sei ein EDV-Problem. Sie machen bei der Bundesagentur für Arbeit eine Sondersitzung zu der Frage, ob das EDV-System, das die deutsche Industrie, das verschiedene große Unternehmen Ihnen präsentieren, zum 1. Januar funktionieren könnte. Das ist aber kein EDVProblem! Ab 1. Januar werden die Arbeitsämter auch für die Frage der Suchtberatung zuständig sein, die häufig Ursache für Arbeitslosigkeit ist. Sie werden zuständig sein für die Frage der Wohnraumvermittlung und für viele andere Fragen, für die die Sozialämter der Landkreise eine spezifische Kompetenz haben.
Es ist nach der gestrigen Debatte unstreitig, dass 27 000 zusätzliche Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gebraucht werden. Viele sprechen von 41 000. Das wird also eine zentrale Mammutbehörde, und mit dieser zentralen Mammutbehörde werden Sie diese Aufgabe ab 1. Januar 2005 nicht bewältigen können; denn sie ist schon mit den 4,6 Millionen Arbeitslosen in unserem Land überfordert.
Wenn ich „Zusagen“ höre, muss ich sagen: Wir kennen alle das Sprichwort: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, und die müssen wir schon noch vornehmen.
Bei der Amnestieregelung hat Herr Eichel gesagt, dass 5 Milliarden Euro in diesem Jahr hereinkämen. Die Finanzminister wären froh, wenn es 50 Millionen Euro wären. Das ist ein Problem von Herrn Möllring und von den Politikern, die die Haushalte aufzustellen haben.
Von Herrn Stolpe ist gesagt worden: Wenn mit der Lkw-Maut das Geld nicht hereinkommt, dann sichern wir zu, dass aber deswegen keine Baumaßnahme verschoben werden muss, wir schaffen das Geld dann von anderswo herbei. So hieß es von Herrn Stolpe. Jetzt wissen wir: Alles wird geschoben. Das Geld ist nicht da. - Aber da geht es um den Etat von Herrn Hirche, und es geht hier und da noch um Beschäftigung im Baubereich.
Aber in dieser Frage geht es um mindestens 1 Million Sozialhilfeempfänger mit ihren Familienangehörigen, die ab 1. Januar 2005 eine Stelle brauchen, bei der sie vernünftig behandelt werden und von der ihnen geholfen wird - finanziell, aber auch umfassend im Sinne von Wiedereingliederung in den Beruf. Und das werden Sie nicht schaffen.
Ich habe überhaupt kein Problem, die Agenda 2010 in diesem Punkt von der Sache her zu unterstützen, weil ich vor fünf Jahren hier im Landtag aufgrund der Erfahrungen in Wisconsin, wo ich mir das im Jahr 2000 einige Wochen lang angeschaut habe, und aufgrund der Stellen für Arbeit und Einkommen in den Niederlanden, wo ich mir das vor Ort angesehen habe, gefordert habe, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen und eine Stelle vor Ort zuständig zu machen, um Verschiebebahnhöfe zu schließen, um bürokratische Hemmnisse abzubauen und um zu einem besseren Verhältnis zwischen Arbeitslosen und Arbeitsmarkt zu kommen.
Die Niederländer haben uns übrigens beim letzten Besuch gesagt, wegen der Größe der Niederlande könne man diese Stellen nur örtlich auf kommunaler Ebene ansiedeln und nicht zentralisieren. Daher muss ich Ihnen ehrlich sagen: Dann sollte für die Bundesrepublik Deutschland erst recht gelten, dass dezentrale Lösungen die besseren sind.
Sie verbiegen den gefundenen Kompromiss bis zur Absurdität, bis zur Unkenntlichkeit, und deswegen werden wir diesem Kompromissangebot der Bundesregierung mit dem gestern beschlossenen Gesetz nicht zustimmen können, weil es dem Kompromiss des Vermittlungsausschusses grob zuwiderläuft. Sie würden die Reform nicht verschieben, so haben Sie im Deutschen Bundestag erklärt. Herr Clement hat gesagt: Die Karawane zieht weiter. - Auch das wurde schon einmal in einem anderen Zusammenhang in Deutschland diskutiert.
Sie sind offensichtlich jetzt in die Haltung des „Augen zu, Ohren zu, nichts sagen, nichts hören“ oder des Toter-Mann-Spielens übergegangen. Verschiedene Landräte überlegen, das Verfassungsgericht anzurufen, die Gewerkschaften bitten Sie zu verschieben, die Bundesagentur für Arbeit sagt, sie sei der Aufgabe nicht gewachsen. Auf all diese
Punkte ist von Herrn Matthiesen in seiner Eingangsrede hingewiesen worden. Dem kann man nur beipflichten, weil es in der Sache zutrifft.
Also lassen Sie uns jetzt darüber reden, wie die Probleme liegen. Da macht mir Ihr Pressegespräch Hoffnung, Herr Gabriel, das Sie vor wenigen Tagen hatten. Ihr Geschäftsführer der SPDBundestagsfraktion Schmidt aus Salzgitter hat erklärt, das Finanzgezerre dürfe nicht im Mittelpunkt stehen, man solle ein bisschen grob darüber hinwegschauen. - So kann man nur reden, wenn man über das Geld anderer Leute redet. Das ist der Gipfel an der Sache. Aber Sie haben vor einigen Tagen erklärt, dass man erst - ich zitiere - in der Opposition dazu komme und in die Lage versetzt sei, die Dinge neu zu diskutieren. Daraufhin hätten Sie festgestellt, es sei wohl doch nicht richtig gewesen, wie man mit den Kommunen umgegangen sei, und dass man gegen das Konnexitätsprinzip gewesen sei. Jetzt sei man dafür, und zwar für ein scharfes Schwert. Dann werden Sie im rundblick zitiert: Man bräuchte geradezu ein Klagerecht, mit dem ein entsprechendes Leistungsgesetz, eine Verordnung, Richtlinie oder auch ein Ausführungsgesetz zu bundesgesetzlichen Regelungen zunächst außer Kraft gesetzt werden kann bis zu einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes über die Kostenverteilung. Gabriel hält diesen Vorschlag für ein scharfes Schwert gegenüber dem Land. Man werde sich bei einer solchen Verfassungslage seitens der Landesregierung sehr genau überlegen müssen, welchen Gesetzen man im Bundesrat die Zustimmung gebe. - Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das, was gestern im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, sieht ein Defizit von mindestens 2,5 Milliarden vor und nicht eine Entlastung von 2,5 Milliarden. Nach dieser nach meiner Meinung sehr ernst zu nehmenden Wiedergabe Ihrer Äußerungen können Sie nur mit uns gemeinsam dazu auffordern, diesem Gesetz im Bundesrat die Zustimmung zu verweigern. Das ist die Logik.
Jetzt möchte ich gern um der Sache willen und um Sie um Unterstützung zu bitten, sagen, was wir in den nächsten Wochen machen werden.
Erstens. Wir werden in dem Vermittlungsverfahren, das es hoffentlich geben wird, dafür sorgen, dass dem Wortlaut und dem Geist der einstimmigen Bundesrats- und Bundestagsentschließung vom 19. Dezember entsprochen wird und dass den
Kommunen eine eigenständige Aufgabenerledigung in kommunaler Selbstverwaltung ermöglicht wird. Wir werden dafür die erforderliche Verfassungsänderung als notwendige Voraussetzung für die eigenständige kommunale Aufgabenübernahme beantragen. Das Land Niedersachsen steht zu einer solchen punktuellen Verfassungsänderung, die einen Sonderbelastungsausgleich in einem besonderen Aufgabengebiet sicherstellt, ohne die sonstige Systematik unserer Finanzverfassung infrage zu stellen. Also, Herr Harden, das ist eine komplexe Materie - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen -, aber wir werden dafür eine Lösung präsentieren.