Protokoll der Sitzung vom 23.06.2004

Meine Damen und Herren, meine Sorge gilt allerdings weniger der politischen Zukunft des amtierenden Innenministers als vielmehr der Zukunft unserer Landesverwaltung, die mit diesem Gesetzesbündel entscheidend geschwächt werden wird. Die Landesregierung hat dabei zwei ganz zentrale Fehler begangen.

Fehler Nummer eins. CDU und FDP haben die Zerschlagung der Bezirksregierungen beschlossen, ohne sich auch nur ansatzweise die Frage zu stellen, ob sich die Landesverwaltung ohne Bündelungsbehörden tatsächlich effizient organisieren lässt.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Fehler. Sie organisieren eine extrem aufwändige Neuorganisation der Landesverwaltung mit zahlreichen Folgekosten, die weit über den Bereich der Landesverwaltung hinausgehen - ich erinnere nur an die Kosten für die Verwaltungsgerichte, die durch die Abschaffung der Widerspruchsverfahren entstehen werden -, und stellen sich erst ganz am Ende des Reformprozesses die Frage, was das eigentlich kostet.

Meine Damen und Herren, nehmen wir einmal an, das Land Niedersachsen wäre ein Wirtschaftsunternehmen, der Vorstand dieses Wirtschaftunternehmens beschließt eine interne Organisationsreform, ohne dabei eine Folgekostenanalyse voranzustellen: Ein solcher Vorstand, der ein funktionsfähiges Unternehmen zerschlägt, ohne die Folgekosten auch nur abschätzen zu können, gehört entlassen.

(Zuruf von der CDU: Dann hätten Sie gar nicht regieren dürfen!)

Ein Innenminister, der die Landesverwaltung zerschlägt, ohne sich über die Folgekosten Gedanken

zu machen, macht einen ausgesprochen schlechten Job.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein Innenminister, meine Damen und Herren, der davon ablenken will, indem er die Öffentlichkeit über die Kosten seiner Verwaltungsreform täuscht, der hat sämtlichen Kredit verspielt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich kann mir durchaus vorstellen, wie es dazu gekommen ist, dass diese Landesregierung beschlossen hat, die Öffentlichkeit über die Folgekosten der Verwaltungsreform zu täuschen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das ist unerhört! - David McAllister [CDU]: Was reden Sie denn da?)

Natürlich haben Sie genau wie wir registriert, dass sich die anfangs recht positiven Schlagzeilen zur Verwaltungsreform nach und nach verschlechtert haben und mittlerweile nahezu niemand mehr etwas Positives über die Verwaltungsreform zu berichten weiß. Ich lese Ihnen mal ein paar Schlagzeilen aus den letzten Tagen und Wochen vor: „Reform auf Kosten der Bürger“ schreibt das Stader Tageblatt. „Lückenhaft, nicht sachgerecht“ heißt es in der Braunschweiger Zeitung vom 4. Juni. „Sparziel bisher nur geschätzt“ schreibt der Weserkurier Ende Mai, und „Gut möglich, dass dem Motto ‚Augen zu und durch‘ am Ende noch ein ‚koste es, was es wolle‘ folgt“ hat die NordwestZeitung schon vor vier Wochen prophezeit. Oder nehmen Sie eine weitere Kommentierung, ich meine aus der Braunschweiger Zeitung: „Spätestens nach der harten Kritik des Landesrechnungshofs an der Verwaltungsreform ist Innenminister Schünemann mit dem Vorzeigeprojekt der CDU/FDPKoalition endgültig vor die Wand gekracht. Nicht durchdacht, ohne seriöse Abschätzung der Folgen, ohne Kenntnis der Kosten.“

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieses fatalen Stimmungswandels in der Öffentlichkeit hat dieses Kabinett, wie es hier sitzt, wohl keinen anderen Ausweg gesehen. Wenn sich schon niemand für die Ziele der Verwaltungsreform begeistern kann, dann sollen wenigstens die durch die Reform zu erzielenden Einsparungen die Öffentlichkeit begeistern.

Und genau hier, meine Damen und Herren, beginnt der Skandal. Der voreilige und sachlich bislang nur unzureichend begründete Beschluss, die staatliche Mittelinstanz abzuschaffen, ist ein schwerer politischer Fehler, für den diese Landesregierung, für den CDU und FDP die politische Verantwortung zu tragen haben. Es ist ein schwerer politischer Fehler, aber noch kein Skandal. Der Skandal, der beginnt am 15. Juni 2004, an dem die Ministerrunde verabredet hat, den Innenminister mit geschönten Zahlen in die Pressekonferenz zu schicken.

(Beifall bei der SPD)

Eine solche Verabredung zur Täuschung der Öffentlichkeit ist ein politischer Skandal, aus dem nach unserer festen Überzeugung schleunigst die Konsequenzen gezogen werden müssen.

Meine Damen und Herren, in der Pressekonferenz des Innenministers am 15. Juni wurde der Öffentlichkeit eine Berechnung vorgestellt, nach der die Verwaltungsreform im Jahre 2005 eine Einsparung in Höhe von 36,5 Millionen Euro erbringen wird. Lediglich in einem Nebensatz wurde durch den Innenminister darauf hingewiesen, dass zahlreiche Bereiche, unter ihnen der gesamte Bereich des Justizministeriums, nicht in die Folgekostenabschätzung eingeflossen sind. Von der Existenz alternativer Berechnungen des Innenministeriums, anhand derer das Einsparpotenzial selbst bei Ausklammerung dieser Bereiche im Jahr 2005 lediglich bei 500 000 Euro liegt, war auf der Pressekonferenz keine Rede. Das vom Innenministerium verteilte und im Anschluss an die Pressekonferenz auch per eMail verschickte Zahlenmaterial enthält nicht einmal einen klein gedruckten Hinweis auf die Existenz unterschiedlicher Berechnungen.

Diese Tatsache, meine Damen und Herren, lässt nur den Schluss zu, dass die Landesregierung den Auftritt des Innenministers vor der Landespressekonferenz dazu nutzen wollte, die Öffentlichkeit über die Folgekosten der Verwaltungsreform bewusst irrezuführen.

(Beifall SPD)

Hierdurch, meine Damen und Herren, hat der Innenminister die Öffentlichkeit ausgerechnet in einem zentralen Reformvorhaben der Landesregierung bewusst belogen. Noch immer hält der Innenminister an dieser Behauptung fest, dass das Land durch die Verwaltungsreform vom ersten Tag an massiv Geld sparen werde,

(Zurufe von der CDU)

obwohl eine umfassende Abschätzung sämtlicher Folgekosten bis heute nicht durchgeführt worden ist. Mit seinen nicht nur durch Tatsachen belegten Behauptungen hat der Innenminister das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik der Landesregierung massiv erschüttert.

Meine Damen und Herren, das Vertrauen der Beschäftigten der Landesverwaltung hat der Innenminister übrigens schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt verspielt. Die Verwaltungsreform wird gerne als hochwissenschaftliche Veranstaltungen dargestellt, in denen sorgfältige Überlegungen zur Zukunft der Landesverwaltung angestellt worden sind. Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Erst müssen die Beschäftigten in den Arbeitsgruppen Zielvorgaben erfüllen, was sie als gute Landesbeamte auch tun. Ihre Bedenken, warum die Aufgabenverlagerung von den Bündelungsbehörden weg, hin zu zahlreichen Einzel- und Sonderbehörden unsinnig und kontraproduktiv ist, dürfen die Beschäftigten zwar zu Papier bringen, aber sie fanden keinerlei Berücksichtigung. Im Endergebnis steht in den meisten ihrer Projektgruppenberichte schwarz auf weiß, dass es ein fataler Fehler ist, auf die Bündelungsfunktion der Bezirksregierung zu verzichten. Und was macht der Innenminister? Er stellt sich hin und behauptet, die Beschäftigten hätten die Einspar- und Verlagerungsvorschläge ja sogar selbst entwickelt.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das hat er doch gar nicht gesagt! Das stimmt doch gar nicht!)

Mit dieser Behauptung hat es sich der Innenminister mit allen Beschäftigten der Landesverwaltung ein für allemal verscherzt.

(Beifall bei der SPD - Reinhold Coe- nen [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Wenn Sie sich dann noch in der Regierungserklärung hinstellen und sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, dann müssen die das als eine reine Verhöhnung empfinden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, aber ganz offensichtlich hat es ja noch nicht gereicht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Weise zu verschaukeln. Man hat sich wohl gedacht: Was dort klappt, das funkti

oniert auch in einer Pressekonferenz. Obwohl der Innenminister, obwohl die gesamte Landesregierung bis hin zum Ministerpräsidenten sehr genau wusste, dass die Verwaltungsreform viel teurer wird als vom Innenminister behauptet, hat man beschlossen, die Öffentlichkeit über die Reformkosten zu täuschen.

Meine Damen und Herren, ich halte das auch aus einem anderen Grund für bemerkenswert. Bereits bei der Einbringung der Änderung des Polizeigesetzes, bei der es sich um die Folgen der Abschaffung der Bezirksregierungen für die Bereiche Polizei, Brand- und Katastrophenschutz handelt, habe ich die Mehrheitsfraktionen und die Landesregierung auf einen eklatanten Verfassungsverstoß hingewiesen. Ich lese gerne noch einmal vor, was uns CDU und FDP unter der Überschrift „Haushaltsmäßige Auswirkungen“ in ihrem Gesetzentwurf vorgelegt haben. Dort steht - ich zitiere -:

„Eine detaillierte Aufstellung über die wesentlichen haushaltsmäßigen Auswirkungen der Umorganisation der Landespolizei wird in einer gemeinsamen Kabinettsvorlage des Innenund Finanzministeriums erfolgen, die derzeit erarbeitet wird.“

Die Einbringung eines solchen Gesetzentwurfs ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 68 der Verfassung, der denjenigen, der einen Gesetzentwurf einbringt, verpflichtet, die Kosten und Mindereinnahmen, die als Folge der vorgeschlagenen Regelungen für das Land, für die Kommunen und für betroffene andere Träger öffentlicher Verwaltung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, vollständig darzulegen. Meine Damen und Herren, bis heute - wir haben im Ausschuss schon mit den Beratungen begonnen - hat diese Landesregierung nichts über die Kosten der Polizeireform sagen können.

(Zuruf von der SPD: Hört, Hört!)

Der Gesetzentwurf ist nach wie vor nicht beratungsreif.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Das ist unerhört!)

Herr Kollege Bartling, bevor Sie Ihre Rede fortsetzen - wir werden gleich den Präsidentenstuhl tau

schen -, erteile ich Ihnen zwei Ordnungsrufe. Den ersten dafür, dass Sie erklärt haben, die Landesregierung hätte beschlossen, den Landtag bewusst zu täuschen. Das wäre nämlich Verfassungsbruch.

(Zuruf von der CDU: Das war früher so!)

Den zweiten dafür, dass Sie dem Minister unterstellt haben, er hätte bewusst gelogen.

Meine Damen und Herren, ich sagte bereits, der Gesetzentwurf ist nicht beratungsreif. Jetzt will ich das aber auch noch weiterführen. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, wenn Sie wirklich der Meinung sind, Sie könnten die Vorschriften unserer Verfassung, die Ihnen hinderlich sind - wie hier der Artikel 68 -, einfach ignorieren, dann können wir unseren Streit gerne auch vor dem Staatsgerichtshof weiterführen, kein Problem.

Meine Damen und Herren, ich will gerne begründen, warum ich der Auffassung bin, dass die vom Innenminister der Öffentlichkeit vorgestellte Folgekostenanalyse nicht nur unehrlich, sondern auch unvollständig ist. Trotz zahlreicher Aufforderungen sowohl von uns als auch von den Grünen hat es diese Landesregierung unterlassen, eine sorgfältige und umfassende Folgekostenabschätzung voranzustellen. Erst nachdem die Artikelgesetze, mit denen die Abschaffung der Bezirksregierungen geregelt werden soll, in die Verbandsanhörung gegeben worden waren, hat die Landesregierung nachträglich die Erstellung einer Folgekostenabschätzung in Auftrag gegeben.

Aber nicht einmal diese Folgekostenabschätzung wurde ergebnisoffen gestaltet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass den mit der Erstellung der Folgekostenabschätzung befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung die politische Zielvorgabe gegeben worden ist, bereits in dem Jahr nach Abschaffung der Bezirksregierungen schwarze Zahlen zu schreiben. So sieht die Wahrheit Ihrer Folgekostenanalyse aus.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich halte es schon für einen unglaublichen Vorgang, auf den ich noch einmal ausdrücklich hinweisen möchte: Die Folgekostenabschätzung wurde erst durchgeführt, nachdem die organisatorischen Weichenstellungen getroffen worden sind. Jeder vernünftige Mensch

hätte erst nach Folgekosten gefragt und dann entschieden, ob eine Organisationsreform wirtschaftlich sinnvoll ist. Aber nicht diese Landesregierung, nicht dieser Innenminister.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Das haben Sie nie ge- tan!)

Ebenso bemerkenswert ist, dass die Folgekostenanalyse selbst bei klarer Vorgabe des Ergebnisses nur unter Ausklammerung zentraler, von der Umorganisation der Landesverwaltung betroffener Bereiche erreicht werden konnte.