Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, den Antrag federführend dem Kultusausschuss und mitberatend dem Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuzuleiten. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? Die sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 48: Erste Beratung: Für eine humanitäre Altfallregelung 2004 Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1132
Tagesordnungspunkt 49: Erste Beratung: Bleiberecht für ethnische Minderheiten aus dem Kosovo - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1148
Zu diesen Anträgen findet gleich, nachdem Ruhe eingekehrt ist, antragsgemäß die erste Beratung statt. - Herzlichen Dank. Ich erteile nunmehr von der SPD-Fraktion Frau Rübke das Wort. Bitte schön, Frau Rübke!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren, sehr geehrte Damen! Ich kann weder plattdeutsch denken noch plattdeutsch sprechen. Daher kommt es jetzt leider nur auf Hochdeutsch. Ich bitte dafür schon um Entschuldigung. Aber vielleicht nehme ich
(Heiterkeit und Beifall - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das finde ich irgendwie unfair! Das können Sie auch beim Kultusminister haben!)
- Ja gut, ich wechsele vielleicht einmal. Im Hinblick auf Gender Mainstreaming wäre das vielleicht eine Möglichkeit.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die Hoffnung, dass es im zu erwartenden Zuwanderungsgesetz eine bundeseinheitliche generelle Altfallregelung geben wird, schwindet dahin. Denn die derzeit vorgesehene Härtefallregelung im Zuwanderungsgesetz ersetzt keine Bleiberechtsregelung. Falls Sie, Herr Innenminister, noch Chancen für eine Regelung im Zuwanderungsgesetz sehen, fordern wir Sie herzlich auf, sich dafür bis zuletzt einzusetzen und sich nicht der Mehrheit der unionsgeführten Länder anzuschließen, die gegen eine bundeseinheitliche Lösung sind.
Andernfalls fordern wir die Niedersächsische Landesregierung auf, eine niedersächsische Altfallregelung zu erlassen. Denn für die große Anzahl langjährig hier lebender Flüchtlinge ist eine klare Lösung erforderlich.
Die letzte Bleiberechtsregelung wurde in Niedersachsen 1999 beschlossen. Seitdem ist die Zahl der Krisenherde in der Welt nicht kleiner geworden. Ökologische und ökonomische Katastrophen, Bürgerkriege und die dramatische Situation im Nahen Osten treiben Menschen aus ihren Heimatländern in die Flucht. Wer will es ihnen verdenken! Die Länder der Völkergemeinschaft, in denen es zurzeit keine lebensbedrohenden Katastrophen gibt, sind verpflichtet, Flüchtlingen zu helfen. Darum auch wir hier in der Bundesrepublik Deutschland und wir hier in Niedersachsen.
Ein breites Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsund Menschenrechtsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften setzt sich zurzeit mit einer Petition beim Niedersächsischen Landtag für ein Bleiberecht für langjährig in Niedersachsen geduldete Flüchtlinge ein. Viele der hier lebenden Flüchtlinge sind zehn Jahre und länger in Nieder
sachsen, sind integriert, beherrschen die deutsche Sprache oft besser als die Heimatsprache ihrer Eltern und kennen deren Heimat oft nur aus Erzählungen. Diese so genannten geduldeten Menschen unterliegen in Niedersachsen einem faktischen Arbeitsverbot. Aber Arbeit gehört zum Menschen wie beim Vogel das Fliegen. Nimmt man ihm die Flügel, dann ist er kein Vogel mehr. Wegen des so genannten Nachrangigkeitsprinzips erhalten sie auch bei Nachweis eines Arbeitsplatzes keine Arbeitserlaubnis. Jugendliche, die ein Ausbildungsangebot haben, können es nicht annehmen, da ihnen die Arbeitserlaubnis verweigert wird. Sie alle werden damit bewusst in den Bezug von Sozialhilfe gedrängt, und das wiederum wirkt sich nachteilig auf ihre Aufenthaltsverfestigung aus. Die jahrelange Verweigerung von Arbeit, die belastenden Lebensbedingungen, unter denen geduldete Flüchtlinge und Asyl Suchende und deren Kinder leben müssen, führt bei vielen zu Depressionen, Antriebslosigkeit, Resignation und Verlust des Selbstwertgefühls.
- Herr Bode, vor Ihnen würden meine Kollegen weglaufen, nicht vor mir! - Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich glaube, dass Sie sich unserem Antrag anschließen werden. Denn auch Sie haben das Bild der Familie aus Sri Lanka vor Augen, deren Petition wir am 28. Mai hier im Hause diskutiert haben und die letztendlich negativ beschieden wurde. Hätte es da schon eine Altfallregelung gegeben, könnte diese Familie hier bleiben; denn sie hätte alle Kriterien einer Regelung erfüllt: langjähriger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, hier geborene und schon schulpflichtige Kinder, keine Straffälligkeit, Lebensunterhalt gesichert durch eigene Erwerbstätigkeit bzw. Sozialhilfebezug, der nicht selbst zu verantworten ist, da keine Vermittlung von Erwerbstätigkeit möglich ist. Ausnahmen müssen nur dann gemacht werden, wenn das Erwerbseinkommen nur deshalb nicht ausreicht und ergänzende Sozialhilfe gezahlt werden muss, weil Kinder zu versorgen sind. Dies
ist keine Besserstellung von Familien mit Kindern, sondern eine Gleichstellung mit kinderlosen Familien bzw. Einzelpersonen. Denn es ist unser aller moralische Pflicht, Kindern, egal aus welchem Land sie kommen, Lebenschancen zu geben.
Für eine Altfallregelung spricht auch, dass die Kommunen finanziell erheblich entlastet würden; denn mit dem Erhalt der Aufenthaltsbefugnis ist der Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung verbunden. Nachweislich können die meisten Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt ab diesem Zeitpunkt ohne Sozialhilfe bestreiten. Der derzeitige Iststand hingegen bedeutet eine jahrelange Alimentierung dieser Menschen. Herr Innenminister Schünemann, ich fordere Sie auf, uns die derzeitigen Kosten für diesen Personenkreis zu nennen. Denen gegenüberzustellen wären die erwerbsfähigen Personen. Das würde den einen Zweifler oder die andere Zweiflerin bestimmt von einer Altfallregelung überzeugen.
Ich hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit im Innenausschuss, Herr Biallas. Als weiteren mitberatenden Ausschuss bitte ich den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen und die Ausländerkommission zu benennen. - Vielen Dank, dass Sie auch einer Rede in Hochdeutsch zugehört haben.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich der Frau Kollegin Langhans das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist Frau Merk leider nicht da. Ich wollte eine ganz kleine Vorabbemerkung zu der Arbeit im Petitionsausschuss machen. Im Prinzip hat sie Recht. Es muss aber jeder Fraktion gestattet sein, dass sich nach anderen Überlegungen, die sich in der Fraktion ergeben, bei nachrangigen Beratungen eine andere Position ergibt. Das muss möglich sein.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren schien sich die Situation der ethnischen Minderheiten im Kosovo zu verbessern. Es gab weniger Sicherheitszwischenfälle, es gab etwas mehr Bewegungsfreiheit. Mit anderen Worten: Es gab etwas mehr Normalität. Wie instabil die Lage trotz Verbesserung dennoch war, haben Mitglieder des Landtagspräsidiums bereits vor einem Jahr bei ihrem Besuch im Kosovo hautnah miterleben können. Nach der Ermordung von drei Serben war die Stimmung im Kosovo derart aufgeheizt, dass der damalige UN-Beauftragte Michael Steiner befürchtete, dieser Anschlag könnte der Auftakt für weitere Gewaltakte sein. Leider hat sich diese Befürchtung Anfang dieses Jahres auf dramatische Weise bewahrheitet.
Mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen im März hat sich die Lage für die ethnischen Minderheiten im Kosovo weiter erheblich verschlechtert. Internationale Beobachter sprechen von pogromartigen Unruhen und Auseinandersetzungen. Mehr als 4 000 Kosovo-Serben, Ashkali und Roma sind aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben worden, 19 Personen starben, Häuser wurden niedergebrannt, Kirchen und Klöster zerstört oder beschädigt. Mehr als 1 000 Personen, darunter zahlreiche KFOR-Soldaten und UN-Polizisten, wurden verletzt. Es gelang weder den internationalen noch den kosovarischen Sicherheitskräften, die gezielten Übergriffe auf Rückkehrersiedlungen zu verhindern.
Ebenso wenig ist es gelungen, die Vertreibung von ethnischen Minderheiten zu verhindern. Von den Vertreibungen waren im Übrigen auch Gorani und Bosniaken betroffen. Viele von ihnen haben vorsichtshalber ihre Wohnungen verlassen und sich an andere Orte begeben. Die Situation hat sich für alle serbischsprechenden Minderheiten verschlechtert; unter ihnen wächst die Angst.
Meine Damen und Herren, die UN-Verwaltung hat entschieden, ab 17. März Abschiebungen von ethnischen Minderheiten in den Kosovo zu stoppen. UNMIK, UNHCR und OSZE haben übereinstimmend erklärt, dass Leben und Grundrechte von Minderheitenangehörigen im Kosovo massiv gefährdet sind.
Meine Damen und Herren, daraus ergibt sich die logische Konsequenz, dass Rückführungen auf absehbare Zeit unterbleiben müssen.
Denn eine erzwungene Rückkehr setzt das äußerst fragile ethnische Gleichgewicht aufs Spiel und erhöht die Gefahr erneuter innerethnischer Zusammenstöße. Die Bundesregierung unternimmt zurzeit größte Anstrengungen, die Lage im Kosovo zu stabilisieren und zu verbessern. In dieser Situation Abschiebungen in den Kosovo auch nur in Erwägung zu ziehen, wäre nicht nur menschlich, sondern auch sicherheitspolitisch unverantwortlich.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort dazu sagen: Wenn Familienväter straffällig werden, dann darf meines Erachtens darunter nicht die Familie leiden. Dann sollte man die Familienväter ausweisen, aber bitte zumindest die Familien hier lassen. Es kann in unseren Augen keine Sippenhaft geben.
Meine Damen und Herren, stattdessen ist es jetzt an der Zeit, langjährig geduldeten Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt zu gewähren. Sie haben ihre langjährige Duldung in den meisten Fällen nicht selbst verschuldet. Mit dem Memorandum of understanding verbietet sich bisher ihre Abschiebung, und das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Da CDU und CSU im Bund eine Altfallregelung im jetzt beschlossenen Zuwanderungsbegrenzungsgesetz verhindert haben, ist es nunmehr Sache der Länder, hier Regelungen zu treffen. Wir fordern Innenminister Schünemann auf, sich auf der Innenministerkonferenz mit Nachdruck für eine Bleiberechtsregelung von langjährig geduldeten Minderheiten aus dem Kosovo einzusetzen. Um es ganz deutlich zu sagen: Eine Bleiberechtsregelung kann sich nicht ausschließlich am Sozialhilfebezug orientieren. Hier dürfen Realitäten nicht weiterhin ausgeblendet werden, auch nicht die - das ist auch eben von der SPD angesprochen worden -, dass die nachgeordnete Arbeitserlaubnis einem faktischen Arbeitsverbot gleichkommt. Gängige Praxis ist es auch, dass Arbeitsverbote ausgesprochen und Ausbildungsverbote für Jugendliche erteilt werden, weil Duldungen zumeist u. a. nur noch wochenweise ausgesprochen werden. Wenn es Asylbewerbern trotz aller schier unüberwindbaren Hindernissen gelingt, dennoch eine Arbeitsstelle zu bekommen, wird diese in der Regel so schlecht bezahlt, dass sich
ergänzende Sozialhilfe oftmals nicht vermeiden lässt. Asylbewerbern jede Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit zu entziehen und ihnen das auch noch anzulasten, das kann man getrost als Zynismus bezeichnen.
Meine Damen und Herren, heute zeigt sich, dass wir mit unserem Antrag im Mai 2003 für eine Bleiberechtsregelung sehr richtig lagen. Wieder einmal hat sich erwiesen, dass die CDU nicht in der Lage ist, sich, was die ausländerrechtlichen Fragen anbelangt, dringenden Problemen zu stellen und nach Möglichkeiten zu suchen. Sie sind immer nur dann in vorderster Front zu finden, wenn es darum geht, restriktiv gegen Ausländer zu handeln. Die Frage einer Bleiberechtsregelung ist nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Nicht nur die Anhörung zum Bleiberecht am 4. Juni im Rathaus in Hannover hat das nachhaltige Engagement von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, PRO ASYL aufgrund eines anhaltenden Handlungsdruckes wieder einmal eindrucksvoll bestätigt - übrigens auch viele Prominente: Herr Schwarz-Schilling hat dort geredet, Norbert Blüm, Heiner Geißler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und nicht zuletzt unsere Ausländerbeauftragten des Landes und des Bundes, sie alle unterstützen inzwischen die Kampagne „Hiergeblieben!“.
Nach Jahren ist immerhin jetzt auch die SPD dafür. Es verbietet sich hier, von Populismus zu sprechen. Ich nehme es Ihnen ab, dass auch Sie von der dringenden Notwendigkeit eines Bleiberechts unter bestimmten Bedingungen überzeugt sind. Den wesentlichen Punkt haben Sie schon angesprochen. Meine Damen und Herren, seien Sie dabei trotz alledem ehrlich, auch wenn es unpopulär ist. Solange das faktische Arbeitsverbot für Asylbewerber aufrechterhalten bleibt, werden immer Sozialhilfekosten anfallen. Es wäre also sinnvoll, meine Damen und Herren von der CDU, Bundesinnenminister Schily davon zu überzeugen, den Zugang zum Arbeitsmarkt für die betroffenen Personen zu ermöglichen. Da die Zusammenarbeit - zumindest in der Vergangenheit von Herrn Schily mit Herrn Beckstein und Herrn Müller so gut geklappt hat, ist das sicherlich auch auf Dauer Erfolg versprechend.