Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir setzen konsequent auf die frühzeitige Förderung aller Kinder. Wenn die PISA-Studie und meinetwegen jetzt auch die OECD-Studie Recht haben - darauf werde ich noch eingehen -, dann ist es der Vorhalt gegenüber dem deutschen Bildungswesen, dass wir nicht genug fördern. Da haben wir noch aufzuholen und müssen wir etwas tun.

Niemand von unseren Schülerinnen und Schülern soll verloren gehen – das ist die Kernforderung unserer Schul- und Bildungspolitik. Wir wollen gemeinsam erreichen, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten und Fer

tigkeiten die bestmögliche Förderung erhalten. Martin Buber hat einmal gesagt: „In jedermann ist etwas Kostbares, welches in keinem anderen ist.“ Das mag für uns alle gelten. Deshalb ist es unsere Pflicht und Verantwortung, die besonderen erzieherischen und pädagogischen Bedürfnisse eines jeden Kindes und Jugendlichen in den Blick zu nehmen und entsprechend zu handeln.

Wir wollen deshalb für jede Schülerin und jeden Schüler einen individuellen Förderplan entwickeln. Die Vorarbeiten laufen bereits, und zum Schulhalbjahr werden den Schulen die entsprechenden Unterlagen und Hilfestellungen vorliegen. Bereits im genannten „Orientierungsplan für Bildung und Erziehung“ für unsere Kindertagesstätten ist die Beobachtung und die Dokumentation jedes einzelnen Kindes festgehalten. Die Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätte und Grundschule haben wir jetzt schulgesetzlich verankert. Von der 1. bis zur 9. bzw. 10. Klasse wird künftig die individuelle Lernentwicklung in einem individuellen Förderplan dokumentiert und fortgeschrieben. Angestrebte Förderziele, notwendige Maßnahmen sowie die Einschätzung des Erfolgs mit den erforderlichen Konsequenzen gehören dazu. Selbstverständlich ist eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern vorgesehen. Ich glaube, dass wir in Niedersachsen mit diesem individuellen Förderkonzept einmal mehr Maßstäbe über unsere Landesgrenzen hinaus setzen werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Bedarf an Fördermaßnahmen - manchmal kann es nie genug sein - zeigt sich auch schon in konkreten Maßnahmen in unserem Land. Allein in Sprachfördermaßnahmen aller Schulformen investieren wir derzeit fast 37 000 Lehrerstunden. Für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in allgemeinen Schulen setzen wir in Integrationsklassen, mobilen Diensten, sonderpädagogischer Grundversorgung und weiterer Zusammenarbeit mit der Grundschule insgesamt fast 13 000 Lehrerstunden ein. Ein weiteres Zeichen konsequenter Förderung ist unser richtungweisendes Modell der Hochbegabtenförderung, für das bis jetzt fast 1 500 Lehrerstunden zur Verfügung stehen. Alle diese Maßnahmen im Gegenwert von 2 000 Lehrerstellen - ich betone das ausdrücklich - werden über die Stundentafel und die vorgesehenen PoolStunden für die weiterführenden Schulen hinaus zusätzlich an unseren Schulen zur Verfügung ge

stellt, um unsere Schülerinnen und Schüler bestmöglich individuell zu fördern. Dabei ist niemand ausgeschlossen. Je nach Begabung und je nach Bedarf sind alle dabei.

Gleiches gilt für die Durchlässigkeit unseres Schulwesens, die wir nicht nur schulgesetzlich festgeschrieben, sondern auch durch eine entsprechende Verordnung mit Leben gefüllt haben. Schülerinnen und Schüler haben bei entsprechenden Leistungen das verbriefte Recht auf einen Schulformwechsel in Niedersachsen. Die Stundentafeln in allen weiterführenden Schulformen sind im 5. und 6. Schuljahrgang nahezu deckungsgleich. In den weiterführenden Schulen können am Ende des 10. Jahrgangs alle relevanten Abschlüsse erworben werden. Die Chancen des berufsbildenden Schulwesens bis hin zum Hochschulstudium sind Ihnen allen bekannt. Ich meine, wir sollten gemeinsam noch besser und noch mehr herausstellen, wie gut gerade unsere berufliche Bildung ist und welche Möglichkeiten und Abschlüsse denkbar sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insgesamt kann man sagen - das ist immer auch ein Anspruch an das gegliederte Schulwesen -, das ist ein hohes Maß an Durchlässigkeit. Ich glaube schon, hier sagen zu dürfen: Wir liefern das mit unserem Gesetz und allen nachgeordneten Regelungen.

Meine Damen und Herren, dann und wann wird es besonders interessant, wenn Studien von außerhalb kommen. Ich muss Ihnen sagen, ich war von der OECD-Studie, die uns gestern präsentiert wurde, bei aller Offenheit für Ratschläge von außen - von anderen Ländern, von Verbänden usw. recht enttäuscht, weil ich bemerkt habe, dass sie altes Datenmaterial und alte Botschaften enthält. Darin wird offenbar übersehen, was alle Bundesländer unternehmen, gleichgültig wer regiert manche besser als die anderen. Das wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Da Sie mir ohnehin nicht glauben, Herr Gabriel, und mir Ratschläge erteilen, die ich leider nicht befolgen kann und auch nicht befolgen muss, möchte ich gerne einmal zitieren, was Herr Baumert, der landläufig „PISA-Papst“ genannt wird und den Sie ja auch gerne zitieren, zur OECD-Studie sagt. Erstens bedauert auch er, dass übersehen wird, was die Länder alles schon gemacht haben. Er sagt auch, dass die Kultusminister in Deutsch

land insgesamt auf dem richtigen Weg sind, weil sie vieles z. B. hinsichtlich der Bildungsstandards usw. beschlossen und umgesetzt haben, was die OECD offenbar nicht zur Kenntnis nimmt. Dann wird er von der Süddeutschen Zeitung gefragt:

„Stimmen Sie der OECD-Kritik zu?“

Darauf antwortet Baumert:

„Nein. Weder sind die Daten neu, noch sind viele der Interpretationen durch Daten gestützt. Da werden vielfach nur Meinungen verbreitet.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Redakteur fragt nach:

„Zum Beispiel?“

Darauf Baumert:

„Alle Forderungen nach einem Gesamtschulsystem sind durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht untermauert. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass politisch gemeinte Ratschläge wissenschaftlich gedeckt sind.“

(Reinhold Coenen [CDU]: Das ist un- glaublich!)

Zur OECD befragt, wie er es einschätzt und was wir in den nächsten Jahren zu erwarten haben, antwortet er:

„Die OECD-Daten messen auch nur langfristige Strukturänderungen. Daher kann die OECD noch zehn Jahre lang dasselbe wie jetzt behaupten."

Dann gute Nacht! Sie haben ja Herrn Schleicher zu Ihrem kleinen Parteitag in der nächsten Woche eingeladen. Dessen Rede könnte ich Ihnen auch halten, weil er seit 20 Jahren immer das Gleiche erzählt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe Ihnen das Interview aus der Süddeutschen Zeitung kundgetan, damit Sie gleich nicht Ihre Reden hier vergeigen.

Meine Damen und Herren, Bilanz und Ausblick dieser Regierungserklärung zeigen die Herausfor

derungen, die wir bewältigt haben und denen wir uns noch stellen müssen. Die Schul- und Bildungspolitik des Landes hat einen verlässlichen und berechenbaren Rahmen gesetzt, den wir jetzt zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler mit schulischem Leben erfüllen können und erfüllen müssen. Ich setze auf das Engagement und auch auf die Mithilfe aller Beteiligten auch hier im hohen Hause. Jetzt sollte nicht doch wieder möglicherweise kleines Karo gespielt werden und nicht gesagt werden: Dort hat irgendwo ein Musiklehrer gefehlt und dort haben die Kommunen ein Problem; es fehlt finanziell ein bisschen; man wolle nach Finnland schielen, weil man Freren, Faßberg und Fürstenau nicht zur Kenntnis nehmen will. Ich würde uns allen raten und vielleicht auch darum bitten, einen Moment innezuhalten und an das gemeinsame Ziel zu denken. Das sind die Zukunftschancen unserer jungen Generation im schweren Wettbewerb. Diese Chancen sind miteinander zu sichern. Wir alle sind diesem Ziel verpflichtet. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Daran müssen alle arbeiten, jeden Tag aufs Neue, jeder an seiner Stelle. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem Kollegen Jüttner das Wort erteile, möchte ich gern Frau Polat willkommen heißen. Verehrte Frau Kollegin, ich heiße Sie hier im Kreis Ihrer neuen Kolleginnen und Kollegen herzlich willkommen. Es sind eigentlich alles sehr nette Menschen, ein Mal ein bisschen mehr, ein anderes Mal ein bisschen weniger. Ich wünsche Ihnen bei der Arbeit viel Freude. Es gibt auch mal Ärger. Unter dem Strich sollten Sie aber schon Freude bei Ihrer Arbeit haben. Alles Gute für Sie in den nächsten Jahren!

(Beifall im ganzen Hause)

Nun hat der Kollege Jüttner das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Vorbereitung auf die Regierungserklärung mit dem Titel „Raus aus dem PISA-Tal“ habe ich mit den Mitgliedern meiner Fraktion darüber geredet, wie das denn gehen würde. Ich habe gesagt: Dort geht es um Konzeptionelles, um die Zukunft, und es

wird in der politischen Debatte dann sicherlich sinnvoll sein, das Florett zu nehmen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben mir daraufhin gesagt: Du täuschst dich, bei Busemann hilft nur das Schwert.

(Beifall bei der SPD – Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich muss sagen, liebe Damen und Herren: Sie haben mich überzeugt. Ich war wieder zu gutmütig. Ich verspreche, mich zu bessern. Herr Busemann, was Sie hier vorgelegt haben, hat mit Zukunftsfähigkeit nur in kleinen Teilen etwas zu tun. Darauf will ich auch eingehen. Was Sie hier vorher abgeliefert haben, war Selbstherrlichkeit und Selbstgefälligkeit, wie es diesem Thema überhaupt nicht ansteht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben darum gebeten, auf das kleine Karo zu verzichten, das Sie hier allerdings in aller Breite ausgeteilt haben. Ich will mich hier auf zwei Dinge beschränken, um deutlich zu machen: Bei Ihnen war das nicht kleines Karo, sondern Pepita. Für die Jüngeren, die zu jener Zeit nicht dabei waren, füge ich hinzu: Das ist das ganz kleine Karo.

Außerdem will ich auf zwei Details Ihrer Rede eingehen, die ich für absolut unverträglich halte. Das erste ist Ihre Bemerkung zum Landkreis Goslar. Das war der Versuch, deutlich zu machen, dass die Menschen dort, wo der Vorsitzende der SPDFraktion herkommt, mit der Schulstrukturreform besonders zufrieden sind, weil sie die Gewinner sind.

(Reinhold Coenen [CDU]: Wir sind alle zufrieden!)

Sie sagen wissentlich die Unwahrheit, Herr Busemann.

(Beifall bei der SPD)

Diese 353 000 Euro, von denen Sie dort sprechen, sind im Landkreis Goslar zur Veränderung der Struktur der Sonderschulen - heute Förderschulen - ausgegeben worden. Diese Mittel haben mit der Schulstruktur überhaupt nichts zu tun. Wenn Sie dies als Beispiel hier anführen, so zeigt das, wie kleinkariert Sie sind, wenn es darum geht, die Wahrheit sozusagen geradezubiegen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun zu dem zweiten Detail - ich sage das auch deshalb, damit ich heute Abend zu Hause hereingelassen werde -:

(Bernd Althusmann [CDU]: Ist das nicht immer der Fall?)

Sie haben in Ihrer Rede gesagt, das gymnasiale Angebot an den KGSen in Niedersachsen sei eine Mogelpackung. Das gymnasiale Angebot an den niedersächsischen Gesamtschulen richtet sich nach den vom Kultusministerium erlassenen Richtlinien, und zwar deckungsgleich mit dem Rest des Landes. Es ist wirklich unerhört, was Sie da machen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben zugesagt, dass die Gesamtschulen eine Chance hätten. An solchen Beispielen wird aber deutlich, was in Ihrem Hinterkopf abgeht. Sie wollen dafür sorgen, dass sie ihre Chance nicht eingeräumt bekommen. Das lassen wir nicht zu!