Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was wir im Moment erleben, ist nicht mehr und nicht weniger als die Verabschiedung dieser Landesregierung aus der Verantwortung für den nichtstaatlichen Kultursektor.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Verloren gehen wird dabei nicht nur eine Vielzahl von Einrichtungen in freier Trägerschaft, sondern verloren geht dabei auch die Glaubwürdigkeit dieser Landesregierung; denn die Halbwertszeit der Postulate in Sachen Kultur lässt für die Verlässlichkeit dieser Landesregierung nur Böses befürchten.

Nehmen wir das Beispiel Koalitionsvertrag! Da ist noch großartig die Rede davon, eines der prioritären Ziele sei die Stärkung des ländlichen Raumes. Jetzt heißt es in Sachen Kultur: Wir sind nur noch zuständig für die Finanzierung der Leuchttürme. Damit sind gemeint die staatlichen Einrichtungen wie Staatstheater und Landesmuseen, die sich bekanntlich in Großstädten befinden, aber nicht auf dem Land.

Noch im Mai letzten Jahres hat Minister Stratmann - wie ich finde, völlig zu Recht - darauf hingewiesen, dass im Bereich der freien Kultur die Einsparpotenziale für den Landeshaushalt in keinem Verhältnis stehen zu dem Schaden, den diese Kürzungen vor Ort bei der Grundversorgung mit Kultur anrichten würden. Das heißt, Minister Stratmann: Das was Sie im Moment an Kürzungen planen, das planen Sie wider besseren Wissens.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein weiterer Widerspruch: Sie wollen nur noch Kultur mit überregionalem Stellenwert fördern. Gleichzeitig soll aber mit den Landschaften das Element der Regionalität gestärkt werden. Wie,

bitte schön, wollen Sie das noch miteinander in Deckung bringen? Außerdem kann man sich die Frage stellen: Welches Geld sollen die Landschaften nach den von Ihnen geplanten Kürzungen dann überhaupt noch verteilen?

Und von der FDP ist außer der Forderung, dass auch die Staatstheater mit in die Kürzungen einbezogen werden müssen, eigentlich auch nicht viel zu hören, obwohl sie doch erst jüngst Kultur als neues Profilierungsgebiet entdeckt hatte.

Das heißt: Statt einer kulturpolitischen Debatte, die wir anscheinend, jedenfalls nach dem Beitrag meiner Vorrednerin, auch leider hier und heute nicht führen können, erleben wir allerorten nur Konfusion. Stattdessen bräuchten wir eigentlich ganz dringend diese kulturpolitische Debatte; denn es geht hier um mehr als nur um Kürzungen bei einzelnen Haushaltstiteln.

Das, was wir hier im Moment erleben, ist ein echter Paradigmenwechsel; denn die Landesregierung kündigt einen Konsens auf, einen Konsens, den wir in jahrzehntelangen Debatten erreicht haben, der nämlich besagt, dass das Land, die Kommunen und die freien Träger gemeinschaftlich auf gleicher Augenhöhe partnerschaftlich für die Grundsicherung in Sachen Kultur in diesem Lande zuständig sind. Stattdessen propagieren Sie jetzt neuerdings die Privilegierung der Landesbetriebe.

Es geht also gar nicht mehr nur um ein Mehr oder Weniger an Kulturförderung oder an Kulturangeboten, sondern um die Glaubwürdigkeit einer Politik, die seit Jahren auf aktivierenden Staat, Bürgergesellschaft und Bürgerengagement setzt, was ja auch Sie an anderen Stellen tun. Der Staat braucht aber diese Ressourcen der Zivilgesellschaft als Kooperationspartner, weil wir mit eigenen Mitteln längst keine ausreichende Versorgung mehr sicherstellen können. Das gilt auch für den Bereich Kultur.

Das heißt, Sie zerschlagen mit Ihren Kürzungen Strukturen, die wir eigentlich gerade wegen der Lage der öffentlichen Kassen stärken müssten, statt sie zu reduzieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Schlimmer noch: Zur Rechtfertigung Ihrer Sparpolitik unterstellen Sie den freien Trägern Schwächen dort, wo ihre eigentlichen Stärken sind, gerade im Vergleich zu staatlichen Institutionen. Minister

Stratmann behauptet, ein Großteil der Mittel der Kulturförderung würde gar nicht der Kultur selbst zugute kommen, sondern würde in Bürokratie und Lobbyismusarbeit der Verbände fließen. Dann frage ich mich: Wieso haben Sie das nicht vorher moniert? Schließlich müssen die Landesverbände jährlich ausführliche Berichte über ihre Mittelverwendung vorlegen. Die belegen übrigens genau das Gegenteil.

Wenn man das Kriterium „ein Minimum an Bürokratie“ schon als Messlatte anlegt - ich will erst einmal gar nicht abstreiten, dass das sinnvoll ist -, warum setzt man dann gleichzeitig die größten Kürzungen bei der LAG Soziokultur an, deren Modell der beliehenen Unternehmerschaft bundesweit als das Modell für effektive Mittelverwendung gehandelt wird?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein letztes Wort, apropos Lobbyarbeit: Das, was Sie, Herr Minister Stratmann, als Lobbyarbeit bezeichnen - und das wissen Sie auch -, ist in Wahrheit nichts anderes als Fachberatung und Fachbildung für Einrichtungen und Verbandsmitglieder, von der die Qualität der Kulturangebote doch nur profitiert. Das kann doch eigentlich nur im Landesinteresse sein.

Wir fordern Sie deshalb auf, Minister Stratmann: Hören Sie auf mit dem Versteckspiel, und legen Sie endlich konkrete Zahlen auf den Tisch. Hören Sie auf damit, eine Zweiklassenkultur zu propagieren: auf der einen Seite die staatlichen Einrichtungen, auf der anderen Seite die freie Kultur, für deren Zukunft wir nicht mehr zuständig sind. Und hören Sie auf mit Ihren unhaltbaren Unterstellungen. Kommen Sie zurück zu einer sachlichen kulturpolitischen Debatte, an deren Ende aus unserer Sicht als Ergebnis nur stehen kann: die Rücknahme des Mittelkahlschlags bei der freien Kultur. Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion erteile ich nunmehr Herrn Dr. Rösler das Wort. Herr Dr. Rösler, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem Weg zum ökumenischen Gottesdienst bin ich heute bei ein paar Musikern stehen geblieben. Hinterher hat sich herausgestellt, dass es der Posaunenchor für den Gottesdienst war. Ich aber dachte: Oje, schon wieder eine Demonstration!

Das ist auch die Situation, in der wir uns momentan in Niedersachsen überall befinden. Tatsache ist, dass in allen Bereichen eben unangenehme, unpopuläre, aber zwingend notwendige Entscheidungen erforderlich sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Während Sie sich immer um diese Entscheidungen gedrückt haben, werden wir sie treffen und ihre Folgen dann auch in allen Bereichen aushalten müssen.

Die Tatsache, dass es sich unser Wissenschaftsminister nicht leicht macht, auch bei der Kultur zu sparen, zeigt, welchen Stellenwert die Kultur für CDU und FDP hat. Es sind eben nicht einfach nur die Schokoladenstreusel auf der Sahne, die man in schwierigen Zeiten einfach wegspart, sondern sie ist für CDU und FDP in der Tat die Hefe im Teig. Wir wollen daran arbeiten, dass sie auch nach einem Kürzungshaushalt in Niedersachsen weiterhin Bestand haben kann. Aber man wird nicht um notwendige Einsparungen umhinkommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Kollegin, Sie haben die FDP bereits angesprochen. Wir als Regierungsfraktionen haben uns durchaus - das hat ja durchaus Bedeutung und ist anders als in der Opposition - erlaubt zu sagen, in welchen Bereichen unserer Ansicht nach nicht so stark gespart werden darf. Das waren z. B. die freien Theater, 80 an der Zahl mit einer Gesamtförderung von 1 Million Euro. Die Förderung kann man nicht pauschal auf Null setzen, wenn man gleichzeitig bei den drei Staatstheatern und den beiden Landesbühnen mit einem Fördervolumen von insgesamt 120 Millionen Euro überhaupt nichts tut.

(Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie das denn umgesetzt?)

Um es gleich zu sagen, Herr Kollege: Wir stehen voll hinter dem Einsparvolumen, das der Wissenschaftsminister an dieser Stelle erbringen muss.

Wir sind aber gerne bereit, uns die Zahlen in Ruhe anzusehen und dann gemeinsam zu entscheiden, an welcher Stelle gespart wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie das auch täten.

Das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde hat uns dabei völlig überrascht; denn Sie können eigentlich noch gar nicht wissen, was mit dem Haushalt auf Sie zukommt, weil das Landeskabinett erst am nächsten Dienstag über seinen Haushaltsplanentwurf entscheiden wird.

(Zuruf von den GRÜNEN: Haben Sie keine Zeitung?)

Erst dann, wenn das Kabinett dem Landtag den Haushaltsplanentwurf vorlegt, können Sie seriös und solide über den einen oder anderen Titel diskutieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind zwar neu in diesem Haus. Aber ich glaube, wir haben das Spiel etwas besser verstanden als Sie.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe)

Was die Frage der Kultur anbelangt, so muss ich sagen: Wenn man die Zwischenrufe der Frau Kollegin Merk und des Herrn Kollegen Plaue bei den Diskussionen über Kultur hört, dann weiß man, wo Kultur ist und wo nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir halten fest: Wir warten voller Vertrauen ab, was der Wissenschaftsminister vorlegt. Wir wissen, dass es an dieser Stelle aufgrund Ihrer hervorragenden Vorarbeit nicht leicht wird. Aber ich sage Ihnen: Wenn es leicht wäre, dann hätten Sie eigentlich auch weiterregieren können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Zu Wort gemeldet hat sich von der Landesregierung Herr Minister Stratmann. Bitte schön, Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Philipp Rösler, auch ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Woher wissen die eigentlich alles das, was sie hier vortragen? - Das frage ich mich wirklich, liebe Frau Kollegin Bührmann; denn die Haushaltsklausur findet erst nächste Woche statt. Das heißt, Sie antizipieren hier eine Entscheidung; denn eine solche Entscheidung hat es noch nicht gegeben. Lassen Sie uns doch ganz ruhig abwarten! Ich bin im Gespräch, und ich bin mir ziemlich sicher, dass manches Geschrei, das jetzt erhoben wird, dann schnell wieder abklingen wird.

Im Übrigen möchte ich Ihnen auch sagen: Sie erheben Opposition allmählich zum Selbstzweck. Das, was ich zurzeit vor meinem Haus erlebe - dort haben die LAGS und die freien Theater mit Aktionen zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich Sorgen machen -, ist viel inhaltschwerer und kreativer als das, was Sie uns hier eben geboten haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es macht mir wirklich mehr Spaß, mich auf der Ebene auseinander zu setzen, als mir ständig anhören zu müssen, dass es immer so weitergehen muss, wie es war, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Geld hat da zu sein, auch wenn wir alle zur Kenntnis zu nehmen haben, dass das schon lange nicht mehr der Fall ist.

(Zuruf von der SPD: Das sagt doch niemand!)

Ich will jetzt keine Rede zur finanziellen Situation in Niedersachsen halten. Den Ernst der Lage müssten allmählich auch Sie kapiert haben. Daher erspare ich mir das, auch weil wir hier nicht alle Zeit der Welt zur Verfügung haben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jüttner?

Nein, ich habe nur fünf Minuten Redezeit.