Protokoll der Sitzung vom 17.09.2004

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau von der Leyen, bevor Sie gehen: Ich habe noch ein Zitat von Ihnen. Vielleicht wollen Sie das noch mithören. Es passt indirekt auch zu der

Diskussion, die wir gerade geführt haben. Sie haben gesagt, Frau von der Leyen: Wir wollen nicht in Beton investieren, sondern in Menschen. - Dieses Zitat ist offenbar kurz vor den Sommerferien gefallen. Gestern war in den Medien auch die Stimme einer Stellvertreterin von FDP-Chef Westerwelle zu hören. Der Tenor war: Subventionen abschaffen und stattdessen in Bildung investieren.

Obwohl sich hier einflussreiche Stimmen der FDP und der CDU in dieser Weise einlassen und öffentlich äußern, bewegt sich in der Realität leider nichts. Sie verteidigen bislang eine Subvention, die vor vielen Jahren erfunden wurde, die auch unbestreitbar ihren Wert hatte, die aber vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung überdacht werden muss.

(Christian Dürr [FDP]: Sie verursacht aber keinen CO2-Ausstoß!)

Der von der Bundesregierung verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Eigenheimzulage sieht vor, dass diese Eigenheimzulage zum 1. Januar 2005 abgeschafft wird. Frei werdende Mittel sollen in Bildung und Forschung investiert werden, und das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates, also auch des Landes Niedersachsen. Bei voller Jahreswirkung würden jährlich 5,8 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen zur Verfügung stehen, wovon den Bundesländern ca. 2,5 Milliarden Euro im Jahr zustünden. Die Eigenheimzulage ist seit Jahren die steuerliche Einzelsubvention mit dem höchsten Volumen. Ihre Notwendigkeit und ihre Effizienz werden aber seit geraumer Zeit in Frage gestellt. So sagt etwa der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im November 2003: Die Eigenheimzulage hat sich überlebt, die Politik sollte sich zu einer kompletten Streichung durchringen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Tendenziell lassen sich - so hat es ein Gutachten der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer gezeigt - außerdem preistreibende Effekte im Hinblick auf Baupreise und auch im Hinblick auf Kreditzinsen für die Baufinanzierung nachweisen. Diese so genannte Überwälzung ist auch bei anderen Subventionen ein Effekt, der eindeutig wissenschaftlich nachweisbar ist.

Die demgegenüber befürchtete negative gesamtwirtschaftliche Auswirkung der Abschaffung der Eigenheimzulage wird oftmals überschätzt, da die

se Subvention ganz überwiegend von Haushalten in Anspruch genommen wird, die im oberen Drittel des geförderten Einkommensbereiches liegen. Diese Gruppen würden aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne diese Eigenheimzulage ihr Bauvorhaben verwirklichen.

Meine Damen und Herren, in der Studie „Deutschland 2000“ vom Berlin-Institut wird die Entwicklung von Regionen skizziert, die schon länger mit demographischen Schrumpfungsprozessen zu tun haben. Solche Regionen werden wir bald auch in Niedersachsen haben, und in einigen Landkreisen werden Familien, die aus beruflichen oder familiären Gründen den Wohnort wechseln müssen, nur mit Schwierigkeiten einen Käufer für selbst genutztes Wohneigentum finden. Auch vor diesem Hintergrund macht eine flächendeckende bundesweite Förderung keinen Sinn mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht nicht an, meine Damen und Herren, dass vernünftige steuerpolitische Regelungen, die in den Bundesrat kommen, vonseiten der CDU/FDPLandesregierung aus parteitaktischen Gründen blockiert werden. Sie verhindern damit, dass dem Landesetat erhebliche Mehreinnahmen zur Verfügung stehen. Im Mai-Plenum hat Minister Möllring wörtlich und öffentlich zu mir gesagt: Herr Wenzel, über die Eigenheimzulage kann man selbstverständlich reden, aber nicht so, wie es die Bundesregierung tut. - Ich frage Sie: Wie denn dann? Wir machen Ihnen hier einen Vorschlag, der dem entspricht, was die Bundesregierung vorgelegt hat, nämlich die Eigenheimzulage zu streichen und die frei werdenden Mittel im Bereich Bildung zu investieren. Wenn Sie das so nicht wollen, Herr Möllring, dann machen Sie doch einen eigenen Vorschlag und bringen Sie ihn in den Bundesrat ein oder stellen Sie ihn hier vor! Mittlerweile gibt es etliche wissenschaftliche Studien, die deutlich machen, dass wir uns hier bewegen sollten. Sie sollten endlich den Mut haben, sich von diesen alten Subventionstatbeständen zu trennen. Wenn Sie das nicht können, dann sollten Sie hier wenigstens inhaltlich begründen, warum Sie sich an diese Eigenheimzulage klammern. Bisher habe ich jedenfalls hier keinen vernünftigen Grund gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bisher hat die Landesregierung die Notwendigkeit der drastischen Sparmaßnahmen immer nur damit begründet, dass die SPD einen desolaten Haus

halt hinterlassen hat. Das ist aber nur die halbe Wahrheit; denn die Lage wäre schon lange nicht mehr so katastrophal, wenn die Landesregierung endlich die Interessen des Landes in den Vordergrund stellen und auf die parteipolitischen Bundesratsspielchen verzichten würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wissen längst, dass diese Subvention volkswirtschaftlich fragwürdig geworden ist. Trotzdem halten Ihre Parteistrategen an diesem Instrument fest, weil sie eine Teilgegenfinanzierung für ihre Kopfsteuerkonzepte zur Reform der Krankenversicherung erhalten wollen. Ich kann Sie aber beruhigen. Herr Möllring, Sie werden die nächste Bundestagswahl sowieso verlieren,

(Zuruf: Hochmut kommt vor dem Fall!)

weil Ihre Konzepte in dieser Frage in keiner Weise alltagstauglich sind.

Meine Damen und Herren, viel schlimmer noch ist aber, dass Sie eine Neuorientierung in der Bildungspolitik blockieren. Das kann sich ein Land ohne Rohstoffe letztlich nicht leisten. Wir brauchen eine Konzentration auf Kindergärten, auf Schulen und auf Investitionen in den Hochschulen. Der volkswirtschaftliche Nutzen des Geldes ist in diesem Bereich wesentlich größer als bei der Eigenheimzulage oder beispielsweise auch beim Straßenbau. Mit einer Investition in Bildung werden am Ende mehr Arbeitsplätze geschaffen. Das wissen Sie im Grunde auch, weil alle Studien diesen Zusammenhang eindeutig belegen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zustim- mung bei der SPD)

Im Bildungsbericht für Deutschland wird festgestellt, dass die Entwicklung der öffentlichen Haushalte und das im internationalen Vergleich geringe Gewicht der öffentlichen Bildungsausgaben die Umsetzung der Reformen im Bildungssystem gefährden. Wenn man das Ländermittel der OECDMitgliedstaaten zugrunde legt, ergibt sich, dass Deutschland knapp unter dem Durchschnitt liegt. Kanada, Dänemark, Frankreich und Korea weisen deutlich höhere Raten auf. Diese Zahlen verdeutlichen, dass in Deutschland Defizite bestehen. Wir könnten in diesem Bereich handeln. Wir könnten auch eine Entlastung für unseren Landeshaushalt erreichen. Dieser Herausforderung müssen sich der Bund und die Länder stellen. Eine Umsteue

rung der Ressourcen aus der Eigenheimzulage in Zukunftsinvestitionen ist dringend geboten.

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf Ihre Vorschläge. Herr Möllring, wenn Sie bessere Vorschläge haben, dann legen Sie diese Vorschläge hier auf den Tisch. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Hilbers das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Eigenheimzulage kommt alle Jahre wieder. Jedes Jahr wird ein neuer Versuch gemacht, die Eigenheimzulage abzuschaffen. Der erneute Versuch von Rot-Grün in Berlin, die Eigenheimzulage abzuschaffen, ist ein Beleg für die Ignoranz hinsichtlich Vermittlungsausschussergebnissen und Kompromissen, die mühsam gefunden wurden. Man kann heute die Feststellung treffen - das klang auch gestern schon in der Debatte über Steuerpolitik an -: Das Einzige, was diese Bundesregierung zuverlässig hinbekommt, ist in der Tat, alle Märkte zu verunsichern und Verlässlichkeit abzubauen. Niemand kann sich mehr auf ihre Politik verlassen. Die Halbwertszeiten von gesetzlichen Regelungen und Ergebnissen aus dem Vermittlungsausschuss sind bei dieser Politik mittlerweile unter die Jahresgrenze gerutscht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie schaden durch diesen Zickzackkurs den Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Eigenheim zu bauen oder ein Haus zu kaufen. Sie schaden damit der Volkswirtschaft, der Bauwirtschaft und tragen dadurch zu dem täglich stattfindenden Prozess der Vernichtung von Arbeitsplätzen in diesem Lande bei.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Sozialdemokraten und wir wissen aufgrund unserer Vielzahl von Kommunalpolitikern in Niedersachsen - die Grünen haben ja nicht so viele Kommunalpolitiker - nur zu gut, dass zum Ende jedes Jahres dadurch ein Strohfeuer angefacht wird, dass Sie diese Diskussion über die Eigenheimzulage führen. Das führt zu unrunden Angebotsstrukturen, zu unrunden Nachfragestrukturen

und zu großen Problemen, die Sie vermeiden könnten, wenn Sie mit dieser Frage ordentlich umgingen.

(Beifall bei der CDU)

Es gab ein klares Vermittlungsergebnis, das Berechenbarkeit bei der Planung ermöglicht. Nun geht es aber schon wieder los. Sie nutzen jedes Thema, das sich anbietet, um die Eigenheimzulage infrage zu stellen. Das passt in das Raster Ihrer Politik. Ich kann hier nur beispielhaft sagen: Rasen für die Rente, Rauchen für die Gesundheit oder auch - es gab schon einmal Plakate mit dieser Aufschrift; sie wurden im Keller dann noch umgeklebt - 1 % für 100 % Bildung.

(Bernd Althusmann [CDU]: Trinken für das Land!)

- Trinken für das Land - auch das passt in Ihre Politik. Ich kann nur sagen, dass es sehr wichtig ist, auch die bildungspolitischen Ziele zu formulieren. Sie sollten sich endlich einmal vor Augen halten - oder haben Sie das völlig aus Ihrem Politikfeld gestrichen? -, dass sich nicht jedes Problem durch Umverteilung lösen lässt. Sie sollten auch einmal darauf setzen, wieder Wachstum und Beschäftigung zu kreieren, um dieses Land endlich wieder nach vorne zu bringen und auch über Ressourcen zu verfügen. Das verkennen Sie aber völlig. Stattdessen setzen Sie auf Umverteilung. Diesmal sollen es die Häuslebauer und die Beschäftigten der Bauindustrie sein, die die Zeche zahlen. Ich frage mich, wer der Nächste sein wird, der nach der Eigenheimzulage greifen darf. Heute ist es Frau Bulmahn, demnächst wird es dann wohl jemand anders sein.

Im Grunde müssen Sie ja froh sein, dass wir im Vermittlungsausschuss bei diesem Thema gegengehalten haben. Sonst wäre die Eigenheimzulage aus Gründen der Stopfung des Haushaltslochs in Berlin abgeschafft worden. Dann wäre das Thema für die heutige Diskussion entfallen. Deshalb, weil die Eigenheimzulage nicht abgeschafft wurde, können Sie heute diese Diskussion führen.

Herr Wenzel, eine aktuelle Umfrage von Infratest kommt zu dem Ergebnis, dass 93 % der Bevölkerung davon überzeugt sind, dass die Eigenheimzulage nicht für Besserverdienende, sondern für Durchschnittsfamilien bei der Finanzierung von Wohneigentum von immenser und entscheidender Bedeutung ist. Sie von Rot-Grün stellen sich mit Ihrem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigen

heimzulage gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, gegen den Willen fast der ganzen Bevölkerung. Sie nutzen den Schreck, den einige aufgrund der OECD-Studie bekommen haben, um gegen die Eigenheimzulage mobilzumachen. Dadurch verunsichern Sie die Menschen. 6 Milliarden Euro sind eine Menge Geld. Das weckt Begehrlichkeiten. Das kann ich verstehen. Dieses Geld wird jedoch nicht einfach ausgeteilt, sondern es wird in eine Zukunft investiert. Es hilft in erster Linie Familien. Resultat der Einführung der Eigenheimzulage - diese ist übrigens nicht als Subvention eingeführt worden, sondern sie hat einen steuerlichen Tatbestand abgelöst; wir haben gesagt, dass wir damit denjenigen, die in der Steuerprogression nicht so hoch liegen, helfen und dass dieses Modell insofern sozial gerechter ist - war, dass wir 10 % mehr Wohneigentum in Deutschland haben. Dabei sind wir beim Wohneigentum immer noch unterrepräsentiert. Wir wollen, dass die Menschen in Eigenheimen und Eigentum wohnen und leben können. Wenn Sie das ideologisch anders sehen, dann müssen Sie das sagen. Wir stehen auf jeden Fall, auch aus ordnungspolitischer Sicht, dazu, dass es den Menschen ermöglicht wird, Eigentum zu schaffen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eigentum schafft Sicherheit für die Zukunft. Eigentum ist ein Stück Altersversorgung. Sie fördern ja gerade die Altersversorgung. Ich kann überhaupt nicht einsehen, warum man die RiesterRente fördern sollte, nicht aber das Eigenheim, das es ermöglicht, im Alter mietfrei zu wohnen. Ich verstehe nicht, warum diese Form der Altersversorgung von Ihnen nicht mehr unterstützt werden soll.

Herr Wenzel, die Eigenheimzulage hat sich bewährt. Ich habe einen Beleg dafür mitgebracht. Herr Wenzel, lesen Sie am besten einmal die Studie, die ich Ihnen hier zeige. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, das bekanntlich Ihrer Bundesregierung untersteht und von uns nicht als Gefälligkeitsgutachter bezeichnet werden kann, hat eine klare Wirkungsanalyse zur Eigenheimzulage vorgelegt und kommt zu guten Ergebnissen: verstärkte Eigentumsbildung, verstärkte Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Wenn wir auf die Fachleute hören und in die einschlägigen Studien der Wirtschaft hineinschauen, stellen wir fest, dass 40 000 Eigentumswohnungen nicht gebaut werden würden, wenn es diese Zulage nicht gäbe.

Das wäre ein Nachfrageausfall von 9 Milliarden Euro.

(Roland Riese [FDP]: Die Nachfrage geht doch irgendwo anders hin! Das ist eine Fehlallokation!)

Dann geht die Binnennachfrage an dieser Stelle verloren. Nehmen Sie diese Berechnungen doch einmal zur Kenntnis. Sie sind doch sonst immer schnell dabei, den Gewerkschaftern zu glauben. Die IG BAU sagt, dass 60 000 bis 80 000 Arbeiter auf dem Bau direkt ihren Job verlieren, wenn die Eigenheimzulage gestrichen wird. Die Bauwirtschaft geht davon aus, dass es, wenn man die Zulieferer und die nachgelagerten Bereiche hinzunimmt, sogar 200 000 Arbeitsplätze sind. Die Bauindustrie hat ohnehin schon über 500 000 Arbeitsplätze in den letzten Jahren verloren. Sie wollen sie weiter schwächen. Das ist eine falsche Politik.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Folgekosten, die Sie dadurch erzeugen, sind höher.

Herr Kollege Hilbers, der Herr Kollege Aller von der SPD-Fraktion möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie diese?

Nein, ich habe nur noch wenig Zeit. Diese möchte ich gerne selbst nutzen. - Die Folgekosten, die Sie durch Ihre Politik erzeugen, schaden der Volkswirtschaft insgesamt. Viele Experten rechnen Ihnen vor, dass es aufgrund der höheren Arbeitslosenquote und dadurch, dass Sie weniger Geld in den Steuersäckel bekommen, weil dann viele gar nicht in der Lage sind, ihr Geld auszugeben, da sie die Finanzierung nicht auf die Reihe bekommen, sogar zu einem Nullsummenspiel kommt, dass also die Abschaffung der Eigenheimzulage, weil Sie Steuereinnahmen und Sozialbeiträge verlieren, mit einem Nullsummenspiel endet.

Die Annahmen in Ihrem Antrag entsprechen auch nicht der Wahrheit. Der Leerstand an Wohnungen ist keinesfalls direkt mit der Eigenheimzulage in Zusammenhang zu bringen. Die Eigenheimzulage ist eher Resultat dessen, was Sie in der Vergangenheit getan haben. Sie haben in den 70er- und in den 80er-Jahren nämlich eine völlig verfehlte Politik im Wohnungsbau betrieben. Sie haben auf

Zuruf Sozialwohnungen am Bedarf vorbei geschaffen. Dies sind die Hochhäuser, die heute in den Städten leer stehen und abgerissen werden müssen, nicht aber die Eigenheime auf dem Lande.