Protokoll der Sitzung vom 28.10.2004

Meine Damen und Herren, wahr ist: Die Wähler in Niedersachsen haben sich für das begabungsgerechte, gegliederte Schulwesen und nicht für das integrierte Schulwesen entschieden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Februar letzten Jahres lagen die Gesetzentwürfe auf dem Tisch. Jeder wusste, worum es ging, und diese Seite des Hauses hat dem Schulgesetz - verabschiedet im Juni letzten Jahres - die erforderliche Mehrheit gegeben. Der Gesetzgeber hat ein Errichtungsverbot für neue Gesamtschulen beschlossen. Nach Abwägung des Für und Wider gab es gute Gründe, so zu verfahren. Ein Aspekt war zum Beispiel, dass man rund um die Schulstrukturfragen einmal Frieden herstellen musste, damit diese ewigen, ideologisch getragenen Debatten endlich aufhören.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich meine, den Schulen tut dies ganz gut. Aber dieser Grundgedanke ist bisher nicht in allen Teilen der Politik angekommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Gesetzgeber hat entschieden, dass sich bestehende Gesamtschulen qualitativ weiterentwickeln, bei nachgewiesenem Bedarf erweitern und die mögliche Höchstzügigkeit im Sekundarbereich 1 ausschöpfen können. Auch die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe oder einer Außenstelle ist zulässig, soweit mit Letzterer nicht das Errichtungsverbot umgangen wird. Meine Damen und Herren, ich finde, das sind faire Entwicklungschancen für die Gesamtschulen in Niedersachsen. Auch Schwarzmalerei hilft da nichts. Das ist einfach so.

Frau Korter, es ist nicht das erste Mal, dass wir dieses Thema, was den Bedarf an mehr Gesamtschulen anbelangt, in der Fragestunde oder in der ersten oder zweiten Beratung behandeln -. Ich habe in jeder Debatte den Eindruck, dass bei Ihnen die gefühlte und die reale Temperatur auseinander gehen. Oder sind es einfach nur Ihre Vorhaben aus der Vergangenheit, bei denen Sie sagen „Da war doch Bedarf, wir wollten das machen, aber nun geht das alles nicht“?

Meine Damen und Herren, es ist nicht zu erkennen, dass - wie es heißt - zunehmend mehr Eltern wollen, dass ihr Kind an einer Gesamtschule unterrichtet wird. Das behaupten die Antragsteller. Vielmehr musste eine Kooperative Gesamtschule - es war wohl in der Grafschaft - aufgrund fehlender Anmeldungen geschlossen werden. An ihre Stelle sind das bereits vorhandene Gymnasium und eine Hauptschule sowie eine Realschule getreten - beide neu gegründet. Wenn mehr Angebote im gegliederten Schulwesen gemacht werden, tun sich Gesamtschulen im Konkurrenzkampf offenbar schwer.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Und wenn sie dann noch Ganztagsangebote ha- ben!)

Das ist auch ein Teil der Wahrheit, die mit dem neuen Gesetz geschaffen wurde.

Die Quote der nicht an einer Gesamtschule aufgenommenen Schülerinnen und Schüler ist in diesem Schuljahr weiter gesunken. Aus der Zahl der Nichtaufnahmen lässt sich jedoch nicht auf einen Bedarf für Neugründungen schließen. Die Mehr

zahl der bestehenden Gesamtschulen arbeitet mit einer deutlich unterhalb der nach der Schulentwicklungsplanung möglichen Zügigkeit.

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Würde diese Zügigkeit stärker ausgeschöpft, könnten beispielsweise in Hannover alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden. Dann gäbe es sogar noch viele freie Plätze.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch die handelnden Personen vor Ort mögen sich überlegen, warum das so ist. Vielleicht haben sie ja auch Gründe, die sie hier nicht gerne offen ausgetragen haben wollen.

Meine Damen und Herren, wichtig ist mir, dass die bestehenden Gesamtschulen - wie alle anderen Schulen - ihren im Schulgesetz definierten Auftrag erfüllen und dass sie sich qualitativ weiterentwickeln. In diesem Zusammenhang fällt allerdings der ungewöhnlich niedrige Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Gymnasialempfehlung auf. Ebenso auffällig ist der ungewöhnlich hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Hauptschulempfehlung, obwohl sich viele Gesamtschulen durch das Losprinzip ihre Schülerschaft zusammenstellen können. Herr Jüttner, von der „einen Schule für alle“ kann keine Rede sein. Ich würde nun von der Sozialdemokratie - man ist ja offenbar auf der Suche nach einem neuen schulpolitischen Thema - gerne wissen, was Sie eigentlich wollen. Gesamtschule? Welche Form der Gesamtschule? Mehr? Generell? Überall? Eine Schule für alle? Einheitsschule? Eine Regionalschule haben Sie vor Ihrem Landesausschuss seinerzeit verkündet, aber wohl nicht im Ausschuss beschließen lassen.

(Ursula Körtner [CDU]: Die trauen sich nicht mehr, „Gesamtschule“ zu sa- gen!)

Uns würde interessieren, was Sie wirklich wollen; denn dann würde auch die Diskussion hier vereinfacht.

(Beifall bei der CDU)

Noch einmal zu der Problematik der Gesamtschulen. Ich finde es auch bedenklich, wenn ein Leiter einer Integrierten Gesamtschule klagend das inhaltliche Angebot sowie die Lehrerausstattung seiner Schule nur mit dem Gymnasium vergleicht und

unterschlägt, dass die IGS nach 13 Jahren zur allgemeinen Hochschulreife führt, das Gymnasium aber bereits nach zwölf Jahren. Die Schulzeitverkürzung am Gymnasium führt natürlich zu einer höheren Pflichtstundenanzahl in den Schuljahrgängen dieser Schulform. Außerdem - es geht um einen bestimmten Schulleiter unterschlägt er, dass die IGS nicht nur Gymnasial-, sondern überwiegend Hauptund Realschülerinnen und -schüler beschult.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, die bestehenden Gesamtschulen haben eine faire Entwicklungschance unter vergleichbaren Rahmenbedingungen wie die Schulen des gegliederten Schulwesens bekommen. Sie können diese Chance im Wettbewerb mit den anderen Schulformen nutzen und die Qualität ihrer Arbeit nachweisen. Die weitere Entwicklung wird die Landesregierung gerade auch im Hinblick auf die anstehenden künftigen landeseinheitlichen Abschlussprüfungen genau beobachten und rechtzeitig die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.

Herr Jüttner, meine Ansage steht. Wir müssen die Schulstruktur und die Leistungsentwicklung jetzt beobachten und sehen, wie sich alle im Wettbewerb schlagen. Dann kann es sein, dass Sie sich bewegen müssen oder ich mich bewegen muss.

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Ich bin da völlig offen und frei im Kopf. Das gucken wir uns miteinander an.

In diesen Tagen wird auch gesagt: Nun geht dieser Kultusminister schon an die Gesamtschulverwaltung heran. Was macht er denn da? - Ich möchte Sie über Folgendes aufklären: In der Tat steht an - die Bezirksregierungen haben wir ja abgeschafft -, dass zum 1. Januar 2005 auch die Schulverwaltung neu organisiert werden muss. Man weiß, dass wir für die Schulverwaltung über das ganze Land gesehen eine Einsparauflage von ausgangsmäßig 300 Stellen auferlegt bekommen haben. Damit werden wir auch fertig. Ein Teil ist bereits erledigt, 250 Stellen müssen noch eingespart werden. Auch für den Bereich der Schulverwaltung ist also Aufgabenkritik angesagt.

(Lothar Koch [CDU]: Richtig!)

Dann gibt es noch die Frage, wo wir mit welcher Personalressource auftreten müssen. Dazu

möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen: Bei den bestehenden Bezirksregierungen gibt es für insgesamt 2 777 Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen und Förderschulen jeweils ein Dezernat. Ein Dezernent betreut etwa 24 Schulen. Für die 253 Gymnasien gibt es ebenfalls jeweils ein Dezernat.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ein Dezernent betreut gut zehn Schulen. Für ganze 66 Gesamtschulen, davon 60 staatliche in Niedersachsen, wird ebenfalls jeweils ein Dezernat vorgehalten. Ein Dezernent betreut etwa sechs bis sieben Schulen. Unter dem Strich - die Organisationseinheiten sind nicht alle gleich groß - darf man hier feststellen, dass es eine Personalüberversorgung gibt. Weil wir einen Einspardruck haben, müssen wir das in diesem Zusammenhang auch entsprechend begradigen dürfen. Sie können sich aber darauf verlassen: Die Gesamtschulen wie auch die Schulen aller anderen Schulformen werden auch ab dem 1. Januar 2005 vernünftig verwaltungsmäßig betreut werden.

(Zustimmung von Lothar Koch [CDU])

Man muss die Dinge dann hier aber auch korrekt behandeln und nicht nur nebulös sagen „Da will einer die Gesamtschulen beschädigen“ oder Ähnliches. Ich gehe davon aus, dass die Schulverwaltung auch ab 1. Januar 2005 - wir stellen Ihnen das in den nächsten Wochen vor - vernünftig funktionieren wird.

Heute ist auch das Thema Elternwille schon mehrfach angesprochen worden. Das ist auch ein Teil dieses Antrags. Dazu muss ich Ihnen sagen: Ich freue mich auf die Debatte morgen früh zum Thema Elternwillen, weil ich es immer gut finde, wenn mich die SPD lobt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich erteile ihr eine Redezeit von bis zu zwei Minuten. Frau Korter, Sie haben das Wort.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist nicht notwendig! Wir wissen, was Sie wollen, und das wollen wir nicht!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die zusätzliche Redezeit. - Ich möchte noch eine Sache klarstellen. Herr Minister Busemann, Sie haben eben gesagt, der Bedarf sei von mir wohl nur gefühlt. Ihnen liegt doch ein Schreiben vom 1. September 2004 von der Initiative KGS Steinhude vor, in dem aufgezählt wird, dass es noch Initiativen auf Einrichtung von weiteren Gesamtschulen in Bad Münder, Braunschweig, Bodenwerder, Ottbergen, Nordstemmen und nicht zuletzt in Steinhude gibt. Sie können diese doch nicht einfach unter den Tisch kehren. Sie wissen doch genau, dass der Bedarf da wäre, wenn Sie das Neugründungsverbot nicht in das Gesetz geschrieben hätten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben hier behauptet, Sie hätten den Gesamtschulen eine faire Entwicklungschance eingeräumt. Das hat auch Herr Schwarz noch einmal gesagt. Er fragt immer wieder: Wo ist denn unsere Schulform? Was wollen wir denn eigentlich? - Herr Schwarz, dann müssen Sie das Hamburger Abkommen kündigen. Die äußere Differenzierung ist im Hamburger Abkommen festgeschrieben und vorgeschrieben. Nur einzelne Ausnahmen wie die IGS Göttingen-Geismar dürfen sich davon befreien. Das ist eine Schule ohne äußere Differenzierung, an der die Kinder wirklich individuell gefördert werden. Solche Modelle wollen wir in Zukunft anstreben. Von fairer Entwicklungschance für Gesamtschulen kann bei Ihrer Politik überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben die Stunden für den Ganztagszuschlag gestrichen. Sie wollen den Gesamtschulen die Schulaufsicht entziehen. Sie haben die Anrechnungsstunden an den Gesamtschulen besonders gekürzt. Das wissen Sie doch genau. Nicht zuletzt ist das Neugründungsverbot eine so klare Benachteilung von Gesamtschulen, dass wir alle genau wissen: Sie wollen eigentlich die Gesamtschulen abschaffen. Wir jedoch nicht. Wir wollen eine demokratische und gute Bildungschance für alle Kinder. Die gibt es in einer Schule für alle Kinder gemeinsam bis zur 9. Klasse.

(Beifall bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Einheitsbrei!)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das Erste war die Mehrheit.

Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 20: Zweite Beratung: Polizeivollzugsbeamte in den Vollzug, Verwaltungsbeamte in die Verwaltung, Aufgabenkritik auch für die Polizei - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1135 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport Drs. 15/1318

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