Protokoll der Sitzung vom 17.11.2004

(Ursula Körtner [CDU]: Das ist auch richtig!)

Hier werden also mehr Aufgaben auf die Kommunen zukommen. Aber wie das beim Bund so ist, greift hier natürlich nicht das Konnexitätsprinzip, sondern sollen die Kommunen das im Prinzip selbst bezahlen.

Das Land hat zwar nicht die finanziellen Möglichkeiten, die Kommunen zu unterstützen. Aber aufgrund der Verwaltungsreform, weil wir Stellen ge

strichen haben, haben wir einen Überhang an Personal. Morgen findet dazu ein Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden statt. Wir bieten den Kommunen an, Mitarbeiter im Wege der Abordnung, aber auch im Wege der Versetzung, für eine dauerhafte Hilfestellung zu entsenden. Außerdem bieten wir an, wenn man sich nach sechs Monaten entscheidet, einen solchen Mitarbeiter zu übernehmen, zwei Jahre lang für sein Gehalt aufzukommen.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass die Kommunen zu Leitstellen der Integration werden, denn schließlich findet dort der Erstkontakt statt. Wir lassen die Kommunen nicht im Regen stehen. Wir machen eine vernünftige Integrationspolitik, und wir werden diesen Weg zusammen mit den Kommunen gehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Einen letzten Satz zum Beitritt der Türkei, weil Sie das angesprochen haben, Herr Ministerpräsident - Herr Ministerpräsident a. D. - Gabriel.

(Heiterkeit bei der CDU - Sigmar Gab- riel [SPD]: Das wächst sich raus!)

- Vielleicht liegt es daran, dass ich immer auf Ihrem Platz sitzen darf.

Die eine Sache ist, dass die Türkei auf diesen Beitritt nicht vorbereitet ist. Aber auch die Europäische Union ist nicht darauf vorbereitet, die Türkei aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, es wäre schlichtweg unehrlich, wenn man dies nicht sagt und dadurch Hoffnungen weckt, die man anschließend nicht erfüllen kann. Das hätte ganz andere, fatale Folgen. Deshalb dürfen wir so nicht vorgehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Gabriel, bitte schön! Sie haben das Wort.

Nur in aller Kürze. - Herr Präsident! Erstens. Herr Kollege Schünemann, Herr Innenminister, es war übrigens Helmut Kohl, der die Türkei eingeladen hat, der EU beizutreten. Das müssen Sie an erster Stelle also ihm sagen.

Zweitens. Ich lese Ihnen einmal vor, was Sie im Bereich Integration u. a. kürzen - nur damit wir anständig aus der Debatte herauskommen. Sie sagen in der Begründung in Ihrem Haushalt nicht, dass das am Zuwanderungsgesetz läge, sondern Sie schreiben: weniger infolge Haushaltskonsolidierung. Besonders schön ist die Zweckbestimmung des Titels, den Sie auch kürzen: „Zuschüsse für Integrationsmaßnahmen zugunsten von Ausländern sowie Maßnahmen“ - jetzt kommt es - „zur Verbesserung von Toleranz und Akzeptanz zwischen Ausländern und Deutschen“.

Herr Kollege Schünemann, ich plädiere einfach nur dafür, dass man, wenn man ein so wichtiges Thema benennt, in der tatsächlichen Politik nicht das Gegenteil von dem tut, was man verkündet. Für mehr plädiere ich nicht. Das ist das Einzige, was ich machen würde.

(Beifall bei der SPD)

Ansonsten haben Sie in allem, was Sie gesagt haben, Recht. Darin finden Sie unsere Unterstützung, auch in allem, was das Innenpolitische angeht.

Nur noch eine Bemerkung, bevor ich mich wieder hinsetze: Die Sprachförderung in Kindergärten ist im Jahr 2002 in das Schulgesetz aufgenommen worden; darauf will ich nur hinweisen. Auch die ersten Sprachfähigkeitstests fanden im Jahr 2002 statt.

(Beifall bei der SPD - Ursula Körtner [CDU]: Null Mark haben Sie in die Sprachförderung gesteckt! - Sigmar Gabriel [SPD]: Erzählen Sie keinen Blödsinn!)

Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Kultusminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das Thema kann nicht beleuchtet werden, ohne das zu betrachten, was in den Schulen stattfindet. Ich hatte den Eindruck, Herr Gabriel, Sie sagen, da findet so recht nichts statt.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Kindergärten, habe ich gesagt!)

Nun sind Sie der Meister der globalen Rede. Ich will Ihnen anhand von zwei, drei Punkten erklären, was tatsächlich passiert.

Zum islamischen Religionsunterricht.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Wann ist der eingeführt worden?)

Wir haben in Niedersachsen etwa 40 000, 50 000 islamische Kinder. Ich glaube nicht, dass wir es vertreten sollten, dass diese Kinder keinen Religionsunterricht haben. - Damit seien Sie doch bitte einverstanden!

Meine Amtsvorgängerin hatte erste Anfänge gestartet. Dann hat es gestockt, u. a. auch deshalb, weil sich die Religionsgemeinschaften der Sunniten, Schiiten und Alewiten nicht auf die Glaubensinhalte verständigen konnten. Das ist mittlerweile gelungen. Die Alewiten tun sich etwas schwer.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Dass wir die Glaubensinhalte und die Unterrichtsinhalte abstimmen müssen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir müssen darauf hinweisen, dass hier Demokratie herrscht, welche Freiheitsvorstellungen und welche Toleranzansprüche hier herrschen. Es gehört, glaube ich, auch dazu, dass wir auf die Gleichstellung von Mann und Frau hinweisen müssen. Denn in dieser Hinsicht hat der Koran einige schwierige Ecken; ich sage es einmal so, ohne dass ich in dieser Beziehung Experte bin.

Den islamischen Religionsunterricht haben wir im letzten Jahr an acht Standorten in Niedersachsen mit ausgebildeten Lehrkräften im zweiten Schuljahrgang begonnen. Er wird auf Deutsch gehalten. Ich darf Ihnen sagen, es funktioniert tadellos und reibungslos. Für dieses Schuljahr haben wir uns vorgenommen - das machen wir auch -, den islamischen Religionsunterricht auf den vierten Schuljahrgang auszudehnen.

Wenn es weiter so erfolgreich verläuft, werde ich möglicherweise die vier Jahre des Schulversuchs gar nicht abwarten. Dann kann die Richtlinie nur sein, den islamischen Religionsunterricht flächendeckend im ganzen Land einzuführen. Denn es kann auch nicht richtig sein, dass die katholischen oder die evangelischen Kinder Religionsunterricht haben, während die islamischen Kinder „Werte und Normen“ oder gar nichts machen und auf dem Hof

stehen. - Also, Unterricht für alle, auch auf diesem Sektor. Ich glaube, das ist konsensfähig.

(Beifall bei der CDU)

In dieser Zeit, in der es um Integration geht und in der es auch gewisse Bedrohungen gibt, sage ich ausdrücklich: Es kann nur richtig sein, diesen Unterricht als staatliche Veranstaltung zu organisieren, statt Unterweisungen, Unterricht, wie auch immer man es definiert, durch Koranschulen von Kaplans und anderen in Dachstuben machen zu lassen, bei denen wir nicht wissen, was dort passiert. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, wenn wir uns selbst an die Spitze der Bewegung setzen und das Vernünftige und Richtige tun. Ich bin nicht undankbar, dass die Bischöfe aller christlichen Kirchen - da ist man doch etwas vorsichtig und schaut, wie das ankommt - am Ende gesagt haben: Einverstanden, richtig so. - Dann werden wir das in den nächsten Jahren mit der Tendenz der flächendeckenden Einführung weiter betreiben.

Ich bin nicht derjenige, der in Bezug auf die Zuwanderung oder Einwanderung gewichten muss, was Sache ist. Ich kann nur sagen, Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten sehr viele ausländische Mitbürger aufgenommen, und sehr viele Aussiedler sind zu uns gekommen. Sie haben Kinder mitgebracht, die kein Deutsch konnten oder denen man das Deutsche nicht hinreichend beibringen konnte. Ich verbinde damit keinen Vorwurf an die Eltern; es ist so, wie es ist.

PISA hat für dieses Land ein oder zwei Botschaften - für mich hat PISA keine ideologischen Botschaften -; diese betreffen die frühkindliche Bildung - das ist heute nicht das Thema - und das Thema Förderung. Wir haben dieses Problem der mangelhaften Sprachkenntnisse im Grunde genommen vor die Haustür gelegt bekommen und haben in allen Schulen, von Bayern bis SchleswigHolstein, von Berlin bis Niedersachsen, nicht durch Förderung entsprechend reagiert.

Unter anderem dies ist ein Unterschied zwischen Deutschland und Finnland. Bei uns gibt es Anteile von 20 % und mehr an Kindern, die das Deutsche nicht genügend beherrschen. In Finnland beträgt der Anteil der Kinder, die das Finnische nicht ausreichend beherrschen, etwa 2 %. Hierin liegt eine der Wurzeln des Leistungsunterschiedes, der sich auftut. Also müssen wir fördern.

Bei aller Knappheit, die so ein Etat aufweist, will ich eines klarstellen. Herr Gabriel, die Sprachförde

rung wurde durchaus auch in Ihren Reihen geboren und wurde von Ihrer Seite in das - mittlerweile gecancelte - Schulgesetz hineingeschrieben. Nur, Sie haben vergessen, die Sprachförderung zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Das stimmt doch nicht!)

Die Frage, ob das Budget von 6 Millionen Euro auf 4,8 Millionen Euro heruntergeht, ist angesichts dessen nachrangig. Wir haben es immerhin hinbekommen, aus dem Mehrkontingent von 2 500 Lehrern letztlich 288 Vollzeitlehrerstellen für den Deutschunterricht durch Grundschullehrer in den Kindertagesstätten bereitzustellen. Dies entspricht einem Gegenwert von fast 13 Millionen Euro. Das können Sie bei dieser Gelegenheit ruhig erwähnen. Bei Ihnen wäre das nicht möglich gewesen, weil Sie gegen die 2 500 zusätzlichen Lehrer waren. Das hätten Sie gar nicht organisieren können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist doch falsch!)

Es war mir doch ein Anliegen - man kann immer noch mehr tun und immer noch besser werden -, das in diesem Zusammenhang klarzustellen. Niemandem gefällt es, wenn die Haushaltsmittel von 6 Millionen Euro auf meinetwegen 4,8 Millionen Euro zurückgenommen werden. Aber angesichts des Gesamtpakets dessen, was hier läuft und offenbar mit Erfolg läuft, muss man akzeptieren, dass es auch gewisse Grenzen gibt, an denen ein Ressortminister den Finanzminister nicht überfordern darf. Deswegen sage ich ganz offen, mit einem Ansatz von 4,8 Millionen Euro in diesem Bereich - Sie wollen ja einen anderen Antrag stellen kann ich leben. Wir haben jedenfalls sichergestellt, dass es nicht weniger wird. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Herr Abgeordnete Jüttner gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, über die Dringlichkeit des Themas herrscht große Übereinstimmung. Auch die Defizite sind

hinreichend deutlich benannt worden. An sich wäre es zweitrangig, über einzelne Zahlen zu streiten.

Herr Busemann hat eingeräumt, dass eine Reihe der Projekte, die in der Zwischenzeit in diesem Bereich laufen, von der sozialdemokratisch geführten Regierung auf den Weg gebracht worden ist. Was aus unserer Sicht nicht akzeptabel ist und nicht dadurch besser und richtiger wird, dass es wiederholt wird, ist der immer wieder vorgebrachte Hinweis, das sei bei uns nicht durchfinanziert gewesen. Das gilt für den gesamten Bereich der Sprachförderung nicht. Ich will das hier ausdrücklich feststellen.

(Beifall bei der SPD - Ursula Körtner [CDU]: Wie bitte? Sie haben nicht ei- nen einzigen Lehrer dafür finanziert, nicht eine einzige Stunde!)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Klare.