Protokoll der Sitzung vom 18.11.2004

mussten wir feststellen, dass während Ihrer gesamten Regierungszeit - seit 1990 - in Ministerien nahezu überhaupt nicht ausgebildet wurde und in der Staatskanzlei überhaupt nicht ausgebildet wurde.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Hört, hört!)

Wir haben beispielsweise in der Staatskanzlei erstmals seit über einem Jahrzehnt wieder zwei Ausbildungsplätze geschaffen; mit einem gigantischen Erfolg, denn die beiden Auszubildenden machen sich gut. Wir haben damit positive Signale in Richtung der Wirtschaft ausgesandt, dass auch die öffentliche Hand etwas unternimmt.

Gleichzeitig können wir in einer Situation der Pleite, quasi des Konkursfalles des Landes Niedersachsen, nicht rechtfertigen, dass wir einerseits den öffentlich Bediensteten in Bezug auf das 13. Monatsgehalt, die Sonderzuwendung, und das Urlaubsgeld und in anderen Bereichen erhebliche Opfer zumuten und andererseits sozusagen jenseits dieser Kürzungsmaßnahmen unter Umgehung des Einstellungsstopps den Personalbestand aufstocken. Insoweit sind unsere staatlichen Möglichkeiten ganz klar begrenzt. Wir müssen heute bekennen, dass wir in diesem Land Arbeitsplätze brauchen, deren Inhaber Steuern bezahlen können, und dass wir uns mit Steuergeld finanzierte Arbeitsplätze in dem Umfang, indem Sie sie in der Vergangenheit geschaffen haben, nicht mehr leisten können. Das ist die Wahrheit, und die sollten wir auch so offen sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun zu der anderen Bemerkung, die mir wichtig ist. Ich möchte das Parlament bitten, den Versuch zu unternehmen, die Realitäten zu berücksichtigen. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass Sie hier die Sorgen reklamieren, wir die Erfolge reklamieren und wir beide am Ende nicht Recht haben können. Es ist ja richtig, hier ständig auf die Sorgen junger Menschen aufmerksam zu machen. Das ist auch Ihre Aufgabe, und das ist unser aller Aufgabe. Trotzdem ist es wichtig, denjenigen, die jetzt in diesem Land Probleme haben, Mut zu machen. Ich war vor drei Wochen Schirmherr der Jugendmesse „Next Generation“ in Hannover. Diese Messe war an diesem Wochenende von 10 000 Jugendlichen besucht. Auf dieser Messe war die Handwerkskammer Hannover mit einem Stand vertreten. An diesem Stand der Handwerkskammer Hannover

lag eine Liste mit etwa 280 Ausbildungsplatzangeboten für - ich erinnere mich nicht genau - etwa 50 Ausbildungsberufe aus. Ich weise darauf hin, weil Frau Merk soeben danach gefragt hat. Es ist doch für einen Jugendlichen, der das Problem hat, einen Ausbildungsbetrieb zu finden und einen Ausbildungsvertrag abschließen zu müssen, und der am Wochenende dorthin geht, ein ermutigendes Signal, dass die Handwerkskammer nur im Kammerbezirk Hannover auf fast 300 freie Ausbildungsstellen für etwa 50 Berufsbilder hinweisen kann und sich der Jugendliche mit dem Handwerk in Verbindung setzen und dort einen Ausbildungsplatz finden kann.

Man muss in diesem Zusammenhang auch einmal darauf hinweisen, dass viele Betriebe Jugendlichen nicht einmal antworten, wenn sich diese bewerben, und dass es zwischen Jugendlichen und Betrieben viele Probleme gibt. Dazu gehört auch das Problem, dass manche Jugendliche mehrere Ausbildungsverträge abschließen und dem Betrieb kurz vor Ausbildungsbeginn mitteilen, dass sie sich für einen anderen Ausbildungsplatz entschieden hätten, mit der Folge, dass ein Ausbildungsplatz nachbesetzt werden muss. Ich meine, dass es auf beiden Seiten - aufseiten der Auszubildenden, der Schulabgänger, und aufseiten der Betriebe - viele Probleme gibt.

Es gibt aber auch bei besser Qualifizierten anwachsende Probleme. Dass Abiturienten nicht automatisch einen Ausbildungsplatz finden, Realschulabsolventen mit mittlerer Reife nicht einmal dann automatisch ein Ausbildungsverhältnis finden, wenn sie bereit sind, nicht ihren Wunschberuf zu erlernen, ist Ausfluss einer dramatisch veränderten Wirtschaftslage in diesem Land. Wenn man drei Jahre lang kein Wachstum hat, wenn man Stagnation hat, wenn man Rezession hat, wenn man Insolvenzen in dem Umfang hat, wie wir sie jetzt in Deutschland verzeichnen, dann hat das auch Auswirkungen auf junge Menschen und ihre beruflichen Perspektiven. Ich frage mich ohnehin, was wir der jungen Generation noch alles zumuten wollen. Sie haben das Gefühl, sie sollen die nächste Generation heranbilden, sie sollen Familie gründen, sie sollen ihre Ausbildung abschließen, sie sollen im Beruf Erfolg haben, sie sollen die Schulden der Vergangenheit abzahlen, und sie sollen die Investitionen in die Zukunft tätigen. Die Frage, wie wir mit der jungen Generation umgehen und was wir tun können, um ihr zu helfen, könnte das Thema der Haushaltsberatungen und der Gespräche im kommenden Jahr sein.

In diesem Zusammenhang finde ich das hervorhebenswert, was Frau von der Leyen, Herr Busemann und Herr Hirche, die drei Ressortminister, gemeinschaftlich diesbezüglich an neuen Strukturen geschaffen haben. Es geht um die Einrichtung der Pro-Aktiv-Zentren - ein Pro-Aktiv-Zentrum in jedem Landkreis, in jeder kreisfreien Stadt. In diesen Zentren wird jedem Schulabgänger ein individuelles Angebot unterbreitet und ihm zumindest ein Praktikumsplatz vermittelt - 500 zusätzlich im Land, 2 000 zusätzlich seitens der Wirtschaft. Mit den Programmen - Ausbildung plus, Lernprogramm plus -, die Frau von der Leyen jetzt auf den Weg gebracht hat, wird dafür Sorge getragen, dass kein Jugendlicher verloren geht. Es war der Kollege Gabriel, der immer darauf hingewiesen hat, dass das Modell des Emslandes das Vorbildmodell für ganz Niedersachsen sei und dass man im Westen des Landes etwas lernen könne. Das hat er darüber nicht nur gesagt, sondern er hat damals sogar deren Vertreter in die SPD-Fraktion eingeladen. Das Modell des Landkreises Emsland übertragen wir jetzt auf das Land, indem wir uns um jeden einzelnen Betroffenen kümmern und jedem - unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen - eine Perspektive aufzeigen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Zusatzfrage stellt Herr Kollege Voigtländer.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland gibt es derzeit etwa 6 Millionen Jugendliche ohne Schulabschluss bzw. Ausbildungsabschluss. Ich frage die Landesregierung vor diesem Hintergrund: Was hat sie in den vergangenen anderthalb Jahren getan, um die Ausbildungsfähigkeit zu verändern,

(Bernd Althusmann [CDU]: Eine gute Steilvorlage!)

und was hält sie vor diesem Hintergrund von einem Modellprojekt, das jetzt ausgelaufen ist und mit „Region des Lernens“ titelt?

(Karl-Heinz Klare [CDU] - zu Jacques Voigtländer [SPD] -: Gute Frage! Nun sage nicht, dass wir dir dafür Geld zahlen müssen! - Bernd Althusmann [CDU] - zur SPD -: Was ist heute los bei euch? Ich glaube, ihr habt nicht ganz ausgeschlafen!)

Danke schön, Herr Kollege Voigtländer. Das waren definitiv zwei Fragen. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigtländer, besten Dank für diese Steilvorlage. Wir könnten an dieser Stelle eigentlich die Debatten rund um unser Schulgesetz, das im Juni letzten Jahres verabschiedet worden ist, wiederholen. Ich könnte auch die Regierungserklärung noch einmal vortragen, die ich zu Beginn des Schuljahres abgegeben habe und in der ich feststellen konnte, dass die Schulstruktur geglückt ist.

Ich kann Ihnen sagen: Es beginnt bereits bei der Sprachförderung vor der Einschulung.

(Unruhe bei der SPD)

- Die Fundamente eines Bildungswesens müssen richtig gelegt werden,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

damit der Start in die Schule richtig gelingt. Das hat etwas mit Sprachförderung zu tun, das hat etwas mit Sprachkompetenz, Lesekompetenz und anderen Kompetenzen zu tun. Wenn es an der Grundschule funktioniert - da gibt es jetzt mehr Unterricht, und es wird mehr Deutsch und Mathematik gelehrt -, dann werden die Grundfertigkeiten besser vermittelt, und der Start in die weiterführenden Schulen gelingt entsprechend besser.

Wenn Sie auf die Quote der jungen Leute ohne Abschluss, insbesondere im Hauptschulbereich, hinweisen, so kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind es, die das Problem seit Jahr und Tag analysiert und erkannt haben. Wir sind diejenigen, die für die Hauptschulen etwas tun, z. B. dadurch, dass wir die Klassen verkleinern, mit allen Schwierigkeiten, die das vielleicht auch für andere mit sich bringt. Durch uns gibt es mehr Unterricht an den Hauptschulen. Es werden mehr Kenntnisse in Deutsch, Mathematik und in den Grundfertigkeiten vermittelt. Wir gehen auch sehr stark in den Bereich der Berufsvorbereitung hinein. So wird es im nächsten Jahr 60 bis 80 Praxistage geben.

(Lachen bei den GRÜNEN)

- Sie mögen jetzt lachen. Ich weiß gar nicht, was das soll. Sie propagieren Modelle von Einheitsschule 1 bis 10 und nehmen das Thema berufliche Bildung dabei gar nicht in den Fokus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir stärken z. B. auch den Faktor Sozialarbeit an den Hauptschulen. Wir setzen uns sehr stark für mehr Ganztagsschulen ein. In meiner Amtszeit - das sind jetzt 19 Monate - sind mehr Ganztagsschulen genehmigt worden, als Sie in all Ihren Regierungsjahren zustande gebracht habe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ferner hat dieses Parlament im letzten Jahr ein Hauptschulprofilierungsprogramm beschlossen, wodurch deutlich wird, dass die Hauptschulen Priorität haben. Insbesondere Hauptschulen sind zu bedienen, wenn es um Ganztagsschulangebote geht.

Es handelt sich um ein Bündel von Maßnahmen, mit dem wir schrittweise insbesondere in den kritischen Bereichen - dazu zählt in Gottes Namen der Hauptschulbereich - zu besseren Ergebnissen und zu mehr Abschlüssen kommen, sodass wir dann auch sagen können, dass die Vorbereitung für das berufliche Leben, für den Ausbildungsberuf entsprechend besser ist. Erste Zahlen sind auch so, dass wir das jederzeit bestätigen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die zweite und für ihn damit letzte Zusatzfrage stellt Herr Kollege Briese. - Herr Kollege Briese zieht zurück.

(Zuruf von der SPD: Da haben wir aber Glück gehabt!)

Herr Harden!

Die Statistik, die der Wirtschaftsminister Frau Merk übergeben hat, zeigt, dass gerade die Zahl der gut ausgebildeten Bewerber Ende September 2004 erhöht gewesen ist. Der größte Anteil der Bewerber hat eine abgeschlossene mittlere Reife. Es ist zu vermuten, dass die Bewerber, die die mittlere Reife erworben haben, z. B. eine Ausbildung am Wirtschaftsgymnasium machen wollten, d. h. noch eine Stufe draufsetzen und das Fachabitur ma

chen wollten. Ich frage die Landesregierung, was sie für die Realschüler getan hat, die ein Fachabitur machen wollen, aber mangels ausreichender Plätze in den Fachoberschulen keine Zusage bekommen haben.

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der letzten Frage, Herr Kollege, habe ich etwas Probleme, zu erkennen, was genau die Zielrichtung ist. Wir müssten eruieren, ob an unseren Berufsschulen auch für Vollzeitangebote irgendwelche Platzmängel aufgetreten sind, sodass Bewerber nicht entsprechend bedient werden konnten.

Ich will Ihnen gerne sagen: Die Vollzeitangebote unserer beruflichen Bildung erfreuen sich großer Nachfrage. Es ist, wenn man über Schulpolitik insgesamt diskutiert, auch immer wichtig, auf die tollen Möglichkeiten und Chancen gerade der beruflichen Bildung hinzuweisen. Ob es Hauptschüler, Realschüler oder gegebenenfalls auch Gymnasiasten sind, die berufliche Bildung hat für jeden ein gutes Angebot. Das wollen wir auch bei entsprechend höheren Schülerzahlen aufrechterhalten. Wir werden dem aber auch mit ordentlicher Unterrichtsversorgung gerecht.

Ich schulde dem Kollegen Voigtländer noch eine Antwort auf die Frage betreffend „Region des Lernens“. Sie mögen sich bitte erinnern: Die Durchführung dieses Schulversuchs - das ist eine gute Einrichtung - ist nach Ihrer Beschluss- und Willenslage auf drei Jahre bemessen. Daher läuft er zum Ende dieses Jahres aus. Wie es denn weitergeht, werden wir insbesondere heute Nachmittag diskutieren.

Ich muss Ihnen sagen: Der Schulversuch mit all seinen Erkenntnissen war eine gute Maßnahme. Wir haben dadurch miteinander zahlreiche Erkenntnisse gewonnen und müssen nun gucken, wie es weitergeht.

Im ProReKo-Bereich ist - so könnte ich mir vorstellen - Bedarf an auch von uns begleiteter, initiierter Vernetzung, sodass wir eine Begleitung auch in finanzieller Hinsicht möglich machen müssen.

Was den Schulbereich im Übrigen anbelangt, haben alle miteinander - mit welchen Schwerpunktsetzungen auch immer - gute Erfahrungen gewonnen. Sie sehen sich sehr stark auch selbst in der Lage - als Verbund oder miteinander vernetzt -, für die eigene Region angepasste Angebote zu machen. Daher bin ich guter Hoffnung, dass die jeweiligen Regionen mit ihren Schulträgern, ihren Schulen, ihren Schulleitungen und den Lehrerinnen und Lehrern auch ohne staatliche Steuerung, staatliches Geld, staatliche Vorschriften und staatliche Zielsetzungen in der Lage sind, vernünftige Pakete - gegebenenfalls auch aus eigenen Budgets - für die Zukunft zu organisieren. Das alles sieht recht günstig aus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Voigtländer und Herr Kollege Aller, Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gestellt, sodass ich von Ihnen keine weiteren Fragen zulasse. - Eine abschließende Zusatzfrage stellt nun Frau Korter. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kultusminister Busemann hat eben in Beantwortung der ersten Frage von Herrn Voigtländer ausgeführt, welche unglaublichen Anstrengungen diese Landesregierung im Bereich der Sprachförderung unternimmt. Ich muss sagen: Nach der heutigen Dringlichen Anfrage habe ich das Gefühl - das ist auch meine Frage -, dass im Ministerium inzwischen die Devise ausgegeben worden ist „Kürzung ist Stärkung“. Ich denke dabei an die überbetriebliche Ausbildung, die Sprachförderung im Kindergarten, die Sie für Drei- bis Sechsjährige fast halbieren, und das Hauptschulprofilierungsprogramm, das Sie angesprochen haben und für das Sie die Mittel ebenfalls zurückfahren, sowie die Wiederbesetzungssperre für Lehrerinnen und Lehrer zum 1. Februar 2005, die dafür sorgen könnte, dass die Sprachförderung vor der Einschulung nicht mehr klappt. Herr Minister, ist bei Ihnen inzwischen Kürzung Stärkung?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung Herr Minister Busemann!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Korter, was die Finanzierung über- und außerbetrieblicher Maßnahmen für das Haushaltjahr 2005 anbelangt, so darf ich auf die Antwort hinweisen, die Minister Hirche und ich gemeinsam eben bereits vier- bis sechsmal gegeben haben. Wir gehen davon aus, dass dieses Parlament, welches auch das Budgetrecht hat, gemeinsam mit Handwerkern und gemeinsam mit der Regierung die Frage befriedigend löst.

Über die Sprachförderung haben wir bereits gestern debattiert. Andere Länder haben es ins Gesetz geschrieben. Aber wir tun dafür in finanzieller Hinsicht mehr. Wir haben seit August letzten Jahres 288 Vollzeitstellen für Lehrer geschaffen, um an unseren Kindertagesstätten in Vorbereitung für die nachfolgende Schulzeit Sprachförderung durch Grundschullehrer zu machen. Das ist ein Gegenwert von etwa 13 bis 14 Millionen Euro. So etwas hat keine Vorgängerregierung zustande gebracht.