Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Ich erinnere mich sehr genau daran, wie die Landtagsprotokolle verzeichnen: Es war ein gigantischer Erfolg, ein Superverhandlungsergebnis von Schröder, dass es ihm gelungen sei, die AlbrechtStrukturhilfemittel für Niedersachsen in einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich einzubringen und dass unter dem Strich Niedersachsen als Land und auch die Kommunen nachhaltig von diesem Verhandlungserfolg profitieren. Wenn Sie also sagen, 1994 war es ganz schlimm, wie das verändert wurde, dann müssen Sie einmal nachlesen, wie Sie den damaligen Kompromiss zur Aufgabe der Albrecht-Mittel hier im Landtagsplenum abgefeiert haben, dass das ein Verhandlungserfolg von Gerhard Schröder gewesen sei. Da kann ich nur sagen: Nur eines kann richtig sein.

Die andere Bemerkung zur Gewerbesteuer. Ihre eigenen Parteifreunde haben die Forderung nach

der Revitalisierung der Gewerbesteuer im Vermittlungsverfahren am Ende aufgegeben. Warum? Weil sie gemerkt haben, dass das stimmen könnte, was Sie in Ihrem vorhergehenden Beitrag unterstellt haben. Sie haben in Ihrem vorhergehenden Beitrag gesagt - wir werden das im Protokoll nachlesen können -, für die Wirtschaft, für die Freiberufler, die dann auch gewerbesteuerpflichtig werden, ergibt sich keine Mehrbelastung, weil dies ja mit der Einkommensteuer verrechenbar ist. Wenn sich für die aber keine Mehrbelastung ergibt, dann ergibt sich für die Kommunen auch keine Mehreinnahme. Das ist das Prinzip Adam Riese, mit dem Sie hier ständig auf Kriegsfuß stehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SDP)

Diese sich potenziell ergebende Mehreinnahme, die man rechnerisch in den Expertenkommissionen ermittelt hatte, wird durch eine gigantische Bürokratie aufgefressen, und zwar auf beiden Seiten, bei denen, die zahlungspflichtig würden, wie bei denen, die das in den Finanzverwaltungen zu berechnen hätten. Vor diesem Hintergrund ist das Prinzip, das dort vorgeschlagen war, was ja auch ziemlich verquer war, nicht weiter verfolgt worden.

Sie werden einen neuen Anlauf bis 2006 machen müssen. Da Sie das aber nicht vorhaben und auch nicht hinbekommen, werden wir nach 2006 eine durchgreifende, große Steuerreform in diesem Lande machen, damit der einzelne Steuerpflichtige endlich das Gefühl hat, dass er fair und gerecht behandelt wird.

Wir hören seit gestern Morgen von Ihnen, wie Sie die Probleme unseres Landes lösen wollen, nämlich durch immer mehr Steuererhöhungen, durch eine immer stärkere Verbreiterung von Bemessungsgrundlagen und durch die Erzielung von immer mehr Einnahmen.

Unser Ansatz ist ein anderer. Wir werden durch Wachstum, durch die Entfesselung der dynamischen Wachstumskräfte unserer Wirtschaft,

(Lachen bei der SPD)

dafür sorgen, dass in diesem Lande wieder Mehreinnahmen erzielt werden. Dadurch entstehen nämlich auch wieder Verteilungsspielräume. Ein halbes Prozent Wachstum bringt für Niedersachsen 625 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren. Das heißt, nichts ist besser, lukrativer und

wirkungsvoller als ein Wachstum unserer Volkswirtschaft.

Ihr rot-grünes Agieren in Berlin hat dazu geführt, dass wir seit drei Jahren Stagnation haben, dass wir seit drei Jahren faktisch kein Wachstum haben.

(David McAllister [CDU]: Nullwachs- tum!)

Das ist das eigentlich Verhängnisvolle: Alle anderen Industriestaaten um uns herum, in Europa und in der Welt, haben mehr Wachstum als Deutschland. Solange diese Situation anhält, sind Sie mit Ihrer gesamten Politikkonzeption der Steuererhöhungen grundlegend gescheitert. Wir brauchen ein anderes Umfeld in Berlin!

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat noch einmal der Kollege Gabriel.

(Oh! bei der CDU - Bernd Althusmann [CDU]: Mein Gott, der ist ja unbelehr- bar! - Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist doch gut, wenn das Plenum wirklich einmal eine echte Diskussion führt und hier nicht nur Reden vorgetragen werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, erstens. Sie sollten inzwischen eigentlich wissen, dass die Zerlegung der Einkommensteueranteile nicht den Effekt hat, dass bei der Gegenrechnung von Gewerbesteuereinnahmen zu den Einkommensteuerzahlungen die Kommunen die Hauptlast zu tragen haben. Nein, die Hauptlast zu tragen haben der Bund und die Länder. Das ist der Kompromiss der Unternehmensteuerreform 2000 gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe zwar gestern darauf hingewiesen, dass Ihr Kultusminister die Regeln der Mathematik neu erfinden müsste. Aber Sie als Ministerpräsident sollten inzwischen zumindest die Zerlegungsregeln bei der Einkommensteuer kennen.

Zweitens. Wir haben im Jahre 2000 die Steuern gesenkt. Ab dem 1. Januar beträgt der Eingangssteuersatz nur noch 15 % - im Gegensatz zu mehr als 20 % zu Ihrer Regierungszeit.

(Ulrich Biel [SPD]: 25 %!)

Der Spitzensteuersatz betrug in Ihrer Regierungszeit 53 %. Das waren ja fast Zustände wie im Sozialismus, meine Damen und Herren, also wie etwas, was Sie ganz schlimm finden. Ich bin nicht der Befürworter einer Senkung auf 42 %. Das war der Kompromiss bei der Unternehmensteuerreform, damit Rheinland-Pfalz zustimmen konnte. Mir würden 45 % reichen.

Sie sind diejenigen gewesen, die in Ihrer Regierungszeit gigantische Steuersätze in Deutschland produziert haben, nicht wir, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie hier über Wachstum reden, dann sage ich Ihnen, das Haupthindernis für Wachstum in Deutschland sind die hohen Lohnnebenkosten. Das wissen Sie doch. Und wenn das so ist, dann frage ich mich: Warum haben Sie eigentlich dafür gesorgt, dass die Lohnnebenkosten ins Gigantische explodiert sind, nämlich dadurch, dass Sie die deutsche Einheit nicht von allen haben bezahlen lassen, sondern nur von Arbeitern und Angestellten in Deutschland?

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Bis 1998 musste für die 17 Millionen Menschen aus der ehemaligen DDR kein Beamter, kein Selbstständiger, kein Minister, kein Abgeordneter auch nur eine müde Mark Beiträge zu den Sozialversicherungen zahlen. Das haben nur Arbeiter und Angestellte und die mittelständischen Unternehmer tun müssen. Das ist doch der Grund, warum wir heute so hohe Lohnnebenkosten haben. Das sind die Wachstumshemmnisse.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ich bin dafür, dass wir mit den Lohnnebenkosten herunterkommen, damit es mehr Wachstum gibt. Das bedeutet aber, dass Sie Ihre Planungen einstellen müssen, nach einer vielleicht gewonnenen Bundestagswahl die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Die Mehrwertsteuer dürfen Sie nur dann erhöhen, wenn Sie das Geld nutzen, um die Lohnnebenkosten zu senken, aber nicht, damit Ihr Finanzmi

nister mehr Geld in die Kasse bekommt, meine Damen und Herren.

Dann zum Thema Steuerreform der CDU, die Sie ja sehr befürworten. Ich sage Ihnen einmal, was Sie da machen. Sie machen nichts anderes, als dass Sie im Wesentlichen für Leute, die schon viel haben, die Steuern auf einen Spitzensteuersatz von 38 % senken wollen. Damit bedienen Sie die Ackermänner dieses Landes, meine Damen und Herren. Die kriegen die Steuersenkung noch geschenkt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, weil das mit dem Rechnen anscheinend etwas schwierig ist: Sagen Sie doch Ihren Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag, dass eine Steuersenkung, wie Sie sie vorhaben - mal ganz jenseits des Irrsinns mit der Kopfpauschale, also ohne das, was Sie da auch noch an Steuermehrausgaben produzieren -, Niedersachsen jedes Jahr 450 Millionen Euro kosten wird. Wenn Sie Steuern senken, dann haben Sie erst einmal weniger in der Kasse. Sie sagen, das wird sich dann durch Wirtschaftswachstum ausgleichen. Mindestens in den ersten Jahren haben Sie hier eine halbe Milliarde Euro weniger für Schulen, für Sozialpolitik. Sie haben doch den Blinden jetzt schon das Geld weggenommen. Was wollen Sie denn danach machen? Die Rollstühle für Behinderte in Niedersachsen abschaffen?

(Starker Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, Sie zeigen in diesem Haushalt, wie Sie agieren wollen. Sie schonen beim Subventionsabbau Ihre Klientel und die Steuerprivilegien der Grundstücks- und Aktienbesitzer. Als Nächstes haben Sie vor, denen auch noch die Einkommensteuersätze auf 38 % zu senken. Das ist Ihre Politik. Da Sie dann zu wenig an Geld im Haushalt haben, kürzen Sie die Mittel für die Sprachförderung bei den Kindern und den Blinden das Blindengeld. Das ist Ihre Politik. Den einen wird viel gegeben, und den anderen lassen Sie kaum noch etwas. Das ist Ihre Form. Das ist der Wulff‘sche Dreisatz: immer gegen Kinder, gegen Behinderte und gegen Kommunen, meine Damen und Herren!

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD - Lebhafter Widerspruch bei der CDU - Weitere Zurufe von der CDU: Pfui!)

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich schätze, wenn man diskutiert und sich darüber austauscht, wie die Lage unseres Landes ist. Ein Problem von Ihnen, Herr Gabriel, ist - das ist auch zugestanden -, dass Sie die Auseinandersetzung auf der bundespolitischen Bühne wollen, anstreben, brauchen, und wir gönnen sie Ihnen. Wir stehen mit Sicherheit nicht im Wege, wenn Sie 2006 in den Deutschen Bundestag einziehen wollen und dort einen neuen Aufschlag versuchen. Die Frage ist nur, ob Sie dadurch die Debatte im Niedersächsischen Landtag bereichert haben - das kann man im Protokoll nachlesen -, indem Sie jedes Mal, wenn hier Einlassungen waren, bei der Erwiderung ein neues Fass aufgemacht haben. Dann ist eine Debatte über die jeweiligen Punkte natürlich außerordentlich schwierig.

Die Lage, in der wir uns jetzt befinden, ist die, dass Ihre mittelfristige Finanzplanung, Herr Gabriel, aus dem Jahre 2002 für das kommende Jahr an Einnahmen 2 650 Millionen Euro mehr vorhergesagt hat, als tatsächlich eingehen werden. Diese 2 650 Millionen Euro sind die Erblast, die Sie uns im Hause hinterlassen haben. Niemand hat mehr Schulden gemacht als Sie in Ihren Regierungsjahren als Niedersächsischer Ministerpräsident.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Über 2 Milli- arden!)

Wir zahlen heute jeden Tag wegen Ihres Desasters, das Sie hinterlassen haben. Rot-Grün hat 1990 bis 2003 die Verschuldung des Landes verdoppelt. Kein anderes Bundesland in Deutschland hat in diesem Zeitraum die Schulden so stark gesteigert wie Sie in Ihren 13 Regierungsjahren - erst Rot-Grün und dann Rot - in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU)

Wir zahlen jeden Tag 7 Millionen Euro Zinsen, jede Woche 50 Millionen Euro Zinsen. Damit könnte ich eine ganze Menge an Solidaritäts-, an Unterstützungs- und an Hilfsmaßnahmen machen. Aber Sie haben die Solidarität, die Sie geheuchelt haben, immer dann gemacht, als das Geld gar nicht zur

Verfügung stand, nämlich auf Kosten kommender Generationen. Das ist der unglaubliche Vorgang.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn ich heute auch noch die 2,65 Milliarden Euro hätte, die wir jetzt für die im Wesentlichen von Ihnen aufgenommenen Schulden zahlen müssen, dann hätte ich über 5 Milliarden Euro und könnte in diesem Land eine Politik machen, die sich von Ihrer wohltuend abhebt und die Anschluss findet an die Länder Bayern, Baden-Württemberg und andere, die sehr viel weniger Zinsen zu zahlen haben als wir, weil dort wesentlich weniger Schulden gemacht worden sind. Das ist die Problemlage, mit der wir uns auseinander zu setzen haben. Ich mache eine Politik nicht mit, die uns in 20 Jahren jungen Leuten nicht glaubhaft in die Augen dafür schauen lässt, dass wir jetzt das Notwendige gemacht haben, was gemacht werden muss.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich finde es absolut unerträglich, nicht nachhaltig und nicht generationengerecht, dass wir den 20Jährigen, die den Landtag besuchen, um sich die Debatten anzuhören, zumuten: Ihr sollt mehr Kinder in die Welt setzen, als wir bereit waren, in die Welt zu setzen, ihr sollt Karriere machen, obwohl eure Aussichten auf Karriere schlechter sind, ihr sollt die sozialen Sicherungssysteme tragen, aber später, wenn ihr darauf angewiesen seid, werden die euch nicht mehr tragen, und deswegen sollt ihr auch noch zusätzlich privat vorsorgen. - Das ist das Signal dieser Gesellschaft an die junge Generation. Die jungen Leute werden dann auswandern, sie werden ins Ausland flüchten, Schwarzarbeit nachgehen, denn sie fühlen sich in diesem Lande bei Politikern wie Ihnen, die ständig die Zukunft verfrühstücken, nicht mehr geborgen.