Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ein Härtefall ist, ist natürlich eine spannende Frage. Der Fall, den die Kollegin Merk gerade vorgetragen hat, ist es aber mit Sicherheit nicht.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Was reden Sie denn da!)

Sie haben im Übrigen noch elf andere Fälle strittig gestellt. Dabei ist es Ihnen egal, dass die Eltern Gesetzesverstöße begangen haben, indem sie beispielsweise eine Scheinehe mit deutschen Staatsbürgern eingegangen sind. Sie schildern nur die Situation dieser einen Familie und sagen: Diese Familie lebte über Jahre hinweg in Deutschland, und die Kinder können doch nicht für das bestraft werden, was ihre Eltern gemacht haben.

(Heidrun Merk [SPD]: Zuruf von der SPD: Die Eltern auch nicht!)

Meine Damen und Herren, das ist eben nicht die Definition, die wir uns für Härtefälle vorstellen.

Außerdem muss man auch einfach berücksichtigen, dass stichtagsbezogene Regelungen gültig sind. Sie können nicht erst einen Stichtag festlegen und dann sagen, in einzelnen Fällen sei ein Plus oder ein Minus von Wochen oder Monaten zu berücksichtigen.

Schließlich müssen Sie sich auch noch einmal vor Augen führen, dass der Petitionsausschuss kein Wünsch-dir-was-Ausschuss ist,

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

sondern dass wir eine große Verantwortung haben und bei unseren Entscheidungen auch würdigen müssen, ob wir damit Präzedenzfälle schaffen; denn das, was wir bei der einen Petition gelten lassen, muss selbstverständlich auch für alle ähnlich gelagerten Fälle gelten.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Ge- nau das haben wir befürchtet: Jetzt lassen Sie die Maske herunter! Nur leere Versprechungen!)

Bei der Frage, ob es sich um einen Härtefall handelt, müssen wir natürlich auch sehen, dass die Ursache häufig darin liegt, dass die Eltern das Asylverfahren über Jahre hinweg betrieben haben, obwohl von Anfang kaum Aussicht auf Erfolg bestand, weil in jeder Instanz das Asylrecht nicht gewährt wurde.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Asylverfahren ziehen sich oft über zehn Jahre und länger hin. Der Aussage der Kollegin Merk, hier habe die Gesellschaft eine Verpflichtung gegenüber den Kindern, möchte ich zumindest in solchen Fällen deutlich gegenüberstellen: Hier haben auch die Eltern eine Verpflichtung gegenüber ihren Kindern.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wer ohne Aussicht auf Erfolg über Jahre hinweg Asylverfahren anstrengt und in jeder Instanz scheitert, der hat auch im Interesse seiner Kinder, die er aus dem Heimatland mitgebracht hat

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Die sind hier geboren! Hier ist ihr Heimat- land!)

- oder die hier in Deutschland geboren sind -, eine Verpflichtung. Denn wenn das Asyl zu Unrecht beantragt worden ist, kann die Konsequenz durchaus sein, dass man wieder in die Heimat zurückkehrt.

Diese Verpflichtung haben die Eltern, haben Vater und Mutter gegenüber ihren Kindern. Eine Verpflichtung ist nicht ausschließlich gegenüber dem Staat einzuklagen.

(Zuruf von der SPD: Und das ist christlich?)

Vor diesem Hintergrund werden wir alle Petitionen, die Sie strittig gestellt haben, mit der Entscheidung „Sach- und Rechtslage“ belegen. Wir halten nach intensiver und zeitaufwändiger Beratung im Fachausschuss und im Petitionsausschuss, wo wir uns wirklich sehr intensiv mit jedem Einzelfall befasst haben, die mehrheitlich getroffene Entscheidung und Empfehlung für richtig: „Sach- und Rechtslage“. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Kollegin Heiligenstadt zu Wort gemeldet. Sie haben noch 45 Sekunden Restredezeit, Frau Kollegin Heiligenstadt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Böhlke, Sie sollten sich überlegen, über welche Fälle Sie hier reden, bevor Sie nach vorne kommen. Nur dann können wir den Petitionen auch gerecht werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich rede zu der Petition 1435. Es handelt sich um eine serbisch-montenegrinische Familie, jedenfalls ausweislich der Reisepässe, die sie 2002 bekommen haben. Diese Familie ist seit 1992 in der Bundesrepublik und lebt in Cuxhaven. Sie ist mit zwei kleinen Kindern eingereist, und ein Kind ist hier in Deutschland geboren. Beide Eltern arbeiten seit 2002. Beide Kinder sind voll integriert. Die Frau stammt aus Serbien, der Mann aus Kroatien.

Die Familie lebte in Novi Travnik im heutigen Bosnien-Herzegowina. Dorthin kann sie aus religiösen Gründen nicht wieder zurückkehren. Jetzt soll die Familie nach Serbien-Montenegro abgeschoben werden. Meine Damen und Herren, Sie schieben diese Familie in ein fremdes Land ab, in dem die Kinder nicht geboren sind, in dem sogar ein Elternteil nicht geboren ist und das nicht ihre Heimat ist. Wissen Sie, wo ihre Heimat ist? Ihre Heimat ist in Cuxhaven in Niedersachsen, hier in der Bundesrepublik Deutschland.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Diese Familie wollen Sie abschieben. Sie wollen nicht nur die Altfallregelung nicht beachten, sondern Sie wollen die Menschen auch noch in ein fremdes Land abschieben. Das ist die Besonderheit in diesem Fall. Ich bitte ausdrücklich um „Berücksichtigung“. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zu den inhaltsgleichen Eingaben Frau Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Polat!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu den acht Eingaben mit den Nummern 1119 f. Zunächst möchte ich aber noch ein Wort an Sie richten, Herr Böhlke. Ich stelle nämlich infrage, dass sich der Petitionsausschuss intensiv mit diesen Eingaben beschäftigt hat. Ich kann nur feststellen, dass die CDU in der letzten Sitzung des Ausschusses Schwierigkeiten hatte, die Mehrheit zu bekommen. Herr Böhlke musste seinen Kollegen hinterher telefonieren, damit sie überhaupt an der Sitzung teilnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nun zu den Eingaben. Auch ich spreche von einer Familie aus Cuxhaven, vor der ich sehr viel Respekt habe. Die Familie hat zwei kleine Kinder, und sie hat sich hier vollkommen integriert. Die Eltern engagieren sich ehrenamtlich. Sie haben immer gearbeitet, zum Teil haben sie Arbeiten angenommen, die kein Deutscher annehmen würde.

Ich möchte feststellen, dass diese Eltern ihre Vorsorgepflicht gerade nicht verletzten, denn sie haben Angst um ihre Kinder und versuchen alles, um ihre Kinder in Sicherheit aufwachsen zu lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Petenten, hier die Firma Appel, spricht von engagierten Mitarbeitern. Die evangelisch-lutherische Gnadenkirche zu Cuxhaven erklärt, dass der Vater sich an jedem Samstag um die offene Kinder- und Jugendarbeit kümmert, und das schon seit vielen Jahren. Auch der Sportverein spricht sich für die Familie aus und betont, dass der Vater die C- und B-Jugend betreut. Diese Familie zeigt sich sehr vorbildlich und engagiert.

Nun hat die Mutter ein Kind verloren, das Mitte der 90er-Jahre mit Mehrfachbehinderungen geboren wurde. In dieser Zeit hat sie Sozialhilfe bezogen und das hält ihr der Petitionsausschuss jetzt vor! Meine Damen und Herren, ich frage sie: Wie soll die Mutter eines mehrfach behinderten Kindes, das zudem noch nach einem Jahr verstorben ist, arbeiten? Der Vater arbeitete zu der Zeit für 2 DM auf der Straße. Hier werden Leute in die Sozialhilfe gezwungen und dann ihrem Schicksal überlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Schauen Sie sich die Situation im Kosovo an! Das BAMF sagt, dort sei eine angemessene psychologische Behandlung der Frau - die durch die Ereignisse im Kosovo und durch den Tod ihrer Tochter traumatisiert ist - möglich. Ich habe mit einer Psychologin im Kosovo gesprochen und erfahren, dass die erforderliche Behandlung dort eben nicht gewährleistet ist. Die Mitarbeiter des Büros vor Ort informieren das BAMF angeblich bewusst falsch.

Deshalb ist es sehr fragwürdig, wenn auch wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage von falschen Informationen an das BAMF treffen. Damit überlassen wir vielleicht Menschen einem Schicksal, das nicht zu vertreten ist. Wir alle und gerade die Mitglieder des Petitionsausschusses müssen diese Informationen hinterfragen, denn wir agieren hier als Abgeordnete und müssen jeden Petenten ernst nehmen. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Der nächste Redner ist Herr Kollege Rickert von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Rickert!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich rede zu den insgesamt acht Petitionen, bei denen es sich um Familien aus dem Kosovo, aus Jugoslawien, Serbien-Montenegro und Vietnam handelt. Es ist in der Tat so, dass sich hinter jeder dieser Petitionen ein bewegendes Einzelschicksal verbirgt. Ich kann an dieser Stelle nicht auf jeden einzelnen Fall eingehen. Dies haben wir im Ausschuss mit dem gebotenen Ernst und sehr ausführlich getan. Ich finde es unfair, von einer Ausschusssitzung auf die Arbeitsweise des Petitionsausschusses in den letzten 20 Monaten zu schließen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese Familien sind vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Einige sind sogar durch juristische Verfahren durch mehrere Instanzen rechtskräftig geworden. Die Schicksalhaftigkeit dieser Petitionen ergibt sich durch die Verfahrensdauer.

Alle diese Familien sind Anfang der 90er-Jahre illegal eingereist. Es waren Kleinkinder dabei, und es sind im Laufe der Jahre weitere Kinder in Deutschland geboren worden. Alle Kinder sind in Deutschland zur Schule gegangen und haben am Schulleben teilgenommen. Im Wesentlichen haben diese Familien den Lebensunterhalt nicht allein tragen können. Sie waren über Jahre auf öffentliche Leistungen angewiesen, und zwar zum Teil, Frau Merk, in nicht unbeträchtlicher Weise.

Damit gilt auch nicht die Altfallregelung, nach der zum Stichtag 10. Mai 2001 die Betroffenen zwei Jahre erwerbstätig sein mussten. Auch die von Ihnen, Frau Merk, beschriebene Familie bezieht erst seit 2002 Einkommen.

(Zuruf von Heidrun Merk [SPD])

In allen Fällen wurden aus verschiedenen Gründen vorübergehende Duldungen ausgesprochen, und zwar aus Krankheitsgründen oder auch deshalb, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Schulausbildung zu beenden. Den Petenten war aufgrund der Rechtsvorgänge und Rechtsdiskussionen jederzeit klar, dass die Ausreisepflicht wei

ter bestand. Sie wurden ja zum Teil auch anwaltlich beraten. Insofern ähneln diese Biografien derjenigen Biografie der vietnamesischen Familie, die wir vorhin gelegentlich des Kirchenasyls diskutiert haben.

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)