Protokoll der Sitzung vom 26.01.2005

Herr McAllister, ich teile Ihre Einschätzung, dass Toleranz nicht allein durch Gesetze erreicht werden kann. Aber sagen Sie doch einmal: Was machen Sie mit Ihrer Politik eigentlich dafür, dass wir ein tolerantes weltoffenes Niedersachsen haben? Glauben Sie etwa, dass die Demontage der Stellen der Frauenbeauftragten die Diskriminierung von Frauen reduziert? Glauben Sie etwa, dass die Streichung des Blindengeldes die Diskriminierung von Blinden verhindert?

(Sigrid Leuschner [SPD]: Ja, genau! - Zurufe von der CDU - Glocke des Präsidenten)

Wenn Sie wollen, meine Damen und Herren, dass eine Kultur der Toleranz und Antidiskriminierung wie in angelsächsischen Ländern oder wie auch in nordeuropäischen Ländern in Niedersachsen Einzug hält, dann müssen Sie eine entsprechende Politik betreiben. Was die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit angeht, so plädiere ich dafür, dass wir nicht nur bei der Kritik am Antidiskriminierungsgesetz, sondern auch beim Gesetz selbst die Kirche im Dorf lassen. Wir sind für ein

schlankes Gesetz. Wir sind für ein Gesetz, das als Ultima Ratio auch den Betroffenen, den Diskriminierten, Rechte an die Hand gibt, damit es Fernwirkung erzielt, so wie in § 611 a BGB, dessen Verabschiedung FDP und CDU veranlasst haben.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Auf der Basis muss das gemacht werden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Minister Hirche. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den eindrucksvollen Reden von Herrn Rösler und Herrn McAllister hat selbst Herr Oppermann deutlich gemacht - ich hatte das gar nicht erwartet -, dass diese Bemühungen von Rot-Grün völlig überflüssig sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sein Hinweis auf § 611 a BGB - es gebe da auch noch einige andere Dinge - zeigt, dass dieser Gesetzentwurf wirklich überflüssig ist. Und was überflüssig ist, meine Damen und Herren, ist schädlich.

Im Übrigen - hier muss ich Herrn McAllister korrigieren - ist dieser Gesetzentwurf gar kein Regierungsentwurf. Die Bundesregierung hat sich auf diese Formulierungen nicht verständigen können, weil Frau Zypries handfeste Einwendungen hatte, weil der Wirtschaftsminister handfeste Einwendungen hatte und weil, wie ich weiß, auch das Bundeskanzleramt handfeste Einwendungen hatte.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Das ist doch permanent so, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist der Versuch von Rot-Grün, etwas Neues einzuführen, um die Gesellschaft zu bürokratisieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Niemand kann etwas dagegen haben, dass - so steht es ja auch in der europäischen Verfassung eine EU-Richtlinie 1 : 1 umgesetzt werden muss. Das gilt um so mehr, als ihr Grundtenor der gemeinsamen Auffassungen aller Fraktionen entspricht.

Aber mit dem, was hier formuliert wird, wird Unfrieden in die Gesellschaft getragen, anstatt dass ungelöste Probleme gelöst werden. Das ist der eigentliche Kritikpunkt. Dieser Gesetzentwurf enthält wolkige Formulierungen. Die Ausnahmen sind gleich zu der Regel hinzu geschrieben worden, ohne dass man sie schon abschließend aufzählen könnte.

Meine Damen und Herren, übrig bleibt, dass dieser Gesetzentwurf einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellt und alles auf den Kopf stellt, was in diesem Zusammenhang bisher in Deutschland gegolten hat.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Vertrags- freiheit heißt nicht, Freiheit zu diskri- minieren!)

Alles in Deutschland ist in die Regeln des Grundgesetzes eingebettet, meine Damen und Herren. Insofern ist auch der Grundsatz der Vertragsfreiheit längst in seinen Grenzen und Beschränkungen geregelt. Deshalb bedarf es eines solchen Gesetzentwurfs überhaupt nicht.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen voraus, es werden bestimmte Dinge gerichtsverwertbar dokumentiert werden müssen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das weiß man nicht!)

Das macht für einen Konzern mit einer Rechtsabteilung überhaupt keine Probleme. Der kleine Mittelständler hingegen kann das nicht auch noch schultern.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Was wird er also am Ende tun? - Er wird auf Einstellungen verzichten. - Meine Damen und Herren, was hier betrieben wird, ist eine Vertreibung von Arbeitsplätzen aus Deutschland.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist ein Programm zur Versenkung des Mittelstands, wenn hier an bestimmten Stellen eine

verschuldensunabhängige Haftung eingeführt wird; Herr Oppermann, Sie wissen das ganz genau.

(Thomas Oppermann [SPD]: Sie ha- ben die Versenkung des Mittelstandes schon dreimal angekündigt! Das ist aber noch nie passiert!)

Ich kann die Kaskaden im Einzelnen nicht aufzählen und möchte deshalb nur auf einen Punkt aufmerksam, obwohl er schon genannt worden ist: Es ist zu erwarten, dass junge Rechtsanwälte, die ihre Existenz noch nicht gesichert haben, vor den Diskos Jugendliche einsammeln, die nicht eingelassen worden sind, um so etwas wie Abmahnvereine zu organisieren. Jeder, der nicht eingestellt wird, wird dann auch noch wegen Diskriminierung klagen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! - Stefan Wen- zel [GRÜNE]: Großer Quatsch!)

Ich finde es bemerkenswert, was in dem Leitartikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von gestern dazu stand. Zunächst wurde dargestellt, wie schwierig es sein dürfte, bestimmte Nachweise zu führen. Und dann hieß es:

„Wer den Schutz so weit zieht, der schützt vielleicht auch die Falschen: Wird künftig auch der Besitzer eines Resthofes in der Heide vor Gericht stehen, weil er sich geweigert hat, sein Haus an eine Neonazi-Truppe zu vermieten, die ein Schulungszentrum aufbauen wollte?“

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Es geht doch um Massengeschäfte! Das wis- sen auch Sie!)

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf schafft eine Fülle von Unsicherheiten in der Gesellschaft und präjudiziert geradezu gerichtliche Auseinandersetzungen, weil Arbeitgeber und Einzelpersonen, z. B. Mieter, nicht wissen, woran sie sind.

Die Idee der Grünen ist, die Moral gesetzlich zu verankern. Aber das, meine Damen und Herren, kann man in dieser Gesellschaft nicht.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Die Werte müssen von sich aus gelebt werden. Das kann nicht durch ein Gesetz vorgeschrieben werden.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich am Schluss: Ich akzeptiere, dass Sie das gut gemeint haben. Darum geht es auch gar nicht. Aber gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Lassen Sie es mich mit einem anderen Bild sagen: Wenn zwei linke Hände helfen wollen, dann geht das selten gut!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der Kollege McAllister hat noch einmal um das Wort gebeten. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch ganz kurz auf einen Punkt eingehen, den Herr Oppermann vorgetragen hat.

Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen sieht vor, dass nicht nur die beiden Tatbestände, die in den EU-Richtlinien genannt werden - nämlich Rasse und ethnische Herkunft -, als Diskriminierungstatbestände aufgenommen werden, sondern auch die Tatbestände Alter, Behinderung, Rasse, Religion und sexuelle Orientierung.

Meine Damen und Herren, wenn Sie schon diesen Weg gehen - den wir aus vielerlei Gründen ablehnen -, dann fehlt die gesellschaftliche Gruppe in Deutschland, die im Mietrecht am meisten benachteiligt wird, nämlich die der jungen Familien mit Kindern. Die haben es am allerschwersten, eine Wohnung zu finden. Allein das zeigt, dass Ihr Gesetzentwurf letztlich ideologisch begründet ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Wenzel, Ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck hat gesagt, dieser Gesetzentwurf sei ein Meilenstein in der Gesellschaftspolitik der rotgrünen Bundesregierung. Das mag sein. Damit zeigen Sie aber auch auf, welche gesellschaftspo

litischen Unterschiede zwischen CDU und FDP auf der einen Seite und Rot-Grün auf der anderen Seite bestehen. Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch thematisieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. - Wir kommen zu

d) Käfiglobbyist Ehlen will Freilandhaltung in die Pfanne hauen - unseriöse Debatte über Dioxinbelastung im Ei - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1640