Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

war das eindeutig. Und wo der Minister überall Liebe genossen hat, geht den Landtag nun wirklich nichts an.

(Walter Meinhold [SPD]: Das stimmt! - Bernd Althusmann [CDU]: Die CDU auf dem Weg zur Weltherrschaft!)

Ohne Kontext, meine Damen und Herren, sind Sätze übrigens auch mit Großschreibung nicht immer eindeutig zu verstehen. So gibt es für den folgenden Satz - jetzt müssen Sie gut zuhören, Herr Althusmann - bei gleicher Schreibweise sehr unterschiedliche Lesarten, nämlich entweder „Die Landesregierung geht mit der Zeit“ oder „Die Landesregierung geht mit der Zeit“. Sie sehen: Wir Grünen sind mit unserem Antrag unserer Zeit voraus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Kollege Poppe zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anträge zur Rechtschreibreform, die heute zur zweiten Beratung anstehen, wurden im letzten Jahr in einer Phase heftiger Kontroversen um diese Reform vorgelegt.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Viele mögen sich möglicherweise kaum noch an das große Getöse erinnern, mit dem der Herr Ministerpräsident im Sommer letzten Jahres die Rechtschreibreform für gescheitert erklärt hat, kurz nachdem Niedersachsen dieser Umsetzung mit Ihrer Stimme, Herr Kultusminister Busemann, zugestimmt hatte. Es war der Beginn einer populistischen Kündigungswelle, aus der letztlich so gut wie nichts geblieben ist. Ich muss nicht wieder all das aufgreifen, was Frau Korter beschrieben hat.

Herr Busemann hat einige Pirouetten drehen müssen, hat dann aber doch den KMK-Beschlüssen zugestimmt. Am 1. August 2005 wird, wie geplant, die reformierte Rechtschreibung verpflichtend. Ergänzend wird der Rat für deutsche Rechtschreibung Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Rechtschreibung unterbreiten. Er ist in diesen Tagen erstmals zusammengetreten.

Die Mehrheit in diesem Hause wird jedoch, wenn sie sich so wie im Ausschuss verhält, den Antrag der SPD-Fraktion, der die Beibehaltung der Reform zum Inhalt hat, mit der Begründung ablehnen, das alles sei ja schon erfüllt.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist toll! Nicht wahr?)

Zum wiederholten Male lautet der schlagende beweiskräftige Spruch: Da trifft jedes Argument zu. Das müssen wir unbedingt ablehnen. - Das erinnert mich an Metternichs Ausspruch über Heinrich Heine: Vorzüglich! Vorzüglich! Muss sofort verboten werden!

(Zustimmung von der SPD)

CDU und FDP standen im Ausschuss vor der Wahl, entweder Einsicht oder Starrköpfigkeit und Ignoranz zu demonstrieren. Sie haben sich für die Ignoranz entschieden. Nun könnte man so viel Verbohrtheit je nach Geschmack lächelnd oder kopfschüttelnd übergehen. Dadurch würden aber einige Aspekte der damaligen Debatte allzu schnell verdrängt. Vor allem gilt es zu betonen: Den Drahtziehern des orthografischen Sommertheaters ging es in erster Linie gar nicht um Schreibweisen und Trennungsregeln, sondern es ging ganz kühl kalkuliert um mediale Machtausübung - und das auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD - Walter Meinhold [SPD]: Jawohl!)

Schon seit April 2004 hatten die Herren Döpfner, Schirrmacher und Aust ihren Coup gegen die Rechtschreibreform geplant. Sie wollten mit den Springer-Blättern, dem Spiegel und der Süddeutschen bei einem gemeinsamen Termin mit einem Paukenschlag zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Zu diesen Machtspielchen gehörte der Vorstoß des Herrn Ministerpräsidenten. Wie sonst ist es zu erklären, dass er laut Focus noch im November 2003 an die Spachwissenschaftlerkommission schrieb - ich zitiere -, „dass die Reform wohl nicht aus der Welt zu schaffen ist, ohne erneut Schaden anzurichten.“ Im Sommer 2004 nahm er genau diesen Schaden billigend in Kauf.

(Roland Riese [FDP]: Verschwö- rungstheorie!)

Ein weiteres Problem besteht leider darin, dass es der Debatte von Anfang an an Sachlichkeit und Fachlichkeit mangelte. Das war auch in der ersten Beratung des Themas hier im September-Plenum nicht anders. Dabei hätte man durchaus mit einiger Berechtigung darüber diskutieren können, ob alle Regelungen konsequent und durchdacht sind. Und schon seit Jahrzehnten gibt es die Diskussion um die gemäßigte Kleinschreibung, die durchaus Gründe für sich hat. Aber es kam anders. Ich lasse jetzt einmal die plumpen Spielchen aus der damaligen Debatte um Trennungen, die zum Teil auch noch falsch vorgetragen worden sind, und alle an den Haaren herbeigezogenen Beispiele weg. Ich möchte nun, da die große Emotionalität abgeebbt ist, lieber ein paar allgemeine Anmerkungen vorbringen, die eigentlich fast selbstverständlich sein sollten, die aber in diese Debatte gehören:

Erstens. Die Schreibung war und ist immer dem Wandel unterworfen. Festlegungen der Rechtschreibung gibt es in Deutschland aber erst seit gut 100 Jahren. Wenn sich Goethe wegen dieser Reform möglicherweise im Grabe umgedreht hat, wie ich gelesen habe, dann höchstens vor Lachen, weil er noch keine Rechtschreibpingeligkeit kannte.

Zweitens. Ausgangspunkt der Reform war u. a. der verbreitete Ärger über die Widersprüchlichkeiten und die fehlende Logik der alten Rechtschreibung. Wer zu dieser zurückkehrt, kehrt auch zu der Fülle der darin enthaltenen unsinnigen bzw. schwer nachvollziehbaren Detailregelungen zurück. Wer sich aber für die Reform entscheidet, der darf das auch in dem Wissen tun, dass ein Regelwerk kein starres Zwangsinstrument ist und dass Weiterentwicklungen immer möglich waren und sind. Es wird auch immer Ausnahmen von diesen Regelungen geben. Sprache ist lebendig und muss es auch bleiben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Drittens. Die Veränderungen durch die Neuregelungen werden maßlos übertrieben. Sie betreffen nur einen geringen Prozentsatz. Je nach Zählung sind sie verschieden, liegen aber in jedem Fall unter 5 % von allgemein gebräuchlichen Wörtern. Die allermeisten Fehler, die heute in Alltagstexten, in Schülerarbeiten, in der Werbung und auf Zeitungsseiten zu finden sind, haben überhaupt nichts mit alter und neuer Rechtschreibung zu tun. Sie sind nach beiden Regelwerken einfach falsch. Darum stimme ich ausdrücklich Dieter E. Zimmer zu, einem der klügsten Begleiter der Reformdebatte seit Jahrzehnten, der in der Zeit im August 2004 schrieb: Das Sprachbewusstsein komme nicht wegen irgendeiner Rechtschreibreform abhanden, „sondern weil die Leute aus der Schrift- in die Bildkultur abwandern und immer weniger, immer unwilliger und immer unaufmerksamer lesen.“

(Zustimmung bei der SPD)

„Um die weitere Ausbreitung der Schreibschwäche zu stoppen, müsste diese Leseschwäche überwunden werden“, so Dieter E. Zimmer. Meine Damen und Herren, wenn wir das aus der Debatte mitnehmen und uns gemeinsam um die bessere Lesefähigkeit unserer Schülerinnen und Schüler bemühen, dann - aber nur dann - hat der Streit letztlich doch noch einen Sinn gehabt. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Als Nächste hat die Kollegin Ursula Körtner von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Chance, den offiziellen Termin für die Einführung der Rechtschreibreform über den 1. August 2005 hinauszuschieben, um grundsätzliche Positionen noch einmal neu zu bestimmen - genau das hat der Niedersächsische Ministerpräsident zu erreichen versucht -,

(Walter Meinhold [SPD]: Er hat es versucht!)

wegen fehlender Mehrheiten nicht genutzt werden konnte, hat die Ministerpräsidentenkonferenz einen Kompromiss gesucht, um die schlimmsten Unwuchten dieser Reform doch noch zu verhindern.

(Walter Meinhold [SPD]: Er wollte zu- rück, Frau Körtner!)

Einzelne Teile der Reform werden nun vom neu gebildeten Expertenrat, dem Rat für deutsche Rechtschreibung, welchem Gegner und Befürworter angehören, bis zum Stichtag 31. Juli 2005 geprüft. Vorgesehen ist dabei die Mitwirkung von Sprachwissenschaftlern, Verlagen und Journalisten. Dem Rat sollen 18 deutsche Vertreter angehören; dazu kommen neun aus Österreich und neun aus der Schweiz.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Er tagt schon, Frau Kollegin!)

Die SPD-Kultusministerin Ahnen betont nun, es sei wichtig, die Diskussion nicht nur unter Wissenschaftlern zu führen, und man habe deshalb beschlossen, Praktiker in den Rat zu holen. Völlig unverständlich ist, warum man zu dieser Einsicht erst jetzt gekommen ist. Vielleicht wäre uns allen durch die frühzeitige Einbindung von praktischem Sachverstand einiges erspart geblieben, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Nun soll im neu gegründeten Rat für deutsche Rechtschreibung festgestellt werden, welche Neu

erungen der Reform wirkliche Verbesserungen sind. Früher war einmal Konsens: Wenn man eine Reform macht, dann muss sie Verbesserungen bringen und wird deshalb umgesetzt. Bringt sie keine Verbesserungen, wird sie nicht umgesetzt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Claus Peter Poppe [SPD]: Das haben die Kultusminister mit be- schlossen!)

Jetzt stellt sich allerdings die Frage: Was passiert, wenn der neu gebildete Rat mit seinen Entscheidungen nicht fertig wird,

(Claus Peter Poppe [SPD]: Gar nichts!)

wenn es also nicht pünktlich zur Reform der Reform kommt?

(Claus Peter Poppe [SPD]: Kommt es!)

Wird dann diese Rechtschreibreform, die eher Verwirrung als Klarheit bringt, mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihren inzwischen unbestritten unsystematischen und unlogischen Teilen unseren Kindern trotzdem übergestülpt, also zwanghaft verordnet? Und wird diese reparaturbedürftige Reform mit all ihren Mängeln dann trotzdem gegen den Willen von 80 % der Bevölkerung eingeführt? Das wäre schon ein historisch einmaliger Vorgang, meine Damen und Herren.

(Walter Meinhold [SPD]: Das ist doch schon beschlossen! - Claus Peter Poppe [SPD]: Mit Niedersachsens Stimmen!)

Eines inzwischen für alle ersichtlich und nicht zu leugnen: Der Versuch, die Rechtschreibung mit den Mitteln der Bürokratie an den Menschen vorbei zu verordnen, hat sich bitter gerächt. Die Rechtschreibreform wird bis heute abgelehnt. Jeder schreibt, wie er will. Die Rechtschreibreform ist ein Zwitter. Sie wird in der Öffentlichkeit als Bikinimodell verspottet, weil es zwischen oben und unten keine Verbindung gibt. Oben wurde beschlossen, und unten wird nicht akzeptiert. Das ist eine Tatsache, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Der Niedersächsische Ministerpräsident hat vor dem Hintergrund all dieser Unklarheiten und Unzulänglichkeiten versucht, einen Aufschub des

Einführungstermins zu erreichen, um diese Reform noch einmal zu überdenken.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Das hat er nicht erreicht!)

Ihm jetzt Populismus vorzuwerfen, meine Damen und Herren, liebe Frau Korter, das geht nun wirklich voll daneben.

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])