Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch wir sehen die finanzielle Lage des Landes, keine Frage. Aber wissen Sie eigentlich, was ein Arbeiter bei der Straßenmeisterei verdient? - Der verdient brutto 2 200 Euro. Netto sind das in der Regel deutlich weniger als 1 500 Euro. Wenn der zwei Kinder hat, dann kostet ihn diese Landesregierung pro Jahr ca. 500 Euro bei der Lernmittel

freiheit, ca. 2 200 Euro bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, das Sie ihm streichen wollen, und 300 Euro bei Gehaltserhöhungen.

Vielleicht hat dieser Arbeiter ja noch im Ohr, was Christian Wulff ihm vor der Wahl versprochen hat. Ich zitiere:

„Wenn die Anforderungen an die Beamten und Angestellten immer mehr steigen und die Verwaltung zugleich effizient und schlank sein soll, muss sich Leistung lohnen. Es ist völlig inakzeptabel, dass qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig Kürzungen hinnehmen müssen und die Bezüge seit Jahren nicht mehr mit der allgemeinen Gehaltsentwicklung Schritt halten.“

Das war das Versprechen vor der Wahl. Die Realität kostet den Arbeiter bei der Straßenmeisterei inzwischen aber mindestens 3 000 Euro pro Jahr.

Meine Damen und Herren, das ist der Unterschied zwischen dem, was den Leuten versprochen wurde, und dem, was sie heute erleben. Ich sage Ihnen: Hören Sie auf zu provozieren! Die Sprüche über ver.di helfen gar nichts. Wir wissen, dass ver.di im Ergebnis nicht alle ihre Forderungen durchsetzen kann; die finanzielle Lage des Landes lässt das nicht zu.

Aber die, mit denen Sie derzeit ins Gericht gehen, sind ja auch gar nicht Ihre Gegner, sondern im Kern sind das Ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Gewerkschaft ver.di ist keine kriminelle Vereinigung, sondern sie existiert und arbeitet auf der Grundlage der Verfassung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Minister Hirche.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was soll eigentlich der letzte Satz, Herr Gabriel: „ver.di ist keine kriminelle Vereinigung, sondern arbeitet auf der Grundlage der Verfassung.“? - Das ist so selbstverständlich wie nur sonst irgendwas. Wenn ich hier sagen würde, die SPD ist keine kriminelle

Vereinigung, sondern arbeitet auf der Grundlage der Verfassung,

(Sigmar Gabriel [SPD]: Dann freut uns das!)

dann würden Sie mir wahrscheinlich unterstellen, dass ich das zunächst einmal insinuiere, um es dann zurückzunehmen. Sie stellen Behauptungen auf, die zuvor niemand in den Raum gestellt hat, um dann mit solchen Popanzen die für Sie schwierig gewordene Situation zu retten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir werden mit ver.di trotz aller martialischen Worte aber auch in Zukunft zu Ergebnissen und zu Vereinbarungen kommen. Dazu ist auch jede Landesregierung verpflichtet, und zwar insbesondere deshalb, weil wir eine katastrophale Finanzlandschaft übernommen haben. Die Bediensteten müssen heute für das bezahlen, was Sie angerichtet haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Aber ich will auch noch einmal Folgendes sagen, weil Sie ja glauben, mit dem Hinweis auf bestimmte Daten hier besonders schlau dazustehen: In der Tat hat uns ver.di am 19. Februar großzügigerweise angeboten, dass wir bis zu 10 % der Bediensteten einsetzen dürfen, um die Sicherheit auf den Straßen zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, dieses Angebot haben wir als völlig inakzeptabel zurückgewiesen. Mit nur 10 % der Bediensteten kann man die Sicherheit auf den Straßen nicht aufrechterhalten; das geht überhaupt nicht.

Wir haben uns jetzt darauf verständigt - damit Sie einmal sehen, wie so ein Prozess zu Ende geht -, dass wir bis zu zwei Drittel des Personals unter Einschluss von Dritten einsetzen können, ohne dass dies die Streiksituation tangiert. Meine Damen und Herren, zwischen 10 % und 66 2/3 % besteht ein erheblicher Unterschied. Damit können wir dann auch verantwortungsvoll gegenüber den Verkehrsteilnehmern auftreten - nicht aber mit der Position, die ver.di zuvor eingenommen hat.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Damit rufe ich auf:

c) Sorgen und Interessen der Bürger ernst nehmen - Ausweichverkehre auf Bundesund Landesstraßen stoppen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 15/1706

Dazu hat der Kollege Hoppenbrock das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei diesem Tagesordnungspunkt können wir wieder zu einer größeren Gemeinsamkeit kommen.

Ich denke, wir sind uns einig: Die Entwicklung und die Einführung der streckenbezogenen Lkw-Maut in der Bundesrepublik waren bisher kein Highlight für den Technologiestandort Deutschland, sondern eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen. So muss man das wohl nennen.

(Beifall bei der CDU)

Seit dem offiziellen Start Anfang des Jahres scheint die Technik allerdings zu funktionieren. Dafür aber haben wir andere Probleme. LkwFahrer entscheiden sich dafür, den Mautraum, die Autobahn, zu verlassen, auf Ausweichstrecken zu fahren und sich mit ihren Lkws über Landes- und Bundesstraßen zu quälen - mit all den verheerenden Auswirkungen auf die Anwohner dieser Straßen.

Abgesehen von dem gesundheitsschädlichen Lärm nimmt die Luftverschmutzung aufgrund der starken Dieselmotoren rapide zu. Hinzu kommt die direkte Gefährdung der Anwohner durch Unfälle und manchmal auch durch Gefahrguttransporte. Selbst die A 31, die so genannte Emsland-Autobahn, ist inzwischen zum Teil frei von Schwerlasttransporten. Man hat sich gemeinsam mit den holländischen Freunden wieder für die B 70 entschieden, wie dies früher schon einmal der Fall war. Dort fahren sie jetzt wieder hoch.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Sorgen der Anlieger dieser Bundes- und Landesstraßen sehr ernst nehmen. Es ist eine Katastrophe für die Menschen, wenn sie durch zunehmenden Schwerlastverkehr vor ihrem Haus belästigt werden. Die Politik muss sich fragen: Was können wir nun tun?

Meiner Meinung nach müssen wir uns zunächst einmal einen Überblick darüber verschaffen, wo sich die Verkehre bewegen. Dazu müssen Toll

Collect oder auch das zuständige Bundesministerium die Mautbrücken zunächst einmal zu 100 % und nicht nur zu 5 % einschalten, damit wir wissen, wer auf und wer neben der Autobahn fährt. Die Landesregierung hat inzwischen Zählstellen eingerichtet, um festzustellen, wer der Maut ausweicht. Die Zahl der Zählstellen können wir vielleicht noch erhöhen. Dazu aber brauchen wir zunächst einmal einen Überblick darüber, wo sich die Lkws bewegen.

Außerdem können wir parallel dazu noch etwas anderes ganz Wichtiges tun. Wir können die Lkws, die fälschlicherweise auf einer Bundes- oder Landesstraße fahren, an ihrer weiteren Fahrt hindern. Das heißt, wir müssen an vielen verschiedenen Streckenabschnitten Verkehrskontrollen bzw. Geschwindigkeitskontrollen durchführen. Ich garantiere Ihnen: Wenn jemand von Wolfsburg nach Braunschweig auf einer Nebenstrecke fährt und dreimal kontrolliert wird, dann überlegt er es sich gut, ob er das nächste Mal nicht besser auf der Autobahn fährt und Maut zahlt, anstatt die Anlieger an den Bundes- und Landesstraßen zu belästigen.

Die eigentliche Ursache für die Ausweichverkehre ist meiner Meinung nach allerdings eine ganz andere. Wir haben in Deutschland mehrere tausend kleine Spediteure mit zwei oder drei Lkws, und die können es sich aufgrund der niedrigen Margen nicht leisten, diese 12,4 Cent pro gefahrenen Kilometer an den Staat abzudrücken. Sie leiden unter der Kfz-Steuer, unter der Ökosteuer, unter der Mineralölsteuer und unter den sonstigen Anforderungen, die der Staat an sie stellt. Man hat ausgerechnet, dass die Mehrkosten durch die Lkw-Maut pro Lkw und Jahr ungefähr 12 400 Euro betragen. Dazu kommen die Wettbewerber aus Osteuropa. Getankt wird in Tschechien und Polen, und dann wird bis Rotterdam durchgefahren; das halten die aus. Die Stundenlöhne der osteuropäischen Fahrer spielen auch keine so große Rolle, sodass man sich dort die Maut praktisch schenken kann.

Ich sehe das Ganze als eine Art Notwehrsituation an, aus der diese kleinen schwachen Transporteure handeln. Wir müssen die Bundesregierung ganz nachdrücklich daran erinnern, wie der Mautkompromiss im Bundesrat zustande gekommen ist. Er ist zustande gekommen, indem die Bundesregierung versprochen hat, 600 Millionen Euro als Kompensation für die nicht vorhandene Chancengleichheit gegenüber den ausländischen Spediteuren einzustellen.

Meine Damen und Herren, wenn wir wollen - und ich denke, dass wollen wir alle -, dass die LkwMaut in Deutschland doch noch eine Erfolgsgeschichte wird, dann sollten wir die Bundesregierung an die Ausgleichszahlungen erinnern, die notwendig sind.

Herr Kollege, Sie haben schon kräftig überzogen. - Bitte schön!

Wir müssen die Anwohner möglichst schnell vor dem Lkw-Verkehr schützen, der vor ihrer Haustür nichts zu suchen hat. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann dauert es nicht mehr lange, bis der letzte Mittelständler in Deutschland seinen LkwSchlüssel an seinen ausländischen Kollegen abgegeben hat. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Herr Kollege Hagenah.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, das die CDU-Fraktion aufgreift, ist auch für uns ein Thema. Auch wir meinen, dass wir die Interessen der Anwohner ernst nehmen und die Ausweichverkehre stoppen müssen. Aber hinsichtlich der Folgen der Maut ist erst einmal die hiesige Landesregierung von CDU und FDP in der Pflicht, und nicht der Bund. Sie sitzen also im Glashaus und sollten, bevor Sie mit Steinen werfen, überlegen, welche Maßnahmen kurzfristig zu ergreifen sind.

(Hermann Eppers [CDU]: Warum das denn?)

- Darauf komme ich noch, Herr Eppers. - Zunächst müssen wir aber feststellen, Herr Hoppenbrock, dass entgegen Ihren Unkenrufen aus den vergangenen Monaten die Maut, so wie sie jetzt eingeführt ist, ein Erfolg ist.

(Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE] - Zuruf von der CDU: Das weiß man nicht!)

Sogar in der Financial Times wird die Maut jetzt als innovative Stärkung des Standortes Deutschlands abgefeiert. Rot-Grün im Bund war sehr gut beraten, Ihren Empfehlungen aus dem vergangenen Frühjahr nicht zu folgen, das Konzept abzusagen und auf das andere Pferd zu setzen, nämlich auf vergangene Konzepte wie die Vignette oder und die in anderen europäischen Ländern eingesetzten Mauterfassungstechniken. Wir sind mit der Mauterfassung made in Germany jetzt vorn.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Start verlief reibungslos und ohne die gerade von Ihnen heraufbeschworenen Chaoserscheinungen, die Einnahmen fließen.

Aber wir verzeichnen auch eine negative Auswirkung, und das sind die Cent-Fuchser, die, obwohl dies Zeitverlust bedeutet, mit ihren schweren Brummis durch die Ortschaften donnern. Da sehen auch wir großen Handlungsbedarf und nehmen das sehr ernst.

Schon vor vier Wochen, Herr Hoppenbrock, hat unsere Fraktion dazu einen Antrag vorgelegt mit dem Titel „Der Schutz der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger wird vernachlässigt; die Bevölkerung vor gesundheitsschädlichen Verkehrsimmissionen schützen - die europäische Luftqualitätsrichtlinie in Niedersachsen umsetzen!“, Drs. 15/1607. Stimmen Sie diesem Antrag einfach zu; das hilft den Betroffenen. Darin fordern wir u. a.:

„Der Landtag setzt sich dafür ein, dass die auf den Bundesautobahnen eingeführte Lkw-Mautpflicht auf Streckenabschnitte von Bundesstraßen und innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen ausgeweitet wird, wenn sich herausstellt, dass diese Routen genutzt werden, um die Lkw-Maut zu umgehen.“

Und weiter: