Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für Liberale ist Lob immer ein besseres Mittel als Strafe. Deswegen waren wir z. B. für die Motivation für Ausbildungsplätze und gegen eine Zwangsabgabe.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich kann viele Beispiele dafür nennen, dass wir immer darauf setzen, Anreize zu geben, zu motivieren, Dinge voranzubringen und nicht zu bestrafen. Deswegen, Herr Oppermann, freuen wir uns auch, dass das System jetzt funktioniert.

Das Zitat, das Sie herausgekramt haben, sollte deutlich machen, dass sich alle Versprechungen der Bundesregierung über die zeitliche Verfügbarkeit des Systems als hohle Phrase erwiesen haben. Das ist der Punkt. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, ist das System teuer erkauft.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal die Ursache!)

Aber immerhin hat Rot-Grün diese Technik in Deutschland gelassen - nachdem Sie den Transrapid ja vertrieben haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Es ist schon ein größeres Thema, wenn man einmal darüber redet.

Meine Damen und Herren, ob die anderen in Europa das Mauterfassungssystem kaufen und übernehmen, hängt am Ende auch vom Preis ab, und das ist, wenn ich das einmal so sagen darf, in Deutschland immer eine gewisse Schwachstelle.

(Thomas Oppermann [SPD]: Sie ma- chen hervorragendes Marketing für deutsche Technologie!)

Herr Oppermann hat zu Recht von der Basisstufe gesprochen. Von 300 installierten Kontrollbrücken können wir im Moment nur 15 gleichzeitig schalten, mehr gibt das System noch nicht her. Damit hat sich der Nebel, der die tatsächliche Situation verschleiert, noch nicht ganz verzogen. Deshalb gibt es auch noch keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen und einfach nur auf die dringend erforderlichen Einnahmen zu warten. Wir werden am

Ende des Jahres sehen, wie hoch die Einnahmen sind.

Es gibt aber auch durchaus Risiken und Nebenwirkungen. In zahlreichen Ortsdurchfahrten entlang der autobahnparallelen Bundesstraßen - ich nenne nur die B 3, B 4, B 70, B 213 und B 214 - klagen die Anwohner über eine spürbare Zunahme des Schwerlastverkehrs. Meine Damen und Herren, ich sage ganz eindeutig: Wir wollen keine Verlagerung der Autobahnverkehre auf das nachgeordnete Straßennetz. Nein, so haben wir nicht gewettet, Herr Stolpe!

Laut einer Voruntersuchung schätzt der Bund den Umfang möglicher dauerhafter Verlagerungseffekte als gering ein, weil, so die Studie, in der Regel die wirtschaftlichen Vorteile der Benutzung der Autobahn trotz Lkw-Maut überwiegen. - Das werden wir sehen. Unabhängig davon sind Vorkehrungen über Vorher-Nachher-Vergleiche und umfassende Modellsimulationen zur Erstellung belastbarer Datengrundlagen bezüglich der Auswirkungen auf das nachgeordnete Netz getroffen worden. Die niedersächsische Straßenbauverwaltung etwa hat bereits weit im Vorfeld der Mauterhebung solche Strecken ermittelt, die für Ausweichrouten in Betracht kommen. Ich habe gegenüber dem Bund durchgesetzt, dass über die vorhandenen automatischen Dauerzählstellen, deren Verkehrsdaten herangezogen werden, hinaus auf den gefährdeten Streckenabschnitten insgesamt 14 weitere Zählstellen eingerichtet werden. Das ist so rechtzeitig vor Beginn der Mauterhebung erfolgt, sodass auch hier eine Vorher-Nachher-Bewertung möglich sein wird. Darüber hinaus liefert die Straßenbauverwaltung Verkehrsdaten durch verstärkte manuelle Zählungen.

Meine Damen und Herren, wir werden die weitere Entwicklung intensiv beobachten. Da bleiben wir dran. Sollte es auf bestimmten Strecken zu erheblichen dauerhaften Verlagerungen kommen, muss die Mautpflicht auf diese Bundesstraßen ausgedehnt werden. Die Bundesregierung ist dann in der Pflicht, tätig zu werden.

Fazit: Wir warten die Messdaten ab, wir müssen sie abwarten. Eines ist klar: Die Landesregierung wird verdrängte Verkehre auf dem nachgeordneten Straßennetz nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu

d) Temperaturen unter Null: Soziale Kälte in Niedersachsen steigt - Blinde greifen zu Notwehrmaßnahmen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1708

Das Wort dazu hat zunächst der Kollege Bachmann. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 14 Tagen ist klar: Der Landesblindenverband startet eine Volksinitiative zur Wiedereinführung eines einkommensunabhängigen Landesblindengeldes als Nachteilsausgleich.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben Ihnen prophezeit: Dieses Thema, Ihr umbarmherziges Vorgehen, wird Ihnen lange erhalten bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Die Volksinitiative ist legitim, sie ist notwendig und aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich in Ordnung. Seit 40 Jahren haben Blinde in ganz Deutschland Anspruch auf dieses Landesblindengeld. Sie sind die Ersten und bisher - toi, toi, toi! auch die Einzigen, die daran Hand angelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

Frau von der Leyen, Sie haben die vom Schicksal hart Getroffenen zu Sozialhilfeempfängern und Antragstellern bei einer Almosenstiftung gemacht.

Es scheint Ihnen auch völlig egal zu sein, dass Sie seit Jahren predigen: Die Menschen, die arbeiten, sollen mehr Geld als Sozialhilfeempfänger erhalten. - Hier ist das Gegenteil der Fall. Blinde als Empfänger niedriger und mittlerer Arbeitseinkommen haben in Niedersachsen nicht mehr Geld in der Tasche als Sozialhilfeempfänger.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Frau von der Leyen hat immer wieder erklärt, sich dafür einzusetzen, dass bei der Vermögensan

rechnung Beurteilungsspielräume zur Berücksichtigung der besonderen Situation blinder Menschen eröffnet werden. Die Realität sieht anders aus. Die Vermögensgrenzen für Blinde betragen nur ein Viertel dessen, was Empfängern des Arbeitslosengeldes II zugestanden wird. Ich will in Erinnerung rufen: Eine Familie mit zwei Kindern darf Vermögen in der Größenordnung von 3 726 Euro haben. Wer mehr hat, bekommt keinen Cent Blindenhilfe. Beim Einkommen liegt diese Grenze bei 1 416 Euro zuzüglich Kaltmiete. Auch hier kann keine Rede davon sein, dass, wie Sie versprochen haben, die besondere Situation blinder Menschen berücksichtigt wird.

Im letzten Plenum führte Frau von der Leyen aus, das SGB XII mit diesen Vermögensgrenzen sei ein Werk von Rot-Grün. - Richtig, Frau von der Leyen. Aber Rot-Grün konnte seinerzeit nicht erahnen, dass Sie das einkommensunabhängige Landesblindengeld kippen würden.

Mehr noch: Nach § 86 SGB XII kann das Land einen höheren Grundbetrag bei den Einkommensgrenzen festlegen. Nutzen Sie entweder diese Möglichkeit, oder unterlassen Sie zukünftig die Behauptung, der Bund habe Ihre Lösung mitgetragen!

(Beifall bei der SPD)

Sie, Frau von der Leyen, haben den Blinden in Niedersachsen kürzlich einen Brief geschrieben. Das war der verzweifelte Versuch der Erklärung, warum Sie die Streichung des Landesblindengeldes vornehmen mussten. Ich finde auch bei sorgfältigstem Lesen dieses Briefes kein einziges rechtfertigendes Argument für Ihren sozialpolitischen Kahlschlag. Stattdessen verwenden Sie gegenüber Menschen, die Sie gerade ins Abseits gestellt haben, Phrasen, deren intellektuelle Redlichkeit jenseits von Gut und Böse ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Mir hat, wie vielen anderen auch, ein Blinder aufgrund Ihres Briefes auch einen Brief geschrieben; seine Tochter war ihm dabei behilflich. Ich zitiere: Ändert sich an der Verschuldung des Landes Niedersachsen dadurch etwas, dass das Landesblindengeld gestrichen worden ist? Sind die täglichen Zinszahlungen, die das Land leisten muss, dadurch niedriger geworden? Und warum leisten sich eigentlich Länder, die viel ärmer sind als Niedersachsen, z. B. die neuen Bundesländer, immer

noch das Landesblindengeld, wenn es doch so sehr bei der Sanierung des Haushalts hilft?

Wenn Sie auf der rechten Seite dieses Hauses diese Fragen ehrlich beantworten würden, müssten Sie zugeben, dass es bei diesem Kahlschlag überhaupt nicht um die Haushaltssanierung ging. In Wirklichkeit ging es um einen Paradigmenwechsel: Weg von der Teilhabe behinderter Menschen, hin zu Almosen. Weg von sozialen Rechten, hin zur Nächstenliebe nach Kassenlage.

(Beifall bei der SPD)

In Wirklichkeit geht es um Ihre bundespolitische Karriere, an der Sie basteln, in einem von Ihnen erhofften Kabinett Merkel.

Die Betroffenen nehmen diesen Kahlschlag nicht widerspruchslos hin. Fast 150 000 Unterschriften im Dezember letzten Jahres anlässlich Ihrer Haushaltsverabschiedung machen das deutlich. Die Blinden stehen nicht allein. Viele Organisationen und Verbände werden sie bei der Volksinitiative unterstützen. Ich sage hier ausdrücklich: Auch unsere Landespartei und unsere Fraktion werden sie unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich nicht über die Notwendigkeit dieser Volksinitiative. Sie hätten es in der Hand gehabt, dass es dazu nicht kommen musste. Aber als ehrenamtlicher Vorsitzender eines Wohlfahrtsverbandes in Braunschweig, nämlich der AWO, freue ich mich über eines: Ihre frühere sozialpolitische Sprecherin, Edda Schliepack, wird an meiner Seite Unterschriften zugunsten dieser Volksinitiative sammeln,

(Beifall bei der SPD)

weil sie nämlich als Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, ehemals Reichsbund, bereit ist, an meiner Seite zu kämpfen.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, apropos Edda Schliepack: Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Gedanken aufgreifen, der mich in diesen Tagen nach neun Jahren Mitgliedschaft im Sozialausschuss des Landtags beschäftigt hat: Frau Mundlos, Frau Jahns, das waren noch Zeiten, als Edda Schliepack und Heinz Jansen für Ihre Sozialpolitik verantwortlich waren. Da fand auch bei Ihnen noch Sozialpolitik statt!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Althusmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bachmann, kaum eine Entscheidung der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP und auch der Landesregierung in Niedersachsen ist uns so schwer gefallen wie diese,