Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bachmann, kaum eine Entscheidung der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP und auch der Landesregierung in Niedersachsen ist uns so schwer gefallen wie diese,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Hat das den Blinden geholfen?)

und kaum eine Entscheidung, lieber Kollege Bachmann, bietet so viele Möglichkeiten einer fairen Auseinandersetzung über den richtigen Weg.

Wir von der CDU-Fraktion und auch die FDP-Fraktion sind nicht dem Fehler erlegen, die Menschen, diese Gesellschaft und womöglich auch dieses Parlament zu teilen und zwischen den Gutmenschen und den Schlechtmenschen zu unterscheiden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben aus Verantwortung für die Menschen in diesem Land - und zwar für alle Menschen in diesem Land - eine Umstellung

(Wolfgang Jüttner [SPD]: „Umstellung“ nennt man das also!)

des Landesblindengeldes von einer bedarfsunabhängigen Leistung hin zu einer Leistung nach einer Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen. Nicht mehr und nicht weniger!

(Werner Buß [SPD]: Das ist höchst unanständig! - Zurufe von der SPD: Almosen, Almosen! - Gegenruf von David McAllister [CDU]: Ruhe!)

Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie in Niedersachsen, Sie - Herr Buß, Sie an erster Stelle, und Herr Bachmann, Sie gleich mit - instrumentalisieren das Schicksal blinder Menschen hier in Niedersachsen,

(Zuruf von der SPD: Was?)

um daraus politisches Kapital zu schlagen, und vor allen Dingen gehen Sie nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an dieses Thema heran.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das sagen Sie mal dem Landesblindenverband!)

Meine Damen und Herren, nichts fällt mir leichter, als Ihnen die sozialpolitischen Missstände in Deutschland vorzuhalten und Ihnen vor allen Dingen die Unglaubwürdigkeit so manchen Arguments, das Sie uns hier tagtäglich präsentieren, zu beweisen.

Ich frage Sie sehr ernsthaft, ob Sie es für einen Erfolg Ihrer Sozialpolitik halten, dass über 178 000 schwerbehinderte Menschen in Deutschland arbeitslos sind und die Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten in Deutschland noch nie so groß war wie heute.

Ich frage Sie sehr ernsthaft, ob Ihre Überheblichkeit tatsächlich gerechtfertigt ist angesichts der Tatsache, dass seit 1998 die Zahl armer Kinder deutlich zugenommen hat. Nahezu jedes siebte Kind in Deutschland lebt in relativer Armut; das sind rund 2 Millionen Kinder. In Ihrer Regierungszeit in Deutschland!

(Axel Plaue [SPD]: Deshalb muss das Landesblindengeld weg?)

Meine Damen und Herren, lieber Herr Plaue, ich frage Sie - der Sie ja auch einmal Verantwortung trugen, aber Gott sei Dank nicht mehr tragen -, ob es Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit ist, dass ein Schuldenzuwachs von 23 Milliarden Euro in Ihrer Regierungszeit - davon im Übrigen 10 Milliarden nur in den drei Jahren von Sigmar Gabriel - dazu geführt hat, dass die Zinsausgaben des Landes um 67 % und die Schulden für jeden einzelnen Niedersachsen um fast 80 % gestiegen sind. Ich als überzeugter Christdemokrat und auch als überzeugter Christ empfinde es als zutiefst unsozial, dass wir in Deutschland und insbesondere in Niedersachsen aufgrund Ihrer Politik mehr Geld für Zinsen ausgeben müssen, als wir für den Sozialhaushalt in Niedersachsen zur Verfügung stellen können. Das ist das Unsoziale in diesem Land, Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie werden nicht verschweigen können, dass Sie an dieser Situation einen nicht ganz unerheblichen Anteil hatten.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Wer ver- weigert sich denn einem Subventi- onsabbau? - Axel Plaue [SPD]: Das ist ja wohl unverschämt!)

Ich weise darauf hin, dass der Sozialhaushalt eine Größenordnung von 2,4 Milliarden Euro hat. Davon sind 2,14 Milliarden Euro durch Bundesgesetze gebunden. Das sind rund 90 % der Mittel. Durch Landesgesetze sind nur rund 8 % der Mittel des Sozialhaushaltes gestaltbar, und ganze 29 Millionen Euro sind durch Verträge und Verpflichtungsermächtigungen gebunden.

Meine Damen und Herren, ich frage die Sozialdemokraten in Deutschland und in Niedersachsen

(Axel Plaue [SPD]: Und in der Welt!)

allen Ernstes: Wo wollen Sie denn alternativ in Niedersachsen kürzen? - Bei der Schuldnerberatung oder bei den Krankenhäusern, bei denen Sie einen Investitionsstau von über 3 Milliarden Euro zu vertreten haben?

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Wie wäre es mit Subventionsabbau?)

Wollen Sie bei jugendlichen Straftätern kürzen? Wollen Sie im Pflegebereich kürzen? Sollen wir weniger für den Bereich Unterrichtsversorgung tun?

(Elke Müller [SPD]: Sie sollen Sub- ventionen kürzen!)

Sollen wir weniger für die Sicherheit der Menschen in Deutschland tun? - Sie haben in Deutschland und in Niedersachsen keinen einzigen vernünftigen Vorschlag auf den Tisch gelegt, um die Probleme dieses Landes zu lösen. Das ist die Wahrheit, lieber Kollege Plaue.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe bei der SPD)

Im Übrigen gibt es in Europa Sozialdemokraten, die diese Einsicht viel früher hatten. Ich darf in diesem Zusammenhang an ein gutes Buch erinnern, das Sie, lieber Kollege Plaue, sich einmal vornehmen sollten. Es trägt den Titel: „Wer Schulden hat, ist nicht frei“. Es ist von dem schwedischen Sozialdemokraten Göran Persson, der eine Einsicht

hatte, die Ihnen offenbar noch fehlt. Er hat nämlich gesagt: Um Wohlstand zu retten, muss Wohlfahrt begrenzt werden. - Es geht darum, dass wir die Mittel, die wir haben, gezielt für diejenigen einsetzen, die ihrer wirklich bedürfen. Um nichts anderes kann es in Deutschland bei der Umstellung unserer Sozialsysteme gehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer wie Sie, meine Damen und Herren, behauptet, dass die Blinden in Niedersachsen jetzt zur Notwehr greifen müssten, der unterstellt, dass es sich hierbei um einen rechtswidrigen Eingriff handelte. Das ist genauso falsch, Frau Merk, wie die Behauptung, dass das Landesblindengeld in Niedersachsen abgeschafft sei. Wir werden in diesem Jahr 27 Millionen Euro für blinde Menschen in Niedersachsen zur Verfügung stellen - mit dem einzigen Unterschied zu früher, dass zukünftig die Bedürftigkeit geprüft wird. 3 Millionen Euro für einen Härtefonds, 3 Millionen Euro für Kinder oder Jugendliche bis zum Alter von 27 Jahren und 21 Millionen Euro für die Blindenhilfe, die in den kommunalen Haushalten als Belastung entsteht.

Ich meine, wir sollten uns irgendwann einmal darüber unterhalten, dass wir zu den Grundprinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft zurückkehren sollten. Es ist Grundprinzip einer sozialen und gerechten Gesellschaft, dass diejenigen, die leistungsfähig sind, denjenigen helfen, die nicht leistungsfähig sind. Ich halte es darüber hinaus für zutiefst sozial gerecht, dass derjenige, der eine staatliche Leistung erhält, zumindest Auskunft darüber zu erteilen hat, ob er tatsächlich bedürftig ist. Das erwarten wir im Übrigen auch von allen anderen.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Erwarten Sie das auch von sich selbst?)

Meine Damen und Herren, zum Schluss: Sozialhilfe, Blindenhilfe usw., so wie Sie sie sich vorstellen, sind kein Almosen, sondern sind ein rechtlich garantierter Anspruch.

(Beifall bei der CDU)

Sie machen den Menschen mit Ihrer Haltung etwas vor und versuchen, hier Neid zu schüren. Erklären Sie doch den Menschen einmal den Unterschied zwischen den 565 Euro in Brandenburg und den 585 Euro in Hamburg! Wo ist denn die soziale Gerechtigkeit beim Vergleich dieser beiden Summen? Ich kann sie beim besten Willen nicht erkennen.

Wir warten gespannt ab. Auch ich meine, dass das Volksbegehren letztlich zulässig sein wird. Wir werden die Vorschläge zur Kostendeckung abwarten.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wir sind uns einig, dass jeder Bürger in diesem Lande ein Volksbegehren nutzen kann.

Das von der SPD-Fraktion beantragte Thema aber für diese Aktuelle Stunde ist ein untauglicher Versuch, die Sozialpolitik dieser Landesregierung in ein falsches Licht zu stellen.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Das hat Sie aber sehr getroffen, Herr Kollege!)

Kranke, blinde oder behinderte Menschen haben es nicht verdient, in Niedersachsen nach den Ereignissen der letzten Tage und Wochen insbesondere von Herrn Gabriel oder anderen Freunden unter dem Oberbegriff „soziale Gerechtigkeit“ missbraucht zu werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über das Landesblindengeld wurde in diesem Hause seit September in jeder Plenarwoche debattiert.

(Walter Meinhold [SPD]: Daran kön- nen Sie einmal sehen, wie wichtig das ist!)

- Herr Meinhold, angesichts der vielen jugendlichen Zuschauer möchte ich Sie wirklich bitten, unter Beweis zu stellen, dass Sie über die Fähigkeit verfügen, zuhören zu können. Das wäre wichtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD)