Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde

Nachdem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ihren Antrag zurückgezogen hat, liegen noch drei Beratungsgegenstände vor: Ver.di lässt es krachen - Gefahr für die Menschen auf Niedersachsens Straßen, Antrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 1704. Im Weiteren liegt ein Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 1706 vor: Sorgen und Interessen der Bürger ernst nehmen Ausweichverkehre auf Bundes- und Landesstraßen stoppen. Der letzte Antrag in der Drucksache 1708 ist von der Fraktion der SPD eingebracht worden: Temperaturen unter Null: Soziale Kälte in Niedersachsen steigt - Blinde greifen zu Notwehrmaßnahmen.

Insgesamt 80 Minuten Redezeit stehen zur Verfügung, die gleichmäßig auf die Fraktionen aufzuteilen sind. Das heißt, jede Fraktion kann über höchstens 20 Minuten verfügen. Wenn, wie es heute der Fall ist, mehrere Themen zur Aktuellen Stunde vorliegen, bleibt es bekanntlich jeder Fraktion überlassen, wie sie ihre 20 Minuten für die einzelnen Themen verwendet. Jeder Redebeitrag, auch von Mitgliedern der Landesregierung, darf höchstens fünf Minuten dauern. Nach vier Minuten Redezeit werde ich durch ein Klingelzeichen darauf aufmerksam machen, dass die letzte Minute der Redezeit läuft. Erklärungen und Reden dürfen nicht verlesen werden.

Ich rufe auf:

b) Ver.di lässt es krachen - Gefahr für die Menschen auf Niedersachsens Straßen Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 15/1704

Das Wort hat der Kollege Dr. Rösler. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns steht außer Frage, dass es das grundgesetzlich gesicherte Recht der Gewerkschaften ist, für ihre Position zu kämpfen, zu streiten und, wenn nötig, auch zu streiken. Wir haben sogar Verständnis dafür, dass man manchmal auch gerne in Bereichen streikt, die nicht allein den Arbeitgeber, sondern darüber hinaus möglichst viele Unbeteiligte treffen, um so den Druck von außen auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Kein Verständnis haben wir hingegen dafür, dass die Gewerkschaft ver.di sogar so weit geht, die Sicherheit auf Niedersachsens Straßen zu gefährden. Meine Damen und Herren, das ist kein gerechtfertigter Arbeitskampf, sondern schlichtweg verantwortungslos.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Man könnte ver.di ja nun auch sich selbst überlassen; denn die Menschen registrieren sehr wohl, dass die Gewerkschaft gerade versucht, sich auf dem Rücken vieler Berufspendler zu profilieren. ver.di selbst ist damit für den zunehmenden Ansehensverlust von Gewerkschaften insgesamt verantwortlich.

(Heidrun Merk [SPD]: Machen Sie sich da keine Sorgen! - Weitere Zu- rufe von der SPD)

Dieser Ansehensverlust ist aber auch durch eine solche Debatte nicht aufzuhalten, Herr Meinhold.

(Weitere Zurufe von der SPD)

- Da werden Sie nervös, wenn es um das Ansehen von Gewerkschaften geht. - Wir diskutieren nicht nur über Staus, weil womöglich nicht genügend Schnee geräumt wurde oder die Straßen nicht ausreichend gestreut wurden. Es ist viel schlimmer: Die Gewerkschaft ver.di nimmt bewusst in Kauf, dass Menschen auf schneeglatten Straßen verunglücken. Dafür hat niemand in unserem Lande Verständnis.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Axel Plaue [SPD]: Quatsch!)

Geradezu peinlich ist jetzt der Versuch, die Schuld dafür dem Land in die Schuhe schieben zu wollen. Jetzt wird plötzlich so getan, als hätte die Landesregierung ver.di diesen Arbeitskampf geradezu aufgezwungen. Richtig ist, dass man sich bezüglich der Übernahme des neuen Tarifrechtes für den öffentlichen Dienst mit den Ländern nicht einig ist. Falsch hingegen ist die Schlussfolgerung, man müsse deswegen ausgerechnet im Bereich der Straßenmeistereien streiken. Das ist allein eine Entscheidung von ver.di. Deshalb muss ver.di auch die Verantwortung für die möglichen Folgen ganz allein tragen.

(Beifall bei der FDP)

Es ist im Gegenteil dem Krisenmanagement der Landesregierung - des Wirtschaftsministeriums zu verdanken,

(Lachen bei der SPD)

dass auf unseren Straßen trotz der Verantwortungslosigkeit von ver.di bisher Schlimmeres verhindert wurde.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dennoch haben wir überhaupt kein Verständnis dafür, dass vor den Verhandlungen mit dem Land überhaupt solche Aktionen durchgeführt werden. Der Termin für die ersten Sondierungsgespräche ist ja erst der 3. März. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es überhaupt keine Notwendigkeit für solche Streikmaßnahmen. Das Einzige, was ver.di mit diesem Verhalten provoziert, ist, dass das Klima für künftige Verhandlungen vergiftet wird.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

In der Sache haben die Landesregierung und die Tarifgemeinschaft der Länder vollkommen Recht. Angesichts der schwierigen finanziellen Lage und der desolaten Haushaltslage vieler Bundesländer sind eine Verlängerung der Arbeitszeit und auch die Streichung der Sonderzuwendung vollkommen gerechtfertigt. Es gibt dazu keine Alternative. Unser Sparkurs in der Finanzpolitik ist notwendig und Vorbild für viele andere Länder. Dieser Sparkurs ist eine Notwendigkeit und genau deshalb eben keine Boshaftigkeit. Bei dem Verhalten der Gewerkschaften bin ich mir diesbezüglich momentan nicht ganz so sicher.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich möchte hier Herrn Denia zitieren, der gestern auf einer Pressekonferenz gesagt hat: Tote sind nur auf einer Rolle zu buchen und die steht im Wirtschaftsministerium. - Meine Damen und Herren, wer so etwas von sich gibt, disqualifiziert sich für jede seriöse gesellschaftliche Diskussion. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Professor Lennartz, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auslöser der Warnstreiks, um die es gerade geht, ist die Tatsache, dass sich die Länder einem Tarifabschluss verweigern, der zwischen ver.di und dem Bund sowie den Kommunen zustande gekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Rösler, ich muss Sie noch einmal daran erinnern: Die zentralen Gegenstände dieser Tarifvereinbarung sind erstens eine moderate Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnerhöhung, zweitens eine moderate Einkommenserhöhung - in drei Jahren jeweils Einmalzahlungen von 300 Euro - und drittens - das ist das Wichtigste - eine Neuordnung des BAT. Der grundlegende Wechsel bei dem undurchdringlichen System des Bundes-Angestelltentarifvertrages ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Seit Montag dieser Woche finden Warnstreiks statt, u. a. in Straßenmeistereien.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das recht- fertigt das nicht! - Hartmut Möllring [CDU]: Wenn Sie Recht hätten, wäre der Streik rechtswidrig!)

Eine Notdienstvereinbarung ist von ver.di angeboten worden, aber dieses Angebot ist von der Landesregierung - anders als in sonstigen Fällen nicht aufgegriffen worden.

Der Antrag der FDP, dieses Thema in der Aktuellen Stunde zu behandeln, stammt vom Montag

dieser Woche. Zeitgleich hat Herr Minister Hirche als zuständiger Wirtschaftsminister eine Pressemitteilung herausgegeben - jedenfalls wird er von dpa am Montag so zitiert -, in der er sagt, durch diese Warnstreiks ergebe sich keinerlei Beeinträchtigung des Streudienstes oder sonstiger Sicherungsmaßnahmen. Angesichts dieser Pressemitteilung von Herrn Hirche hätten Sie sich diese Aktuelle Stunde also ersparen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Warum haben Sie das nicht getan? - Für meine Begriffe steht hinter der Tatsache dieser Aktuellen Stunde etwas ganz anderes. Dahinter steht die FDP-Utopie von gewerkschaftsfreien Zonen, von einer gewerkschaftsfreien Arbeitswelt. Das ist das langfristige Ziel, das Sie anstreben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Sie werden nur noch vom Bund der Steuerzahler getoppt, der das Streikrecht im öffentlichen Dienst infrage stellt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ihre Position lautet doch im Klartext: Weg mit den Verhinderern, weg mit den Blockierern. Offensichtlich ist Lidl Ihr Vorbild, was die Arbeitswelt und die „Unternehmenskultur“ angeht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Wider- spruch bei der CDU - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Haben Sie eben zuge- hört? - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie haben schon anspruchsvollere Reden gehalten!)

- Ich habe zugehört. - Herr Rösler, Sie arbeiten doch nach eigener Aussage daran - im letzten Jahr haben Sie das mehrfach betont -, dass die FDP sympathischer werden müsse. Mit diesen Positionen wird das aber nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Sympathischer werden Sie nur dann, wenn Sie als Teil der Landesregierung, die Dienstherr dieser Beschäftigten ist, deren Interessen ernst nehmen und sich damit auseinander setzen. Dann muss auch der Dienstherr, die Niedersächsische Landesregierung, diesem Tarifvertrag

beitreten. Vielleicht wird Herr Möllring uns ja gleich noch erklären, warum das nicht geht. Sie haben heute ja wahrscheinlich auch das Interview mit Herrn Böhmer, dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, zur Kenntnis genommen, der sagt: Möllring ist ganz in Ordnung; er vertritt unsere Interessen gut. Jetzt müssen wir aber endlich wieder einmal eine Gesprächsebene mit den Gewerkschaften finden. - Das ist eine schöne ambivalente Komplimentangelegenheit, die Böhmer da zum Besten gegeben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich sage Ihnen - das ist meine letzte Anmerkung dazu -: Sie vertreten doch immer die Auffassung, Leistung müsse sich wieder lohnen. Dieser Tarifvertrag ist diesbezüglich ein Einstieg für den Sektor der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Es ist mir schleierhaft, wie Sie das völlig ausblenden können und warum Sie hier sozusagen nur einen Frontalangriff auf die Gewerkschaft fahren. - Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)