Protokoll der Sitzung vom 20.04.2005

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nach § 71 der Geschäftsordnung hat die SPDFraktion um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich gebe ihr drei Minuten. Herr Gabriel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal stelle ich fest, dass der Herr Ministerpräsident auf die Frage, warum er dieses Thema ein Jahr lang nicht in die Föderalismusreform eingebracht hat, nicht geantwortet hat.

(Beifall bei der SPD)

Darauf, warum Frau Heister-Neumann nicht durch sachkundige Beiträge zu diesem Thema aufgefallen ist, ist er ebenfalls nicht eingegangen. Wir machen hier nicht mit, wenn nach dem Motto gehandelt wird: Am Abend werden die Faulen fleißig. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD - Lachen und Wi- derspruch bei der CDU und bei der FDP - Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte mäßigen Sie sich etwas.

Im Gegensatz dazu - darauf will ich jetzt zu sprechen kommen - wissen wir, was es bedeutet, wenn man sich in den Verhandlungen über den Finanzausgleich und die Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland zu spät und dann auch noch mit den falschen Themen zu Wort meldet.

Herr Ministerpräsident, ich will hier einmal die Frage beantworten, die Sie nicht beantworten konnten, warum der Kollege Beck sagt, dass er das für gefährlich hält, was Sie tun. Zitieren Sie doch einfach einmal aus Ihrem Schreiben. Herr Beck hat sicher nichts dagegen, dass Sie für Transparenz sorgen. Ich zitiere Sie einmal sinngemäß: Die Änderung der Finanzverfassung - -

(Zuruf von der CDU)

- Sie können das doch nachlesen. Er hat sein eigenes Schreiben ja vorliegen. Werden Sie doch nicht gleich nervös. Das ist doch gar nicht so schlimm. Ich zitiere nur Ihren Ministerpräsidenten. Da brauchen Sie doch nicht gleich nervös zu werden. Oder trauen Sie ihm nur wenig zu?

(Lachen bei der CDU)

Er sagt in diesem Schreiben: Er machte die Verhandlungen über die Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland zur Conditio sine qua non weiterer Verhandlungen über die Föderalismusreform. - Wenn Sie das tun, meine Damen und Herren, ist es in der Tat richtig, was der Kollege Wenzel sagt. Sie verhandeln dann erstens - dies wäre dann Ihre Forderung - neu über den Solidarpakt, der bis 2019 gilt. Sie müssten Ihren ostdeutschen Kollegen einmal sagen, dass Sie ihnen damit drohen, den Solidarpakt zu kündigen. Nichts anderes steht in Ihrem Schreiben. Zweitens müssen Sie wissen, dass die größte Gefahr beim Länderfinanzausgleich für Niedersachsen die war, dass Sie keine Mehrheit unter den Ländern finden, um die Forderungen von Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen gegen die norddeutschen Länder und übrigens auch gegen die ostdeutschen Länder abzuwehren, die darauf hinauslaufen, dass die Bayern und die anderen einen höheren Anteil an den von Ihnen vereinnahmten Steuern erreichen. Diese Forderungen haben wir in zweijährigen Verhandlungen mit Müh und Not abwehren können. Wir waren froh, als wir das hinter uns hatten. Ausgerechnet Ihr Ministerpräsident erklärt, im Spiel mit Bayern wolle er diese Debatte neu eröffnen. Das bedeutet einen Schaden für das Land. Sie spielen mit dem Feuer, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, weil Sie aber wissen, dass dies nicht der Fall sein darf, gehe ich davon aus, dass Sie überhaupt keine Neuverhandlung über

die Finanzverfassung wollen. Sie wollen auch keine Neuverhandlung des Länderfinanzausgleichs. Sie wollen nur eines, nämlich dass es vor der Bundestagswahl 2006 nicht zu einem Erfolg der Föderalismusdebatte kommt. Das ist Ihr einziges Ziel.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident Wulff hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gabriel, Sie hatten vor einigen Jahren einmal die Steuerzahler bemüht, um Sie mit einem entsprechenden Vertrag in möglichst viel Talkshows zu bringen. Später haben Sie dann gesagt: Vielleicht hätte ich lieber jemanden engagieren sollen, der mich davon abgehalten hätte, in jedes Mikrofon hineinzusprechen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Können Sie nicht mehr als das? Äußern Sie sich doch einmal zum Thema der Debat- te!)

Ich sage Ihnen: Vielleicht brauchen Sie einfach einmal jemanden, Herr Kollege Gabriel, der Ihnen die verschiedenen Briefwechsel zeigt und Ihnen die Briefe gibt. Dann werden Sie sehr schnell feststellen, dass es in der Runde der Ministerpräsidenten mit dem Bund Konsens darüber gibt, dass man die Länderneugliederung und die Finanzverfassung, also auch den Solidarpakt und den Länderfinanzausgleich im Rahmen der FöderalismusKommission nicht behandelt. Dem Brief ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass es um eine sachgerechte Kompensationsregelung zur Entflechtung von Mischfinanzierung geht. Wenn die Zuständigkeit für bestimmte Teile der Mischfinanzierung - es gibt ja nur noch wenige Felder im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben mit dieser Form der Finanzierung - tatsächlich auf die Ebene der Länder verlagert wird, muss darüber gesprochen werden, was aus den bisher für diesen Zweck zur Verfügung stehenden Finanzmitteln des Bundes zugunsten der Länder wird. Das ist der einzige Bereich, bei dem die Länder finanziell beteiligt sind. Das hat mit Länderfinanzausgleich, Länderneugliederung oder Solidarpakt überhaupt nichts zu tun. Darüber werden wir uns verständigen müssen.

Es ist von allen bestätigt worden, dass alles mit allem zusammenhängt. Das heißt, am Ende werden Stoiber und Müntefering - -

(Zuruf von der SPD)

- Das ist die Vereinbarung aller Mitglieder der Föderalismus-Kommission. Die Arbeitsweise war so, dass niemals ein Antrag gestellt worden ist, über den abgestimmt worden ist. Von daher ist es ziemlich dummes Zeug, was Sie hier in Bezug darauf vortragen, wer wo was beantragt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist vielmehr so wie in der Grundwertekommission von Roman Herzog auf europäischer Ebene.

(Zurufe von der SPD)

- Sie können natürlich Zwischenrufe machen, weil Sie sich ertappt fühlen. Das wird aber den Ruf, dass Sie diejenigen sind, die ertappt worden sind, nicht leiser werden lassen.

Herr Wulff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Aller?

Herzlich gerne. Herr Aller hat ja damals die Finanzverhandlungen geführt.

Beim Länderfinanzausgleich habe ich in der Tat im Interesse Niedersachsens und der elf Bundesländer erfolgreich verhandelt. Herr Wulff, kann es sein, dass kein Antrag gestellt worden ist, weil Sie als Vertreter der CDU Niedersachsens nicht da waren, also vergessen haben, einen Antrag zu stellen?

Ich habe es Ihnen doch schon einmal erläutert: Die eigentlichen Debatten sind in den Arbeitsgruppen der Kommission gelaufen. Wir sind in allen Arbeitsgruppen wesentlich eingebunden gewesen. Die eigentlichen Debatten sind auch in den Vorgesprächen insbesondere unter den Ministerpräsidenten gelaufen; dort war ich vom Anfang bis zum Ende immer dabei. In den Sitzungen war, wenn ich nicht dabei war, Frau Heister-Neumann immer anwesend. Das heißt, es kommt nicht auf Fleißkärt

chen dafür an, dass man geredet hat. Wir merken ja an der heutigen Debatte, dass jemand, der ständig redet, damit noch nicht unbedingt etwas ausdrückt.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist nun einmal so. Im Zweifel bewegen sich in der Politik überproportional viele, die reden können, selbst wenn sie nichts zu sagen haben. Das muss man vermuten und befürchten. Deswegen würde ich mit Ihnen gerne über die Sache reden.

Herr Aller, Sie haben eine Frage gestellt. Darauf antworte ich Ihnen: Es sind dort keine Anträge gestellt worden, sondern man hat sich darauf verständigt, sich anzunähern. Am Ende haben Franz Müntefering und Edmund Stoiber die Aufgabe gehabt, quasi mit gefühltem Mehrheitsdenken, also mit dem Denken in der Richtung, wo die Mehrheit liegen könnte, wo ein Konsens gefunden werden könnte, Papiere zu erarbeiten. Es gab dann eine erste Fassung, eine zweite Fassung und eine dritte Fassung. Als ich damals gesagt habe, unsere Vorstellungen seien eingeflossen, galt das für die zweite Fassung. Jetzt liegt die dritte Fassung vor. Jetzt müssen die Sitzungsstunden nachgeholt werden, die noch stattfinden sollten, bevor Franz Müntefering die Kommission nach Hause geschickt hat.

Es kann nicht angehen, dass gesagt wird: Wir diskutieren bis zum 17. oder 18. Dezember die Fragen aus und schicken die Leute dann nach Hause; danach treffen sich zwei und sagen, wie das Grundgesetz geändert wird. - Es ist vielmehr so, dass die Debatte wieder geführt werden muss, und zwar unter Beteiligung aller 16 Länder. Dass in den vier Monaten seit Dezember nichts passiert ist, hat ganz wesentlich damit zu tun, dass die Verhandlungen an der Position der Bundesregierung gescheitert sind, weil sie von den Ländern zusätzliche Kompetenzen auf dem Bildungsfeld beansprucht. Dazu sage ich Ihnen hier im Landesparlament: Wenn die Kommission zur Modernisierung bundesstaatlicher Ordnung in eine Kommission zur Abschaffung bundesstaatlicher Ordnung umfunktioniert werden soll, wenn wir auf die Hälfte unserer Mitwirkungsrechte im Bundesrat verzichten und darüber hinaus auch noch auf Kernkompetenzen der Länder verzichten sollen, brauchen wir hier nicht einmal mehr ein Feierabendparlament, weil es dann quasi nur noch Verwaltungsprovinzen mit Präfekten und Beiräten gibt, aber keine wirklichen

Länderparlamente mehr, die über Schule, über Hochschule und damit über das Kernstück von föderaler Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden haben. Das werden wir verhindern. Wenn sich die Bundesregierung in dieser Hinsicht bewegt, sind wir bereit, uns auch über die anderen Fragen zu verständigen.

Wenn die Frau Vizepräsidentin hier gesagt hat, wir müssten auch über die Finanzverteilung reden, so gilt das über die Föderalismus-Kommission hinaus. Wenn Sie einfordern, Herr Wenzel, über die Länderneugliederung zu reden, so gilt das über die Föderalismus-Kommission hinaus. Dann sollten im Übrigen die kleinen Länder und nicht die großen Länder die Initiative ergreifen, weil die kleinen Länder die Sorge haben, sie würden von den großen Ländern geschluckt. Wir sind von der Fläche her nun einmal das zweitgrößte und von der Bevölkerungszahl her das viertgrößte Bundesland. Von daher stellt sich für uns die Frage der Länderneugliederung gelassener als für das Saarland, Bremen oder Hamburg. Zunächst einmal müssen die dortigen Debatten abgewartet werden. Wir sind für alles offen. Die Föderalismus-Kommission aber würde das überfordern. Wir wollen dort ein Ergebnis. Wenn Sie den Ball, der jetzt auf der Linie liegt, mit etwas mehr Gelassenheit in das Tor spielen würden und hier nicht so aufgeregt und nervös wären, weil Sie befürchten, dass er am Ende noch über das Tor geschossen wird, dann würden wir das auch hinkriegen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aktuelle Stunde.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 2: 24. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben - Drs. 15/1775 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1856 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1857

Im Ältestenrat haben die Fraktionen vereinbart, die Eingaben, zu denen Änderungsanträge vorliegen,

erst am Freitag, dem 22. April 2005, zu beraten. Ich halte das Haus für damit einverstanden, dass wir heute nur über die Eingaben beraten, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen.

Ich rufe die Eingaben aus der 24. Eingabenübersicht in der Drucksache 1775 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Ich lasse über die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse abstimmen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer ihnen zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist damit so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 3: Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Staatsgerichtshofs Wahlvorschlag des Ausschusses zur Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Drs. 15/1834

Bevor wir zur Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Staatsgerichtshofs kommen, möchte ich Herrn Schinkel, den Präsidenten des Staatsgerichtshofs hier ganz herzlich begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen.

(Beifall im ganzen Hause)