Protokoll der Sitzung vom 21.04.2005

Die in Ihrem Antrag aufgeführten Vorwürfe, meine Damen und Herren von der SPD, gehen völlig ins Leere. Ihren Antrag lehnen wir ab. Es hat sich wieder einmal mehr gezeigt, dass Sie nur lamentieren können, aber nicht aktiv handeln wollen. Wichtig scheint mir bei der öffentliche Debatte über die dringend notwendigen Reformen - damit komme ich zum Schluss - vielmehr zu sein, die Menschen von dem dringend erforderlichen Systemwechsel zu überzeugen und sie dabei mitzunehmen. Daran werden wir arbeiten; denn wir haben ein Ziel: Wie im Land Niedersachsen soll sich auch in Deutschland möglichst bald wieder etwas zum Positiven bewegen. - Danke schön.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Janssen-Kucz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten zwei Jahren hatten wir sehr heftige, kontroverse und interessante Debatten über die zukünftige Finanzierung der Krankenversicherung. Zumindest sind wir uns aber darüber einig, dass wir die Finanzierung auf andere Beine stellen müssen. Aber Rot-Grün tritt ganz klar für die Bürgerversicherung - eine für alle - ein, die CDU/CSU nach langen Kontroversen für die so genannte Kopfpauschale/Kopfprämie, in vorderster Front Frau Sozialministerin Frau von der Leyen. Die CDU hat sich einem entsolidarisierenden Modell verschworen, obwohl sie doch eigentlich gelernt haben müsste. So hat sich doch z. B. auch schon die Gebisspauschale als Flop erwiesen. Zu diesem Flop - das schwöre ich Ihnen - kommt Ihre Kopfpauschale hinzu. Sie ist eindeutig zu teuer, zu bürokratisch und vor allem - trotz Ihrer schönen Worte, Frau Ross-Luttmann - sozial ungerecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mittlerweile sind die Christdemokraten und die Freunde von der CSU etwas ruhiger geworden. Es wurde ein bizarrer Kompromiss zwischen den Vorstellungen der CDU und der CSU gezimmert. Dieser Kompromiss konnte auch Herrn Seehofer nicht überzeugen, und so wurde Herr Seehofer ganz schön in die Ecke gedrängt bzw. aus dem Rennen genommen. So ist es am einfachsten: Man nimmt die schärfsten Kritiker heraus.

Man gewinnt fast den Eindruck, dass Sie selber nicht mehr ganz an das zusammengezimmerte Modell der Kopfpauschale glauben. Oder weshalb waren Sie im letzten halben Jahr eigentlich so ruhig? Ich habe auch die Ministerin kaum noch mit öffentlichen Auftritten erlebt. Und versuchen Sie einmal, auf Ihrer eigenen Internetseite das Modell Kopfprämie/Kopfpauschale zu finden. Danach suchen Sie ziemlich lange.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das heißt ja auch nicht Kopfpauschale!)

Das haben Sie ganz schön versteckt, weil Sie sich nicht trauen, damit nach vorne zu gehen. Es ist auch gar nicht einfach, meine Damen und Herren. Wie wollen Sie eigentlich erklären, wie Sie den Anspruch von mehr als 18 Millionen bedürftigen Haushalten in Deutschland auf finanzielle Unterstützung vonseiten des Staates bezahlen wollen? Bei mehr als 18 Millionen bedürftigen Haushalten reicht das Einkommen einfach nicht aus, um unter der von Ihnen vorgesehenen Belastungsobergrenze von 7 % zu bleiben, auch wenn Sie zukünftig Einkünfte aus Vermietung, Verpachtung und Kapital einbeziehen werden.

(Bernd Althusmann [CDU]: Seit wann regieren Sie eigentlich in Berlin?)

Aber das ist ja nur eine der vielen offenen Fragen, die sich aus Ihrem halbgaren Konzept ergeben. Diese Fragen der Bürger und auch der Arbeitgeber, die ebenfalls diverse Fragen an Sie gestellt haben, haben Sie nicht beantwortet. Sie haben auch den demografischen Wandel nicht in Ihr Konzept eingearbeitet, und Ihre 105 Euro sind doch nur der kleine Anfang, um Ihre Kopfprämie ein bisschen schmackhaft zu machen. Experten gehen doch schon von 300 Euro aus.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das müs- sen Ihre Experten sein!)

Also hören Sie auf, irgendetwas Wildes zu erzählen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wissen selber aus den schweizerischen Erfahrungen, wie anfällig das Modell der Kopfprämie ist. Es ist absolut krisenanfällig und kommt letztendlich nur denjenigen zugute, die ein gutes Einkommen haben. Ihr Systemwechsel, Ihr Paradigmenwechsel, Frau Ross-Luttmann, geht in Richtung Privatisierung des Krankheitsrisikos. Das ist das, was Sie wollen: Privatisierung des Krankheitsrisikos, englische Verhältnisse. Auch wenn Sie den Antrag ablehnen - wir werden Ihnen Ihre Kopfprämie weiterhin um die Ohren schlagen und auch die unsoziale, unseriöse und nicht gegebene Finanzierbarkeit weiter vortragen. Das, was Sie abgeliefert haben, ist kein Gesellenstück. Ich würde sagen, das ist ein Husarenstück. Schämen Sie sich! - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Meißner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meta Janssen-Kucz, das waren ja tolle Töne: „Husarenstück“, „halbgares Konzept“, und was wurde hier nicht alles gesagt. Sie haben gesagt, die Kopfpauschale sei entsolidarisierend. Das absolute Gegenteil ist aber der Fall. Wir haben uns bis jetzt immer gegen den Begriff „Kopfpauschale“ oder „Kopfprämie“ gewehrt. Ich nenne das jetzt aber ganz bewusst so; denn die Kopfprämie, die Gesundheitsprämie haben Leute mit Köpfchen erfunden, weil es das richtige Modell ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen können wir es ruhig bei diesem Begriff lassen.

Herr Schwarz, ich habe gemerkt, ich könnte Ihrem Antrag im Grunde genommen zumindest von der Überschrift her zustimmen, wenn man einfach Worte austauscht und die Überschrift wie folgt ändert: „Für Finanzierung des Gesundheitssystems über Kopfprämie (oder Gesundheitsprämie) zugunsten von Familien, Rentnern und Arbeitsplätzen“. Das ist es nämlich, was wir schaffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Jetzt werde ich Ihnen auch sagen, warum das funktioniert.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Aber Adam Riese setzen Sie nicht außer Kraft?)

Bei der Bürgerversicherung will man bei der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben. Ich habe noch nicht gesehen, dass ein marodes Schiff dadurch besser wird, dass man immer mehr Leute an Bord holt, die Wasser schippen sollen. Man muss sich ein neues Schiff kaufen, das vernünftig hält und in die Zukunft fährt. Das wollen wir nämlich machen. Wir beabsichtigen daher, einen konsequenten Wechsel vorzunehmen.

Herr Schwarz, Sie haben die FDP-Fraktion direkt angesprochen und gesagt, die FDP wolle es wie in den USA haben, wo 25 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung sind. Genau das wollen wir nicht.

(Uwe Schwarz [SPD]: Da kommen Sie aber hin!)

Wir beabsichtigen, eine Pflicht zur Krankenversicherung einzuführen. Im Moment gibt es in Deutschland infolge von Hartz IV 300 000 Menschen ohne Krankenversicherung. Da ist nämlich etwas durch das Raster gefallen. Genau das verhindern wir mit unserem Modell.

(Uwe Schwarz [SPD]: Und gleichzeitig wollen Sie die gesetzliche Kranken- versicherung abschaffen!)

Wir beabsichtigen, verschiedene Dinge zu machen, die Frau Ross-Luttmann zum Teil schon geschildert hat, obwohl unser Modell noch weiter geht. Es geht aber in eine ähnliche Richtung. Wir wollen die Abkopplung der Krankenversicherung von den Lohnnebenkosten. Das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland zwingend erforderlich, gut für die Arbeitsplätze und damit gut für uns alle. Wir wollen eine Pflicht zur Versicherung anstelle einer Bürgerzwangsversicherung. Wir wollen eine Wahlfreiheit, weil wir den Menschen nämlich zutrauen, dass sie in der Lage sind zu wählen. Wir wollen einen mündigen Patienten, der eine Grundversicherung - ähnlich wie bei der Kfz-Versicherung - mit Regelleistungen hat, die alle erhalten. Jede Kasse muss zu einem Pauschaltarif jeden Menschen - unabhängig davon, wie gesund, wie krank oder wie alt ein Mensch ist - aufnehmen. Wir sorgen also sehr wohl dafür, dass alle von diesem System erfasst werden. Wir wollen die Kinder über eine Erhöhung des Kindergeldes mitversichern und das Ganze über Steuern finanzieren. Das heißt, es soll von allen finanziert werden, auch von denen ohne Kinder und von den reichen Leuten. Alle sollen solidarisch beteiligt sein. Das ist sehr kind- und familiengerecht. Schließlich wollen wir unbedingt den Ausstieg aus dem Umlageverfahren hin zum Kapitaldeckungsverfahren. Das ist nämlich demografiefest, und dabei können wir die Altersrückstellungen berücksichtigen, die es zwar bei den privaten Krankenkassen, nicht aber bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt.

Ihr Modell ist gegen Familien, Rentner und Arbeitsplätze. Man muss nur einmal betrachten, was zurzeit infolge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes mit den Rentnern und im Gesundheitsmarkt passiert. Unser Modell ist zukunftsweisend, solidarisch, gerecht und demografiefest. Darum kann man nur für die Prämien sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Uwe Schwarz [SPD]: Wenn man das nötige Geld hat, ja!)

Danke schön. Von der Landesregierung hat sich Frau Dr. von der Leyen zu Wort gemeldet. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 54 Monaten geht in Deutschland die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kontinuierlich zurück. Das heißt, meine Damen und Herren, der Arbeitsmarkt bricht uns unter Rot-Grün weg.

(Beifall bei der CDU)

Nur noch 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tragen mit ihren Löhnen und Gehältern und damit auch auf ihren Arbeitskosten die gesamte Last von 90 % unserer Bevölkerung. 26 Millionen finanzieren die soziale Sicherung von über 70 Millionen Menschen. Das, meine Damen und Herren, ist eine Strafsteuer auf Arbeit.

Am Anfang muss also die Einsicht bestehen, dass es so nicht weitergehen kann. Das heutige System ist nicht mehr gerecht, und es ist nicht mehr nachhaltig. Genau da setzen die Überlegungen der Gesundheitsprämie an.

Erstens. Die Gesundheitsprämie ist gerecht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie ist gerecht, weil sie alle Einkommen vom Start an zur Finanzierung heranzieht, und zwar nach Leistungsfähigkeit. Die Gesundheitsprämie unterscheidet eben nicht zwischen Arbeitseinkommen oder Mieteinkommen oder Zinseinkommen. Zum ersten Mal werden auch die Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze belastet. Nicht umsonst titelt der Spiegel, der ja nicht im Verdacht steht, der CDU nahestehend zu sein, „Umverteilung von oben nach unten“.

In der rot-grünen Bürgerversicherung werden Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze überhaupt nicht belastet. Da hört die Umverteilung erst einmal auf. Zur Finanzierung werden zwar die Sparer teilweise, die Arbeitseinkommen völlig und

die Mieteinnahmen überhaupt nicht herangezogen. Wo, bitte schön, bleibt da die Leistungsgerechtigkeit?

Am treffendsten kommentiert dies der SPD-Berater Lauterbach in seinem Interview im Handelsblatt vom 31. August 2004. Auf die Frage, warum Erwerbs- und Kapitaleinkommen jetzt in der Bürgerversicherung so belastet werden und Mieteinkommen geschont werden, sagt er:

„Ich gebe zu, dass das eine Ungleichbehandlung ist. Völlige Beitragsgerechtigkeit gibt es in einem System mit Beitragsbemessungsgrenzen nicht. Sie gibt es nur, wenn wir das Gesundheitssystem über Steuern finanzieren.“

Zweitens. Die Gesundheitsprämie ist familienfreundlich und damit nachhaltig. Einer in der SPDFraktion, der jetzt leider nicht da ist, war diesmal wieder schneller als seine ganze Fraktion. Das ist Sigmar Gabriel. Er hat im Landtag zwar noch im Herbst flammende Reden gegen die Gesundheitsprämie und für die Bürgerversicherung gehalten. Aber er hat dann in der Berliner Zeitung ein paar Wochen später erklärt - es war am 29. Dezember wahrscheinlich hat er gehofft, dass wir über Silvester nicht so wach sind -:

„Wir werden mittelfristig die Lohnnebenkosten sehr viel stärker senken müssen als bisher. Wenn wir den Menschen aber trotzdem eine anständige Rente und eine anständige Krankenversicherung bieten wollen, dann wird es nur so gehen, dass wir einen Teil über Steuern finanzieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir z. B. die Familienmitversicherung und die Pflegeversicherung so bezahlen.“

Willkommen in der Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ganz auf dieser Linie ist im Übrigen auch der SPDManagerkreis, der, wie ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. März zeigt, sagt:

„Bei der Krankenversicherung ist auf eine personenbezogene Pauschale umzustellen. Der notwendige soziale Ausgleich wird steuerfinanziert.“

Mit anderen Worten, die der Friedrich-EbertStiftung nahe stehende Managerkreis geht auf Gegenkurs zur Bürgerversicherung.