Protokoll der Sitzung vom 14.05.2003

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich gehe davon aus, dass auch das Auswahl- und Einstellungsverfahren der neuen Lehrkräfte schnell und sachgerecht durchgeführt wird. Ich möchte hier aber auch deutlich machen, dass wir in Mangelfällen von starren Einstellungsfristen abweichen werden. Nachträgliche Bewerbungen sind durchgängig möglich, wenn die Stelle noch nicht besetzt werden konnte. Damit zeigen wir uns flexibel und reagieren zugleich auf viele Anregungen, wie wir unser Einstellungsverfahren vielleicht noch verbessern können. Jeder kann noch besser werden.

Der Schwerpunkt der Einstellungen verlagert sich, auch demographisch bedingt, von den Grundschulen auf die Gymnasien. Von den jetzt vorgenommenen Ausschreibungen entfällt mehr als ein Drittel auf dieses Lehramt. Damit können jetzt auch viele Gymnasialkräfte in den Schuldienst eingestellt werden, die bisher kein Einstellungsan

gebot erhalten haben. Aber auch die Situation an unseren Hauptschulen und Realschulen wird sich deutlich verbessern. Eine Verbesserung wollen wir auch für die gravierend vernachlässigten Sonderschulen schaffen; wir streben insbesondere dort eine erhöhte Unterrichtsversorgung an.

(Zustimmung bei der CDU)

Gerade hier hat uns die Vorgängerregierung ein schweres Erbe hinterlassen, weil über alle Jahre hinweg trotz des nachweislichen Bedarfs ein harter Numerus clausus für angehende Sonderschullehrkräfte verhängt wurde. Die neue Landesregierung muss jetzt ausbaden, dass die Vorgängerregierung jungen Leuten, die Sonderschullehrerin und Sonderschullehrer werden wollten, die Hochschultür vor der Nase zugeschlagen hat.

Wenn wir alle diese Einstellungen im allgemein bildenden Schulwesen umsetzen, wird uns noch in diesem Jahr eine Unterrichtsversorgung von im Durchschnitt mindestens 99,9 % an den allgemein bildenden Schulen gelingen. Auch hier, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion und von der Fraktion der Grünen, setze ich auf Freude, Unterstützung und Beifall von Ihnen,

(Beifall bei der CDU)

gerade weil die Umsetzung dieses Zieles in den vergangenen zehn, zwölf Jahren nicht gelungen ist. Man muss doch auch mal anerkennen können. Wir wollen, dass der vorgesehene Unterricht nicht nur statistisch, sondern de facto vollständig erteilt werden kann, und zwar an allen Schulformen. Einschränkungen darf es nur dort noch partiell geben, wo es sich zeigt, dass nicht genügend Lehrkräfte für eine Einstellung, beispielsweise fächerspezifisch oder warum auch immer, zur Verfügung stehen. Aber im Schnitt liegen wir bei 99,9 %. Möglicherweise liegen wir demnächst noch besser, und wenn wir die 100 % übersteigen, haben Sie noch einmal die Chance zu applaudieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen feststellen: Die berufliche Bildung, die rund zwei Drittel eines Altersjahrgangs durchlaufen, hat unter der SPD-Vorgängerregierung ein Schattendasein geführt. Deutliches Zeichen dafür ist, dass sie für 25 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler bis 2009 keine einzige zusätzliche Lehrerstelle vorgesehen hatte. Auch hier stellen wir die Weichen anders. Von dem Gesamteinstel

lungsvolumen von 4 114 Stellen sind ab Schuljahresbeginn für die berufsbildenden Schulen 1 232 Neueinstellungen vorgesehen, davon 1 000 auf zusätzliche Stellen. Angesichts des besonders harten bundesweiten Wettbewerbs um Berufsschullehrkräfte und um qualifizierte niedersächsische Absolventinnen und Absolventen im Land halten zu können, erfolgt die Einstellung flexibel und schrittweise. 689 Neueinstellungen erfolgen zum Schuljahresbeginn im August, die übrigen Stellen werden schrittweise bis zum Januar 2004 ausgeschrieben, um allen geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern ein Einstellungsangebot machen zu können. Auch hier haben wir wieder die gleiche Grundregel: Wenn Landeskinder im Herbst ihr Examen machen, wollen wir ihnen nicht sagen müssen, die Stellen seien bereits vergeben, sondern wollen ihnen deutlich machen, dass sie noch auf den Zug aufspringen können. Das ist, glaube ich, eine vernünftige Haltung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Bereich der Fachpraxis können wir damit eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung sichern. Im Übrigen wird angesichts der steigenden Schülerzahlen eine erhebliche Anzahl der neuen Stellen im berufsbildenden Bereich allein dafür benötigt, die derzeitige Unterrichtsversorgung zu stabilisieren.

Gleichzeitig muss die Situation auf dem Markt der Ausbildungsplätze berücksichtigt werden. Durch die abnehmende Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge hat sich ein Zulauf zu den Vollzeitbildungsgängen ergeben, der den Bedarf langfristig erhöhen wird und uns vor zusätzliche Herausforderungen stellt.

Sie können sich vorstellen, wo wir im Bereich der beruflichen Bildung gelandet wären, wenn wir dem Kurs der Vorgängerregierung gefolgt wären und nicht jetzt 1 000 zusätzliche Stellen geschaffen hätten. Wir haben aber, wie ich meine, eine nahende Katastrophe gerade noch abwenden können. Auch im Bereich der berufsbildenden Schulen werden wir im Übrigen noch eine Einstellungsreserve von 150 Stellen bereit halten, um flexibel auf bestimmte Bedürfnisse reagieren zu können.

Wir haben uns viel vorgenommen, und wir haben bereits im ersten Anlauf viel geschafft. Wir sichern und verbessern die Unterrichtsversorgung in schwierigen Zeiten durch einen historischen Kraftakt. Doch wir dürfen und können uns nicht auf

irgendwelchen Lorbeeren ausruhen, sondern müssen auf die Herausforderungen der Zukunft schauen.

An den allgemein bildenden Schulen werden zum Schuljahresbeginn 2004 noch einmal rund 1 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler erwartet. Dann beginnt langsam der Schülerrückgang. Bereits 2008 werden wir rund 30 000 Schülerinnen und Schüler weniger in den Schulen haben. Das entspricht rund 1 200 Lehrerstellen. Wer aber meint, dass diese Stellen vollständig zur Disposition stünden, der irrt. Einmal mehr muss ich auf die Hypotheken der Vorgängerregierung hinweisen: Mehr als 20 Jahre lang werden im Durchschnitt 700 Vollzeitlehrkräfte jährlich benötigt, um das verordnete Lehrermehrarbeitskonto abzutragen. Hier ist einmal mehr ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft ausgestellt worden. Den müssen wir jetzt einlösen.

Der Handlungsspielraum wird weiter dadurch eingegrenzt, dass wir uns eine ehrgeizige Schulreform vorgenommen haben, deren Grundlagen mit der Verabschiedung des Schulgesetzes im Juni gelegt werden: die Anbindung der Schuljahrgänge 5 und 6 an die weiterführenden Schulen, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf zwölf Jahre und anderes mehr. Das ist nicht mit einem Federstrich getan, weil Grundsatzerlasse, Rahmenrichtlinien und andere Vorgaben neu konzipiert und aufeinander abgestimmt werden müssen. Wir wollen nicht wie die Vorgängerregierung das Abitur nach zwölf Schuljahren durch trickreiche Weichenstellungen über Stundenkürzungen durchsetzen. Wir fühlen uns den Vorgaben der Kultusministerkonferenz verpflichtet, die vorgegebenen 265 Jahreswochenstunden nicht mehr in neun, sondern in acht Schuljahren umzusetzen. Das hat natürlich zur Folge, dass wir besonders in den unteren Jahrgängen mehr Unterricht erteilen müssen. Das wollen wir auch tun. Dazu bedarf es zusätzlicher Lehrerstunden.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben uns die Erhöhung der Stundenzahl an den Grundschulen vorgenommen, um gerade an dieser entscheidenden Stelle von der Magerkost der Vorgängerregierung Abschied zu nehmen und unseren Grundschülerinnen und Grundschülern einen gedeckten Schultisch zu bieten. Wir wollen mehr Stunden in der Grundschule. Wir wollen gerade die Grundschülerinnen und Grundschüler noch besser als bisher fördern und brauchen dafür

weitere Lehrerstellen. Allein der Sprachförderunterricht, der im Frühjahr 2004 beginnt - das war durchaus von der Vorgängerregierung so geregelt -, zieht einen Zusatzbedarf von fast 300 Lehrerstellen nach sich. Qualitätsverbessernde Maßnahmen wie etwa die Hochbegabtenförderung und weitere ganztagsschulische Angebote erfordern weitere Ressourcen. Auf kleiner Flamme kann man das Gericht eines verbesserten Unterrichtswesens nun einmal nicht kochen.

Jetzt kommt ein ernstes Thema, für das ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten möchte. Auch gegen die Überalterung unserer Lehrerschaft ist nicht rechtzeitig gesteuert worden. Über 40 % unserer Lehrkräfte scheiden in den nächsten zehn Jahren aus. Wir stehen damit vor extrem hohen Altersabgängen von Lehrkräften aus dem Schuldienst. Mehr als ein Viertel aller Lehrkräfte befand sich im letzten Jahr in der Altersgruppe der 50- bis unter 55-Jährigen und wird dann bis 2010/2013 die Lehrertätigkeit beenden. Der stärkste Altersjahrgang ist jetzt 52 Jahre alt und zählt rund 3 500 Lehrkräfte. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen der niedersächsischen Lehrerausbildung reicht mittelfristig nicht aus, um den Ersatzbedarf zu decken.

Wir werden deshalb einen Teil des Einstellungsbedarfs nur mit Zugängen aus anderen Ländern decken können und werden uns gerade deshalb auch um die Qualifizierung von geeigneten Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern bemühen müssen. Insbesondere mit den neuen Bundesländern befinde ich mich derzeit in Verhandlungen und hoffe, bald Ergebnisse präsentieren zu können. Warum sollen in Niedersachsen Lehrerstellen mittelfristig unbesetzt bleiben, wenn geeignete Lehrkräfte in anderen Bundesländern arbeitslos sind oder werden? Ich strebe hier für beide Seiten faire und notfalls befristete Regelungen an. Mit den beiden Seiten meine ich die benachbarten Bundesländer und Niedersachsen.

Im berufsbildenden Bereich stellt sich die Herausforderung noch stärker als im allgemein bildenden Bereich. Insgesamt muss auch die Kapazität im Vorbereitungsdienst noch weiter ausgebaut werden, weil nun endlich erfreulicherweise die Zahl der Lehramtsstudienanfänger deutlich gestiegen ist.

(Zuruf von der SPD: Schon seit zwei Jahren!)

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir haben in den nächsten zehn Jahren Jahr für Jahr einen wahnsinnigen Bedarf an zusätzlichen Lehrern. Die Lehrerproduktion im Land selber hält nicht Schritt, weil die Vorbereitungen über Jahre hinweg dafür nicht getroffen wurden.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der CDU: Genau das ist es!)

Das Personalmanagement in den letzten zehn Jahren war gleich Null. Wir haben das kommen sehen, und deshalb darf man jetzt nicht so überrascht tun. Wir stehen bei der Bewältigung des Lehrermangels gerade erst am Anfang. Es ist wohl einer der gravierendsten Kritikpunkte an der SPDVorgängerregierung, dass diese verhindert hat, dass sich Abiturientinnen und Abiturienten rechtzeitig für den Lehrerberuf entschieden haben.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Wir haben das verboten!)

In den entscheidenden Jahren von 1995 bis 1998, Herr Gabriel, hat es eine Abstimmung mit den Füßen gegen den Lehrerberuf gegeben. Wie will man auch den eigenen Kindern zum Lehrerberuf raten - das müssen Sie sich jetzt einmal anhören -, wenn ein Niedersächsischer Ministerpräsident im März 1995 erklärt:

„Die Pauker, die mag ich wirklich nicht leiden, weil die Leute benutzen... Freunde, Freunde, ihr wisst doch ganz genau, was das für faule Säcke sind... Trotzdem macht ihr mit den Lehrern zusammen Demos, von denen ihr ganz genau wisst, dass sie lieber alle Fünfe gerade sein lassen, was ihre eigenen Dienstleistungen angeht.“

Es gibt wohl kaum ein Zitat in der schul- und bildungspolitischen Diskussion, welches so fatale Folgewirkungen gezeigt hat wie diese unselige „faule Säcke“-Diffamierung durch Gerhard Schröder.

(Heidrun Merk [SPD]: So eine alte Kamelle!)

Es gibt viele Sozialdemokraten, die sich a) heute noch für dieses Zitat schämen und die b) auch wissen, welch dramatischer politischer Fehler damit eingeleitet wurde.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Warum sollte man also Lehrerin oder Lehrer in Niedersachsen werden, wenn der Berufsstand und das Berufsbild diffamiert werden, wenn nur Teilzeitstellen angeboten werden, nur unattraktive Angestelltenverträge vorgesehen sind und das Ganze noch mit von oben verordneter Lehrermehrarbeit von bis zu zwei Stunden garniert wird? - Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, haben die Rahmenbedingungen für den Lehrerberuf radikal verschlechtert, auch im Wettbewerb mit den anderen Ländern. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Denn einmal mehr muss die jetzige Regierung die Suppe auslöffeln, die Sie uns eingebrockt haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist nicht so, dass nicht rechtzeitig gewarnt worden wäre. Die CDU-Landtagsfraktion hat bereits 1995 mit einem Entschließungsantrag auf die steigenden Schülerzahlen und den zusätzlichen Lehrerbedarf hingewiesen. Nichts ist geschehen! Das Regierungshandeln war sogar kontraproduktiv: schlechte Arbeitsbedingungen, Stellenkürzungen bei steigenden Schülerzahlen und harter Numerus clausus in fast allen Lehramtsstudiengängen. Diese Fehlentscheidungen sind halt getroffen worden. Hätten Sie damals gehört, dann hätten wir heute vernünftige Bedingungen. Jetzt müssen wir das aufarbeiten, was Sie versäumt haben. Das ist eine weitere Hypothek, die Sie uns in diesem Punkt hinterlassen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Von dieser Landesregierung werden Sie Lehrerschelte nicht hören. Wir wissen, dass gerade in den PISA-Siegerländern der Lehrerberuf besonders anerkannt wird. Ich freue mich ganz besonders, dass sowohl der Ministerpräsident als auch der Landtagspräsident in Regierungserklärung und Antrittsrede die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer ganz besonders gewürdigt haben. Ohne engagierte Lehrkräfte - da bin ich sicher - wird die Schule der Zukunft nicht gelingen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich weiß, welch hervorragende Arbeit an unseren Schulen geleistet wird. Dort engagieren sich Lehrkräfte, oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, selbstlos, ohne dafür lautes Lob einzufordern. Da

für auch an dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die dramatische Haushaltslage, gerade auch in den folgenden Jahren, erfordert einschneidende Konsequenzen. Zusätzliche Anforderungen müssen auf das unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Eindeutige Prioritäten zulasten anderer, auch notwendiger Bereiche sind erforderlich. Alle sind gefordert, einen Beitrag zur Konsolidierung der Landesfinanzen zu erbringen.

An dieser Stelle darf ich ausdrücklich unseren Finanzminister ansprechen, mit dem wir das alles hinbekommen. Er wird vielleicht an der einen oder anderen Stelle der Rede gesagt haben: Mein Gott, was ist denn noch alles erforderlich, was muss noch erfolgen, um die Schulen auf Vordermann zu bringen? - Dazu sage ich ausdrücklich, Herr Finanzminister: Wir wissen, dass im Schulbereich mit den zur Verfügung stehenden Lehrerstellen besonders wirtschaftlich und zielorientiert umgegangen werden muss. Alle mit Lehrerstellen finanzierten Maßnahmen müssen dahin gehend überprüft werden, ob sie für den erforderlichen Unterricht der Schülerinnen und Schüler unabdingbar notwendig sind. Es gilt das Leitziel: Schule ist zu allererst Unterricht. Wir setzen mit Nachdruck auf Vorfahrt für Unterricht!

Deshalb gehören auch alle Anrechnungsstunden und Zusatzbedarfe unnachsichtig auf den Prüfstand im Hinblick auf einen effektiven Einsatz von Lehrerstunden, damit möglichst viele Schülerinnen und Schüler die vorgegebenen Bildungsziele und Standards erreichen.

(Zustimmung von Bernd Althusmann [CDU])

Wir müssen darauf achten, dass während der Schulzeit auch tatsächlich Unterricht stattfindet und nicht immer mehr - ich sage das ganz offen für an und für sich nicht unsympathische Aktionen und Aktionstage verbraucht wird. Das steht der Erteilung des Unterrichtsstoffes manchmal entgegen. Wenn Lehrerfortbildung, Dienstbesprechungen und Kollegiumsausflüge in die unterrichtsfreie Zeit gehören, dann gilt dieses auch für die eine oder andere Schüleraktivität.