Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005

(Beifall bei der CDU)

Wir fordern vernünftige Ausgleichsregelungen für unsere Landwirtschaft bei mindestens 60 %. Wir fordern, dass der Strukturwandel, der sich einstellen wird, vernünftig begleitet wird. Wir fordern Planungssicherheit für unsere Landwirte, und wir fordern auch Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Fabriken.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen die Standorte hier absichern und Alternativen aufzeigen,

(Rolf Meyer [SPD]: Das muss man für den Rohrzucker aber auch sagen!)

u. a. dadurch, dass wir hier Bioethanol aus europäischer Produktion - das ist letztendlich sinnvoll vorschreiben.

Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute die Möglichkeit haben, eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung zu verabschieden. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Steinecke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns auf eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung einigen konnten und uns einig sind, dass die Zuckerproduktion und damit auch der Rübenanbau in Niedersachsen erhalten bleiben muss.

Dies ist ein politischer Grundsatzbeschluss. Wer dem zustimmt, erkennt Folgendes an:

Erstens. Eine totale Liberalisierung kommt nicht infrage, da Rübenzucker niemals konkurrenzfähig zu Rohrzucker sein kann. Außerdem würde sich die EU bei hundertprozentiger Aufgabe der Eigenversorgung in Abhängig vom Weltmarkt begeben, mit allen Risiken. Ökologische und soziale Standards als nichthandelsbezogene Anliegen stehen nicht auf der Tagesordnung der laufenden WTOVerhandlungen, obwohl wir das immer gefordert haben. Die Europäer können die Reformvorschläge schon aus diesem Grund nicht unterschreiben, weil damit noch mehr Zuckerproduktion in Staaten wandert, die zu sozial und ökologisch ablehnenswerten Standards produzieren.

Hinzu kommt Folgendes: Was für Zucker gilt, das gilt eigentlich für alle landwirtschaftlichen Produkte: Die kann man weltweit günstiger produzieren. Gerade für Niedersachsen als „Agrarland Nummer eins“ hätte das katastrophale Folgen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wie eine Region ohne Landbewirtschaftung aussieht, konnte ich mir in der Region Königsberg ansehen. Ich empfehle jedem, sich das anzusehen, damit er oder sie begreift, wie verheerend jahrelang brachliegende Flächen aussehen - ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Folgen für die betroffene Bevölkerung.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit der seit dem 1. Januar 2005 in Umsetzung befindlichen GAP-Reform, die der Landwirtschaft genug abverlangt, sind wir auf dem richtigen Weg: Auf der einen Seite soll Landwirtschaft zu mehr Wettbewerb fähig gemacht werden, und auf der anderen Seite soll ein Ausgleich für die hohen Standards, die wir in Europa verlangen, stehen.

Ziel ist natürlich die Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt, aber dann muss bei den WTO-Verhandlungen auch die Diskussion über Standards der Produktion geführt werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Preis für Zucker innerhalb der EU liegt deutlich über dem Weltmarktniveau. Die Differenz tragen Verbraucher und Zucker verarbeitende Wirtschaft. Das ist vertretbar, weil sich die Mehrausgaben für den Verbraucher auf ca. 7 Euro belaufen. Herr Oesterhelweg hat es auch schon angesprochen: Ob die Preisvorteile an die Verbraucher weiter gegeben werden, ist äußerst zweifelhaft. Bei Getreide hat das zumindest nicht funktioniert. Und Cola light ist auch teurer als normale Cola, obwohl darin bekanntlich kein Zucker enthalten ist.

(Zustimmung bei der CDU - Clemens Große Macke [CDU]: Wenn Du doch in Berlin Verantwortung hättest!)

Die Zuckermarktordnung muss angepasst werden - die Gründe sind bekannt. Der vorliegende Antrag skizziert den Rahmen, den wir gemeinsam bei der Ausgestaltung der ZMO berücksichtigt sehen wollen. Die ursprünglichen Anträge zur ZMO von SPD und CDU waren in fast allen Punkten identisch. Ich freue mich aber, dass es uns gelungen ist, bei den Verhandlungen um einen gemeinsamen Antrag zusätzliche Punkte einzubringen.

Ein erster ganz wichtiger Punkt ist die Finanzierung der Ausgleichszahlungen für zu erwartende Einkommensverluste in Höhe der Einsparungen bei den Zuckerexporten - also haushaltsneutral.

Zweitens. Die Durchsetzung eines Beimischungsgebots von in der EU produziertem Bioethanol.

Ein dritter Punkt war uns wichtig, der im Ursprungsantrag der CDU-Fraktion nicht enthalten war: die Erarbeitung von Vorschlägen für einen Restrukturierungsfonds, der die Interessen der Arbeitnehmer bei Fabrikschließungen mit einbezieht. Wir machen damit deutlich, dass es nicht nur um die Interessen der Rübenanbauer geht, sondern auch um die soziale Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im vor- und nachgelagerten Bereich der Rübenproduktion.

(Beifall bei allen Fraktionen - Clemens Große Macke [CDU]: Das ist für uns selbstverständlich!)

- Aber ihr hattet es im Antrag vergessen. - Nun liegt seit gestern der Legislativvorschlag der Kommission auf den Tisch. Er macht unseren Antrag bei weitem nicht überflüssig. Unsere Forderungen bleiben richtig. Die Zeit reicht nicht aus, um den Legislativvorschlag in allen Einzelheiten zu bewerten. Ich will mich auf wenige Punkte beschränken.

Die lange Laufzeit ist gut. Sie schafft Planungssicherheit. Die Preiskürzung ist zu radikal und in zwei Schritten nicht umsetzungsfähig. Vor allem in den ersten vier Jahren der Reform werden vor dem Hintergrund der geplanten Umstrukturierung durch Herauskaufen von Quoten enorme Kosten für die Zuckerproduzenten hervorgerufen werden. Ich plädiere eher für einen flacheren Gleitflug mit sanfter Landung als für einen Sturzflug mit Bruchlandung, bei der die Aufräumarbeiten sehr kostspielig sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Hohe Einkommensverluste generieren hohe Ausgleichszahlungen. Die Reform ist zu teuer. Die Vorlosung ermöglicht den Mitteleinsatz für Umstrukturierungsmaßnahmen in den betroffenen Regionen.

Das alles ist mir aber noch zu unpräzise. Die soziale Absicherung der Arbeitnehmer in der Zuckerproduktion ist nicht hinreichend konkret benannt. Vor allem fehlt der konkrete Mittelansatz.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Interessen der Entwicklungsländer sind nicht ausreichend gewahrt. Die Erlösminderungen werden sie in dieser Form nicht verkraften können. Außerdem ist nicht klar, woher die 40 Millionen Euro, die im Legislativvorschlag erwähnt werden, kommen sollen. Die Quotenkürzung auf freiwilliger Basis in den ersten vier Jahren ist grundsätzlich zu begrüßen.

Ich komme zum letzten Punkt, der besorgniserregend und für mich der kritischste Punkt der Diskussion überhaupt ist: Die derzeitige Nettobelastung durch die ZMO beträgt rund 1 Milliarde Euro. Unter Berücksichtigung der Produktionsabgaben belasten die Reformvorschläge den EU-Haushalt mittelfristig mit mindestens rund 1,5 Milliarden Euro. In dieser Nettobelastung von 1,5 Milliarden Euro sind die dann noch möglichen Exporterstattungen in Höhe von 300 000 Euro, die Kosten für die

private Lagerhaltung und auch die Ausgaben für die AKP-Plan noch nicht enthalten.

Will man die Haushaltsneutralität über Haushaltsdisziplin, d. h. über Kürzung aller Direktzahlungen, regeln, gibt es einen brutalen Verteilungskampf und eine erneute quälende Debatte. Der Vertreter der EU-Kommission, Hoelgaard, hat doch beim Landvolktag schon stark angedeutet, dass 2007 bei den Direktzahlungen EU-Kürzungen bis zu 7 % anstehen.

Den Weg über einen Umverteilungskampf halte ich deshalb für sehr verlustreich und nicht zielführend. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussion um die Finanzierung der EU-Ausgaben habe ich keine Hoffnung, dass es gelingen könnte, zusätzliche Mittel für Agrarausgaben bewilligt zu bekommen. Das wäre auch nicht zu verantworten. Mich würden dazu klare Aussagen der Bundes-CDU interessieren.

(Zuruf von der CDU: Ich schicke Ihnen das zu!)

Herr Oesterhelweg, jetzt sollten Sie gut zuhören: Teilt die CDU die Auffassung von Herr Böge? Meinen Sie es ernst mit der nationalen Kofinanzierung von Direktzahlungen? Was bedeutet das für Niedersachsen? Oder soll das allein aus Bundesmitteln finanziert werden?

(Glocke des Präsidenten)

Die CDU muss für Klarheit sorgen, auch bei der Frage, wie viel Prozent des Bruttonationalproduktes sie in die EU-Kasse zahlen will. Bleibt sie a) bei 1 %, dann bedeutet das Kürzungen bei den Agrarausgaben, vor allem bei Mitteln in der Regionalentwicklung. Will sie b) mehr, dann muss sie sagen, woher die Mittel im laufenden Bundeshaushalt kommen sollen. Spannend wäre auch, zu erfahren, wie sich unser Ministerpräsident und Minister Ehlen positionieren.

Beide Varianten sind für Niedersachsen unvorteilhaft. Eines geht nicht: In Brüssel für mehr Mittel und in Berlin für Beibehaltung des 1 %-Anteils eintreten. Sie können nicht bei allen Themen rumeiern, Sie müssen Farbe bekennen und den Menschen erklären, was Sie wollen.

(Zustimmung bei der SPD - Clemens Große Macke [CDU]: Wir eiern nicht! - Bernd Althusmann [CDU]: Sie müssen jetzt Schluss machen!)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir werden im Ausschuss Zeit haben, über Einzelheiten des Vorschlags zu diskutieren. 1 : 1 wird er nicht umsetzbar sein. Letztlich steht und fällt das Konzept mit der Finanzierbarkeit. Deshalb ist in Brüssel Klarheit über den künftigen Finanzrahmen zu schaffen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Klein das Wort.

(David McAllister [CDU]: Jürgen, löse dich von Frau Künast!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! EUMarktordnungen haben mit Markt sehr wenig zu tun. Produktionsquoten und Garantiepreise sind eher Instrumente einer sozialistischen Planwirtschaft. Auf der einen Seite - auf der Erzeugerseite - sorgen sie natürlich für sichere Einkommen, aber auf der anderen Seite sind typische Kennzeichen Überproduktion und überhöhte Preise.

Es gibt zwei Wege, diese Reform durchzuführen. Eine Möglichkeit ist, den Preis zu senken, eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Quoten zu kürzen. Die Preissenkung ist der harte, marktwirtschaftliche Weg - eine neoliberale Globalisierungsstrategie, wenn Sie so wollen. Sie wirkt kurz, aber sehr schmerzhaft. Bei diesem Weg ist ausschließlich die Wirtschaftlichkeit entscheidend. Die Kostenstruktur entscheidet darüber, wo künftig Rüben angebaut werden und wer sie anbaut. Die Quotenkürzung dagegen ermöglicht eine langsame, gleitende Anpassung. Standortsicherungen sind möglich, um z. B. sozialen Argumenten entgegenzukommen. Ökologische, soziale Standards lassen sich dabei berücksichtigen. Über ein globales Quotensystem lassen sich auch gezielt Entwicklungshilfeeffekte bei den ärmsten Ländern der Welt erzielen.

Die politische Aufgabe der Reform lautet, auf der einen Seite Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu sichern, auf der anderen Seite den Ländern der Dritten Welt Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen und drittens die Stellung Deutschlands als Exportweltmeister nicht zu gefährden. Das ist ein Zieldreieck, das sich nur schwer und nur, wenn alle Abstriche machen, verwirklichen lässt, das außerdem noch international durchsetzbar sein muss.