Protokoll der Sitzung vom 24.06.2005

Meine Damen und Herren, das Gutachten verdeutlicht, dass die augenblickliche Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen in Niedersachsen weder den Bedürfnissen der betroffenen Menschen noch den Erfordernissen der Palliativversorgung noch den Möglichkeiten der Leistungserbringer entspricht. Das gilt es doch, im positiven Sinne zu verändern. Ein Gesamtkonzept für die Versorgung unheilbar kranker Menschen ist überfällig. Die vorhandenen Abgrenzungen zwischen den Leistungsanbietern spezieller Palliativleistungen müssen aufgehoben werden. Außerdem ist es notwendig, ein bedarfsgerechtes Leistungsbündel zu erstellen, zu dem konkrete Vorschläge erarbeitet werden. Es ist die Aufgabe der Sozial- und Gesundheitsministerin und dieser Landesregierung, diesen Prozess jetzt auf den Weg zu bringen, und zwar umgehend.

Wir haben mit dem Gutachten jetzt einen Baustein. Es ist ein eindeutiger Arbeitsauftrag, damit wir in Niedersachsen endlich dahin kommen, eine flächendeckende, verlässliche, wohnortnahe und vernetzte stationäre und ambulante Angebotspalette auf den Weg zu bringen. Wie ich beim letzten Mal schon gesagt habe: Ich möchte nicht zehn Jahre warten, bis wir so weit sind. Nehmen wir das Gutachten und fangen wir an zu arbeiten! Hören wir auf zu mauern, wie das im März in dieser Pressekonferenz geschehen ist! - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Meißner das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Janssen-Kucz, gleich zu Ihnen: Ich hatte nicht den Eindruck, dass gemauert wird, aber die Ministerin wird ja gleich selbst zu uns reden und kann selbst dazu Stellung nehmen.

Der Antrag ist im Grunde genommen nicht unbedingt notwendig gewesen - so sehe ich es einmal -;

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

denn wir hatten die Datenerhebung in Auftrag gegeben. Sie liegt uns vor. Es ist uns bei der Berichterstattung gesagt worden, dass jetzt die Konzepte erstellt und umgesetzt werden sollen. Selbstverständlich kann man sagen: Es ist nie verkehrt, wenn ein Thema im Gespräch bleibt. Das ist völlig richtig.

An einem Punkt stimme ich Ihnen aus meiner Sicht völlig zu: Nachdem wir das Gutachten vorgestellt bekommen haben, habe ich mir vor Ort einen Eindruck davon verschafft, wie dieses Gutachten von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen beurteilt wird. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es nicht ausreicht, landesweit nur ein Palliativzentrum mit 24-Stunden-Hotline in Göttingen zu haben, sondern dass es gut wäre, nicht nur virtuelle Palliativstützpunkte, wie es heißt, auf Kreisebene zu haben - das sieht das Gutachten vor -, sondern reale Stützpunkte auf Kreisebene. Es wurde mir z. B. in Celle und Oldenburg gesagt, dass es für die praktische Arbeit vor Ort in den Regionen gut wäre, Stützpunkte zu haben, die 24 Stunden am Tag erreichbar sind und kompetent beraten können. Ferner wurde mir gesagt, dass ein Landeskompetenzzentrum zusätzlich natürlich sehr sinnvoll ist, dass es damit aber allein nicht getan sein kann. Über diesen Punkt sollten wir, meine ich, im Ausschuss noch genauer diskutieren, was man machen kann, um das entsprechend anders umzusetzen.

Ergänzend zu dem, was schon gesagt worden ist, möchte ich noch auf einige Fakten hinweisen, da nicht alle Kollegen hier im Landtag dieses Gutachten kennen. Frau Mundlos hat schon einige Zahlen genannt. Zum Zeitpunkt der Befragung - also im März letzten Jahres - gab es neun Kran

kenhäuser mit Palliativstationen. Im Laufe der Zeit werden weitere 45 % der Krankenhäuser hinzukommen. 45 % der Krankenhäuser, die befragt wurden und die keine Palliativeinrichtungen hatten, planen, Palliativbetten einzurichten, oder haben dies schon getan. Das heißt, in diesem Bereich wird viel getan. Alle wissen um die Notwendigkeit. Denn eines ist klar: Die meisten Menschen möchten am liebsten umsorgt und auch entsprechend psychisch betreut sterben, und zwar am liebsten nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause. Darum brauchen wir viele ambulante Palliativdienste. In der Realität sieht es genau umgekehrt aus: Die meisten Menschen sterben im Pflegeheim oder im Krankenhaus. Ein Großteil der Menschen verstirbt im Pflegeheim. Deshalb müssen die Pflegeheime unbedingt in das Gesamtkonzept mit einbezogen werden.

Noch ein Punkt zu den Standards und Leitlinien. Das ist in dem Konzept angesprochen worden. Man möchte Standards und Leitlinien entwickeln, um die Palliativversorgung im Lande zu verbessern und um allen einzelnen mitarbeitenden Einrichtungen Vorschläge zu unterbreiten, wie sie arbeiten sollten, damit man auch ein Qualitätskriterium hat. Die Vorrednerinnen haben Niedersachsen bereits gelobt, dass unser Land in Deutschland vorbildlich sei. Das ist auch richtig. Andere Länder sind aber noch viel weiter. Großbritannien ist erheblich weiter, was die palliativmedizinische Versorgung und Hospize angeht. In diesem Fall ist sogar Österreich weiter als wir, was die Standards und Leitlinien angeht. Ich habe hier ein abgestuftes Palliativ- und Hospizversorgungsmodell für Österreich. Dort wird sehr praktisch aufgezeigt, welche Einrichtung auf welcher Stufe erforderlich ist, welche Ziele die einzelnen Einrichtungen haben sollten, welche Mitarbeiter sie haben sollten und wie die Erreichbarkeit ausgestaltet werden könnte. Also ein kleiner Tipp: Manchmal kann man auch nach Süden gucken und von Österreich lernen. Vielleicht ist das in diesem Fall eine Variante.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss; denn dieses Thema ist sehr wichtig. Es wird noch wichtiger, weil immer mehr Menschen alt werden und eine gute Begleitung in den letzten Lebenstagen und einen würdevollen Tod haben sollten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat jetzt Ministerin Frau Dr. von der Leyen das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Janssen-Kucz, ich finde es bedauerlich, dass Sie sich bereits im Vorfeld, 14 Tage vor der gemeinsamen Fachtagung, so festbeißen;

(Thomas Oppermann [SPD]: Dann kann man auch wieder loslassen!)

denn hier geht es wirklich darum, ein Konzept gemeinsam zu entwickeln, und nicht darum, von vornherein zu sagen, was man nicht will, was nicht geht und was vor allem nicht möglich ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben das hochspezialisierte Forschungszentrum angesprochen, Herr Oppermann: Genau dieses Forschungszentrum hat seinen Sitz zu Recht in Göttingen, weil dort eine universitäre Expertise sitzt, weil dort SUPPORT integriert wird und weil das eine Vorreiterfunktion gehabt hat. In Emden/Leer gibt es nun einmal keine Universität, also können wir dort auch keinen universitären Forschungsstützpunkt einrichten. Die Alternative wäre allerhöchstens noch die Medizinische Hochschule Hannover gewesen. Sie haben aber suggeriert, als wäre es der einzige Palliativstützpunkt, der als Forschungsschwerpunkt in Göttingen eingerichtet werden soll. Nicht erwähnt haben Sie die regionalen Palliativstützpunkte, die eingerichtet werden sollen. Die Frage ist, wie wir sie organisieren. Das Wort „virtuell“ steht im Gegensatz zum Wort „real“. Dort geht es nur um die Frage, wie diese Stützpunkte personell organisiert werden. Wird nämlich ein fester Personalpool z. B. auf Kreisebene eingerichtet, dann muss auch beantwortet werden, wer das trägt und finanziert. Das ist mit hohen Personalkosten behaftet. Die andere Möglichkeit ist - das stand bei den Gutachtern, die das Wort „virtuell“ geprägt haben, dahinter -: Wir vernetzen die Strukturen, die vor Ort schon gewachsen sind und ihre Berechtigung haben, die wir nicht einfach wegwischen können, so, dass es auf der Kreisebene Stützpunkte gibt.

Genau darüber, wie wir das entwickeln wollen und was der beste Weg ist, wollen wir mit denjenigen,

die dieses Feld in der Realität tagtäglich bearbeiten, bei unserer Fachtagung diskutieren, zu der ich Sie gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen eingeladen habe. Ich freue mich, dass es bereits die ersten Zusagen aus den Fraktionen gegeben hat.

Es ist doch entscheidend, das, was in dem Gutachten dargelegt worden ist, in dem nämlich eine Bestandsaufnahme gemacht worden ist, zunächst einmal zu analysieren. Anschließend ist zu prüfen, ob die Vorschläge der Gutachter umsetzbar sind und was wir kurz-, mittel- und langfristig realisieren können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ganz entscheidend ist, dass die Gutachter festgestellt haben - das kann man positiv wie negativ bewerten -, dass wir in Niedersachsen eine ganz interessante und vielfältige Landschaft der Hospizund Palliativversorgung haben. Sie ist enorm vielfältig. Daraus das Beste zu machen, wird unsere Aufgabe sein. Die Palliativversorgung und das Thema Hospiz sind allerdings bei den finanziellen Transferströmen nicht klar geordnet. Insofern müssen wir auch darauf Rücksicht nehmen. Man kann sich nicht als Land hinstellen und sagen „Wir wollen jetzt eine Palliativstation“. Das könnte ich überhaupt nicht bestimmen. Ich habe überhaupt nicht das Recht, so etwas im Krankenhausplanungsausschuss festzulegen. Aber ich möchte gerne eine Moderatorenfunktion übernehmen, um genau das, was vor Ort gut ist, zusammenzufassen.

Es ist klug, zunächst einmal darauf zu hören, was vor Ort gewachsen ist. In Celle sind die Strukturen anders als in Hannover. Aber beides ist interessant und wird von Experten als gangbarer und guter Weg bezeichnet. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Inneres und Sport zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltun

gen? - Gibt es nicht. Dann ist das so beschlossen worden.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 49: Erste Beratung: Investitionsprogramm Ganztagsschule konsequent umsetzen und langfristig weiterentwickeln! - Ein Mittagstisch für die niedersächsischen Schulen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1997

Zur Einbringung erteile ich Frau Korter das Wort. Bitte schön, Frau Korter!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rauchende Köpfe, knurrende Mägen - 12 Uhr mittags in der Schule. Jeden Tag das Gleiche: Der Kopf ist voll, aber der Bauch ist leer. Einzeln und in Gruppen streifen unsere Kinder über die Flure und Schulhöfe auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit.

(Lachen bei und Zurufe von den Frak- tionen der CDU und der FDP)

Hinter ihnen liegt schon ein halber Tagesritt durch die trockene Materie des Stundenplans, vor ihnen die Weite des Nachmittags im Schulbus oder im Nachhilfeunterricht.

Aus den Packtaschen rieseln nur noch Krümel alten Brotes, verschwommene Bilder von Hamburgern oder Snickers locken am Horizont.

(Lachen bei und Zurufe von der CDU und von der FDP)

Derweil sitzt Big Berny Busemann auf der Veranda das Saloons, putzt seinen Ministerstern und wartet auf die nächste Postkutsche, die ihm das Geld aus der Hauptstadt bringen soll.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

High noon in der norddeutschen Tiefebene - heute bleibt die Küche kalt. - Das wäre nicht nur ein schlechter Kinofilm, sondern das ist auch die trau

rige Wirklichkeit in den meisten niedersächsischen Schulen ohne Mittagstisch.

Meine Damen und Herren, die traditionelle deutsche Vormittagsschule geht inzwischen mehr und mehr an der sozialen Wirklichkeit im Land vorbei. Sie geht noch immer davon aus, dass mittags zu Hause die Mutter auf ihre Kinder wartet und ihnen ein warmes Mittagessen schon auf den Tisch gestellt hat. Leider ist das in immer weniger Familien der Fall. Die steigende Anzahl allein Erziehender und die Berufstätigkeit beider Elternteile haben die Lebensumstände deutlich verändert. Soziale Veränderungen verlangen gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels passende politische Lösungen.

Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, tatsächlich mehr Kinder wollen, wenn wir wirklich die bessere Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf wollen, dann ist eine Entlastung der Eltern nicht nur vor der Einschulung ihrer Kinder, sondern auch während der Schulzeit unverzichtbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Mittagstisch an jeder Schule in Niedersachsen innerhalb von zehn Jahren, wie wir es mit unserem Antrag fordern, wäre ein riesiger Schritt, um endlich der sozialen Wirklichkeit ein wenig mehr gerecht zu werden und Eltern ganz erheblich zu entlasten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Ein Mittagstisch an den Schulen ist auch die Voraussetzung dafür, dass beide Eltern von Schulkindern zumindest halbtags arbeiten können.

Wir wissen, dass heute viele Kinder ohne Frühstück in die Schule kommen, und wir wissen, dass auf viele Kinder leider auch mittags keine vernünftige warme Mahlzeit wartet. Ein Mittagstisch in der Schule könnte einen wichtigen Beitrag leisten, um den Kindern eine bessere und gesündere Ernährung zumindest nahe zu bringen und zu ermöglichen. Die Schule muss nicht nur den hungrigen Geist füttern. Sie darf auch die hungrigen Mägen nicht außer Acht lassen. Sie muss sich um das gesamte Wohlergehen von Schülerinnen und Schülern kümmern.

Klar, eine Schule ohne Mittagstisch ist natürlich noch keine Ganztagsschule. Aber der Mittagstisch ist eine Voraussetzung dafür, dass eine Schule zur Ganztagsschule ausgebaut werden kann. Dabei

sind viele Modelle und Zwischenschritte möglich. Dabei ist Fantasie gefragt - je nach den örtlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten. Es kann einfach der Schulvormittag mit einem Mittagessen beendet werden, oder der Schulalltag wird neu rythmisiert: vier Stunden Unterricht, gemeinsame Mittagspause, danach noch einmal zwei Stunden Unterricht. Schließlich kann die Schule nach und nach ein ganztägiges Angebot um den Mittagstisch herum aufbauen.