Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Ich freue mich auf die Spannung, die im erneuten parlamentarischen Entscheidungsprozess zustande kommen wird; denn das bisherige Ergebnis kann ja revidiert werden.

In Zeiten von Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit - ich hätte mir übrigens ein Wort der Kollegin Korter auch in diese Richtung versprochen halte ich das für ein ausgesprochen sinnvolles Mittel, um unsere Demokratie lebendig zu erhalten. Allerdings - lassen Sie mich das bitte auch sagen, ebenfalls in Richtung der Initiatoren - bedeutet die bloße Tatsache, dass eine Volksinitiative dank der erbrachten Unterschriften erfolgreich war, natürlich noch nicht, dass die parlamentarische Entscheidung falsch war.

(Zustimmung bei der CDU)

Vergegenwärtigen wir uns die Situation, die zu dieser Volksinitiative geführt hat: 2003 bei Regierungsantritt hatten wir den katastrophalen Schuldenstand von 43 Milliarden Euro. Ich weiß, Sie haben damit nichts zu tun, Sie hören im Moment auch nicht recht zu.

(Walter Meinhold [SPD]: Die alte Lei- er!)

- Ja, die alte Leier. - Vielleicht geben Sie wenigstens zu, dass Sie bis dahin an der Regierung waren. Eines ist damals klar gewesen: Lernmittelfreiheit für alle war schon längst nicht mehr zu bezahlen, lieber Kollege Meinhold. Nicht umsonst hatte die SPD bereits zu ihren Zeiten deutliche Einschnitte und Kürzungen vornehmen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Erinnern wir uns an die Diskussionen vor einigen Monaten: Wir haben allesamt beklagt, dass der Buchbestand völlig überaltert und in einem katast

rophalen Zustand war - und das bei dem Schuldenstand. Das erforderte eine konstruktive Politik. Da musste ein Lösung her, die wichtige Anforderungen erfüllen musste: Sie musste nämlich einerseits für das Land finanziell entlastend sein, andererseits aber gleichzeitig die Einkommenssituation sozial schwächerer Eltern und gerade von Familien mit mehreren Kindern berücksichtigen.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Verehrte Kollegin Korter, darüber haben Sie - jetzt gerade nett lesend - auch kein Wort verloren: Der vorhandene Bücherbestand musste nach und nach ersetzt werden, damit er weiterentwickelt werden konnte.

(Elke Müller [SPD]: Das habt ihr aber nicht getan!)

Inzwischen ist die Eigenbeteiligung von Bürgern in allen gesellschaftlichen Bereichen selbstverständlich und auch akzeptiert - sogar von Grünen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben dieses auf die Schulbücher übertragen und das Mietmodell entwickelt. Wir meinen, dass die Wertschätzung von Bildung dadurch steigen wird. Weiter konnten wir registrieren: Die Eigenbeteiligung der Eltern ist im Allgemeinen zu schaffen. Sozial Schwächere erhalten Kostenerstattungen, und es gibt Geschwisterermäßigungen. Denn es soll niemand über Gebühr belastet werden. Aber wir erwarten natürlich einen Beitrag.

(Ina Korter [GRÜNE]: Nur die Eltern!)

- Verehrte Kollegin Korter, Sie selbst haben von 30 % bis 40 % gesprochen. - Einen Beitrag erwarten wir angesichts der Haushaltssituation in der Tat. Ich frage Sie: Was wäre denn die Alternative gewesen? Hätten wir den sozial Schwächeren dasselbe geben sollen wie denen, die es bezahlen können?

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der gesamten linken Seite, hätten wir dann vielleicht noch alles mit dem Geld bezahlen sollen, das überhaupt nicht da ist? - Das kann es doch nicht sein.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz klar: Die Gleichbehandlung von Ungleichen hat

noch nie Gerechtigkeit geschaffen, und von „sozial“ - eines Ihrer Lieblingswörter - wäre diese Politik weit entfernt. Denken Sie über den Tellerrand und unsere Generation hinaus. Eine Lernmittelfreiheit für alle - dann natürlich auf Pump - wäre doppelt unsozial, denn die nächste Generation hätte überhaupt nichts mehr zu verteilen. Ich frage Sie, die sozial Engagierten: Wen würde das denn am meisten treffen? - Nicht die Begüterten, sondern die Schwachen.

(Beifall bei der CDU)

Denken Sie über diese Wahlperiode hinaus. Wir wollen, dass Bildung auch in Zeiten der Finanznot - und es sind harte Zeiten - nicht auf der Strecke bleibt und wir dennoch - das ist das Entscheidende; da warte ich noch auf Ihre Rezepte

(Ina Korter [GRÜNE]: Machen Sie doch welche!)

die Neuverschuldung begrenzen. Man muss natürlich an der richtigen Stelle sparen, Frau Kollegin, gerade dann, wenn man Neuerungen einführt. Wir haben z. B. etwa gleichzeitig mit dem Fall der allgemeinen Lernmittelfreiheit die Sprachförderung umgesetzt und vor allem finanziert. Ich sage Ihnen eindeutig: Das Aufgeben der Lernmittelfreiheit war in meinen Augen ein wichtiger Baustein für die Optimierung der Haushaltsmittel im Kultusbereich. Das ist ein Qualitätsmerkmal von Politik in dieser Zeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Mietmodell ist in meinen Augen eine kreative Lösung, ein System, das sich selbst finanziert und das die Eltern erheblich entlastet. Vom Neupreis müssen in der Regel nur 33 % bezahlt werden.

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])

Von dieser Schulbuchausleihe machen deutlich über 80 % der Eltern Gebrauch. Das lässt auf die Akzeptanz schließen.

(Zustimmung bei der CDU)

Nun ein Hinweis auf die Handhabung, auf die konkrete Umsetzung: Uns liegen aus der Presse - die konnte jeder zur Kenntnis nehmen - Beispiele einer geradezu professionellen Handhabung der Buchausleihe vor. Das ist natürlich noch nicht überall der Fall, es gibt Anfangsschwierigkeiten. Aber wir haben Beispiele - von einer KGS habe ich

das besonders in Erinnerung -, bei denen es hervorragend klappt.

Zum Vorwurf der Zweiklassengesellschaft - der heute übrigens gar nicht mehr gebracht wird; er war damals ganz wichtig -, also der Einteilung in diejenigen, die die Bücher leihen müssen, weil sie das Geld nicht haben, um sie zu kaufen, und diejenigen, die sie kaufen können, weil sie das Geld haben. Eine solche Zweiklassengesellschaft von Schülern hat sich nicht entwickelt, weil auch die Begüterten kräftig vom Leihmodell Gebrauch machen, wie wir es vorausgesagt haben.

Wichtig für die weiteren Beratungen, die sich jetzt anschließen werden, ist, dass wir Lernmittelfreiheit nicht isoliert betrachten nach dem Motto: Bildung ist wichtig, alles andere interessiert uns nicht. Wenn wir die Neuverschuldung verringern wollen - und nur das ist im Hinblick auf künftige Generationen sozial -, dann müssen wir streichen. Da trifft der Begriff zu, den Sie genannt haben: Verantwortung.

Die CDU-Fraktion hat der Beschlussempfehlung des Ausschusses zugestimmt. Wir stellen uns in aller Ernsthaftigkeit und in Respekt vor den Initiatoren der Volksinitiative dem Anliegen von mehr als 80 000 unserer niedersächsischen Mitbürger. Wir hoffen auf eine ergiebige Beratung, damit das Parlament am Ende eine Entscheidung zum Wohle unseres Landes und seiner Bürger fällt. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste Wortmeldung liegt mir vom Kollegen Meinhold von der SPD-Fraktion vor. Herr Meinhold, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte gedacht, wir würden nach der vorliegenden Initiative ergebnisoffen in die Debatte gehen. Das hat der Beitrag der Kollegin Bertholdes-Sandrock aber nicht bestätigt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer zuerst eine Scheinoffenheit zeigt und im Nachklang dann sagt,

Wenn mindestens 160 000 Menschen bereit gewesen sind, in einem ersten Schritt deutlich zu machen, dass über etwas nachgedacht werden soll, dann muss man das auch entsprechend organisieren. Von daher haben diejenigen, die das gemacht haben - ich weiß, was für eine mühselige Arbeit das ist -, ein Kompliment dafür verdient, dass sie sich so engagiert für ein wichtiges Element in der Schulpolitik eingesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber nun zum Thema der Lernmittelfreiheit. Wie wir alle wissen, gibt es dabei keinen Königsweg. In Deutschland gibt es innerhalb der Bundesländer ungefähr acht Varianten und dabei drei Hauptgruppen. Auch daran kann man erkennen, dass es nicht möglich ist, eine Lösung zu finden, die sozusagen der Stein der Weisen ist. Man kann von unterschiedlichen Erfahrungen profitieren und diese dann möglicherweise in eine weitere Debatte einbringen. Die SPD hat sich massiv für die Lernmittelfreiheit eingesetzt. Die entsprechende Wahlaussage hat 1990 auch zum Erfolg beigetragen. Auf der Basis der Werte dieser Partei ist soziale Gerechtigkeit nur bei Chancengleichheit gegeben. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Konsequent ist sie in drei Säulen in der Nachkriegszeit in Niedersachsen verwirklicht worden. Die muss man noch einmal ganz deutlich hervorheben:

Erstens. Wir haben das Schulgeld in Niedersachsen abgeschafft. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie waren in den 50er-Jahren dagegen und waren für eine soziale Staffel. Das darf nicht vergessen werden.

Zweitens haben wir die kostenlose Schülerbeförderung organisiert.

Drittens gehört auch die Lernmittelfreiheit dazu.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Die volle Lernmittelfreiheit!)

Sie waren immer - das muss man leider sagen dagegen. Es hat 1996 eine leidenschaftliche Debatte gegeben, lieber Kollege Klare, in der Sie gegen die Lernmittelfreiheit gestimmt und auch argumentiert haben. Über die Argumente könnten wir

uns im zweiten Schritt noch einmal austauschen. Diese Argumente könnte ich heute dem Modell der Ausleihe von Schulbüchern im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand usw. entgegenhalten. Aber ich glaube, das greift zu kurz. Deshalb kann es darum nicht gehen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das wäre ein sehr differenziertes Gespräch!)