Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Herr Heidemann, warten Sie einen Augenblick! Liebe Kollegen von der CDU-Fraktion, hören Sie bitte Ihrem Kollegen zu! - Sie können jetzt weiterreden.

Meine Damen und Herren - auch von der CDUFraktion -, aber nicht der Stabilitätspakt und seine Regeln sind das Problem, sondern der mangelnde Konsolidierungswille der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Der von Rot-Grün praktizierte Aberglaube, durch Schulden mehr Wachstum anzureizen, ist durch die wahrzunehmende Realität der weiter gestiege

nen Arbeitslosigkeit und der anhaltenden Wachstumsschwäche in Deutschland eindeutig widerlegt.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Die ungezügelte Verschuldung des Staatshaushaltes führt nicht zu einer deutlichen Verbesserung des wirtschaftlichen Wachstums, sondern sie bewirkt genau das Gegenteil.

(Zustimmung bei der CDU)

Es muss mit der Lebenslüge von Rot-Grün endlich Schluss gemacht werden, dass durch höhere Schulden wieder mehr Wachstum in Deutschland generiert werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Was wir brauchen, ist eine durchdringende Reform der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik in unserem Lande. Wir brauchen mehr Wachstum. Wir werden das nur durch eine weitreichende Strukturreform in Deutschland erreichen. Wir bekräftigen mit unserem Antrag, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt weiterhin vordringliches Ziel deutscher Wirtschafts- und Finanzpolitik sein muss.

Um dieses Ziel zu erreichen, fordern wir einen Zweiklang aus finanz- und wirtschaftspolitischen Reformen und einer stringenten Strategie zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir brauchen ein Haushaltssicherungsoder Haushaltsstrukturgesetz, um das Ausgabenniveau des Bundeshaushalts dauerhaft den Perspektiven von gesunkenen Einnahmen anzupassen. Bei Mindereinnahmen in Höhe von 39 Milliarden Euro bis 2008 kann man nicht mehr so weiterwerkeln wie bisher.

(Beifall bei der CDU)

Wir können es uns mit Blick auf zukünftige Generationen doch nicht noch länger erlauben, immer neue Schulden anzuhäufen. Zusammen mit den Steuerausfällen belaufen sich die Haushaltsrisiken des Bundes in diesem Jahr auf mindestens 15 Milliarden Euro. Damit wird die Nettokreditaufnahme auch in diesem Jahr die in Artikel 115 des Grundgesetzes festgelegte Grenze überschreiten. Auch der vierte Maastricht-Verstoß von Rot-Grün ist mittlerweile sicher. Ohne konsequentes Gegensteuern mittels durchgreifender Reformmaßnahmen wird sich die Wachstumsspirale weiter nach unten drehen, die Arbeitslosigkeits- und Schuldenspirale dagegen weiter nach oben drehen. Die soziale Marktwirtschaft darf - davon bin ich zutiefst überzeugt - nicht mehr durch den sozialdemokrati

schen Kapitalismus und den grünen Dirigismus diskreditiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Das Ziel, an dessen Erreichung wir seit unserer Regierungsübernahme in Niedersachsen vor zweieinhalb Jahren mit Erfolg arbeiten, muss auch für Deutschland gelten: Wir brauchen einen ausgeglichenen Haushalt. Dieses Ziel hat Rot-Grün völlig aus den Augen verloren. Die rot-grüne Bundesregierung wurstelt nur noch vor sich hin und versucht mit Einmalmaßnahmen perspektivlos, bis zum Wahlsonntag über die Runden zu kommen.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Eichel hat eine Streichliste im Schrank!)

- Sehr richtig, Herr Hilbers. Damit ist wohl auch zu rechnen. - Dieses Vorgehen der rot-grünen Bundesregierung ist mehr als schädlich, weil sie damit die Konsolidierung des Bundeshaushalts verschleppt hat und die Probleme in der Zukunft nur noch größer werden. Darum müssen die Menschen in Niedersachsen wie in der gesamten Bundesrepublik am Sonntag klar entscheiden: Soll es durch eine konsequente Wirtschafts- und Finanzpolitik in unserem Lande wieder aufwärts gehen, oder sollen die, die unser Land in die höchste Arbeitslosigkeit, in die höchste Staatsverschuldung und in das geringste Wirtschaftswachstum geführt haben, so wie bisher weitermachen?

(Rolf Meyer [SPD]: Das kann er nicht aussprechen!)

- Sie haben Recht, es fällt mir sehr schwer, das hier zu sagen, weil das Dinge sind, die unsere Volkswirtschaft mehr als schädlich berührt haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin mir aber sehr sicher, dass die Menschen in unserem Lande Rot-Grün am Sonntag abwählen werden und damit den Weg für einen erfolgreichen Neuanfang auch und gerade in der Finanz- und Wirtschaftspolitik frei machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der SPD: Nach so einer Wahlkampfrede wird das aber nichts!)

Jetzt erteile ich Herrn Minister Möllring das Wort.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Das muss aber nicht sein!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Stief-Kreihe, es muss sein, wenn sich jemand aus der Regierung meldet. Das steht sogar in der Verfassung. Sie wollten heute Mittag hier ja ein Verfassungsseminar abhalten.

(Zuruf von der SPD: Das interessiert euch doch sonst auch nicht!)

- Doch, sehr. Im Gegensatz zu Ihnen berücksichtigen wir sogar Verfassungsgerichtsurteile.

Die Bundesregierung hat ihr Ziel erreicht. Am 28. Juli dieses Jahres sind die geänderten Verordnungen über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt in Kraft getreten. Alle Kritik im Vorfeld von Vertretern der Europäischen Zentralbank, der Bundesbank, aus der Wissenschaft, des Bundesrates und dankenswerterweise auch der CDU- und der FDP-Fraktion des Niedersächsischen Landtages haben den Rat nicht abhalten können, dem von Frankreich und der Bundesregierung ausgeübten Druck in Richtung Aufweichung der Stabilitätskriterien nachzugeben.

(Zustimmung bei der CDU - Reinhold Hilbers [CDU]: Ein schwerer Fehler!)

Dennoch bin ich zuversichtlich, dass unsere Warnungen wirken. Zum einen geben sie der Öffentlichkeit ein klares Signal, dass sich CDU und FDP auch weiterhin für eine stabile und sichere europäische Währung einsetzen. Gerade mit Blick auf die vor allem in Italien geführte Diskussion über einen möglichen Ausstieg aus dem Euro sind vertrauensbildende Maßnahmen in Europa unerlässlich.

Zum anderen bin ich mir sicher, dass die jetzt beschlossenen Maßnahmen auf europäischer Ebene der Bundesregierung nicht aus der Misere helfen. Die Haushalts- und Finanzpolitik der scheidenden Bundesregierung läuft jetzt offenbar völlig aus dem Ruder. Auch nicht die geringste Spur einer Verringerung der Maastricht-relevanten Defizite ist zu sehen. Seit mehr als vier Jahren übersteigt das deutsche Defizit die 3-%-Marke, allen wiederholten Versprechungen der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers im Finanzplanungsrat und im Ministerrat der EU zum Trotz.

Die Kommission hat deshalb in der Sitzung der EU-Finanzminister am 12. Juli dieses Jahres die Wiederaufnahme des Defizitverfahrens gegen Deutschland für den Herbst in Aussicht gestellt. Offenbar hat selbst ein so langmütiger Kommissar wie Herr Almunia die Hoffnung auf Besserung in Deutschland verloren. Vielleicht wird er sie wieder bekommen, wenn wir alle am nächsten Sonntag richtig wählen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Damit ist klar: Auch wenn man die Messlatte auf EU-Ebene zur Beurteilung stabilitätspolitischen Verhaltens immer tiefer hängt, wird der Bundesfinanzminister, wenn man ihn weiterhin lässt, auch diese niedrige Latte reißen, wenn er seinen Haushalt nicht in den Griff bekommt.

Vor allem ist jetzt dringender als je zuvor Vorsorge auch bei unseren Landesfinanzen gefragt. Es ist erklärtes Ziel der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen, im Sinne einer nachhaltigen Finanzpolitik den unhaltbaren Zustand der vergangenen Jahre, dass die Schulden schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung des Landes, zu beenden. Durch diesen Konsolidierungspfad wird Niedersachsen einen wichtigen Beitrag zur Gesundung der öffentlichen Haushalte und zum Abbau der übermäßigen deutschen MaastrichtDefizite auch im Interesse des Gesamtstaates Bundesrepublik leisten. Andere Länder sind ebenfalls auf diesen Weg eingeschwenkt in der richtigen Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht. Nun muss das Gleiche auch im Bund geschehen.

Ich darf daran erinnern, dass der Finanzplanungsrat eine Aufteilung des zulässigen Defizits für die Jahre 2004 bis 2006 zu 45 % auf den Bund und die Sozialversicherungsträger einerseits und zu 55 % auf die Länder und die Kommunen, die nach unserer Verfassung Bestandteil der Länder sind, andererseits beschlossen hat. Länder und Kommunen haben ihr Defizitlimit eingehalten, d. h. die Maastricht-Kriterien erfüllt. Wenn aber die Länderseite ihre Versprechungen zur Einhaltung der Maastricht-Grenzen einhält und auch die Kommunen auf dem Weg zu einer Besserung ihrer Finanzen sind, dann ist es umso wichtiger, dass auch die Bundesregierung eine Trendwende herbeiführt. Das ist aber offensichtlich mit dieser Bundesregierung nicht zu machen. Weder auf der Einnahmeseite noch auf der Ausgabenseite sind strukturelle Verbesserungen erkennbar. Wenn das Wachstum

nicht anspringt - woher sollen dann die Einnahmen kommen?

Auch mit Blick auf den europäischen Stabilitätspakt ist es höchste Zeit für einen Wechsel. Die Landesregierung dankt daher den Fraktionen von CDU und FDP, dass sie mit ihrem Entschließungsantrag auf die Gefahren einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufmerksam gemacht haben. Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren schon einen beachtlichen Beitrag zur Stabilisierung geleistet. Wir werden das in Zukunft fortsetzen und der Wirtschaft und unseren Bürgern das Signal geben: CDU und FDP haben Vertrauen in den Euro und werden die Stabilität unserer gemeinsamen Währung nicht mutwillig unterminieren, sondern weiter stärken. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächste Redner ist Frau Geuter von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute bekanntlich zwei Anträge zu beraten. Bei dem Antrag, den uns die Kollegen von CDU und FDP vorgelegt haben, stellen wir fest, dass es sich nicht unbedingt um ein Unikat handelt. Einen nahezu inhaltlich identischen Antrag haben Ihre Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag vorgelegt.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Da können Sie einmal sehen, wie stringent wir Finanzpolitik machen! - Wilhelm Hei- demann [CDU]: Aus einem Guss!)

Die Begründung und die Diskussionsbeiträge von Union und FDP zu diesen Anträgen - das zeigen auch die Redebeiträge meiner Vorredner - lassen durchaus den Schluss zu, dass sie Teil einer Strategie sind mit dem Ziel, die Politik der derzeitigen Bundesregierung zu diskreditieren

(Zurufe von der CDU: Das machen die schon selber! Das können die schon allein!)

und - das darf nicht vergessen werden - von eigenen Versäumnissen aus der Ära des Kanzlers Kohl abzulenken.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, das meiste, was von Ihnen zu diesem Thema gesagt worden ist, ist im Jahre 2004 vom luxemburgischen Ministerpräsidenten als dem letzten aktiven Vertreter derjenigen, die den Stabilitätsund Wachstumspakt damals ins Leben gerufen haben, beantwortet worden. Er steht übrigens einer christlich-liberalen Koalition vor und hat daran erinnert, dass der Pakt nie so dogmatisch gedacht war, wie Sie und einige andere ihn heute darstellen. Schon seit Maastricht lautet Artikel 104 c des EWUVertrages - ich darf zitieren -: Erfüllt ein Mitgliedstaat keines oder nur eines dieser Kriterien, so sollen die sonstigen einschlägigen Faktoren einschließlich der mittelfristigen Wirtschaftsund Haushaltslage des Mitgliedstaates berücksichtigt werden.

Auch die Vertreter der Regierung Kohl, die seinerzeit bekanntlich den Stabilitäts- und Wachstumspakt wesentlich mitgestaltet haben, waren der Ansicht, dass länderspezifische Gegebenheiten bei der Bewertung mit zu berücksichtigen sind. Diese Einsicht hat auch heute noch Gültigkeit.