Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

- Ich darf in dieser Sitzungsperiode zum ersten Mal an diesem Podium stehen; deswegen merke ich das erst jetzt.

(Bernd Althusmann [CDU]: Glück- wunsch!)

Eine letzte Bemerkung in Richtung FDP. Das ist schon mehrfach angesprochen worden. Wir fanden es auch skurril, dass Herr Rösler sagte, er sei erfreut über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die von der FDP mit beschlossene Regelung im Polizeigesetz verfassungswidrig sei.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Erleichtert! Zwischen erfreut und erleichtert ist ein Unterschied!)

- Gut, das nehme ich zur Kenntnis. Sie waren über diese Entscheidung erleichtert. Nur, Sie haben jedenfalls bislang - vielleicht kommt das gleich noch nicht präzise genug Position bezogen. Sie haben eine seriöse Prüfung vereinbart, um - das ist meine Interpretation - erst einmal über den Sonntag der Bundestagswahl hinwegzukommen. Sie müssen hier jetzt tatsächlich Farbe bekennen, ob Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen und höher bewerten als die Koalitionsdisziplin.

Nun zu meiner letzten Bemerkung. Ich möchte aus einem Informationsbrief der FDP zitieren - Briefkopf Karl Ludwig Thiele und Dr. Stefan Birkner -, der mir vorgestern persönlich zugegangen ist. Das ist ein Brief zur Bundestagswahl. Darin heißt es - ich zitiere -:

„Ferner muss die strafprozessuale Telefonüberwachung auf ein notwendiges Maß zurückgeführt werden. Die präventive Telefonüberwachung wollen wir verhindern. Die FDP ist die Bürgerrechtsund Rechtsstaatspartei.“

Das können Sie jetzt umsetzen und klar machen, dass Sie diesem Brief folgen. Wenn Sie das nicht tun, müsste ich sagen, das ist eine bemerkenswerte Wählerverarschung. - Vielen Dank.

(Starker Beifall bei den Grünen und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das ist unparlamentarisch! - Gegenruf von Prof. Dr. Hans-Albert Lennartz [GRÜNE]: Das war keine Beleidi- gung!)

Vor dem Hintergrund, dass die Uhr am Redepult nicht läuft, möchte ich darauf hinweisen, dass ich jetzt eineinhalb Minuten - sonst eine Minute - vor

dem Redezeitende klingele, dann eine Minute und dann noch einmal eine halbe Minute vor dem Ende der Redezeit.

Herr Professor Lennartz, ich denke, wir sind uns hinsichtlich des Sprachgebrauchs darüber einig, dass wir versuchen, bestimmte Terminologien hier nicht zu verwenden.

(Zuruf von der SPD: Welche denn?)

Sie haben zwar niemanden persönlich angegriffen, aber ich fand die Wortwahl trotzdem nicht sehr glücklich. Das wollte ich betonen.

Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Kollege Bode zur Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lennartz, ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie hier eine tiefer gehende Ausführung zu den Inhalten und zu den Konsequenzen gemacht haben. Denn das, was wir vom Kollegen Bartling gehört haben, hat mich ein wenig enttäuscht.

(Beifall bei der FDP)

Er hat nicht einen Punkt zur Sache gesagt und nur eine Wahlkampfrede gehalten. Herr Bartling, ich muss Ihnen sagen: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen üblicherweise andere Finger auf einen selbst.

Wenn Sie hier Verfassungsgerichtsurteile anführen, kann ich das genauso kontern. Als man beim Visa-Untersuchungsausschuss im Bundestag Probleme hatte, weil ein Zeuge kommen sollte, der unangenehm war, wollten SPD und Grüne ihn verbieten - Sie sind aber vor dem Verfassungsgericht gescheitert.

(Zurufe von der FDP: Aha! - Ach nee!)

Als im Vermittlungsausschuss eine andere Mehrheit zustande kam - ein sehr demokratisches Verhalten -, änderte man einfach das Verfahren - Sie sind aber vor dem Verfassungsgericht gescheitert.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: So etwas macht ihr? - Ralf Briese [GRÜNE]: Keine Nebelkerzen werfen!)

Ich habe auch ein Beispiel von Ihnen in Niedersachsen gefunden: Volksbegehren gegen das Kin

dertagesstättengesetz. Was macht die Landesregierung? - Sie will es verbieten - sie ist aber vor dem Staatsgerichtshof gescheitert. Daher zeigen Sie bitte nicht mit dem Finger auf andere; es könnte auch an Ihnen etwas kleben bleiben.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte zu Beginn sagen, dass wir aufgrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichts eine grundsätzliche Überprüfung des Polizeigesetzes für erforderlich halten, und zwar über den § 33 a hinaus. Denn es gibt Anhaltspunkte dafür, dass auch andere Teile des Polizeigesetzes überprüft werden müssen. Wir haben deshalb im Verfahren, als wir uns damals entschlossen haben, diese Punkte mit zu beschließen, eine Befristung in das Gesetz hineingeschrieben und die Evaluierung unterschiedlicher Punkte des SOG vorgesehen, damit wir nach der Zeit entsprechend neu entscheiden können. Dies halten wir jetzt für angebracht. Daher wollen wir eine intensive und ernsthafte Debatte führen.

Ich frage mich schon, Herr Bartling, welchen Wert es hat, wenn Sie einen Gesetzentwurf, der bereits im Innenausschuss diskutiert wird, schlicht und ergreifend abschreiben, allerdings nur zur Hälfte. Die erste Hälfte haben Sie abgeschrieben, die andere Hälfte haben Sie nicht mehr aufgeschrieben. Ich frage mich, warum Sie das tun. Kann es sein, dass Sie bei den anderen Punkten, die in dem Gesetzentwurf vorgesehen sind, nicht solch ein gutes Gefühl haben, dass Ihre Weste nicht ganz so weiß ist, wie Sie glauben machen möchten?

Angesichts dessen frage ich: War es nicht die SPD, die die von dem Verfassungsgericht in Frage gestellten Vorfeldermittlungen in das Polizeirecht aufgenommen hat? War es nicht die SPD, die den vom Verfassungsgericht für materiell falsch erklärten Strafrechtsrahmen erfunden und ins Polizeigesetz aufgenommen hat, der entsprechend weiter gegolten hat? War es nicht - zur Krönung die SPD, die den präventiven großen Lauschangriff in das Polizeirecht eingeführt hat? - Genau so ist es nämlich gewesen.

Beim Lauschangriff - ich möchte das noch einmal klarstellen - wird jemand in eine Wohnung geschickt. Er muss dort einbrechen und ausspähen, wo er Wanzen anbringen kann. Dann muss er noch einmal einbrechen und die Wanzen anbringen. Hinterher muss er wieder einbrechen und sie entfernen. Es gibt sicherlich niemanden, der der

Meinung ist, dass diese Regelung aufgrund der bisherigen Urteile so nicht verfassungswidrig ist. Ich sage sogar, sie ist verfassungswidriger als das, was Sie uns hier vorgeworfen haben. Dieser Punkt taucht in Ihrem Antrag gar nicht auf. Insofern war das nur eine Show für die Bundestagswahl. Sie sollten wirklich eine einheitliche Linie fahren. Das muss ich Ihnen auch einmal sagen. Ich finde es daher erstaunlich, was Sie hier veranstaltet haben.

Herr Jüttner, ich stelle mir einmal vor, dass Sie Ihren Bundestagskandidaten - Herrn Gabriel, Herrn Oppermann und anderen, sofern sie ein gutes Wahlergebnis haben - zumuten wollen bzw. es vielleicht sogar begrüßen, dass sie mit Otto Schily die Ideen der SPD auf Bundesebene einführen. Ich kann Ihnen sagen, welche Ideen das sind. Was möchte Otto Schily zusammen mit Ihren Kollegen machen? - Das hat er der Süddeutschen Zeitung am 3. August gesagt: Er möchte Personen, die gefährlich sind, die man nicht in ihr Heimatland abschieben kann, weil sie dort von Folter bedroht sind oder gar deutsche Staatsbürger sind - auch das kann ja sein -, bei denen es keine konkreten Anhaltspunkte für eine Straftat gibt und kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden darf, zur Sicherheit der Bevölkerung dauerhaft in Haft, in präventive Sicherungshaft nehmen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das darf doch nicht wahr sein!)

Das sollen Ihre Kollegen mit Herrn Schily umsetzen. Damit Sie wissen, wann in Deutschland künftig Menschen in Haft kommen sollen - auch das sagt er -, sage ich Ihnen, dass nach Meinung von Herrn Schily z. B. der Vertrieb von Videos ein Haftgrund wäre. Das richtet sich gegen Menschen, die ihm nicht genehm sind. Dazu muss ich wirklich sagen: Sie wollen, dass Ihre Kollegen zusammen mit Herrn Schily Guantanamo in Deutschland einführen. Das ist viel schlimmer als das, was Sie hier erzählt haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Schünemann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist keine Frage, dass wir das Urteil

des Bundesverfassungsgerichts bedauern. Wir akzeptieren es allerdings und halten es eins zu eins ein. Das muss man nicht extra betonen. Herr Kollege Bartling und Herr Kollege Dr. Lennartz, dieses Urteil eignet sich in keiner Weise dazu, wenn etwas für nichtig erklärt wird, zu skandalisieren. Dafür eignet sich diese Diskussion wirklich nicht.

Ich darf noch etwas hinzufügen. Was mich besonders bewegt hat, ist das letzte Urteil zum Gesetz der Kollegin Frau Zypries zum EU-Haftbefehl. Es ist für nichtig erklärt worden. Das ist genau die gleiche Geschichte wie bei uns, allerdings mit der Folge

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das haben Sie im Bundestag doch mit abgesegnet!)

- das muss uns sehr nachdenklich stimmen -, dass Häftlinge freigelassen werden mussten, u. a. auch jemand, der im Zusammenhang mit dem Anschlag in Madrid genannt wird. Wir müssen sehen, dass wir hier zu Regelungen kommen, damit so etwas nicht passiert, weil wir gerade im europäischen Kontext in Misskredit gekommen sind. Wir sollten uns nicht gegenseitig etwas vorwerfen und diese Dinge skandalisieren.

Meine Damen und Herren, warum haben wir als Koalition und Landesregierung diese präventive Telefonüberwachung in das Polizeigesetz genommen? - Ich darf daran erinnern: Wir haben seit dem 11. September 2001 eine neue Bedrohungslage. Es waren nicht nur die Anschläge in New York und Washington. Ich erinnere vielmehr auch an Djerba, ich erinnere an Bali, wo auch deutsche Bürger ums Leben gekommen sind. Ich erinnere an Madrid und, jetzt erst kürzlich, an London. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir in Deutschland keine Bedrohungslage haben. Ich glaube, darin sind wir uns Gott sei Dank einig. Wir haben zwar keinen konkreten Hinweis, aber auf jeden Fall eine latente Bedrohungslage und müssen darauf reagieren.

Wie können wir überhaupt einen Terroranschlag möglichst verhindern? - Die Informationen, die die Polizei und die Sicherheitsbehörden haben, müssen vernünftig miteinander verknüpft werden. Die Diskussion will ich hier aber nicht eröffnen, dass wir auf Bundesebene noch sehr viel besser werden können. Wir können einen Terroranschlag nicht verhindern, indem wir überall Polizei und Videoüberwachung haben. Das wollen ja auch Sie nicht. Wir können ihn nur verhindern, indem wir

rechtzeitig an Informationen kommen, möglichst dann, wenn eine Straftat verabredet wird. Das ist doch - um es ehrlich zu sagen - nahezu die einzige Chance, um effektiv etwas dagegen zu tun. Aus dieser Motivation heraus haben wir gesagt: Gerade im Bereich Terrorismusverdacht müssen wir diese Möglichkeit eröffnen. - Wir haben es dann in das Gesetz geschrieben.

(Beifall bei der CDU)

Zugegeben: Wir haben die Formulierungen weit reichend gewählt. Das Verfassungsgericht hat uns gesagt, dass es nicht bestimmt genug war. Es hat uns zudem gesagt, dass wir für die Vorsorge, für die Verfolgung von Straftaten nicht die Kompetenz haben. Hier wäre der Bundesgesetzgeber gefordert.

Aber wir dürfen das Gesetz doch vernünftig lesen und nicht nur vor dem Hintergrund, dass es für nichtig erklärt worden ist, auch die Chancen daraus sehen, was uns das Verfassungsgericht ermöglicht hat. Da kann man klar sagen, dass das Ganze als Befugnis für die Polizei zur Bekämpfung bzw. Verhütung von Straftaten durchaus gesetzlich zu regeln ist.

Ich erinnere an das, was ich gerade gesagt habe: Wir haben eine Bedrohungslage. Das Bundesverfassungsgericht ebnet uns einen Weg, wie wir präventive Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht regeln können. Ich frage mich wirklich - zumindest als Innenminister -, ob man es in irgendeiner Weise verantworten kann, wenn ich diesen Weg nicht gehe.

Ich will nicht ausmalen, was geschieht, wenn wirklich etwas passiert - was ich nicht hoffe -, wir diese Möglichkeit gehabt, aber nicht ergriffen haben. Ich weiß nicht, ob wir dann noch beruhigt sagen können: Wir haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um Terrorismus und vor allen Dingen einen Anschlag zu verhindern.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb habe ich mit meinen Kollegen, vor allen Dingen von der CDU-Seite, verabredet, dass wir dieses Urteil gemeinsam analysieren, dass wir eine Regelung finden, die 100-prozentig verfassungskonform ist - das ist gar keine Frage -, und dann diese präventive Telefonüberwachung für Terrorismusverdacht möglichst auf breiter Basis in den Länderpolizeigesetzen regeln.

Meine Damen und Herren, es geht überhaupt nicht darum - das ist auch in der Diskussion, als wir es verabschiedet haben, gesagt worden -, dass wir nun jeden in irgendeiner Weise mit Telefonüberwachung überziehen wollen. Daran haben wir wirklich kein Interesse. Das darf auch nicht sein. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Es geht vielmehr darum, dass wir bei schweren Straftaten - dies ist zu unbestimmt; in der Zukunft will ich es auf Terrorismusverdacht beschränken - alles ergriffen haben und dass wir uns nicht vorwerfen müssen, dass wir eine Möglichkeit, die uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, nicht genutzt haben. Tun wir das nicht, dann müssen wir uns später Vorwürfe machen. Das will ich beim besten Willen nicht; denn hier geht es um Terrorismus und um nichts anderes, meine Damen und Herren.