Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Meine Damen und Herren, es geht überhaupt nicht darum - das ist auch in der Diskussion, als wir es verabschiedet haben, gesagt worden -, dass wir nun jeden in irgendeiner Weise mit Telefonüberwachung überziehen wollen. Daran haben wir wirklich kein Interesse. Das darf auch nicht sein. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Es geht vielmehr darum, dass wir bei schweren Straftaten - dies ist zu unbestimmt; in der Zukunft will ich es auf Terrorismusverdacht beschränken - alles ergriffen haben und dass wir uns nicht vorwerfen müssen, dass wir eine Möglichkeit, die uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, nicht genutzt haben. Tun wir das nicht, dann müssen wir uns später Vorwürfe machen. Das will ich beim besten Willen nicht; denn hier geht es um Terrorismus und um nichts anderes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Bartling das Wort. Im Übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen: Die Zeitmessanlage funktioniert wieder. Herr Kollege Bartling, Sie sehen, Sie haben noch eine Redezeit von drei Minuten und neun Sekunden.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch einige wenige Anmerkungen. Herr Schünemann, sehen Sie es mir nach, aber ich glaube, Sie bauen hier einen Popanz auf. Alle Dinge, die wir kennen gelernt haben und bei denen die Strafverfolgungsbehörden sagen, wir brauchen eine Telefonüberwachung, können schon heute alle nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung behandelt werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir kennen keine Fälle. Deswegen zu behaupten, wir bräuchten ein solches grundrechtswidriges Instrument, nämlich vorbeugend zu überwachen, ist ein falscher Zusammenhang, den Sie in der Öffentlichkeit leider immer wieder herstellen. Das hat sogar schon der Herr Ministerpräsident übernommen. Sie sollten ihn einmal belehren, dass er das etwas falsch sieht.

Ich würde gerne zu Herrn Bode etwas sagen. Herr Bode, ich gebe gerne zu, das mit der Wohnraumüberwachung haben sogar wir gemacht.

(Jörg Bode [FDP]: Das habe ich auch gesagt!)

Aber der Unterschied zu Ihnen ist - das habe ich in meiner Rede erwähnt, aber das haben Sie nicht zur Kenntnis genommen -: Wenn wir ein Bundesverfassungsgerichtsurteil bekommen, dann ändern wir das. Aber Sie machen das eben nicht. Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was Sie über Herrn Schily gesagt haben, nämlich dass Herr Schily Überlegungen anstelle. Er stellt in Masse Überlegungen an. Aber bevor er ein Gesetz macht, fragt er, ob es mit der Verfassung zu vereinbaren ist, und wenn nicht, dann macht er das eben nicht. Das unterscheidet Sie von ihm.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ein Letztes noch: Bleiben wir einmal im Lande. Sie sagen, Sie wollten tatsächlich daran festhalten, dass Sie die vorbeugende Telefonüberwachung einführen wollen. Daher muss ich Sie noch einmal mit dem Zitat von Herrn Rösler konfrontieren, das ich Ihnen vorhin vorgelesen habe:

„Wenn man die Maßgaben aus Karlsruhe so umsetzt, wie es das Bundesverfassungsgericht wünscht, bekommt man das, was sich die Union davon verspricht, sowieso nicht. Insoweit glaube ich, dass man die Vorschrift auch aus deren Sicht streichen kann. Sie ist weder sachlich noch politisch notwendig.“

Wo Herr Rösler Recht hat, hat er Recht. Also lassen Sie die Finger davon! Das wäre sinnvoll.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Schünemann noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Bartling, es geht nicht um die strafprozessuale Telefonüberwachung, sondern es geht um Erkenntnisse, die eben noch nicht strafprozessual sind und deshalb im Gefahrenabwehrrecht und im Polizeigesetz zu regeln sind. Das ist eindeutig.

Dann darf ich Ihnen noch einmal sagen, dass sogar der Bund - insofern liegt das auch in der Verantwortung von Herrn Schily - die präventive Telefonüberwachung aufgenommen hat, nämlich beim Zollkriminalamt. In diesem Zusammenhang habe ich überhaupt nichts von einem großen Skandal gehört, sondern die präventive Telefonüberwachung für das Zollkriminalamt ist aufgenommen worden. Das sollte hier auch einmal gesagt werden, und man sollte unser Anliegen nicht als etwas so Schlimmes darstellen, mit dem man gar nicht umgehen kann.

Meine Damen und Herren, wir sollten diese Diskussion sehr viel unaufgeregter führen. Ich möchte Ihnen ans Herz legen, noch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll ist, bei Terrorismusverdacht eine solche präventive Möglichkeit vorzusehen. Mit einer Situation, in der wir, obwohl Erkenntnisse vorliegen und Tatsachen einen Terrorismusverdacht rechtfertigen, die präventive Telefonüberwachung nicht vornehmen können, kann zumindest ich nicht leben. Deshalb schlage ich vor: Gucken Sie nach der Bundestagswahl noch einmal in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und lassen Sie uns dann, möglichst auch in den Ausschüssen, vernünftig darüber nachdenken! Ich meine, wir dürfen hier nichts unversucht lassen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege McAlliser zu Wort gemeldet. Insgesamt liegen zu diesem Tagesordnungspunkt noch drei weitere Wortmeldungen vor. - Herr McAllister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Bartling gesagt hat. Eines ist klar, Herr Bartling: Wir nehmen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sehr ernst und werden sie eins zu eins umsetzen. Darauf können Sie sich verlassen. Gerade weil wir diese Entscheidung

ernst nehmen, lassen wir uns jetzt Zeit. Wir werden die Entscheidung sehr sorgfältig analysieren und mit dem Innenminister und den Innenpolitikern der Koalition sehr sorgfältig eine Entscheidung vorbereiten, ob und gegebenenfalls wie wir einen neuen Anlauf zur präventiven Telekommunikationsüberwachung in Niedersachsen nehmen. Wir sind genauso wie der Innenminister der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht einen Korridor übrig gelassen hat, wo es Möglichkeiten gibt, wenn man die Tatbestände entsprechend eingrenzt. Aber eines sage ich noch einmal deutlich - das unterscheidet uns vielleicht -: Für uns ist es ein ganz hohes Ziel, jede Möglichkeit zu nutzen, um unsere Bevölkerung in Niedersachsen vor Terrorismus zu schützen. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Wir wollen unsere Polizei so ausstatten, dass sie in der Lage ist, die Menschen vor der Gefährdung durch Terrorismus besser zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Noch eine abschließende Bemerkung. Lieber Herr Bartling, Sie haben sinngemäß über Herrn Rösler und mich gesagt, wir seien ja gerne auch in der Küche tätig. Ich habe damit keine Probleme. Philipp Rösler und ich gehören zur modernen neuen Männergeneration, die auch zu Hause gern mit anpackt und in der Küche bei der häuslichen Arbeit hilft. Das mag bei einigen Sozialdemokraten anders sein. Als Sie meinen Freund Philipp Rösler als Koch bezeichneten, fiel mir ein schöner Artikel aus der Peiner Allgemeinen Zeitung vom 24. Juni 2004 ein. In dem Bericht über das 19. Spargelessen der SPD-Landtagsfraktion in Peine-Stederdorf werden Uli Biel, Wolfgang Jüttner und Sigmar Gabriel erwähnt. Am Ende dieses Artikels schreibt der Autor Jörg Schmidt, kursiv gedruckt: In der gestrigen kurzen Berichterstattung über das Spargelessen ist uns leider ein peinlicher Fehler unterlaufen. Beim Foto in der Küche des Hotels wurde ExInnenminister Heiner Bartling versehentlich dem Köche-Team zugeschlagen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Herr Bartling, nicht jeder, der einen Löffel hat, ist ein Koch.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Professor Dr. Lennartz eineinhalb Minuten Redezeit.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Jetzt kommt schon wieder so ein Koch!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Argumente eingehen, die Herr Schünemann vorhin in der Debatte vorgetragen hat.

Erstens. Ich habe eben in meinem ersten Beitrag auf die Seite 61 der Entscheidung verwiesen und daraus zitiert; das wiederhole ich jetzt nicht. Ich interpretiere die Entscheidung so, dass Sie auch zur Bekämpfung des Terrorismus keine verdachtsunabhängige Telefonüberwachung praktizieren dürfen. In diesem Punkt haben wir offensichtlich eine unterschiedliche Auffassung oder Wahrnehmung des Textes; das wird die weitere Beratung zeigen.

Zweitens. Wenn Sie, meine Damen und Herren, argumentieren, im Hinblick auf die Risiken des Terrorismus müsse es zumindest für dieses Feld auch eine vorbeugende Telefonüberwachung geben, dann frage ich Sie, Herr Schünemann: Wieso hat Ihr Haus bzw. die Ihnen unterstellte Polizei beispielsweise im Herbst vergangenen Jahres eine Person mit vorbeugender Telefonüberwachung und Observation über mehrere Wochen begleitet, betreut, beschützt und abgehört, obwohl diese Person mit einem terroristischen Hintergrund überhaupt nicht in Verbindung zu bringen war?

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das würden wir gern hören!)

Sie erwecken hier einen für meine Begriffe falschen Eindruck, wenn Sie jetzt versuchen, über das Argument Terrorismusbekämpfung diese vorbeugende Telefonüberwachung noch zu retten. Schönen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Herr Kollege Bode erhält für die FDP-Fraktion ebenfalls nach § 71 Abs. 2 eineinhalb Minuten Redezeit. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bartling, wenn Sie hier sagen, auch die SPD nehme entsprechende Urteile des Verfassungsgerichts an, dann höre ich das sehr wohl. Allein fehlt mir bei Ihrem Gesetzentwurf der Glaube. Es wäre für Sie doch so einfach gewesen. Sie hätten den im Innenausschuss vorliegenden Gesetzentwurf nur komplett abschreiben müssen. Dann wäre auch der von Ihnen eingeführte und inzwischen - wie Sie jetzt scheinbar geläutert sagen - kritisch betrachtete präventive Lauschangriff ebenfalls eingeschlossen gewesen. Das haben Sie aber nicht getan. Sie haben nur den ersten Teil des Entwurfes abgeschrieben. Von daher glaube ich, dass es Ihnen um die Dinge, die Sie selber gemacht haben, gar nicht geht. Wenn man das Urteil richtig liest, erkennt man, dass das Verfassungsgericht ja auch diese Dinge für verfassungswidrig erklärt hat. Es durfte sich zu diesen Punkten nur nicht öffentlich oder offiziell explizit äußern. Aber die Übertragung sagt eindeutig, dass das, was Sie gemacht haben, noch verfassungswidriger war, weil es auch eine Wertung mit hineingebracht hat. Von daher hätten Sie das damit abräumen können. Deshalb nehme ich Ihre Worte zwar zur Kenntnis, mir fehlt allerdings der Glaube.

Wenn Sie jetzt sagen, Herr Schily spreche in dem Punkt, den ich zitiert habe, nicht mehr für die SPD, dann frage ich Sie: Gilt das denn auch für die andere Idee von Innenminister Schily, die Justizbehörden dadurch zu entlasten, dass die Polizisten, wenn sie jemanden erwischt haben, die Urteile direkt verkünden und es nicht mehr zum Strafverfahren kommt? - Das habe ich auch aus einer Debatte herausgezogen. Dazu würde ich bei Gelegenheit gerne etwas wissen.

Und natürlich haben Sie Recht: Das, was der Fraktionsvorsitzende Philipp Rösler sagt, ist immer richtig.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Bartling zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(David McAllister [CDU]: Aber nicht zur Küche!)

Zur Küche nur insoweit: Ich gehe auch gern in die Küche; ich versuche aber zu vermeiden, mir die Finger zu verbrennen, Herr McAllister. Das mag der Unterschied sein.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Schünemann, ich glaube, es ist nicht notwendig, uns den Unterschied zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht zu erklären. Ich darf Sie in Ergänzung dessen, was Herr Professor Lennartz gesagt hat, darauf hinweisen, dass die Praktiker uns bei den Anhörungen im Vorfeld gesagt haben: Leute, so etwas brauchen wir nicht. Wenn wir so etwas anwenden müssen, sind wir in der Regel im Bereich der Strafprozessordnung. Deshalb brauchen wir ein solches Instrument nicht. Das ist der Grund, warum wir es für falsch halten, das Vorhaben weiter zu betreiben.

Herr Bode, das mit der Wohnraumüberwachung war verfassungswidrig. Dies ist nichtig. Etwas Nichtiges zu streichen, ist etwas einfacher, als etwas Verfassungswidriges so zu korrigieren, dass es verfassungsfest wird.

(Zustimmung bei der SPD - Jörg Bode [FDP]: Es hat aber keine Auswirkun- gen!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, diesen Antrag federführend dem Ausschuss für Inneres und Sport zuzuleiten; mitberatend soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen tätig sein. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Beides sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.