Protokoll der Sitzung vom 07.10.2005

Und dann wollen Sie natürlich die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten erhöhen. Glauben Sie an den Nürnberger Trichter, oder sind Ihrer Meinung nach die Anforderungen zu hoch? Sollen wir die Latte tiefer legen, um eine Quote nach Ihren Vorstellungen zu erreichen? Wir setzen auf die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems, das Quereinstiege auf allen Ebenen ermöglicht. Quali

tät geht immer noch vor Quantität, und der Mensch fängt auch nicht mit dem Abitur an.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn Sie wirklich wissen wollen, warum es in Deutschland nicht vorangeht, müssten Sie Anfragen zur Lissabon-Strategie an die noch amtierende Bundesregierung richten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Herr Kollege Hagenah zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Hagenah!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines zeigt die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion mehr als deutlich: Die CDU/FDP-Regierung hat die für die Lissabon-Strategie entscheidenden Themen Innovationen und neue Technologien in den letzten zweieinhalb Jahren sträflich vernachlässigt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Mittel für Innovationsförderung in Niedersachsen sind unter der CDU und der FDP von rund 43 Millionen Euro auf 22,5 Millionen Euro gesunken. Sie haben sich damit fast halbiert. Eine tolle Leistung! Damit sollen nun sage und schreibe sieben so genannte Schwerpunkttechnologiefelder gefördert werden. Herr Hirche, Sie verfahren hier weiter nach dem Gießkannenprinzip, obwohl nur noch ein Schluck Wasser in der Kanne ist. Das jetzt noch vorhandene Geld reicht, wenn man es so sehr aufteilt, für keines der Felder.

Deutschland kann zur wirtschaftlichen Erstarkung Europas nur in dem Umfang beitragen, wie es auch die einzelnen Bundesländer tun. Leider muss Niedersachsen in jüngster Zeit aber immer mehr Hiobsbotschaften nach Berlin melden. Wir haben im Bundesvergleich den höchsten Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit. Das haben Sie eben auch gerade zugestanden. Bei uns gehen mit Abstand die meisten Unternehmen in die Insolvenz. Gerade erst vermeldet das Niedersächsische Landesamt für Statistik, dass das Wachstum des niedersächsischen Bruttoinlandsprodukts unterdurchschnittlich ausfällt. Sie sollten sich deshalb lieber nicht

auf überholten Länderrankings, wie sie jetzt gerade in der Wirtschaftswoche veröffentlicht worden sind, ausruhen. Bedenken Sie, dass das Länderranking auf den Zahlen für 2002 bis 2004 basiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Zahlen betreffen also teilweise noch die Zeit der alten Regierung. In diesem Jahr ist auf vielen Feldern tatsächlich eine dramatische Entwicklung nach unten zu verzeichnen. Wenn man auch dies in die Statistiken, die in der Wirtschaftswoche dargestellt werden, einbringt, sieht das Ergebnis ganz anders aus. Wir werden uns nächstes Jahr umgucken, wenn wir sehen, wo wir dann stehen.

Die neuen Daten von den statistischen Ämtern und der Bundesagentur für Arbeit stellen Niedersachsen zurzeit ein schlechtes Zeugnis in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik aus. Sie selbst bekennen in der Antwort, dass wir bei den Arbeitsplätzen für Forschung und Entwicklung 20 % unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Bei den Personen mit Hochschulabschluss liegen wir auf dem drittletzten Platz. Das kann doch nicht besonders fortschrittlich und innovativ sein. Da müssen wir doch etwas tun.

Was läuft also schief mit der niedersächsischen Bildungs- und Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik? Wir wissen alle, dass wir auf dem Weltmarkt nur dann eine Chance haben und für Europa nur dann ein starker Partner sind, wenn wir aus unserem Land eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft machen. Um an die Spitze zu kommen, brauchen wir vor allen Dingen innovative Technologien, die wir in Deutschland selbst entwickeln, umsetzen und anwenden, um sie dann als Weltmarktführer anzubieten. Wir müssen weiter sein als andere, damit wir uns als Hochlohnland überhaupt behaupten können. Genau an diesem Punkt hat die Niedersächsische Landesregierung bisher versagt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dabei fing eigentlich alles erst einmal gut an. In Siegerlaune versprach Ministerpräsident Wulff zum Regierungsantritt, auf Innovation setzen zu wollen. Zitat:

„Die neue Landesregierung wird in den kommenden Jahren schrittweise einen Zukunfts- und Innovationsfonds

für Projekte, für Bildung und neue Technologien speisen.“

So heißt es in der Regierungserklärung. Jetzt schauen wir uns um und fragen uns: Was ist inzwischen passiert?

(Zuruf von der CDU: Eine ganze Menge!)

- Ich jedenfalls habe dieses Instrument im Haushalt bisher nicht gefunden. Irgendwie scheint das, was Sie versprochen haben, in den letzten Jahren immer übersehen worden zu sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Noch nicht einmal ansatzweise griff Minister Hirche den Gedanken in seinem Haus auf. Es kommt aber noch schlimmer: Statt neue Instrumente und Programme für Innovationen zu entwickeln, reduzierten CDU und FDP auch noch radikal die Fördermittel für den Bereich Innovation.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen standen wir schon vor einem Jahr hier an dieser Stelle und forderten die Landesregierung auf, die immer weniger werdenden Wirtschaftsfördergelder unter Schwarz-Gelb in Niedersachsen nicht mehr auch noch als Geschenk zu verteilen. Mit Blick auf Brüssel und dem anstehenden Ende der Ziel 2-Förderung im kommenden Jahr wiesen wir auf die Notwendigkeit hin, Zuschüsse nur noch als revolvierende Fonds auszugeben.

In Ihrer Antwort stellt die Landesregierung selbst klar, wie sehr die EU-Förderung zukünftig eingeschränkt wird. Wir können nicht begreifen, wieso Sie, Herr Hirche, laut Haushaltsplanentwurf auch im kommenden Jahr wieder Millionen Euro an reinen Zuschüssen wieder an Betriebe verschenken wollen. Nicht nur wir, sondern auch die Wirtschafts- und Finanzexperten der NBank belehrten Sie doch, dass Sie mit denselben Mitteln, wenn Sie sie als revolvierende Fördergelder einsetzen, mittelfristig viel mehr erreichen würden, und zwar auch deshalb, weil Sie die Unternehmen dann zu 80 % fördern könnten, was mehr nützt, als die von der EU auf 30 % begrenzten Zuschüsse. An dieser Stelle setzen Sie meiner Meinung nach auf eine völlig falsche Strategie und verbrennen das wenige Geld, das Sie mit der Gießkanne im Land verteilen wollen.

Tun Sie sich den Gefallen, und ziehen Sie die richtigen Schlüsse aus Ihren mageren Antworten auf die Anfrage der SPD. Lassen Sie in Niedersachsen tatkräftige Unternehmer und Existenzgründer nicht länger allein, die mit Innovationen und neuen Technologien in unserem Land für Wachstum und neue Arbeitsplätze sorgen wollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Hagenah. - Für die CDUFraktion spricht jetzt der Herr Kollege Dinkla. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Tinius, Herr Hagenah, in einem Punkt stehen Sie sozusagen Seit an Seit; denn ich sehe Ihre beiden Reden eigentlich nur als großartig angelegtes Ablenkungsmanöver von der gescheiterten Europapolitik der rot-grünen Bundesregierung an. Das ist der Ansatz.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihre Kritik ist rückwärts gewandt

(Axel Plaue [SPD]: Das ist ja fast so komisch wie Herr Zielke!)

und - um den anderen Begriff mal nicht zu verwenden - kleinmaschig angelegt, wenn ich das einmal so sagen darf. Auf der anderen Seite stellt sich doch wirklich die Frage: Weshalb ist die bisherige Lissabon-Strategie gescheitert? - Sie ist gescheitert. Ich glaube, das liegt in erster Linie daran, dass der Bund kein überzeugendes Konzept hatte. Ich gebe gerne zu: Der Ansatz von Lissabon war auch falsch angelegt. Es war aber auch die Verpflichtung der Nationalstaaten, sich darum zu kümmern, dass ein überzeugendes Konzept vorgelegt wird. Ihre Kritik richtet sich gegen das Bundesland Niedersachsen. Ein Stück weit sollten Sie aber auch in Richtung Bund schielen und fragen, was der Bund gemacht hat, um in dieser Zeitspanne etwas auf den Weg zu bringen. Das ist in der Tendenz gleich null, meine Damen und Herren.

Herr Minister Hirche hatte darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission bereits im Februar 2004 zum ersten Mal einräumen musste, dass die Strategie gescheitert ist, und der hehre Ansatz, bis

zum Jahr 2010 zur wirtschaftsstärksten Region der Welt zu werden, ist aufgegeben worden. Das ehrgeizige Ziel, die USA bis 2010 in punkto Wirtschaftsleistung zu überholen, ist schlicht und ergreifend gestrichen worden. Das findet überhaupt nicht mehr statt, meine Damen und Herren.

Die Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie ist gerade für Deutschland äußerst ernüchternd ausgefallen. Die Sachverständigen kommen ja zu dem Schluss, dass sich Fortschritte auf dem Weg zum Lissabon-Ziel nur sehr langsam einstellen und dass es vor allem - darüber kann man ja nachdenken an entschlossenem politischen Handeln mangelt. Man kann sagen: auf allen Ebenen. - In erster Linie sind hier aber die Nationalstaaten gefordert.

Ein Fehler lag der bisherigen Lissabon-Strategie zugrunde. Viele hatten das Gefühl, es werde von oben verordnet. Wenn eine Lissabon-Strategie wie die neu angelegte Erfolg haben soll, dann muss sie dezentral angelegt sein. Der Ausschuss der Regionen hat sich mit diesem Thema ja ausführlich befasst. Ich bin der Landesregierung dankbar, dass sie dieses Thema aufgegriffen hat. Ich persönlich glaube, dass die Projekte, die erfolgreich umgesetzt werden sollen, aus den Regionen heraus wachsen müssen. Insofern war der ursprüngliche erste Ansatz der Lissabon-Strategie falsch, meine Damen und Herren.

(Axel Plaue [SPD]: Nein, war er nicht!)

Nachhaltigkeit und soziale Sicherheit sind wichtige Ziele, sie sind aber auch nur zu verwirklichen, wenn die Europäische Union wirtschaftlich erfolgreich ist und sich im internationalen Wettbewerb behaupten kann. Die Glaubwürdigkeit des Gesamtprozesses steht und fällt mit der Bereitschaft der Regierungen, die Ursachen für die Wachstumsschwäche und die hohe Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union entschlossener zu bekämpfen. Die Strategie wird nur noch zu retten sein, wenn die Regierungen und die europäischen Institutionen Prioritäten setzen. Das ist eben schon mehrfach angesprochen worden. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und mehr Wertschöpfung in Europa sind grundlegend für alle anderen Ziele der Lissabon-Strategie.

Ich möchte jetzt aber noch einen anderen Punkt ansprechen, der eben schon indirekt anklang. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auf europäischer Ebene eine bessere Rechtssetzung, ver

stärkte Anstrengungen zur Entschlackung des stark angewachsenen EU-Rechtsbestandes und eine bislang nicht vorhandene wirksame Folgenabschätzung für neues EU-Recht brauchen. Ich hoffe und wünsche, dass der Durchforstung des bürokratischen Dschungels Erfolg beschieden sein wird; denn dies ist meiner Meinung nach unverzichtbar. 80 000 Seiten EU-Recht sind für die Umsetzung der Lissabon-Strategie - ob auf Bundesoder Länderebene - keine Hilfe, sondern eine enorme Bürde, die im Ergebnis Beschäftigungsbarrieren und Investitionshemmnisse bringen.

Nach meiner Überzeugung muss aber auch auf der Ebene der EU-Administration in den Köpfen ein Mentalitätswandel stattfinden. Das LissabonZiel kann nur dann erreicht werden, wenn Deutschland als größte Volkswirtschaft erheblich mehr Anstrengungen als bisher unternimmt. Das hat auch mit dem Innenverhältnis der Länder zu tun. Statt nun aber Impulsgeber zu sein, gilt Deutschland europaweit zunehmend als kranker Mann Europas und ist durch eigene Wachstumsschwäche maßgeblich mit Schuld daran, dass das Wachstum in Europa so gering ausfällt.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, für die Rot-Grün noch verantwortlich ist, sind für wichtige Technikfelder innovationsbehindernd. Ein besonders markantes Beispiel ist das oft diskutierte Gentechnikgesetz, das die Erforschung und die Anwendung der grünen Gentechnik erheblich einschränkt. Insofern ist auch für diesen Teilbereich der richtige Adressat die rot-grüne Bundesregierung.

Gerade die Bundesrepublik Deutschland als Hochlohnland - dieses Stichwort fiel ja auch vorhin schon - mit ihren hohen sozialen Standards ist auf eine wissensorientierte Wirtschaft angewiesen, um Wachstum und Wohlstand zu sichern. Wir leisten in Niedersachsen unseren Beitrag, Arbeitsplätze im Land zu behalten, zu sichern und neu zu schaffen, indem wir die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern. Dies ist, glaube ich, auch eine überzeugende Bilanz der ersten Jahre der Regierung der CDU und der FDP unter Ministerpräsident Wulff und auch unter Minister Hirche als für den Wirtschaftsbereich zuständigem Minister.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eines der Kernziele von Lissabon erfordert ein klares Bekenntnis der Politik zu Forschung und

Technologie sowie zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen. Die Überreglementierung will ich hier nur stichwortartig nennen. Ich habe ja vorhin schon einiges dazu ausgeführt.

Ein Punkt ist, glaube ich, noch sehr wichtig. Forschungsergebnisse müssen schneller in Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden können. Auch deshalb brauchen wir ein einheitliches Patentrecht in Europa, das ein zentrales Element für alle EU-Staaten sein muss und sein kann. Die Verzahnung zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung und Wirtschaft muss umfassend verbessert werden. Wir bauen hier in Niedersachsen den niedersächsischen Spitzenplatz im Bereich der erneuerbaren Energien aus, soweit dies ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Der Weg, Innovationspolitik an landesspezifischen Schwerpunkten auszurichten - beispielhaft erwähnen möchte ich die eben schon angesprochene Landesinitiative „Brennstoffzelle“ sowie den Telematikbereich; ich möchte mir es jetzt ersparen, all das jetzt aufzuzählen -, ist der richtige Ansatz. Er wird auch konsequent fortgesetzt.

Ein Punkt muss hier aber auch noch erwähnt werden, und insofern wäre ich dankbar gewesen, wenn meine Vorredner von den Fraktionen noch einiges angesprochen hätten, was nicht rückwärts gewandt ist, sondern nach vorne in Richtung der künftigen Gestaltung Europas zielt. Wir sind mit den Abgeordneten ja in Brüssel und in Straßburg gewesen. Es gibt wirklich Dinge, die uns hier im Lande unruhig machen müssen, weil sie zurzeit nicht geklärt sind. Das gilt z. B. im Hinblick auf die Unklarheit bezüglich der finanziellen Vorausschau. Denn wir diskutieren über Entwicklungen, die im Zeitfenster 2007 bis 2013 umgesetzt werden können. Es besteht noch keine Klarheit. Ich persönlich glaube auch nicht, dass dies im Rahmen der britischen Präsidentschaft bis Ende Dezember erreicht werden kann. Das hat dann die Folge, dass frühestens im ersten Halbjahr Klarheit darüber herrscht, welche Finanzmittel ab 2007 bis 2013 zur Verfügung stehen. Das heißt aber auch konkret, meine Damen und Herren: Wenn Mitte/Ende März nicht klar ist, wie die Programme vorbereitet werden können und sollen und welche Finanzmassen zur Verfügung stehen, heißt das konkret, dass ab Beginn 2007 auch keine Mittel fließen. Das wäre fatal. Insofern ist hier erheblicher Druck, der hoffentlich zu einem guten Ende führt. Ich bin dabei noch sehr skeptisch.