Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

(Heinrich Aller [SPD]: Ausgerechnet die!)

dass Niedersachsen zu den drei dynamischsten Bundesländern in der Bundesrepublik gehört. Ein objektives Zeugnis stellt auch die BertelsmannStiftung aus, deren Studie die Haushaltsdebatte im September maßgeblich geprägt hat. Sie ist damals reichlich zitiert worden. Ich will das alles nicht wiederholen. Allerdings haben Sie in der Zwischenzeit Zeit gehabt, sie zu lesen. Dann nämlich hätten Sie, Herr Jüttner, Ihre Rede nicht so gehalten, wie Sie sie heute Nachmittag hier gehalten haben.

Ich will noch einmal sagen, was in der Zusammenfassung auf Seite 141 steht:

„Niedersachsen konnte seine Abwärtsbewegung umkehren, die in allen vorherigen Beobachtungszeiträumen festzustellen war. Für den aktuellen Zeitraum 2002 bis 2004 wurde der bisher geringste Rückstand zum bundesdeutschen Durchschnitt ermittelt.

Bürokratieabbau und Reform der Verwaltungsstruktur sind vorbildlich.

Die Landesregierung bemüht sich sehr um eine Haushaltskonsolidierung. Angesichts der horrenden Schuldenlast, eines hohen strukturellen Defizits und zukünftiger Lasten ist jedoch ein noch rigiderer Sparkurs erforderlich.

So weit die Bertelsmänner.

Meine Damen und Herren, das ist ein eindrucksvolles Zeugnis für die ersten zweieinhalb Jahre der Landesregierung unter Christian Wulff und Walter Hirche.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir räumen ein: Wir haben zwar schon viel erreicht, aber wir haben noch unglaublich viel zu tun. Dieser Haushalt 2006 ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die anstehenden Probleme zu lösen.

Meine Damen und Herren, der Landtag wird am Freitag beschließen, die Nettokreditaufnahme für das Jahr 2006 um 350 Millionen Euro zu verringern. Wir begrenzen dadurch die Neuverschuldung im nächsten Jahr auf nur noch 1,8 Milliarden Euro. Ich will deutlich sagen: Niedersachsen senkt damit die Neuverschuldung zum vierten Mal hintereinander. Niedersachsen senkt zum dritten Mal hintereinander die Neuverschuldung um 350 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, dieser Kurs ist einmalig in Deutschland und absolut beispielgebend!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Natürlich machen sich jetzt die mutigen und konsequenten Beschlüsse der Haushalte 2004 und 2005 bemerkbar, die die rechte Hälfte des Hauses alleine getragen hat. Wir mussten manche Kritik einstecken, weil sich jetzt die Verwaltungsmodernisierung, der Einstellungsstopp und die Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld bemerkbar machen.

(Heinrich Aller [SPD]: Holen Sie doch einmal Luft! Dann können wir einmal einen Zwischenruf machen!)

Das alles wirkt sich jetzt aus, weil es nachhaltige Einsparungen und Kürzungen gewesen sind.

So ist es zum dritten Mal in Folge nur den getroffenen Konsolidierungsentscheidungen zu verdanken, dass der größte Ausgabenblock des Landes, nämlich die Personalkosten, fast stagnieren - und das trotz anhaltend steigender Versorgungslasten, Beihilfen und erheblicher zusätzlicher Anstrengungen der Landespolitik vor allem im Bildungsbereich.

Aber, meine Damen und Herren, wir sind noch lange nicht über den Berg. Herr Wenzel, Sie haben das nach Ihrer Fraktionsklausur angesprochen. Sie haben gemeint, in der CDU würde sich dieses Gefühl breit machen. Nein! Wir sind noch lange nicht über den Berg. Die Finanzlage des Landes ist nach wie vor dramatisch. Niedersachsen hat kaum finanzpolitischen Spielraum.

Unser ehrgeiziges Ziel bleibt. Wenn wir weiterhin auf Kurs bleiben, wenn wir diesen Kurs halten, dann können wir 2008 dem Landtag und den Niedersachsen einen verfassungskonformen Haushalt präsentieren. Aber wir dürfen und werden diesen Kurs nicht verlassen. Es gibt viele weitere Klippen zu umschiffen. Drei Beispiele: erstens die Risiken steigender Kreditzinsen, zweitens die Personalausgaben, die aufgrund der Pensionslasten und anderer Fragen weiter steigen werden. Drittens werden sich aufgrund der ungünstigen demografischen Entwicklung die Sozialausgaben weiter erhöhen. Alleine das wird den finanziellen Handlungsspielraum der Landespolitik weiter einengen. Damit bleiben uns weniger Mittel für Investitionen, insbesondere für den Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen Verkehrs-, Forschungsund Bildungsinfrastruktur. Deshalb gibt es völligen Konsens zwischen der Landesregierung und den beiden Koalitionsfraktionen: Wir müssen unsere Konsolidierungsmaßnahmen konsequent und verstärkt fortsetzen. Nur dann können wir mittelfristig wieder mehr in die Zukunft investieren.

Ich will noch einmal - ganz bewusst als Kontrapunkt zu dem Zahlenmaterial, das Sie, Herr Jüttner, hier geliefert haben - sagen: Die Fakten unserer nachhaltigen Konsolidierungspolitik sind: bisher knapp 500 Millionen Euro Einsparungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie bei der Beihilfe, 160 Millionen Euro werden eingespart, weil auf Besoldungs- und Tariferhöhungen verzichtet wird, knapp 200 Millionen Euro werden durch Stellenabbau eingespart, fast 800 Millionen Euro sind in den Geschäftsbereichen der Ressorthaushalte abgesetzt, und die Absenkung der Steuerverbundquote im kommunalen Finanzausgleich

führt zu Einsparungen von 157 Millionen Euro. Alles in allem sind das Ausgabekürzungen in einer Größenordnung von sage und schreibe 1,8 Milliarden Euro. Herr Jüttner, nehmen Sie diese Zahlen wenigstens zur Kenntnis, wenn Sie schon nicht bereit sind, unsere Politik zu unterstützen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Trotz der Umsetzung dieser haushaltsentlastenden Beschlüsse zum Haushaltsausgleich 2006 wird eine Veranschlagung von Krediten jenseits der Grenze von Artikel 71 unserer Verfassung erforderlich sein.

Die Koalitionsfraktionen und die Landesregierung haben in den letzten drei Monaten den Haushalt intensiv erörtert: in den Arbeitskreisen, in den Ausschüssen, in der Haushaltsstrukturkommission und schließlich auf der gemeinsamen Klausurtagung von CDU und FDP in Osnabrück.

(Heinrich Aller [SPD]: Und was ist da- bei herausgekommen?)

Wir haben alle Argumente gegeneinander abgewogen, wir haben Alternativen in Erwägung gezogen und kamen schließlich zu dem Ergebnis: Um einen Haushalt innerhalb der Regelgrenze des Artikels 71 unserer Verfassung zu erreichen, müssten etwa 4 % des Haushaltsvolumens eingespart werden; das sind rund 860 Millionen Euro.

Herr Jüttner, natürlich könnten wir Arbeitern und Angestellten dort, wo es geht, betriebsbedingt kündigen. Natürlich könnten wir alle freiwilligen Leistungen des Landes im Wirtschafts-, Sozial-, Landwirtschafts- und Umweltbereich auf null setzen. Natürlich könnten wir alle Leistungsgesetze aufheben und Verträge kündigen. Wir könnten auch für Schulen und Hochschulen eine totale Wiederbesetzungssperre verfügen. Das alles ist theoretisch machbar. Aber ich frage Sie: Würden wir damit unserer Verantwortung gegenüber diesem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern gerecht? Wir sagen nach Abwägung aller Argumente im Ergebnis: Nein, das wäre die falsche Antwort in der Landespolitik.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die kurzfristig umsetzbaren Einnahmequellen haben wir ausgeschöpft. Insgesamt rund 930 Millionen Euro an Privatisierungserlösen sind im Haushalt 2006 veranschlagt. Darunter ist übrigens auch ein hoher Millionenbeitrag für die Privatisie

rung der niedersächsischen Landeskrankenhäuser, etwas, was Sie gerade eben wieder heftigst kritisiert haben.

Wir müssen also einsehen, dass es objektiv unmöglich ist, 2006 noch einmal rund 860 Millionen Euro zu kürzen, ohne andere, dem Verschuldungsgebot gleichgestellte Aufgaben wie ein ordnungsgemäßer Schulunterricht oder die ausreichende Finanzausstattung der Kommunen zu verletzen. Wir stoßen dort an unsere Grenzen, wo in der Abwägung des Artikels 71 unserer Landesverfassung die Gewährleistungsaufträge aus Artikel 2 Abs. 2 unserer Verfassung in Verbindung mit Artikel 20 Grundgesetz (Sozialstaatsprinzip), Artikel 4 (Recht auf Bildung, Schulwesen), Artikel 5 (Wissenschaft, Hochschulen) , Artikel 6 (Kunst, Kultur, Sport) , Artikel 6 a (Arbeit, Wohnen) und Artikel 57 und 58 (angemessene Finanzausstat- tung der Gemeinden und Landkreise) verletzen müssten.

In der Begründung zum Haushaltsgesetzentwurf hat die Landesregierung deshalb ausdrücklich ausgeführt, dass wir bei Umsetzung der noch vorhandenen Optionen mit zahlreichen Staatszielen und Verfassungsvorgaben in Konflikt kämen.

Meine Damen und Herren, das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist - da gehe ich auf das ein, was Herr Jüttner gesagt hat -: Wir würden bei diesen weiteren Kürzungen auch die gesamtwirtschaftliche Lage verschärfen. In der gegenwärtigen gesamtwirtschaftlichen Situation gilt es jedoch gerade, weitere negative Auswirkungen auf die Konjunktur und die Beschäftigtenquote im Land zu vermeiden. Strukturerhaltung, Wachstumsund Beschäftigungssicherung sind die Stichworte, an denen wir uns orientieren müssen. Das hat übrigens der neue Bundesfinanzminister Peer Steinbrück für den Bundeshaushalt genau so reklamiert.

Meine Damen und Herren, wenn die große Koalition in Berlin die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für das gesamte Bundesgebiet geltend macht, dann gibt es in Niedersachsen auch keine Sonderentwicklung. Die Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts muss dann auch für Niedersachsen gleichermaßen gelten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Höhe der Nettoneuverschuldung ist das Ergebnis einer schwierigen Abwägung der Landesregierung und vor allem der Koalitionsfraktionen.

Vor dem Hintergrund der gegebenen gesamtwirtschaftlichen Situation und unter Beachtung der wirtschaftlichen Lage unseres Landes ist sie jedoch die einzig verantwortbare Auflösung des Zielkonflikts zwischen den Konsolidierungserfordernissen auf der einen und der Vermeidung der nachhaltigen Schäden für die Entwicklung unseres Landes auf der anderen Seite.

Vor diesem Hintergrund haben die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP in schwierigen Zeiten in bescheidenem Umfang Mut zum politischen Gestalten gehabt. Wir werden über die Änderungsanträge der CDU und der FDP morgen den ganzen Tag diskutieren. Ich will nur kurz einige Schwerpunkte erläutern.

Wir haben gegenüber dem Entwurf der Landesregierung insgesamt Umschichtungen in Höhe von 31 Millionen Euro vorgenommen, sind dabei aber unserem Prinzip treu geblieben, keinen einzigen Cent zusätzliche Schulden gegenüber dem Regierungsentwurf zu machen. Wir setzen mit unseren Beschlüssen besondere Schwerpunkte bei Wirtschaft, Bildung und innerer Sicherheit.

Wichtig ist uns die Bildungspolitik. Herr Jüttner, wir wissen ja, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zum dreigliedrigen Schulsystem haben und die Einheitsschule für das Zukunftsmodell halten. Ich sage Ihnen eines: Meine Generation - nicht Ihre, sondern meine - hat die Orientierungsstufe in Niedersachsen besuchen müssen. Ich sage Ihnen: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dass meine Tochter die Orientierungsstufe nicht mehr wird besuchen müssen. Das sage ich einmal in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin Jahrgang 1971, mein Freund Philipp Rösler ist Jahrgang 1973. Ich wiederhole es immer wieder: Wir haben mit den 68ern nachweislich nichts zu tun. Wir legen auch keinen besonderen Wert darauf, mit euch in Verbindung gebracht zu werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Jede Generation erlebt eine nachfolgende, die provoziert. Daran müssen Sie sich gewöhnen; Sie werden älter.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Begreifen Sie nur eines: Alle Kinder sollen gleiche Ausgangsvoraussetzungen, gleiche Chancen haben. Aber nicht alle Kinder sind gleich, sondern alle Kinder sind verschieden.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sehr gut! Das stimmt!)

Deshalb halten wir das begabungsgerechte, dreigliedrige differenzierte Schulwesen für das eindeutig überlegene. Das ist auch Ausdruck unserer Schulpolitik.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann geht es mir um die Unterrichtsversorgung; dazu haben Sie heute wenig gesagt. Zum 1. Februar 2006 werden in Niedersachsen 1 000 Lehrer eingestellt. Dadurch können 700 Lehrer ersetzt und 300 zusätzliche Lehrer eingestellt werden. Wir sagen Ihnen in jeder Debatte immer wieder: Die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen ist um ein Vielfaches besser als das, was vor dem 2. Februar 2003 in Niedersachsen gewesen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wie viel Prozent sind es denn?)

Es ist ja auch bemerkenswert, wie widersprüchlich Ihre Argumentation vor Ort in den Kreistagen und in den Stadträten ist. In krokodilstränenreichen Pressemitteilungen kritisieren Sie die angeblich schlechte Unterrichtsversorgung. Auf der anderen Seite haben Sie uns im Landtag immer für die 2 500 zusätzlichen Lehrer kritisiert. Auch bei diesem Haushalt gibt es von Ihnen wieder keine konstruktiven Anträge zu dem Thema. Das alles werden wir den Menschen auch im bevorstehenden Kommunalwahlkampf deutlich erklären.