Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesverbraucherminister Seehofer äußerte in einer Bundestagdebatte im Dezember 2005, es mache keinen Sinn, einen früher bereits abgelehnten Entwurf aufzuwärmen, ein Entwurf werde nicht dadurch besser, dass er mehrfach eingebracht werde. Minister Seehofer bezog sich dabei auf das Verbraucherinformationsgesetz.

Angesichts dieser Aussagen muss es schon überraschen, dass die große Koalition jetzt einen Gesetzentwurf vorlegt, der zu 98 % dem Abschnitt 11 des im Jahr 2005 im Vermittlungsausschuss erarbeiteten Kompromisses zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch entspricht. Es handelt sich also um einen bereits vorgelegten und bearbeiteten Gesetzentwurf. Wir wissen, dass dieser Entwurf trotz der gemeinsamen Erarbeitung dann genauso wie die rot-grüne Initiative aus dem Jahr 2002 von CDU und CSU abgelehnt wurde.

Tatsächlich überrascht uns das natürlich nicht. Wir hatten befürchtet, dass nach den vollmundigen Erklärungen und Versprechungen im Rahmen der ersten Reaktion auf den Gammelfleischskandal am Ende ein Informationsgesetz light vorgelegt werden würde, ein Gesetz nämlich, das den Verbrauchern lediglich ein Auskunftsrecht gegenüber Behörden eröffnet und sie von den in der Regel besseren Informationen der Unternehmen ausschließt, und ein Gesetz, das sich weitgehend auf Lebensund Futtermittel beschränkt und andere Produkte und Dienstleistungen außen vor lässt.

Die ideologische Linie dahinter ist relativ klar. Hier geht eindeutig Unternehmerschutz vor Verbraucherschutz.

Es überrascht uns übrigens nicht, dass inzwischen auch die Bundes-SPD diesen Gesetzestorso von Seehofer lobt, obwohl noch Mitte Dezember 2005

der SPD-Fraktionsvize Kelber in der Berliner Zeitung verkündet hatte:

„Ohne eine ersten Schritt hin zu einem Auskunftsrecht der Kunden gegenüber der Wirtschaft kann es keine Einigung geben.“

Wollen und Können sind eben zweierlei. Schon unter Rot-Grün hatte Kanzler Schröder in seiner Funktion als Genosse der Bosse eine Auskunftspflicht der Wirtschaft aus dem Künast-Entwurf herausgestrichen.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Warum wohl?)

Ganz anders - in diesem Punkt muss ich Sie loben, meine Damen und Herren - die Landes-SPD, die seinerzeit mit Uwe Bartels einen eigenen Entwurf in den Bundesrat eingebracht hatte, der die Auskunftspflicht der Unternehmen vorsah.

Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass sich diese Auffassung bei Ihnen nicht verändert hat, und kann Sie nur ermuntern, standhaft zu bleiben.

Ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz ist überfällig. Es greift zu kurz, wenn wir eine solche Initiative nur als Reparaturpatch der Sicherheitslücke Gammelfleisch begreifen. Wir brauchen ein komplettes neues Betriebssystem für die Märkte, auf denen sich Unternehmen und Verbraucher begegnen.

Das heutige Informationsungleichgewicht muss durch eine Situation der Markttransparenz für beide Seiten abgelöst werden. Nur so kann der viel beschworene mündige Verbraucher auch mündige und damit wettbewerbsfördernde Entscheidungen treffen. Nur so kann die Verbraucherin ihren Wunsch nach einem nachhaltigen Konsum realisieren und damit ihren Beitrag zur Oslo-Strategie der EU leisten.

Wir brauchen deshalb, wie in unserem Antrag beschrieben, ein Gesetz, das neben Lebens- und Futtermitteln auch andere Produkte, wie z. B. technische Geräte, und Dienstleistungen, wie z. B. Telekommunikations- oder Finanzdienstleistungen, einschließt. Wir brauchen ein Gesetz, das vorhandene Verbraucherinformationen bei Behörden und Unternehmen zugänglich macht, und das, meine Damen und Herren, leicht und ohne Schikanen.

Die Behörden sollen das Recht und die Pflicht erhalten, die Verbraucher aktiv über marktrele

vante Vorkommnisse zu informieren, natürlich über gesundheitsgefährdende und Ekel erregende Produkte, aber eben auch über irreführende und den Verbraucher täuschende Geschäftspraktiken. Dabei spricht aus unserer Sicht überhaupt nichts dagegen, dass sich der Staat diese Aufgabe mit den Verbraucherzentralen teilt, statt diese, wie es hier in Niedersachsen geschieht, kaputtzusparen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ross und Reiter müssen benannt werden, meine Damen und Herren.

(Clemens Große Macke [CDU]: Ab wann?)

Selbstverständlich sind Datenschutzinteressen und Betriebsgeheimnisse angemessen zu berücksichtigen. Aber sie dürfen das grundsätzliche Informationsrecht nicht aushöhlen und dessen Wahrnehmung nicht unnötig erschweren.

Setzen Sie sich mit uns dafür ein, dass die Verbraucher nicht allein mit Informationen aus zweiter Hand abgespeist werden! Wir brauchen ein Gesetz, das den Verbrauchern Transparenz bietet und somit Marktvertrauen schafft und damit auch der Wirtschaft nützt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Oetjen für die FDP-Fraktion. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Grünen scheinen seherische Fähigkeiten zu haben, nehmen sie doch in ihrem Antrag, der schon vor einiger Zeit gestellt wurde, auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung Bezug, den es noch gar nicht gibt. Aber vielleicht hat der Kollege Klein noch gute alte Beziehungen in das Bundesverbraucherschutzministerium, das ihm einen Referentenentwurf zugestellt hat. Dennoch ist das Thema Verbraucherinformationsgesetz natürlich in aller Munde. Für die FDP-Fraktion möchte ich feststellen: Wir brauchen in Deutschland ein Verbraucherinformationsgesetz. Die Frage bleibt allerdings, Herr Kollege Große Macke, wie es ausgestaltet sein soll. Dazu einige Anmerkungen aus meiner Sicht.

Erstens. Wir müssen ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg bringen, das vorsieht, dass sämtliche Informationen, die dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden, sachgerecht aufgearbeitet und erläutert werden. Ein bloßes An-denPranger-Stellen von Unternehmen darf es nicht geben. Schließlich erweisen sich die meisten Ermittlungen im Nachhinein als unbegründet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Clemens Große Macke [CDU]: Da gibt es einen Unterschied!)

Zweitens. Das Nennen von Produkten und Unternehmen muss sich auf die Gesundheitsgefährdungen konzentrieren. Ein generelles Nennen von Unternehmen und Produkten darf es ansonsten nur bei rechtskräftig festgestellten Gesetzesverstößen geben.

(Beifall bei der FDP)

Drittens. Wir müssen auch die Verhältnismäßigkeit gegenüber den Unternehmen wahren. Wer weiß, dass schon eine gesprungene Fliese im Arbeitsbereich eine Anmerkung im Prüfbericht bedeutet, wird einsehen, dass man fachlich sehr genau hinsehen muss, wenn es um die Frage geht, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gegeben werden.

(Beifall bei der FDP)

Von daher meine ich, dass die von den Grünen formulierten Vorschläge nicht dazu beitragen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wenn wir ein Verbraucherinformationsgesetz wollen, muss man auch das Machbare im Auge haben. Schließlich ist auch der Bundesrat mit von der Partie. Vielfach gehen die Vorschläge weit über das Machbare, aus meiner Sicht aber auch über das Wünschenswerte hinaus. Ein generelles Informationsrecht des Verbrauchers gegenüber Unternehmen halte ich sowohl aus Gründen des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für zweifelhaft. Meine Damen und Herren, wir sollten auf Sachlichkeit statt auf Populismus setzen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass die FDP-Landtagsfraktion einem Gesetz, das dem Verbraucher die Möglichkeit gibt, sich zu informieren, und das es der Wirtschaft ermöglicht, mit dem Thema fair umzugehen, positiv gegenübersteht.

Darüber hinaus müssen wir im Sinne der Verbraucher aber auch daran arbeiten, eine bessere Verzahnung von staatlichen und privaten Qualitätssicherungssystemen auf den Weg zu bringen; denn wer glaubt, dass ein Verbraucherinformationsgesetz allein ein Allheilmittel sei, der ist schief gewickelt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Stief-Kreihe von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verbraucher durch ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz wirksam schützen - das ist ein Anliegen, das die SPD-Fraktion voll und ganz unterstützt. Diese Forderung ist Bestandteil unseres Antrags, den wir hier im Dezember im Plenum behandelt haben. Diese Forderung haben wir - darauf hat Herr Klein bereits hingewiesen - auch schon im Jahr 2002 durch eine Bundesratsinitiative erhoben. Wir haben nicht nur gefordert, sondern wir haben damals auch gehandelt. Das Land Niedersachsen - damals in der Person des Ministers Bartels - hat die Initiative ergriffen und im Jahr 2002 einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht.

Herr Minister Ehlen, das sollte vielleicht für Sie ein Vorbild sein. Seit vier Jahren blockieren CDU und FDP die Verabschiedung eines Verbraucherinformationsgesetzes auf Bundesebene.

(Zuruf von Dieter Möhrmann [SPD])

In Niedersachsen hat die Vorgängerregierung gehandelt: im Rahmen des eigenen Wirkungskreises durch die Einrichtung des Landesamtes für Verbraucherschutz. Zur Zeit der SPD-Landesregierung wurde Verbraucherschutz noch ernst genommen.

Meine Damen und Herren, damals fand in Niedersachsen noch Verbraucherpolitik statt. Heute ist der Begriff „Verbraucherschutz“ zwar Bestandteil des Namens des zuständigen Ministeriums, neue Initiativen gibt es aber nicht. Über den technischen Verbraucherschutz - auch darauf hat Herr Klein schon hingewiesen -, für den Herr Minister Hirche zuständig ist, wird in diesem Lande überhaupt nicht geredet.

Nicht die politische Vernunft, sondern die Fleischskandale der letzten Wochen und Monate haben die Debatte über ein Verbraucherinformationsgesetz wieder in Schwung gebracht. Erst in diesen Tagen wurden neue Vorfälle bekannt. Die Firma Kaufland musste Hackfleisch wegen Befall mit Kolibakterien zurückholen. Über diese Rückholaktion wurde noch nicht einmal in den Zeitungen berichtet. Es gab zu diesem Fall auch keine Stellungnahme - das ist für mich so ein typisches Beispiel des Landwirtschaftsministeriums, obwohl Kaufland entsprechend einer Meldung aus Saarbrücken diese Hackfleischware mit Produktnennung zurückgeholt und die Verbraucher mit folgendem Satz gewarnt hat: „Denjenigen Verbrauchern, die Hackfleischwaren der oben genannten Sorte mit dem Verfalldatum 21. Januar bereits verzehrt haben, wird empfohlen, beim Auftreten erster Symptome wie Übelkeit und Erbrechen umgehend einen Arzt aufzusuchen.“ Das heißt, es bestand eine gesundheitliche Gefährdung. Diese Hackfleischware ist auch in Niedersachsen - z. B. bei mir in Meppen bei Kaufland - aufgetaucht. Also keine einzige Meldung aus dem Ministerium!

Gestern wurde z. B. gemeldet, dass in Bayern verdorbenes Wildfleisch entdeckt worden ist. Das heißt, die Fleischskandale gehen weiter. Man hat langsam das Gefühl, dass das Ganze Normalität wird.

Die SPD-Fraktion hat im letzten Plenum einen Forderungskatalog zur Verbesserung des Verbraucherschutzes vorgelegt. Dazu wurde eine Anhörung durchgeführt. Anlässlich der Grünen Woche war der gesamte Ausschuss in Berlin und hat dort mit Vertretern der Verbraucherzentrale sowie des Bundesamtes für Verbraucherschutz gesprochen. Überall wurde die Forderung nach einem umfassenden Verbraucherinformationsgesetz gestellt. Wie gesagt, auch Herr Seehofer hat das Verbraucherinformationsgesetz in seinen Zehnpunkteplan aufgenommen. Meine Damen und Herren, geredet worden ist in den vergangenen Wochen genug. Jetzt müssen endlich Taten folgen.

Die Fraktion der Grünen hat im Dezember in den Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht. Der Gesetzentwurf von Herrn Seehofer - Herr Oetjen hat darauf hingewiesen - liegt noch in der Schublade. Wie das nun im politischen Leben aber so ist: Auch das, was in der Schublade liegt, wird bekannt. Von daher ist auch der Referentenentwurf von Herrn Seehofer bekannt geworden. Meine

Damen und Herren, er dürfte auch der Landesregierung bekannt sein. Der inoffizielle Gesetzentwurf - so bezeichne ich ihn einfach - bleibt weit hinter den Forderungen der Verbände zurück.

(Clemens Große Macke [CDU]: Wel- cher Verbände denn?)

Die Verbraucher und Verbraucherinnen erhalten das Recht, Informationen abzufordern. Es wird aber keine Informationspflicht der Wirtschaft oder der staatlichen Behörden verankert. Also nur wer fragt, bekommt eine Antwort. Es gibt außerdem viele Hintertürchen, warum die eine oder andere Frage nicht beantwortet werden kann.

Meine Damen und Herren, wir erwarten von Ihnen, Herr Minister Ehlen, dass Sie sich aktiv einbringen und Forderungen hinsichtlich der Ausgestaltung eines wirklich umfassenden Verbraucherinformationsgesetzes erheben. Das erwarten auch die Verbraucher und Verbraucherinnen in Niedersachsen. Sie aber warten nur ab. Bisher jedenfalls haben Sie durch eigene Initiativen nicht gerade geglänzt. Ganz im Gegenteil: Gerade die Informationspolitik der Landesregierung im Fall Lastrup war aus Sicht der Verbraucher und Verbraucherinnen katastrophal. Wir haben jetzt das neueste Beispiel mit Kaufland.

Die Wirtschaft beklagt, dass angeblich einzelne schwarze Schafe die gesamte Branche in Verruf bringen. Dann muss man sich von diesen schwarzen Schafen eben distanzieren. Ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz bietet der Wirtschaft die Gelegenheit, Produktion und Vertriebswege transparent zu machen. Welche Sorgen haben eigentlich ordentlich und sauber arbeitende Unternehmen?

Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist für die CDU- und die FDP-Fraktion und ganz besonders auch für Sie, Herr Minister Ehlen, ein Armutszeugnis, weil man Sie wiederum auffordern muss, zu handeln. Sie tragen mit dazu bei, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen zunehmend das Vertrauen verlieren. Vielleicht haben Sie aber auch gedacht, Sie könnten das Ganze aussitzen, indem Sie ein paar Wochen ins Land gehen lassen. Aber jeder neue Lebensmittelskandal holt Sie wieder ein.