Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Um den Castor kümmern sich 1 000 Leute - zum Teil Chaoten - in unserem Lande, für die FußballWM werden sich Milliarden Menschen interessieren. Das ist ein ganz anderer Hintergrund für explosives Eingreifen an dieser Stelle.

(Anhaltende Unruhe bei der SPD)

Die Fußball-WM im Juni und Juli dieses Jahres in unserem Land ist wohl das Ereignis mit einer kaum zu überbietenden weltweiten Resonanz. Milliarden Menschen werden in dieser Zeit täglich nach Deutschland schauen und neben dem Sport auch alle anderen mit dem Sport verbundenen Ereignisse sehr aufmerksam beobachten. Wir haben sicherlich alle ein Interesse daran - das unterstelle ich Ihnen auch -, dass hier nichts schief geht. Wir befinden uns in dieser Zeit auf dem Präsentierteller globaler Ereignisse. Damit bietet sich uns natürlich auch eine einmalige Chance zur positiven Darstellung unseres Landes. Meine Damen und Herren, diese Chance sollten wir unter allen Umständen nutzen. Unser Ziel muss es doch sein, die WM zu einem friedlichen Fest zu machen, das nicht nur für die Akteure auf dem Rasen Erfolg bringt, sondern auch für die mehr als 3 Millionen Zuschauer, die sich während dieser Zeit in den Stadien und in unseren Städten aufhalten werden. Für alle - ich sage: für alle - wollen wir ein durch und durch zufrieden stellendes Event bieten. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ darf nicht nur ein Slogan sein, sondern muss für unsere Gäste und für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande erlebbar werden. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass diese WM insgesamt ein Erfolg wird. Die Besucher und Gäste aus aller Welt verlassen sich darauf, dass wir ihnen neben gutem Sport eine kompetente Organisation und insbesondere auch persönliche Sicherheit - persönliche Sicherheit! - bieten. Das sollten Sie sich merken: Das ist

ein ganz entscheidender Anspruch, den wir anlegen.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass Fußball einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert hat und über eine besondere, stimulierende Wirkung auf Menschen auf der ganzen Welt verfügt, die leider nicht nur Ausgelassenheit und Freude, sondern in einem nicht unerheblichen Umfang, von Fall zu Fall, auch Gewalt produziert. Ich will nur an die Auswüchse vor acht Jahren in Frankreich erinnern, die uns allen noch in lebhafter Erinnerung sind. So etwas darf bei uns nicht passieren. Wir können aber davon ausgehen, dass diese aus früheren Ereignissen ableitbaren Erkenntnisse über aggressive und gefährdende Aktionen in umfangreichen Sicherheitskonzepten der Verantwortlichen berücksichtigt worden sind. Polizei und private Sicherheitskräfte werden für die Umsetzung sorgen und verhindern, dass es zu Eskalation und übermäßigen Gefährdungssituationen in Verbindung mit dem Fußball und seinen Fans kommen wird. Ich meine, dass wir uns insoweit auf bewährtes Handeln und ausreichende Erfahrungen der Sicherheitskräfte, insbesondere unserer Polizei, uneingeschränkt verlassen können.

(Zustimmung von Heiner Bartling [SPD])

Es ist aber leider auch Realität und Erfahrung der zurückliegenden Jahre, dass größere Menschenansammlungen mit einem kaum zu beschreibenden Gefährdungspotenzial verbunden sein können. Ich meine deshalb - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bartling, der Sie es als verantwortungslos ansehen, hier auch über Sondermaßnahmen nachzudenken -, dass es grob fahrlässig wäre, wenn wir das Wissen über die Aktionsbereitschaft des international tätigen Terrorismus bei der Abwicklung des Großereignisses „Fußball-WM“ nicht in Betracht ziehen würden. Das wäre fahrlässig, aber nicht das, was Sie vorgeben.

Wenn der Bundesinnenminister und der niedersächsische Innenminister gemeinsam mit anderen Amtskollegen darüber nachdenken, wie man beim Erkennen besonderer Gefährdungslagen, die - das wissen wir alle - nicht über Presseerklärungen der verbrecherischen Akteure angekündigt werden, den Schutz von Menschen, Sachgütern und auch unseres gesamten Staatsgefüges sicherstellen kann, dann ist es doch geradezu geboten, auch darüber nachzudenken, ob und wie gegebenen

falls bestimmte Teile der Bundeswehr für den Schutz herangezogen werden können.

Meine Damen und Herren, natürlich kann es keinen Freibrief für die Übertragung von Aufgaben der inneren Sicherheit auf die Bundeswehr geben, der mit dem Grundgesetz nicht konform geht. Das will doch kein Mensch, Herr Bartling. Aber es geht überhaupt nicht darum, bewaffnete Soldaten vor die Stadien zu stellen. Natürlich können und dürfen wir nur im Rahmen unserer Verfassung handeln, aber wir müssen bei neuen Formen des globalen Terrors über neue Formen unseres Schutzes nachdenken dürfen und ausloten, was das Grundgesetz bereits heute dazu hergibt und wie wir es aktuellen Erfahrungen anpassen können. Das ist ein ganz klares und konkretes Ziel.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Väter unserer Verfassung haben ein Werk erstellt, auf das wir immer wieder stolz sein können. Hellseher waren sie aber nicht, meine Damen und Herren. Wir sind deshalb verpflichtet, immer wieder zu prüfen, ob wir diese Verfassung neuen Erkenntnissen anpassen müssen, um damit ihren ursprünglichen Geist und ihren eigentlichen Inhalt zu erhalten. Von leichtfertiger Aufgabe von Grundsätzen, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren, kann hier überhaupt nicht die Rede sein.

Wenn es stimmt, dass bereits bei den Olympischen Spielen in München 20 000 Bundeswehrsoldaten eingesetzt worden sind,

(Bernd Althusmann [CDU]: Das stimmt!)

könnte man doch einfach einmal prüfen, warum es damals ging und heute nicht gehen soll. Weil es politisch nicht in Ihre Konzeption passt, weil Sie hier Klamauk machen wollen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir alle können heute doch nur hoffen, dass wir im Zusammenhang mit der Fußball-WM nicht mit einem extremen Gefahrenszenario konfrontiert werden. Aber wie sagt der Volksmund? Hoffen und Harren hält manchen zum Narren. Davor sollten wir uns bewahren; denn Hoffen allein hilft selten. Rechtzeitig im Vorfeld angestellten Überlegungen trauen wir wesentlich mehr, als nur auf etwas zu hoffen, was nicht eintreten soll. Das macht der Innenminister des Landes ebenso wie der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland.

Eines lässt sich in diesem Zusammenhang nicht leugnen: Die zuständigen Innenminister tragen die Verantwortung für die Sicherheit. Damit sie diese Aufgabe umfassend wahrnehmen können, müssen wir ihnen zugestehen, dass sie unter Berücksichtigung heute denkbarer Gefährdungsmöglichkeiten auch Schutzszenarien überlegen, die geeignet sind, auch unwahrscheinlichen Ereignissen rechtzeitig zu begegnen und so für unsere eigene Sicherheit und für die Sicherheit unserer Gäste zu sorgen.

Meine Damen und Herren, niemand geht davon aus, dass während der Fußball-WM Situationen eintreten, die von der Polizei und von privaten Sicherheitskräften nicht beherrscht werden können. Gleichwohl dürfen weitergehende Szenarien nicht außer Acht gelassen werden. Deshalb sehen wir überhaupt keinen Grund, den in Berlin bereits laufenden Abwägungsprozess, bezogen auf den Einsatz der Bundeswehr bei besonderen Ereignissen im Inneren des Landes, durch Unterstützung des hier vorgelegten SPD-Antrages zu unterlaufen. Wir lehnen diesen Antrag ab. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Danke schön. - Nächster Redner ist Herr Professor Lennartz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ich bitte im Übrigen darum, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen, wenn sie zuhören wollen, in die Logen begeben und nicht hinten an den Wänden stehen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Einer darf aber immer!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Stumpf hat gesagt, dieser Antrag der SPD-Fraktion sei völlig überflüssig. Nachdem Herr Bartling vorhin das Zitat aus dem Interview des Ministerpräsidenten aus der Mainzer Allgemeinen Zeitung vorgelesen hat, würde ich sagen: Diese Argumentation können Sie nicht mehr ernsthaft aufrechterhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bislang war auch bei denjenigen, die einen Einsatz der Bundeswehr im Innern für notwendig halten, immer klar, dass es einer Grundgesetzänderung bedarf. In dem Interview mit der Mainzer Allgemeinen Zeitung - der Text liegt mir vor - hat Herr Wulff gesagt, es bedürfe einer klarstellenden Grundgesetzänderung. Das heißt implizit: Er geht davon aus, dass es Sachverhalte gibt, bei denen die Bundeswehr auch nach geltendem Recht, bei der jetzigen Grundgesetzlage, bereits eingesetzt werden könnte.

(David McAllister [CDU]: Die Bundes- wehr wird doch jetzt schon einge- setzt!)

Nach dem, was Herr Wulff gesagt hat, dass nämlich der Feind bereits unter uns ist, ist das der im Grundgesetz definierte Spannungsfall. Die Bundeswehr kann im Augenblick im Innern nur eingesetzt werden, wenn die Gefahr für die freiheitlichdemokratische Grundordnung besteht oder wenn Aufständische die Sicherheit und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland bedrohen. Das ist der entscheidende Punkt. Herr Wulff geht über die Definition einer „klarstellenden Grundgesetzänderung“ einen Schritt weiter als bisher selbst Innenminister Schäuble in Berlin und Innenminister Schünemann. Das muss einfach einmal deutlich gemacht werden. Ich finde es völlig unangemessen, dass Herr Wulff, nachdem heute diese Äußerungen veröffentlicht worden sind, bei dieser Debatte nicht anwesend ist. Er müsste sich dazu erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bereits seit Jahren fordert der amtierende Bundesinnenminister Schäuble - seit kurzem auch der hiesige Innenminister Schünemann -, die Bundeswehr solle im Innern für Polizei- oder polizeiähnliche Aufgaben eingesetzt werden.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Nein! Das hat er nicht gefordert!)

Dann wäre tatsächlich - das sagen auch Schünemann und Schäuble - eine Grundgesetzänderung erforderlich. Jetzt ist es aber doch so, dass sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von der vergangenen Woche gegen § 14 des Luftsicherheitsgesetzes weitere Debatten eigentlich schon deswegen erübrigen, weil eine Grundgesetzänderung, selbst wenn irgendjemand glauben sollte, er hätte dafür eine Zweidrittelmehr

heit, bis zur Fußball-WM gar nicht mehr zu realisieren wäre.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von Heidrun Merk [SPD] - David McAllister [CDU]: Es geht darum, was man politisch will!)

Gleichwohl ist bei diesem Thema, auch wenn es nicht dazu kommen wird, jedenfalls nicht im Hinblick auf die Fußball-WM - und das ist gut so -, Wachsamkeit angesagt; denn die Fußball-WM war nur ein Anlass unter anderen, um die von verschiedenen konservativen Politikern geplante Militarisierung der inneren Sicherheit vorantreiben zu können.

Ich will noch auf ein weiteres Phänomen hinweisen, speziell in die Richtung von Herrn Schünemann: Jemand, der als Innenminister und als Dienstherr der Polizei im Lande anlässlich der Fußball-WM 2006 die Bundeswehr für Polizeiaufgaben im Innern herbeisehnt, zweifelt offensichtlich zugleich an den Fähigkeiten seiner Polizei.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wieso kann man angesichts der Erfolge und der Erfahrungen beispielsweise bei den Polizeieinsätzen anlässlich der EXPO 2000 ernsthaft darauf kommen, die Polizei werde über einen Zeitraum von einem Monat im zukünftigen Sommer nicht in der Lage sein, die Sicherungsaufgaben und alles, was damit zusammenhängt, adäquat zu lösen? Natürlich wird das für die Polizeibediensteten eine Kraftanstrengung werden. Natürlich werden erhebliche Überstunden auflaufen. Natürlich werden Bereitschaftsdienste anfallen. Spannende Frage: Wie werden die vergütet werden? Natürlich wird die normale Polizeiarbeit auch in der Fläche leiden. Aber das sind alles keine Argumente für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern.

(Zustimmung von Heidrun Merk [SPD])

Wenn Sie, Herr Innenminister, Zweifel haben, dass Ihre Polizei in der Lage ist, dieses Großereignis zu „beherrschen“, dann sind Sie vielleicht der falsche Mann auf diesem Platz. - Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Bode von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Bode!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle freuen uns auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Wir freuen uns auf viele interessante Spiele mit der deutschen Mannschaft - auch im Finale. Wir freuen uns auf viele Gäste, die Deutschland und auch Niedersachsen besuchen werden und mit uns allen eine friedliche Weltmeisterschaft verleben wollen. Wir sind der festen Überzeugung - das hat Herr Bartling ja auch so nett zitiert -, dass die Polizei für die Herausforderung „Fußball-WM 2006“ gewappnet ist. Die Polizei schafft es auch heute schon, an jedem Sonnabend zur Zeit der Fußballbundesliga parallel in sieben deutschen Stadien und in deren Umfeld für Sicherheit zu sorgen. Sie schafft es auch am Vortag bei den Zweitligaspielen, auftretende Probleme sofort zu erkennen und auch zu beseitigen. Wir haben keine Zweifel, dass die Polizei und insbesondere auch die niedersächsische Polizei diese Aufgaben während der Fußball-WM auch bei den Spielen in Niedersachsen bzw. bei den Veranstaltungen, die im Umfeld der WM stattfinden werden, lösen wird.

Natürlich braucht die niedersächsische Polizei wie alle anderen Länderpolizeien die Unterstützung der Bundeswehr bei der WM 2006. Diese Unterstützung ist keinesfalls problematisch oder zu verurteilen. Sie ist vom Grundgesetz abgedeckt. Ich denke, das war bis vor kurzem fraktionsübergreifender Konsens, beispielsweise bei der Unterstützung der Luftüberwachung durch AWACS-Flugzeuge oder aber bei der eventuellen Unterstützung durch Sanitätseinheiten oder auch, falls etwas passiert, bei der Unterstützung durch die ABCEinheiten der Bundeswehr.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wir sehen es allerdings absolut nicht als erforderlich an, die Aufgaben der Bundeswehr auf den Objektschutz auszudehnen. Die Idee, die diesbezüglich formuliert wird, ist unseres Erachtens keinesfalls zielführend; denn die Bundeswehr ist nur zu einem kleinen Teil hierfür ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt nur über die Ressourcen für den Schutz eigener Objekte und nicht für einen flächendeckenden Objektschutz. Daher glauben

wir auch nicht, dass es Sinn macht, Wehrpflichtige vor Stadien oder bei anderen Gelegenheiten zum Objektschutz einzusetzen. Das ist, denke ich, nicht der richtige Weg.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Ich möchte Ihnen zu unserer Position gern noch zwei Zitate mit auf den Weg geben, die sie, denke ich, sehr gut beschreiben. Ich möchte den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dr. Ingo Wolf, zitieren, der laut FAZ zu der Frage, ob es denn eine Notwendigkeit für Objektschutzmaßnahmen durch die Bundeswehr für die Polizei gibt, gesagt hat: Dafür gibt es überhaupt keine Notwendigkeit.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von den GRÜNEN: Recht hat er!)

Ebenso sagte Dr. Ingo Wolf, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, bei der 40. Kommandeurtagung der Bundeswehr im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Bundeswehr am 10. Oktober 2005 in Bonn - ich zitiere -: