Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Durch Ihren Antrag wollen Sie feststellen lassen, dass 2011 55 000 Abiturienten fertig werden. Das ist Fakt, das brauchen wir nicht zu beschließen.

Sie wollen, dass wir feststellen, dass die steigenden Absolventenzahlen und die fast verdoppelten Studierendenzahlen nicht ohne zusätzliche Ressourcen bewältigt werden können. - Genauso könnten wir feststellen, dass eine Medaille zwei Seiten hat.

Die anderen Dinge, die Sie per Beschluss feststellen lassen wollen, haben eine ähnliche Qualität. Deshalb erspare ich mir und Ihnen die weitere Aufzählung.

Sie fordern dann aber, dass die personellen und räumlichen Kapazitäten der steigenden Nachfrage angepasst werden sollen. - Nun, bei mehr Studierenden brauchen wir selbstverständlich mehr Hochschullehrer und mehr Räume.

(Volker Brockmann [SPD]: Ach nee!)

- Das ist so. Aber Sie wollen das eigens beschließen lassen. Das wundert mich schon.

Sie fordern, den Hochschulen die notwendigen Mittel für zusätzliche Studienplätze zur Verfügung zu stellen. - Können Sie sich überhaupt vorstellen, dass wir bei derart stark steigenden Studierendenzahlen die Lehrkapazitäten nicht anpassen müssten? Das ist so.

Sie fordern, dass die Steigerung des Studienplatzangebots nicht zulasten der Qualität der Lehre

gehen dürfe. - Als heute beurlaubter FH-Lehrer verstehe ich Ihre Befürchtungen. Denn während Ihrer Regierungszeit wurde zumindest in meinem Fachbereich die Zahl der Studierenden stetig erhöht; die Zahl der Lehrenden ging währenddessen immer weiter zurück. Dass Sie uns jetzt unterstellen, wir würden Ihre damalige schlechte Politik fortsetzen, kann ich aus Ihrer Sicht zwar verstehen; ich muss das aber weit von uns weisen.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden es auch hier besser machen, als Sie es je gewollt und je umgesetzt haben, außer vielleicht bei irgendwelchen ideologischen Lieblingsthemen.

Sie fordern eine Anpassung des Zukunftsvertrages an die veränderten Bedingungen. - Der Zukunftsvertrag hat eine Laufzeit bis 2010. Dann wird es neue Vereinbarungen geben. Diese werden dann auch den veränderten Bedingungen Rechnung tragen. Bis zum Jahr 2010 ist das nicht nötig.

(Alice Graschtat [SPD]: 2011 ist aber der doppelte Abiturjahrgang, das wis- sen Sie?)

- Aber der Zukunftsvertrag läuft bis 2010; das ist doch klar.

Sie sehen also, bei uns weiß zumindest die rechte Hand, was die linke tut.

(Zurufe von der SDP)

Sie fordern, dass sich Niedersachsen in der KMK an der Lösung dieser Probleme konstruktiv beteiligen soll. - Genau das macht unser Ministerium, und zwar in fast allen Bereichen federführend. Das hat Herr Stratmann auch schon ausgeführt.

Auch Ihre Forderung, dass sich die zuständigen Ministerien und die niedersächsische Wirtschaft darüber abstimmen sollen, dass sich die Ausbildungskapazitäten im dualen System den Erfordernissen anpassen, ist doch so selbstverständlich, dass man darauf gar nicht weiter eingehen muss.

Meine Damen und Herren, wie die Zusammenarbeit der Länder in Ost und West organisiert werden soll oder wie nach dem Wegfall des 13. Schuljahrgangs an den Gymnasien ungenutzte Raum- und Lehrkapazitäten zugunsten des Hochschulsystems genutzt werden können, haben wir bereits in der Plenarsitzung am 10. November 2005 erläutert. Das können Sie in dem Protokoll nachlesen.

Sie sehen, das Ministerium bearbeitet bereits praktisch alle Ihre Forderungen und tut das auch in Abstimmung mit anderen Bundesländern.

Unsere Haushaltslage verbietet es uns aber, bereits hier und heute festzulegen, was wir 2010 oder 2011 konkret machen werden. Deshalb warten wir erst die Gespräche von Bund und Ländern ab. Wir warten ab, in welcher Form sich der Bund konkret beteiligen wird. Wir werden dann die für Niedersachsen notwendigen Entscheidungen treffen.

Dass andere Länder wie Bayern oder BadenWürttemberg heute schon Absichtserklärungen abgegeben haben, an welchen Stellen und wie viel Geld sie investieren und wie viele Hochschullehrer sie zusätzlich einstellen wollen, ist sicherlich löblich. Aber diese Länder hatten auch das Glück, nicht 13 Jahre lang von Rot oder Grün regiert zu werden. Die haben eine völlig andere Kassensituation.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie uns erst einmal die Abstimmung mit dem Bund und den anderen Ländern abwarten. Lassen Sie uns abwarten, inwiefern wir ein Sonderprogramm des Bundes für Niedersachsen nutzen können. Lassen Sie uns dann richtig planen, und zwar in einer Weise, die unsere Finanzen zulässt, wie wir mit dem Problem umgehen werden. Der von Ihnen geforderte Aktionismus in dieser Frage wird uns ohne verlässliche Planungsgrundlagen auf jeden Fall nicht weiterbringen.

Ich hatte zu Anfang gesagt, Ihr Antrag sei überflüssig. Er ist deshalb überflüssig, weil sich das Ministerium mit all diesen Fragen bereits befasst. Daher können wir Ihren Antrag heute nur ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Heinen-Kljajić, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brockstedt, Ihre Ausführungen waren wirklich symptomatisch für die gesamte Debatte, wie wir sie seit Ende letzten Jahres erleben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Kaum ein Thema beherrscht die bildungspolitische Debatte auf Bundes- wie auf Länderebene momentan dermaßen stark wie der zu erwartende Anstieg der Studierendenzahl. Nur in Niedersachsen verfährt man nach dem Motto „kommt Zeit, kommt Rat“. Herr Brockstedt, das Wort „abwarten“ war das in Ihrer Rede eben am häufigsten verwendete Wort. Die Blauäugigkeit, mit der Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, jeden Handlungsbedarf ignorieren, ist bildungspolitisch absolut verantwortungslos.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Andere Bundesländer legen längst eigene Konzepte auf; Frau Graschtat hat das eben ausgeführt. Bayern will von 2008 an den Lehretat jährlich um 200 Millionen Euro aufstocken, Baden-Württemberg will mit einem Sonderprogramm 16 000 neue Plätze für Studienanfänger schaffen.

(Professor Dr. Emil Brockstedt [CDU]: Die haben aber eine andere finan- zielle Situation!)

Beide Länder wollen auf diese Weise übrigens nicht nur den doppelten Abiturjahrgang bewältigen; sie wollen sich vielmehr zugleich für die bildungspolitische Zukunft fit machen, in der wir mehr Studienplätze brauchen werden. Meine Damen und Herren, für diese Zukunft ist Niedersachsen denkbar schlecht aufgestellt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der Umgang mit dem Anstieg der Studienbewerberzahlen macht beispielhaft klar, dass das SüdNord-Gefälle in der deutschen Hochschullandschaft, das wir bei den Zwischenergebnissen zur Exzellenzinitiative gerade wieder schmerzhaft haben zur Kenntnis nehmen müssen, nicht gottgegeben, sondern hausgemacht ist.

Und was tut die Niedersächsische Landesregierung? - Sie verschläft nicht nur die Entwicklung, sondern baut sogar Kapazitäten ab. So wird der Abstand zu den Spitzenunis immer größer.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Aussitzen des Problems begründen Sie dann auch noch damit, dass Sie abwarten wollen, was der Bundesbildungsministerin Schavan zu dem Thema einfällt. Herr Brockstedt hat dazu Ausführungen gemacht.

Spätestens an dieser Stelle wird Ihr Verhalten aber grotesk. Sie halten an den Ergebnissen der Föderalismusreform fest, die den Ländern die alleinige Kompetenz in Bildungsfragen zuschreibt, und warten dennoch darauf, dass der Bund den Ländern mit Sonderprogrammen in Form von Geld unter die Arme greift. Genau das kann er aber jetzt nicht mehr.

Wir haben deshalb im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht, um das Kompromisspaket der Föderalismusreform an dieser Stelle noch einmal aufzuschnüren. Dem konnten Sie leider nicht folgen. Wenn das Vorhaben im Rahmen der Föderalismusreform in der jetzigen Fassung durchgeht - in diesem Zusammenhang geht mein Appell auch in Richtung SPD-Bundestagsfraktion -, dann machen Sie Schüler und Studenten zum Bauernopfer der Staatsreform.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, setzen Sie nicht länger die Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandorts Niedersachsen aufs Spiel. Legen Sie ein Programm zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs auf. Denn auch der ist nicht gottgegeben, sondern Folge Ihrer Schulpolitik. Wer A sagt, muss auch B sagen.

Sich auf Kosten von Schülern und Hochschulen wegzuducken, darf sich das Land nicht leisten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Professor Dr. Zielke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem 10. November 2005, als wir den vorliegenden Antrag zum ersten Mal im Plenum erörtert haben, hat sich in der Sache selbst nichts, aber auch gar nichts Neues ergeben. Dass sich mittlerweile auch einige hochschulnahe Gremien und Lobbyverbände die Forderung nach einem Sonderprogramm, am besten einem Sonderprogramm des Bundes,

zu Eigen gemacht haben, kann nicht überraschen. Sie tun, was ihres Amtes ist. Aber neue Stellungnahmen und Forderungen sind eben noch keine neuen Argumente. Die Prognosezahlen der KMK sind dieselben wie vor vier Monaten, und sie stehen auf genauso wackligen Beinen wie damals.

Lassen Sie mich dazu jemanden zitieren, der jeder Interessentenideologie in dieser Sache unverdächtig ist, nämlich den sozialdemokratischen Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. Er sagte laut Tagesspiegel vom 21. November 2005:

„Ich habe nach dem Studentenberg gesucht, ihn aber nicht gefunden. Diese Zahlen“

- er meint die der Kultusministerkonferenz

„halte ich für blanken Unsinn.“