Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

„halte ich für blanken Unsinn.“

Niemand weiß heute, wie sich der Anteil der Studierenden an den Studienberechtigten in der Zukunft entwickeln wird - ob er bei 75 % liegen wird, wie in früheren Prognosen der KMK unterstellt, oder bei 80 %, wie von der KMK in ihrer letzten Prognose unterstellt, oder eher bei gut 70 %, die den Vorzug haben, unveränderlich wahr zu sein, weil das nämlich die Studierendenquote des letzten Jahres ist.

(Roland Riese [FDP]: Also so ist das!)

Möglich ist sogar durchaus, dass die Quote ab 2010 noch fallen wird, weil nämlich dann, anders als heute, keine Lehrstellenknappheit, sondern vermutlich ein Überangebot an Ausbildungsplätzen im dualen System herrschen wird und daher Lehrstellen auch für den einen oder anderen Studenten attraktiver als heute sein dürften. Dann gibt es nämlich viel weniger Haupt- und Realschulabgänge als heute.

Niemand weiß, wie sich die Bachelor-/Masterstruktur auf die Studierendenzahlen auswirken wird, also wie viele Studierende nach dem Bachelor - dieser ist schließlich als berufsqualifizierender Abschluss deklariert - tatsächlich ins Berufsleben abwandern und die weiterführenden Masterstudiengänge entlasten. Aber keine Frage: Studienzeitverkürzung bedeutet Kapazitätsgewinn an den Hochschulen.

Herr Professor Dr. Zielke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Dr. Andretta?

Nein, ich möchte zum Ende kommen. - Im Übrigen können Maßnahmen zur vorübergehenden Erhöhung der Lehrkapazität, wie sie Herr Kollege Brockstedt bei der ersten Beratung vorgeschlagen hat, einen erheblichen Effekt haben.

Last, but not least ist eine Nutzung leerer Studienplätze in den neuen Ländern keineswegs utopisch. Dieser Ansatz wird durch die Föderalismusreform nicht verbaut, sondern eher gefördert, weil weniger Köche in dem Brei rühren. Auch bilaterale Abkommen über Studienplätze zwischen den Bundesländern wären durchaus denkbar und vernünftig und zeitnah realisierbar.

Alles in allem: Ihr Antrag verdient nur ein Prädikat blinder Alarm zur Unzeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Für die Landesregierung Herr Minister Stratmann, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unstreitig ist, dass sich die Studierendenzahlen mit den doppelten Abiturjahrgängen 2011 erhöhen werden. Unstreitig ist auch - dies gilt wohl für alle Fraktionen in diesem Haus -, dass wir eine Erhöhung der Studierendenzahlen als wünschenswert erachten.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Herr Zielke nicht!)

Deshalb eine Bitte vorab: Ich kann zwar verstehen, dass die Opposition manches überpointiert formulieren muss. Aber lassen Sie uns die nächsten Monate und Jahre von der Begrifflichkeit her Abstand nehmen von Begriffen wie „Studentenberge“, „Bildungskollaps“ oder dergleichen mehr. Ich hätte mir beispielsweise gut eine Überschrift des Antrages vorstellen können nach der Devise: „Chance der steigenden Studierendenzahlen ergreifen!“ oder Ähnliches. Wir sind hier in der Pflicht, deutlich zu machen, das, was sich die nächsten Jahre in Deutschland entwickelt, ist ein Prozess, den wir zunächst einmal per se begrüßen. Darüber freuen wir uns.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, dass wir uns auf diese steigenden Zahlen vorbereiten müssen. Frau Heinen-Kljajić hat es ja zum Ausdruck gebracht: Weil im Grunde alle Hochschulpolitiker Deutschlands so denken, findet derzeit in der Tat eine heftige Diskussion zu dieser Frage statt.

Diese Diskussion findet auch auf der Ebene der Länder, zwischen A- und B-Ministern und der Kollegin Schavan in Berlin statt. Dies ist richtig so. Das Land Niedersachsen ist daran sehr maßgeblich beteiligt.

Ich wiederhole noch einmal: Es war Niedersachsen, das die Anregung zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe auf der Ebene der Kultusministerkonferenz gegeben hat. Ich sage hier sehr deutlich: Es sind die beiden Amtschefs - Fröhlich aus BadenWürttemberg und Lange aus Niedersachsen, also der Staatssekretär bei mir im MWK -, die zurzeit federführend die Frage miteinander besprechen und Vorlagen dazu erarbeiten, wie wir im Konzert der Länder - dies geht nur auf dieser Ebene - gemeinsam mit dem Bund zu einer Lösung kommen werden.

Liebe Frau Graschtat, zur Ehrlichkeit gehört auch: Bei aller Notwendigkeit, dass wir gemeinsam mit dem Bund Lösungen auch finanzieller Art finden sollten, können Sie nach meinem Dafürhalten nicht Bundesmittel für die Lehre einfordern, wenn sich Ihr Parteirat oder Parteitag - ich weiß nicht, wie das bei Ihnen heißt - gleichzeitig in Beschlüssen im Rahmen der Föderalismusreform dagegen ausspricht, dass dies künftig möglich sein soll.

(Zustimmung bei der CDU)

Dies ist wieder unehrlich. Sagen Sie, dass die Koalitionäre in Berlin den Weg, Bundesmittel für die Lehre direkt zur Verfügung zu stellen, versperrt haben. Sagen Sie: Wir sagen das. Wir bekennen uns dazu. - Dennoch gibt es andere Überlegungen und Möglichkeiten, hier gemeinsam etwas voranzubringen.

Zurzeit wird über einen Maßnahmenkatalog auf Bundesebene im Länderkonzert diskutiert, der derzeit der einzige Katalog ist und der maßgeblich aus der Feder meines Hauses, des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, stammt. Dieser Maßnahmenkatalog sieht im Wesentlichen folgende Punkte vor:

Erstens. Erhöhung der Lehrleistung des vorhandenen Personals. Dies bedeutet die Flexibilisierung der individuellen Lehrverpflichtungen, beispielsweise nach dem Lüneburger Modell. Das heißt, wir müssen einen Korridor für Lehrdeputate schaffen. Da auch Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, in der Lüneburger Frage mit uns einig sind, gehe ich davon aus, dass Sie auch in diesem Punkt unserer Meinung sind, dass das u. a. ein gangbarer, richtiger Weg sein könnte.

Zweitens. Zeitlich befristete Ausweitung des Personalbestandes, insbesondere deswegen, weil wir schon jetzt wissen, dass nach einem Anstieg der Studierendenzahlen auch wieder eine Abflachung erfolgt, oder auch dauerhafte Lecturer-Stellen, die wir Ihnen mit der NHG-Novelle vorschlagen werden.

Drittens. Erschließung von Kapazitäten auch außerhalb des staatlichen Hochschulbereichs.

Viertens. Vorzeitige Besetzung von Professorenstellen, also fünf Jahre vor deren Freiwerdung. Dies hat den Vorteil, dass sozusagen zugleich Strukturentscheidungen für die Profilbildung der Hochschulen getroffen werden können.

Schließlich ist zu erwähnen - dies kann ich kurz machen -: Der Kollege Dr. Zielke hat Recht, wenn er sagt, die neuen Bologna-Strukturen, die bei uns in Niedersachsen übrigens viel früher eingeführt sein werden als in anderen Ländern, werden dazu beitragen, dass wir freie Kapazitäten bekommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Abschließend: Es ist nicht so, dass Niedersachsen nichts macht, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall. Niedersachsen ist im Bundeskonzert - und nur auf dieser Ebene geht es - federführend agierend tätig.

(Zustimmung bei der CDU - Björn Thümler [CDU]: Bravo!)

Aus Niedersachsen, aus der Feder dieses Hauses, des MWK, stammen die Beschlüsse, über die alle anderen Kollegen mit uns zusammen diskutieren. Ich bin Herrn Dr. Lange, der im Reigen der Amtschefs eine hohe Reputation genießt,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

sehr dankbar dafür, dass er sich in den letzten Wochen insbesondere dieser Frage zusammen mit Herrn Fröhlich aus Baden-Württemberg - dies

muss ich sagen - gewidmet hat. Hier wird wieder deutlich, dass das Zusammenspiel gerade zwischen Baden-Württemberg und Niedersachsen ausgesprochen gut klappt.

Eine letzte Bemerkung, die nicht unmittelbar etwas mit dem Thema zu tun hat. Liebe Frau HeinenKljajić, Sie sind die Erste, von der ich höre, dass sie der Meinung ist, Niedersachsen habe unerwartet schlecht bei der Exzellenzinitiative abgeschlossen. Allen, die sich mit Fragen der Hochschulpolitik befassen, war klar, dass es das SüdNord-Gefälle gibt. Sie brauchen sich nur die Zuweisung der DFG-Zuschüsse anzugucken, dann wissen Sie, dass seit Jahren 80 % der DFG-Mittel an süddeutsche Hochschulen gehen. Wir haben gesagt: Niedersachsen schließt erfolgreich ab, wenn wir es schaffen, beim Königsteiner Schlüssel, also bei 10 %, zu landen. Das haben wir auch geschafft. Neun von neunzig Anträgen kommen aus Niedersachsen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in der zweiten Runde wieder reüssieren werden. Wir sind damit beispielsweise erheblich besser, als das für Nordrhein-Westfalen und auch für Hessen gilt. Wir können sagen, dass wir unter den norddeutschen Ländern mit Abstand das beste Land sind. Es kann besser werden. Das Süd-Nord-Gefälle ist ein Problem. Diese Landesregierung arbeitet aber daran, dieses Problem mit Nachdruck zu beseitigen.

(Beifall bei der CDU)

Aber die Vorgängerregierung hat uns diese Arbeit sehr schwer gemacht, weil sie nichts dazu beigetragen hat. Die Entscheidungen dieser Vorgängerregierung, die von dieser Fraktion getragen wurde, hat dazu beigetragen, dass man sich eben nicht auf Cluster-Bildung, eben nicht auf Vernetzung konzentriert hat, wie wir das seit drei Jahren tun. Diese drei Jahre haben nach meinem Dafürhalten schon jetzt dazu beigetragen, dass wir überraschend gut abgeschnitten haben. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erteile ich Frau Dr. Andretta drei Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir eben von der CDU- und der FDP-Fraktion erlebt haben, ist eine hochschulpolitische Bankrotterklärung.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU: Ach!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin erleichtert, dass sich der Minister die Position des Abwartens nicht zu Eigen macht und dass er arbeitet. Was der Herr Minister ausgeführt hat - ich muss das leider sagen -, zeigt, dass hier ein Hochschulpakt angegangen wird, also das, was das Gebot der Stunde und der Vernunft ist. Frau Ministerin Schavan streckt den Arm aus. Sie weiß genau, dass es die Bundesländer aus eigener Kraft nicht schaffen. Es geht darum, dass es nicht zu dem kommt, was jetzt noch in der Föderalismusreform vorgesehen ist, nämlich zu einem Kooperationsverbot. Dazu bedarf es der Unterstützung aller Länder und vor allen Dingen Niedersachsens, weil wir zu den Schwächeren gehören und am wenigsten die Kraft haben, zusätzlich Studienplätze usw. selbst zu schaffen.

Herr Kollege Zielke, auf die neuen Bundesländer zu verweisen, wohin unsere Studierenden gehen könnten, ist mir kein Trost. Wir wollen unsere Studierenden in unserm Land haben und ihnen hier Zukunft geben, weil es um die Zukunftsfähigkeit Niedersachsens geht.

Ich hoffe, Herr Stratmann, Sie können Ihre Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, dass heute nur eines möglich ist, nämlich diesem Antrag die Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Minister Stratmann hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Minister!

Es tut mir Leid. Ich weiß, wir sind zeitlich im Verzug. Aber dieses Thema ist enorm wichtig.

Frau Dr. Andretta, so geht das nicht. Sie können nicht immer so, wie es passt, argumentieren. Sie fordern einerseits, dass wir die Föderalismusre

form, den Kompromiss über Bord werfen mögen, weil Länder und Bund nicht mehr so zusammenwirken können, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Andererseits argumentieren Sie sozusagen aus der Sicht einer Kirchturmspolitikerin, indem Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass Themen wie diese nur im Länderkonzert wirklich angegangen werden können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage hier in aller Deutlichkeit - Ihnen werden das SPD-Kollegen aus dem Kreis der Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftsminister bestätigen -: Wir sind dankbar, dass wir es endlich mit einer Bundeskollegin zu tun haben, welche die Länderinteressen kennt und versteht,