Protokoll der Sitzung vom 16.05.2006

Die demonstrative Ignoranz einiger Ausschussmitglieder gegenüber den Befürwortern unserer Initiative war wahrlich keine Sternstunde des Parlamentarismus und zumindest unhöflich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will auf einige Punkte eingehen, die hier noch einmal angesprochen wurden, auf den immer wieder angeführten angeblichen Missbrauch und die zu erwartende Klageflut. Es gibt weder Anhalts

punkte noch eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass Tierschutzorganisationen in dieser Weise handeln, im Gegenteil. Sowohl Effektivitätsgesichtspunkte als auch das Anerkennungsverfahren, das wir vorgeschlagen haben, sowie die bisherigen Erfahrungen mit anderen Verbandsklagen sprechen eindeutig dagegen. Das Argument, es komme zu Verzögerungen bei Genehmigungen, können doch nur die anführen, die keine Ahnung von unseren Rechtsvorschriften haben. Wir haben Rechtsinstrumente, wir haben Gerichte, die über die Verwaltungsgerichtsordnung sicherstellen, dass rechtmäßige Tiernutzungen - das gilt auch für den Forschungsbereich - weder behindert noch verzögert werden. Ich betone allerdings: rechtmäßige Tiernutzungen. - Wenn nicht rechtmäßige Tiernutzungen verzögert werden, habe ich dafür wirklich viel Verständnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Punkte sind das immer wieder angeführte Behördenmisstrauen, das man uns unterstellt, und der Hinweis, alle anderen Instrumente seien doch schon ausreichend. Es hat nun wirklich nichts mit Behördenmisstrauen zu tun, wenn das vollständige Gewaltenteilungsprinzip auch für den Tierschutz gefordert wird. Das ist doch nichts anderes als eine Selbstverständlichkeit. Wie alle anderen Rechtsgebiete auch muss im Tierschutz Behördenhandeln gerichtlich überprüft werden können. Wenn Sie den Wehrlosesten diesen Schutz verweigern, widerspricht das nicht nur unseren formellen Rechtsprinzipien, sondern eben auch dem Humanitäts- und Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Menschen in diesem Lande. Davon bin ich überzeugt.

Mein Fazit: Tierschutz hat bei CDU, FDP und auch bei SPD keine Heimat. Dort geht weiterhin Profit vor Moral. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächster hat der Kollege Langspecht für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forderung nach einem Klagerecht suggeriert den Tierschutzverbänden, damit könne ein verbessertes Tierschutzrecht erreicht werden. In dieser häufig mehr emotional als rational geführten Diskussi

on wird oft übersehen, dass es bei der Verbandsklagemöglichkeit lediglich um die Überwachung vorhandener Rechtsnormen gehen kann.

(Zuruf von Dorothea Steiner [GRÜ- NE])

Aber gerade hier sind wir bei uns in Niedersachsen gut aufgestellt. Das hat die Anhörung ergeben, insbesondere auch die überzeugenden Ausführungen von Herrn Wilkens von den Spitzenverbänden der Kommunen und von Herrn Hartung von der Tierärztlichen Hochschule.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der Tierschutz hat in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert. Sie wissen, dass die CDU-Landtagsfraktion seinerzeit die Initiative für die Verankerung des Tierschutzes in der Niedersächsischen Verfassung ergriffen hat und dass sich der damalige Oppositionsführer und heutige Ministerpräsident Christian Wulff ganz massiv für die Aufnahme des Tierschutzes in die Staatszielbestimmung des Artikels 20 a des Grundgesetzes engagiert hat.

Die Ziele des Tierschutzes sind dementsprechend auch wesentliche Bestandteile der gesetzlichen Regelungen von Bund und Ländern, und die Kommunen als Träger der unteren Veterinärbehörden überwachen die Einhaltung dieser Vorschriften. Unsere Veterinäre haben gerade die Aufgabe, nicht nur wissenschaftliche Einrichtungen, in denen Tierversuche stattfinden, sondern vor allem auch jegliche Tierhaltung und Tierschlachtung sowie regelmäßig auch die Tiertransporte zu überprüfen. Die Veterinäre sind - auch das hat die Anhörung meines Erachtens klar ergeben - hervorragend ausgebildet, sie leisten landesweit eine gute Arbeit und verstehen sich selbst von ihrem Berufsethos her als Sachwalter der Tiere. Deshalb ist es gerade wegen der enormen Bedeutung, die der Tierschutz heute für uns alle hat, ebenso wichtig wie selbstverständlich, dass die Veterinäre auch allen Anzeigen und Beschwerden nachgehen und Verstöße konsequent ahnden. Es gilt hier der Amtsermittlungsgrundsatz, und die Staatsanwaltschaft ist gesetzlich zur Sachverhaltsermittlung und bei hinreichendem Tatverdacht natürlich auch zur Strafverfolgung verpflichtet.

In diese tägliche Arbeit der Veterinärbehörden sind die Tierschutzverbände mit einbezogen. Darüber hinaus sind die Verbände im Tierschutzbeirat ver

treten und arbeiten in der beim LAVES eingerichteten Tierversuchskommission mit. Wir verfügen als eines der ganz wenigen Länder über einen ebenfalls beim LAVES eingerichteten Tierschutzdienst, der die unteren Veterinärbehörden gerade beim Vollzug ihrer tierschutzrechtlichen Aufgaben berät.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Sie re- den am Thema vorbei!)

Hier werden, Herr Klein, auch die komplexen Fragen der Tierhaltung und der Tiergerechtigkeit auf wissenschaftlicher Basis bearbeitet, und die Ergebnisse fließen in die einschlägigen Vorschriften ein, zum Beispiel für das artgerechte Halten, für das tierschutzgerechte Transportieren und Töten von Tieren. Die Tierschutzverbände werden bei der Gestaltung von Tierhaltungsempfehlungen frühzeitig eingeschaltet und bei der Erarbeitung von Rechtsvorschriften beteiligt. Damit erreichen wir, dass die Haltung unterschiedlichster Tierarten auch tierschutzgerecht weiterentwickelt wird.

Meine Damen und Herren, wir haben ferner die Tierschutzkommission beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, und wir haben die Europäische Lebensmittelbehörde, die sich ihrerseits in einer Kommission umfassend mit Tierschutz und Tiergesundheit befasst. Wir haben damit eine Vielzahl von Gremien, in die sich die Verbände einbringen und in denen sie zudem die Möglichkeit haben, ganz konkret am Vollzug mitzuwirken. Wenn es hier tatsächlich zu Defiziten oder Versäumnissen kommt, dann besteht immer noch die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde oder der Petition.

(Zuruf von Hans-Jürgen Klein [GRÜ- NE])

Meine Damen und Herren, wir haben den Sachverstand und die Kompetenz der Veterinäre, wir haben die umfassende Beteiligung der Verbände, und wir haben dezidierte Verwaltungsverfahren. Dieses Instrumentarium, das es in dieser Form in keinem anderen Land der Welt gibt, reicht nach unserer Überzeugung aus. Es ist nicht zu erwarten, dass wir mit einer Verbandsklage noch mehr für den Tierschutz erreichen können. Sie von den Grünen machen den Menschen mit der Verbandsklage etwas vor. Sie wecken Erwartungen, die letztlich nicht erfüllt werden können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber auch aus juristischer Sicht gibt es grundsätzliche Bedenken gegen die Verbandsklage. Unser Rechtssystem setzt nun einmal voraus, dass ein Kläger in seinen Rechten betroffen sein muss, um ein Klagerecht zu erhalten. Eine Popularklage ist deshalb nicht zulässig. Auch wenn es im Naturund Verbraucherschutzrecht Ausnahmen gibt, sollten wir alles dafür tun, diese Ausnahmen nicht noch zu erweitern. Sonst laufen wir nicht nur Gefahr, allmählich zu einem, wie es die kommunalen Spitzenverbände selbst formuliert haben, Verbändestaat zu verkommen, wir würden vor allem auch ein völlig verkehrtes Signal aussenden. Diese Landesregierung ist angetreten, der Bürokratie den Kampf anzusagen. Sie hat in diesen drei Jahren beachtliche Erfolge vorzuweisen, wenn wir nur sehen, dass inzwischen ungefähr ein Drittel aller Verwaltungsvorschriften abgeschafft worden ist.

Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt aber allen Ernstes eine Verbandsklage für den Tierschutz einführen, erreichen wir damit genau das Gegenteil: wieder mehr Staat, wieder mehr Verwaltung mit hohem Aufwand, vor allem mit hohen Sach- und Personalkosten und langwierige Gerichtsverfahren, an denen Sachverständige teilnehmen, die schon jetzt in den Fachgremien vertreten sind. Diese Regelungswut muss beendet werden. Wir verwalten uns schon jetzt in vielen Lebensbereichen zu Tode, und damit muss Schluss gemacht werden.

(Beifall bei der CDU)

Im Bereich des wissenschaftlichen Tierschutzes kommt noch der Zeitfaktor hinzu. Bei der Genehmigung zum Beispiel von Tierversuchen - ohne Tierexperimente wird es auch künftig nicht gehen, wenn wir den Menschen helfen wollen -,

(Zuruf von Dorothea Steiner [GRÜ- NE])

haben die Verbände heute ausreichende Möglichkeiten, in den verschiedenen Fachgremien Einfluss zu nehmen und ihre Belange einzubringen. Aber gerade in Forschung und Wissenschaft ist die Einhaltung von europaweiten Standards von größter Bedeutung, wenn wir Wettbewerbsverzerrung und ein Abwandern der Spitzenforschung aus Niedersachsen in benachbarte EU-Länder verhindern wollen.

Bei einem Verbandsklagerecht müssten wir aber aufgrund unter Umständen langjähriger Gerichtsverfahren Zeitverluste hinnehmen, die nicht mehr

aufholbar wären. Damit wären die Entscheidungen der Exekutive nicht mehr verlässlich. Diese Rechtsunsicherheit für bereits genehmigte Versuchsvorhaben würde uns bei internationalen Kooperationen zurückwerfen, wie z. B. bei der Arbeit an Impfstoffen gegen den Aids-Erreger HIV oder gegen das Hepatitis-C-Virus. Wir wären keine verlässlichen Partner mehr. Wir würden international nicht mehr mithalten können. Weltweit anerkannte Institute gerade bei uns in Niedersachsen wie in Göttingen würden bedeutungslos werden.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN)

Hoch qualifizierte Wissenschaftler würden ins Ausland abwandern, und hunderte von Arbeitsplätzen gingen hier verloren.

Die Verbandsklage wäre damit ein weiteres Beispiel für das, was Sigmar Gabriel - ich meine, man kann ihn ja wirklich einmal zitieren - vor einem Jahr erklärt hat: „Die Grünen kosten Arbeitsplätze.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Das ist richtig!)

Was eine Verbandsklage im Zusammenhang mit Stallhaltungsanlagen in der Landwirtschaft anrichten kann, muss hier nicht weiter ausgeführt werden.

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Wir hätten in Einzelfällen eine jahrelange Rechtsunsicherheit, enorme Investitionshemmnisse und eine erneute und weitere Wettbewerbsbenachteiligung für unsere Bauern.

Zusammenfassend kann ich nur sagen: Mit dem Antrag der Grünen schaffen wir vor allem eines: keinen zusätzlichen Tierschutz, dafür aber einen Haufen Bürokratie mehr und nicht abzuschätzende Verluste von Arbeitsplätzen, von Forschungskompetenz und Innovationskraft in Niedersachsen.

Herr Langspecht, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Einen Satz noch. Der Antrag der Grünen ist deshalb unverantwortlich und geht an der Lebenswirklichkeit vorbei und scheitert heute genauso wie der Antrag im Bundesrat vor zwei Jahren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat der Kollege Fleer von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Fleer.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Klein, wir wollen keine Häuser ohne Dächer bauen, sondern wir wollen den Verbänden die Gelegenheit geben, sich zu bewähren, genauso wie es damals im Naturschutz auch der Fall gewesen ist.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion erkennt die Forderung der Tierschutzverbände nach einem Verbandsklagerecht grundsätzlich an. Wir glauben aber, dass mit der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage zum heutigen Zeitpunkt der zweite vor dem ersten Schritt gemacht würde.

(David McAllister [CDU]: Heute!)

In der Anhörung im Fachausschuss wurde von den Verbänden beispielsweise vorgetragen, eine Verbandsklage könne durchaus sinnvoll erscheinen. Dennoch konnten die Vertreter der Tierschutzverbände und -vereine uns nicht von einer sofortigen Einführung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage überzeugen. Alle Vertreter der Tierschutzverbände waren fest der Ansicht, man werde sehr vorsichtig mit dem Klagerecht umgehen und alle Einwände, die vorgebracht würden, wissenschaftlich eindeutig begründen.

Genau an dieser Annahme, es werde keine Flut an Klagen von den Gerichten zu entscheiden sein, haben wir große Zweifel. Alle Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Tierschutzvereinen haben gezeigt, dass viele Mitglieder sehr emotional reagieren, wenn es z. B. um Tierversuche oder Massentierhaltung geht. Von der Forderung, alle Tierversuche sofort zu verbieten, bis zur Forderung, kein Fleisch mehr zu verzehren, werden alle Meinungen sehr fundamental vertreten.

Viele Forschungsinstitute befürchten durch die Klagemöglichkeit der Tierschutzverbände eine Verzögerung ihrer Arbeit und sehen den Forschungsstandort Deutschland gefährdet, weil sie im harten Wettbewerb um die Forschungsprojekte benachteiligt würden. Wir nehmen diese Befürchtungen von Wissenschaft und Forschung genauso ernst wie die Forderung der Tierschutzverbände. Darum lehnen wir die kurzfristige Einführung eines Verbandsklagerechts ab.