Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Sie sind selbst mit Ihren Lebensentwürfen nichts anders als die Kinder der 68-er, nur dass Sie sich noch in der Trotzphase befinden

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN und Zustimmung bei der SPD)

und nicht wahrhaben wollen, dass die, die von Ihnen gescholten wurden, vielleicht doch nicht so ganz Unrecht hatten. Dass man sich schwer tut, einzugestehen, dass die Elterngeneration manches erreicht hat, was gut und richtig ist, kann vorkommen - ich würde das spätpubertär nennen -, aber wenn das zur Geisteshaltung einer Partei wird, dann wird es gefährlich.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn faktisch blockieren Sie die Anpassung der Sozial- und Familienpolitik an die realen Verhältnisse und an künftige Herausforderungen, und letztlich fällt diese bigotte Haltung auch auf Sie selbst zurück.

(Bernd Althusmann [CDU]: Er hat zu viel Sigmund Freud gelesen!)

„Schwul, geschieden, getrennt - das Privatleben der CDU-Granden beweist: Die konservativen Dämme gegen Kulturrevolte und Hedonismus sind gebrochen“, schrieb Franz Walter letzte Woche in der Welt.

Dann noch ein Wort zu dem, was politisch und was privat ist: Gerade in der niedersächsischen Politik sind in der jüngeren Geschichte viele Exempel statuiert worden, die eigentlich heilsame Erfahrun

gen liefern sollten, nicht zuletzt mit Gerhard Schröder, aber auch von Nachfolgern auf der Ministerbank und dem Ministerpräsidentenstuhl. Wenn man in der Politik darum bittet, sein Privatleben, seine Familie und seinen Feierabend in Frieden zu lassen, dann darf derjenige nicht zur gleichen Zeit darum buhlen, dass sein Privatleben, seine Familie und sein Feierabend dazu beitragen, die Zustimmung zu seiner Partei zu heben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wer um Zurückhaltung bittet - -

Herr Kollege Wenzel, Sie müssen zum Schluss kommen! Sie haben Ihre Redezeit schon erheblich überzogen.

Letzter Satz: Wer um Zurückhaltung fleht, bittet nicht per Handy zum Fototermin. - Herzlichen Dank!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Tagesordnungspunkt 1 b) ist damit beendet. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

(Gesine Meißner [FDP] - auf dem Weg zum Redepult -: Hier! - Gegen- ruf: Zu spät!)

Wir kommen zu

c) Die Ankündigungsministerin und der Reform-GAU: Justizpolitik zulasten des Landes Niedersachsen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2965

Liegen dazu Wortmeldungen vor? - Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Bockmann von der SPD hat das Wort. Bitte sehr!

(Unruhe)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

„Die Justizreform ist mausetot.“ Geert Mackenroth (CDU) , Justizminister in Sachsen und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, hat das so bezeichnet. Wir denken: Er hat Recht. Die größte Justizreform seit 1877 sollte es werden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin Heister-Neumann hat sie seit 2004 in allen erdenklichen Medien voranbringen wollen. Von Blitzscheidungen beim Notar war die Rede, von funktionaler Zweigliedrigkeit, also dem Abbau von drei auf zwei Instanzen, von der Zusammenlegung von Gerichtszweigen, von flexiblem Richtereinsatz usw. Der große Wurf sollte es werden. Schon damals hat ein FDP-Landesminister dazu ausgeführt:

„Wir müssen aufpassen, wenn wir den Mund so voll nehmen, dass wir nicht als Tiger starten und als Bettvorleger landen.“

Wie sieht der niedersächsische Bettvorleger nun aus? - Zwei Dinge sind durchgekommen: Erstens. Die Nachlasssachen gehen von den Gerichten zu den Notaren. Was heißt das für Otto Normalverbraucherin und -verbraucher?

(Unruhe)

Eine Sekunde, Frau Kollegin! - Meine Damen und Herren! Wenn Sie jetzt nicht aufmerksam zuhören, werde ich die Sitzung unterbrechen. Das gilt insbesondere für die Unterhaltungen im hinteren Teil des Plenarsaals. Das gilt im Plenarsaal auch für den Kollegen Möhrmann und für alle anderen. Wenn Sie sich unterhalten möchten, gehen Sie bitte hinaus. Die Unruhe ist unerträglich und macht auch keinen sonderlich guten Eindruck.

(Zustimmung bei der CDU)

Bitte sehr!

Danke sehr, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, was heißt das für Otto Normalverbraucherin und -verbraucher? - Wenn ich einen Erbschein haben möchte, dann gehe ich in Zukunft zum Notar und nicht mehr zum Gericht. Das heißt, dass ich in Zukunft dafür auch noch Mehrwertsteuer zahlen muss. Bisher haben die Gerichte diese Aufgabe kostendeckend und optimal erledigt. Es wird teuer. Die Notare verdienen auch daran. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch eine Reform namens Schilda und keine große Justizreform!

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Gerichtsvollzieher sollen privatisiert werden. Sie sind bisher Beamte, die pfänden, versteigern oder notfalls auch verhaften dürfen. Sie sollen jetzt beliehene Unternehmer werden und sozusagen den Status eines Bezirksschornsteinfegers bekommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der große Wurf des Unkonkreten! Konkreteres liegt nicht auf dem Tisch. Dabei hätte Niedersachsen ein Vorzeigeland in Sachen Justiz werden können, weil es eine Experimentierklausel im Gesetz gegeben hat. Wir hätten als Modellregion mit wissenschaftlicher Begleitung einen Instanzenzug kappen können. Das hätte bedeutet: Wir wären Vorreiter in der Bundesrepublik Deutschland gewesen und hätten die anderen Länder gar nicht fragen müssen. Aber dazu, Frau Ministerin, waren Sie zu feige.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von der CDU: Na, na, na!)

Nach dieser knallharten Bruchlandung versuchen Sie, eine neue populistische Spielwiese zu finden. Dabei bedienen Sie sich der Vorurteile von vorgestern, der angeblich laschen Strafjustiz und der Konsequenzen. Dieses Ablenkungsmanöver wird aber für diese Gesellschaft zum Sicherheitsrisiko. In der Föderalismusreform, über die wir schon debattiert haben, streben Sie den Wettbewerb der Schäbigkeit an. Es ist eine Rückwärtsreform nach dem Vorbild der 60er-Jahre.

Niedersachsens Strafvollzug soll neben dem Resozialisierungsgebot auch den Schutz der Allgemeinheit als Vollzugsziel bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist denn Resozialisierung? - Das ist doch nichts Lasches oder

etwas Schlimmes, sondern das ist Kriminalitätsvermeidung und Opferschutz in Reinkultur.

(Beifall bei der SPD)

Diese populistischen Ablenkungsmanöver kupfern Sie auch noch ab. Hessen hatte bereits im Jahr 2002 durch eine Bundesratsinitiative versucht, den Schutz der Allgemeinheit als neues Vollzugsziel in das bundesrepublikanische Gesetz zu bugsieren. Das hätte weniger Resozialisierung und vor allen Dingen Wegsperren bedeutet. Das sollte das Ziel werden. Herr Kusch aus Hamburg ist natürlich sofort auf den Zug aufgesprungen. Sie, Frau Heister-Kusch, machen genau an dieser Stelle weiter.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Was soll denn das? Was ist denn das für eine Niveaulosigkeit?)

Regelungswut und Strafwut - das sind Ihre politischen Maximen. Vollzugslockerungen unter bestimmten Bedingungen, wie z. B. das Arbeiten außerhalb der Gefängnismauern, drängen Sie immer mehr zurück. Dabei brauchen wir dafür eigentlich gar keine Untersuchungen mehr. Empirische Untersuchungen aus den USA, aus Dänemark und aus der Bundesrepublik zeigen: Je härter der Vollzug, desto größer die Rückfallgefahr und desto höher das Kriminalitätsrisiko.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen!

Ja. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, der deutsche Strafvollzug ist weltweit anerkannt. Gerade hat das Ministerkomitee des Europarates die europäischen Strafvollzugsgrundsätze, im Einvernehmen mit der Bundesrepublik abgestimmt, verabschiedet. Sie wollen hier einen Rückfall in die Kleinstaaterei, zum gefährlichen Verwahrvollzug.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann gilt der Satz des Wissenschaftlers - -

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen! Ihre Redezeit ist schon erheblich überzogen.

Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident! - - - und Kriminologen Frieder Dünkel: Politiker, die die Angst in der Bevölkerung schüren, sind das eigentliche Sicherheitsrisiko dieses Landes. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)