Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Die nächste Wortmeldung liegt mir von Frau Ministerin Ross-Luttmann vor. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass die Beratungen in den Ausschüssen und hier im Plenum eines deutlich gemacht haben: Alle Fraktionen stehen hinter den Zielen dieses Antrages.

Ich darf hervorheben, dass die Fraktion der Grünen diesen Antrag am 1. November 2005 eingebracht hat und dass bereits am 3. November 2005 ein Niedersachsen-Forum der Landesregierung zum Thema „Alter und Zukunft - Seniorenwirtschaft in Niedersachsen“ stattgefunden hat.

Die Parallelität und die Wichtigkeit dieses Themas sowie die Tatsache, dass wir uns alle einig sind und konsensual eine Lösung gefunden haben, sind sicherlich ein gutes Omen für die Landesinitiative, die wir am 31. Mai in Wolfsburg ins Leben gerufen haben. Sie wird auch ein wichtiger Rückhalt bei der Arbeit der Wolfsburg AG sein.

Wir haben im Zusammenhang mit der Wolfsburg AG und den Vertretern - dies ist wohl beispielgebend - der Wirtschaft, des Handwerks, der Gewerkschaften, der Wissenschaft und vor allen Dingen auch der Landesseniorenvertretung die niedersächsische „Landesinitiative generationengerechte Produkte“ gegründet. Ich habe es sehr begrüßt, dass an der Eröffnungsveranstaltung auch Abgeordnete aus den einzelnen Fraktionen des Landtages teilgenommen haben. Unser Vorhaben ist insgesamt auf sehr gute Resonanz gestoßen.

Es sind große Verbände dabei, z. B. der Niedersächsische Industrie- und Handelskammertag, der DGB, die IG Metall, ver.di, die Vereinigung der Handwerkskammern, die Unternehmerverbände Niedersachsen, der Verband der Wohnungswirtschaft, der Landesverband der Schwerhörigen, der

Niedersächsische Sparkassen- und Giroverband, der Verband der mittelständischen Wirtschaft und viele andere mehr. Ich freue mich auch sehr, dass die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege derzeit in ihren Gremien über eine Mitwirkung berät.

Meine Damen und Herren, mit dieser Landesinitiative wird ein kooperatives Netzwerk entstehen. Wir begreifen den demografischen Wandel als Chance für eine Gesellschaft des langen Lebens. Die Bedürfnisse der älteren Menschen sollen stärker beachtet werden. Ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale sollen stärker genutzt werden. Es geht darum, Produkte und Dienstleistungen zu fördern, die nutzungsfreundlich sind und damit die Ansprüche aller Generationen besser erfüllen.

Nicht zuletzt soll die Landesinitiative auch einen Beitrag zu einem neuen und differenzierten Bild des Alters und des Alterns sein. Insbesondere die Unternehmen und Dienstleister sollen verstärkt motiviert werden, ältere Menschen als in jeder Hinsicht interessante Zielgruppe in Niedersachsen mit ihren Anforderungen, Bedürfnissen und Wünschen zu sehen.

Erfolgreiche Produkte und Lösungen bleiben vielfach regional bezogen und damit in ihrer Wirkung begrenzt. Die Initiative möchte dabei helfen, den Wissenstransfer und die Vernetzung der niedersächsischen Akteure zu verbessern. Sie wird als Ansprechpartner und Berater zur Verfügung stehen. Die Wolfsburg AG ist dabei, eine Geschäftsstelle einzurichten, die die operative Arbeit leisten wird. Die Landesregierung wird die Arbeit der Geschäftsstelle unterstützen, zunächst mit einer Förderung von 60 000 Euro im Jahr.

Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, für die Aufgabenstellung und die Ziele der Landesinitiative auch die Unterstützung der europäischen Ebene zu erhalten.

Meine Damen und Herren, die breite Unterstützung für diese Initiative nicht nur hier bei uns im Haus, sondern auch bei allen angesprochenen Gruppen und Organisationen aus Wirtschaft und Gesellschaft zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ich möchte noch einmal hervorheben: Die neue Landesinitiative ist keine staatliche Veranstaltung. Sie wird von Verbänden und Organisationen aus dem gesellschaftlichen Bereich getragen. Der

Staat wirkt hier unterstützend. Wir wollen helfen, Impulse zu geben, um vorbildliche und zukunftsweisende Entwicklungen im Sinne von generationengerechten Produkten anzustoßen, bekannt zu machen und auch zu vermarkten. Die Landesinitiative wird einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Mittelstandes leisten. Darüber freue ich mich gemeinsam mit meinem Kollegen Wirtschaftsminister Hirche. Wir müssen und wir werden diese Initiative ressortübergreifend unterstützen.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns mitten in einem grundlegenden Wandel unserer Bevölkerungsstruktur. Dieser Wandel wird in den nächsten Jahren rasch an Tempo gewinnen. Aber wir sehen auch, dass die Diskussion darüber manchmal sehr resignierend geführt wird: Man könne ja nichts ändern, wir gingen einer Vergreisung entgegen, die Innovationskraft unserer Gesellschaft würde verschwinden, unser Land würde insgesamt zurückfallen.

Ich frage aber: Warum diskutieren wir stattdessen nicht mehr über die Chancen, die dieser Wandel in sich birgt? - Meine Damen und Herren, die Senioren in unserem Land verfügen über viele Ressourcen, über Erfahrung, über Wissen, über Kompetenzen und nicht zuletzt auch über eine enorme Kaufkraft. Die über 60-Jährigen besitzen immerhin fast ein Drittel der Kaufkraft aller Privathaushalte. Mit der Landesinitiative können wir dazu beitragen, dass niedersächsische Unternehmen zu den Vorreitern gehören, die sich einen beträchtlichen Wissensvorsprung auf dem wachsenden Markt für Senioren erobern. - In dem Sinne danke ich für Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Wir treten in die Mittagspause ein. Sie dauert bis 14.30 Uhr.

Unterbrechung der Sitzung: 13.13 Uhr.

Wiederbeginn der Sitzung: 14.35 Uhr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen die Sitzung fort. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 26: Zweite Beratung: Der demografische Wandel erfordert eine andere Politik: Rechtzeitig und koordiniert reagieren, um attraktive Infrastruktur im Land zu erhalten - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1678 Beschlussempfehlung des Ausschusses für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Drs. 15/2929

Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Herr Abgeordneter Hagenah von Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ein Antrag eineinhalb Jahre ohne Ergebnis beraten wurde, sagt doch auch schon etwas aus. Anders als bei dem Antrag zur Seniorenwirtschaft, den wir vor der Mittagspause einmütig beschlossen haben, gab es bei diesem Antrag seit seiner Einbringung keine Bewegung aufeinander zu. Regierung und Koalition ducken sich vor den Konsequenzen des demografischen Wandels in vielen Bereichen leider weiterhin weg, weil ihnen die nötigen Antworten wohl unangenehm sind.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Mit Hilfe der Enquete-Kommission, die immer mehr Anhörungen und interne Zwischenstände anhäuft, will man erst einmal die Kommunalwahl und möglichst auch noch die nächste Landtagswahl aussitzen, anstatt zumindest durch einen Zwischenbericht den öffentlichen Diskurs zu eröffnen.

Wir hingegen sind überzeugt, dass frühes Handeln und Reagieren auf den demografischen Wandel die notwendigen Einschnitte und möglichen negativen Konsequenzen erheblich mildern könnte. Die meisten notwendigen Konsequenzen passen der schwarz-gelben Landesregierung aber offensichtlich nicht ins Konzept

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: In eu- rem Antrag steht ja nichts drin!)

und werden deshalb von ihr erst einmal verdrängt, zum Schaden des Landes.

In mehreren großen Themenfeldern muss es Kurskorrekturen geben. Die Bindungswirkung der Raumordnung und des Zentrale-Orte-Systems braucht dringend eine Stärkung. Durch Förderung müssen effiziente großräumige Strukturen herbeigeführt werden. Überall in Niedersachsen müssen demokratisch legitimierte regionale Gebietskörperschaften mindestens in der Größe des Emslandes geschaffen werden. Nur solche sind noch handlungsfähig und wirtschaftlich zu betreiben.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Ver- waltungsreform!)

Das dreigliedrige Schulsystem muss aus pädagogischen und wirtschaftlichen Gründen möglichst bald zu einem eingliedrigen System zusammengeführt werden.

Es muss mehr in die Qualifikation und die Integration der Migrantinnen und Migranten investiert werden.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das al- les steht nicht im Antrag!)

Bei Bleiberechtsfragen sollte viel stärker als früher das Integrationskriterium entscheidend sein.

Die immer knapper werdenden Verkehrs- und Infrastrukturmittel müssen angesichts des Instandhaltungsstaus und der beginnenden Schrumpfung auf den Substanzerhalt konzentriert werden. Es kann nicht angehen, dass immer nur neue Straßen geplant werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die meisten Punkte des Antrags erschließen sich im Grunde von selbst. Bei dem Beispiel Raumordnung will ich allerdings noch einmal etwas konkreter werden, weil das Thema ja nicht gerade alltäglich und eingängig ist und weil es hier im Landtag, wie ich finde, angesichts seiner Dimension, die es für die Entwicklung des Landes hat, zu selten diskutiert wird.

Die Absichten der Landesregierung bei der Neufassung der Raumordnung zielen bisher auf das genaue Gegenteil der Anforderungen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben. Wir brau

chen zukünftig nicht weniger, sondern mehr Kompetenzen und Bindungswirkungen für die Raumordnung.

Stattdessen zieht sich das Land mit der vorgeblich demokratischen Attitüde, Kompetenzen auf die regionale Ebene herunterzugeben, aus der Verantwortung zurück. Man will sich schlicht nicht die Finger schmutzig machen bei der Entscheidung, wer zukünftig die Kernaufgaben anbieten darf und wer nur noch die Randaufgaben behält. Die Regionalentwicklung wird auf Kommunen und Kreise und auf eine wie auch immer geartete Kooperation der Kreise und Metropolregionen abgeschoben. Dort fehlen aber die entsprechenden Strukturen; die regionalen Akteure sind darauf weder vorbereitet noch dafür ausgestattet.

Raumordnung muss im demografischen Wandel Stabilisierung und in demografischen Schrumpfungsregionen notfalls auch Rückbau organisieren können. Dazu muss sie von den ihr zugeordneten Kompetenzen her aber auch in der Lage sein. Nur so kann der unaufhaltsame Durchmarsch der Starken im interkommunalen Wettbewerb zum Vorteil für alle ausgestaltet werden. Der Städte- und Gemeindebund, der gerade heute im rundblick noch mehr Freiheiten für die Gemeinden eingefordert hat, ist mit seinen noch weiter gehenden Forderungen gegenüber dem Land einem fehlgeleiteten Interessenschutz eben dieser Starken aufgesessen.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Ich dachte immer, der Städte- und Ge- meindebund vertritt alle!)

- Ja, das dachte ich auch, bis ich heute Morgen diese Stellungnahme im rundblick gelesen habe.

Der zahnlose Tiger, den die Landesregierung aus der Raumordnung machen will, lässt die peripheren Bereiche im Stich. Zugleich werden in der so weiter ungehindert laufenden interkommunalen Konkurrenz innerhalb der Regionen wichtige Ressourcen, die eigentlich zur Stabilisierung und zum sozialen Ausgleich gebraucht würden, durch Doppelinvestitionen vergeudet. Ich rede von der Vergeudung von Steuergeldern! Hier wird durch Zaudern und falsch verstandene Dezentralisierung Zukunft verspielt.

Insofern wird uns dieses Thema noch weiter beschäftigen, auch wenn Sie unseren Antrag heute ablehnen sollten, weil Sie meinen, die Zeit dafür sei noch nicht reif. Wir sind jedenfalls davon über

zeugt, dass die in unserem Antrag vertretenen Positionen ihren Niederschlag im Bericht der Enquete-Kommission finden müssten. Wir werden sie auch in der öffentlichen Diskussion in Niedersachsen vorantreiben; denn wir glauben, dass dieses Bewusstsein in den Regionen - vielleicht nicht bei den Oberkreisdirektoren, den Landräten und den Stadtspitzen, aber doch bei den meisten anderen, die eine Ahnung von dem haben, was auf sie zukommt und wie sie sich neu organisieren müssen längst viel stärker verankert ist, als es bei Ihnen angesichts Ihres Zutrauens für die Regionen bisher angekommen ist. Ich glaube, in Niedersachsen ist die Bereitschaft für die regionale Bindung auf der einen Seite, aber auch für die Führung vonseiten des Landes auf der anderen Seite, eben für eine geordnete Konkurrenz untereinander, gegeben. Darüber muss die Diskussion geführt werden. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)