Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich jetzt den nächsten Redner aufrufe, möchte ich eine sehr wichtige Durchsage machen. Das, was ich jetzt sage, müssen auch die Kolleginnen und Kollegen, die an den Lautsprechern sitzen, hören. Die Abstimmungsklingel funktioniert nicht. Es kann jetzt nicht zu den Abstimmungen in den Raum gerufen werden. Sie müssen also selbst darauf achten, dass Sie zur Abstimmung hier im Saal sind.

Nächste Rednerin ist Frau Stief-Kreihe.

(Ulrich Biel [SPD]: Man muss mit der Glocke in das Mikrophon läuten! - Bernd Althusmann [CDU]: Dann muss man eben mit einer Klingel durch die Gänge gehen!)

- Das können Sie dann gerne machen, Herr Althusmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich versuche, ein bisschen Zeit wettzumachen.

In dem vorliegenden Antrag wird die Landesregierung aufgefordert, ein Fachsymposium „Demografischer Wandel in Niedersachsen“ durchzuführen und einen Runden Tisch zum Thema „Die demografische Herausforderung gestalten“ einzurichten.

Die im Antrag genannten Themenfelder entsprechen inhaltlich den Fragestellungen aus dem Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: So ist es!)

Würden wir diesem Antrag folgen, würden wir unnötige Doppelarbeit produzieren. Allerdings kann ich den Unmut von Herrn Hagenah verstehen, weil dieser Antrag eben schon seit einem Jahr liegt. Vor einem Jahr wäre die Situation sicherlich eine andere gewesen.

Meine Damen und Herren, die EnqueteKommission hat sich gerade in den letzten Wochen intensiv mit dem Thema Infrastruktur beschäftigt, und zwar in allen Facetten. Dazu gehören die Landes- und Regionalplanung, die allgemeine Daseinsvorsorge, der große Bereich Verkehr und Mobilität und vieles mehr. Wir haben in jeder Sitzung Experten angehört und sind jetzt in der Phase der Auswertung und Bewertung. Eine entsprechende Klausurtagung zum Zusammentragen dieser Ergebnisse ist für Mitte Juli terminiert. Herr Hagenah, Sie wissen ganz genau, dass wir uns von daher im Zeitplan befinden. Ich frage deswegen auch gerade die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Soll diese Arbeit jetzt noch einmal von vorne beginnen, so wie es dieser Antrag fordert? - Auch die Einsetzung eines Runden Tisches bedeutet eine gewisse Anlaufzeit. Wir haben das an dem Beispiel Seniorenwirtschaft gesehen.

Ich möchte aber noch einmal kurz ein paar Worte zu dem insbesondere von der Fraktion der Grünen kritisierten Zeitablauf und zu der Forderung nach Zwischenberichten sagen. Wir haben meines Erachtens einen sehr ehrgeizigen Zeitplan. Im Frühjahr 2007 wollen wir mit unserer Arbeit fertig sein. Wenn man sich andere Kommissionen in den verschiedensten Bundesländern anschaut, wird man feststellen, dass kaum jemand so wenig Zeit hat wie wir. Wir haben ein sehr enges Zeitkorsett. Wir tagen jetzt fast jede Woche ganztägig. Die Mitglieder der Kommission - das kann ich wohl auch für Herrn Hagenah sagen -, die Referenten und die Landtagsverwaltung haben sicherlich bald die Grenze der Belastbarkeit erreicht, obwohl sowohl für die Fraktionen als auch für die Verwaltung zusätzliches Personal eingestellt worden ist. Die Sitzungen verlangen umfangreiche Vor- und Nachbereitung. Die Materialien, die gesichtet werden müssen, füllen so manchen Meter im Regal und

auf dem Fußboden. Wir sollten also mit der Kritik auf dem Teppich bleiben und zur Arbeitserleichterung nicht unnötige Parallelveranstaltungen organisieren.

Meine Damen und Herren, wir unterstützen die Intention des Antrages, die Notwendigkeit und Dringlichkeit, dass sich alle gesellschaftsrelevanten Gruppen mit den Herausforderungen des demografischen Wandels beschäftigen müssen. Wir sehen auch die Notwendigkeit des Handelns, um in den nächsten 20 oder 50 Jahren in allen Regionen Niedersachsens gleichwertige Lebensverhältnisse zu sichern. Der Endbericht wird sicherlich genug Material bieten, um bei Bedarf vertiefend, ob in der Form eines Symposiums oder eines Runden Tisches, weiterzuarbeiten. Aus diesem Grunde lehnen wir den hier vorliegenden Antrag ab.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Oetjen von der FDP.

(Zuruf von Rolf Meyer [SPD])

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Meyer, ich kann mich Ihnen nicht einfach anschließen, weil ich im Unterschied zur Kollegin Stief-Kreihe den Antrag, was die inhaltlichen Fragen angeht, auch in seiner Intention nicht unterstütze.

Aber zur Sache. Seit nunmehr gut einem Jahr arbeitet die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ - Karin Stief-Kreihe hat das schon gesagt -, die auf Beschluss dieses Hauses gebildet wurde. In der Kommission diskutieren und beleuchten wir alle für die demografische Entwicklung relevanten Themen, auch die Themen, die der Kollege Hagenah hier gerade aufgeführt hat. Ich möchte hinzufügen: Nicht alle Themen, die er hier aufgeführt hat, stehen in dem Antrag, den die Fraktion der Grünen hier vorgelegt hat. Das ist ein sehr viel kleinerer Bereich als das, was Herr Hagenah hier angesprochen hat. Von daher sollten wir schon bei dem bleiben, was tatsächlich vorgelegt wurde, und nicht alles das einbeziehen, was wir uns noch so alles vorstellen können.

Zu der Frage der Zwischenberichte hat die Kollegin Stief-Kreihe schon etwas gesagt. Zwischenberichte

wurden bei anderen Enquete-Kommissionen immer dann angefertigt, ausgedruckt und diskutiert, wenn eine Kommission über den Ablauf einer Legislaturperiode hinaus gearbeitet hat, d. h. ein Zwischenbericht notwendig wurde, um ein Ergebnis der bisherigen Arbeit festzuhalten. Da wir beabsichtigen, den Bericht der Enquete-Kommission noch vor Ablauf der Legislaturperiode vorzulegen, brauchen wir zwangsläufig keine Zwischenberichte. Aktuell diskutieren wir die Frage der Infrastruktur - das hat Frau Kollegin Stief-Kreihe schon gesagt -, aber immer wieder auch die Frage von regionalen Disparitäten. Ich kann es nicht oft genug betonen: In der Frage der demografischen Entwicklung ist Niedersachsen eben ein Land der Gegensätze: Neben florierenden Regionen wie Südoldenburg und dem Hamburger Umland haben wir es mit echten demografischen Problemregionen wie der Harzregion oder Ostniedersachsen zu tun. Daher bedarf es nach meiner Überzeugung Lösungen, die regional maßgeschneidert sind und vor Ort entwickelt werden, und nicht Lösungen, die von oben herab verordnet werden.

Wie gesagt: Die Enquete-Kommission arbeitet seit einem Jahr. Was bleibt von Ihrem Antrag übrig, Herr Kollege Hagenah? - Wenn man Prosa weglässt und die Binsenweisheiten, die in Ihrem Antrag aufgeführt worden sind, streicht, aus meiner Sicht nicht gerade viel. Zum Fachsymposium und zum Runden Tisch hat Karin-Stief-Kreihe schon sehr richtig gesagt, dass das nur Doppelarbeit ist. Aus meiner Sicht haben wir im Wesentlichen nicht ein Erkenntnisdefizit, sondern müssen jetzt die Lösungsvorschläge erarbeiten, die wir danach umsetzen wollen.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Das aber ist es doch nicht allein!)

Hinsichtlich der Stärkung des Zentrale-Orte-Konzepts in der Landesraumordnung bin ich dezidiert anderer Meinung, Herr Kollege Hagenah. Aus meiner Sicht ist die einseitige Forderung, die Sie aufstellen, nicht gerechtfertigt. Vielmehr müssen die Kommunen die Flexibilität erhalten, sich auch abweichend vom Zentrale-Orte-Konzept auf neue Situationen einzustellen. Daher lehne ich diesen Punkt auch inhaltlich ab.

Nun zu der Forderung nach Konzentration der Verkehrsfinanzmittel auf den Erhalt der vorhandenen Infrastruktur. Das ist ein typischer Punkt grüner Ideologie. Unsere Debatten in der EnqueteKommission zeigen eigentlich, dass es einen un

mittelbaren Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region einerseits und der demografischen Entwicklung andererseits gibt. Außerdem gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der verkehrlichen Erreichbarkeit und der wirtschaftlichen Dynamik. Die Regionen in Niedersachsen, die mit der demografischen Entwicklung die größten Probleme haben, sind diejenigen, die verkehrlich schlecht erreichbar sind. Deshalb sage ich hier deutlich: Neue Verkehrsprojekte wie die A 22 und die A 39 sind Zukunftsprojekte mit einer viel größeren Bedeutung als nur der der verkehrlichen Erschließung. Auch das sollten Sie von den Grünen einsehen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Also, Herr Kollege Hagenah, von Ihrem Antrag bleibt nicht viel übrig. Und einmal ehrlich: Nach unseren Beratungen in der Enquete-Kommission würden Sie den Antrag in der vorliegenden Fassung selbst doch auch gar nicht wieder so einbringen, oder?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile Herrn Hilbers von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel ist sicherlich ein sehr wichtiges Thema. Herr Hagenah, über Ihren Antrag ist die Zeit hinweggegangen, wie Sie feststellen können, wenn Sie einmal genau hineinschauen, wie es mein Vorredner soeben richtig festgestellt hat. Vieles von dem, was Sie heute ausgeführt haben, ist in dem Antrag gar nicht zu finden, um das deutlich zu sagen.

Der Landtag hat die Enquete-Kommission eingesetzt. Sie soll sich mit den Fragestellungen, die die Grünen in ihrem Antrag ansprechen, und weiteren darüber hinaus beschäftigen und Lösungsmöglichkeiten und Grundlagen für politisches Handeln erarbeiten. Parallele Diskussionen sind dabei eher ungeeignet. Gesprächsrunden und Runde Tische führen uns ebenfalls nicht ans Ziel.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben bei der Einbringung Ihres Antrages ausgeführt, dass Ihnen in der Enquete-Kommis

sion die Diskussion mit Fachleuten zu kurz kommt. Ich will nur sagen: Zahlreiche Fachleute sind dazu eingeladen worden und haben Stellungnahmen abgegeben. Ich will daran erinnern, dass die Landräte von Cloppenburg, Emsland und Osterode dort waren, hochrangige Vertreter der Region Hannover, des Landkreises Lüchow-Dannenberg, der Städte Braunschweig, Lüneburg und Einbeck. Es waren Vertreter von kommunalen Versorgern dort, Herr Dr. Gorka von der Landesnahverkehrsgesellschaft, Vertreter des Verbandes kommunaler Unternehmen, des Einzelhandelsverbandes, des niedersächsischen Sparkassenverbandes und zahlreiche mehr. Das macht deutlich, dass wir uns diesen Fragestellungen in der Enquete-Kommission sehr weit gespannt annähern.

Sie haben kritisiert, dass es dort viele Anhörungen gibt und ein Zwischenbericht fehlt. Dazu will ich Ihnen sagen: Für die Anhörungen, die dort stattfinden, sind Sie ganz maßgeblich mitverantwortlich. Wenn Sie einmal in die Listen schauen, wie viele Vorschläge Sie selbst gemacht haben, dann sollten Sie einmal kritisch prüfen, ob Sie nicht die Zahl der Anhörungen dort genauso stark beeinflussen, wenn nicht stärker, als wir das tun.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das stimmt!)

Wir wollen nicht lange über Zwischenberichte diskutieren. Die Enquete-Kommission soll Lösungen erarbeiten, die dieser gewählte Landtag noch mit in die politische Beratung einfließen lassen kann. Deshalb wollen wir zielstrebig arbeiten und uns nicht an Zwischenberichten abarbeiten.

Nun einige Punkte zu Ihrem Antrag selbst. Wir sind der Auffassung, dass Ihr Antrag auch in der Sache nicht in die richtige Richtung geht.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Es ist wie häufig mit Ihren Anträgen: in der Analyse gut, in den Schlussfolgerungen falsch. Ich sagte es bereits, Sie fordern ein Fachsymposium. Diese Arbeit leistet die Enquete-Kommission. Die Sensibilisierung der Kommunen ist längst erfolgt. In fast allen Landkreisen Niedersachsens finden Foren zu diesem Thema statt. Die Landesregierung hat dazu auf Landesebene Kongresse und Tagungen abgehalten, beispielsweise den Kongress zur Fortschreibung des Landes-Raumordnungsprogramms oder zu den Leitlinien zur Landesentwicklung im November 2004.

Runde Tische halten wir nicht für eine geeignete Maßnahme, um zum Ziel zu kommen. Dort werden sich wieder viele Menschen mit sich selbst beschäftigen, aber wir werden in der Sache nicht weiterkommen.

Vom Grundsatz her verfolgen Sie Ihre alte Ideologie. Sie wollen alles von oben regeln. Sie misstrauen der örtlichen Ebene, den Landkreisen, den Bürgermeistern und den Landräten. Das ist ein zentralistischer Ansatz, geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber den Kommunalpolitikern und den Verantwortlichen vor Ort. Wir teilen diesen zentralistischen Ansatz nicht. Wir setzen im Gegenteil auf die dezentralen Strukturen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Das unterscheidet uns eben. Wir sind für die dezentralen Lösungen. Sie suchen das Heil, indem Sie von oben verordnen. Versuchen Sie doch nicht ständig, die Menschen an die Strukturen anzupassen, die Sie gerne hätten. Lassen Sie die Menschen doch mithelfen, Strukturen zu entwickeln, wie sie sie haben wollen, passen Sie sie nicht umgekehrt an.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Dazu gibt es Elemente und Instrumente. Sie sind in der Arbeit der Enquete-Kommission aufgezeigt worden. Wir haben uns ausgiebig damit beschäftigt, wie das ILEK, das Integrierte Ländliche Entwicklungskonzept, funktioniert. Ferner haben wir uns informiert, wie interkommunal zusammengearbeitet werden kann und wie möglichst viele Akteure vor Ort in einen Veränderungs- und Diskussionsprozess eingebunden und klare Perspektiven für die Zukunft entwickeln werden können, die der Vielschichtigkeit Niedersachsens gerecht werden. Es gibt Bereiche, in denen wir immer noch wachsen, und es gibt Bereiche, in denen wir prozentual zweistellige Schrumpfungsraten zu verzeichnen haben. Es ist entscheidend, dass wir den regional passenden Maßanzug finden, den wir für unsere Lösungen brauchen. Daran wollen wir arbeiten, und dafür setzen wir auf ländliche Entwicklungskonzepte, auf interkommunale Zusammenarbeit und auf die Kraft, die in unseren ländlichen Regionen steckt.

Was Sie Zersiedlung nennen, nennen wir Zukunft unserer Dörfer. Sie wollen die Schrumpfung gestalten; auch das unterscheidet uns. Wir nehmen

den demografischen Wandel nicht als gottgegeben oder als eine Art Naturkatastrophe hin. Wir sehen ihn positiv, wir wollen ihn gestalten, wir wollen ihn als Chance begreifen und zusammen mit den Menschen die richtigen Antworten finden.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Sie betätigen sich quasi als Konkursverwalter und wollen den Niedergang möglichst verträglich organisieren und dabei auch noch von oben besser wissen, wie es geht, als die Menschen, die damit leben müssen.