Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Sie betätigen sich quasi als Konkursverwalter und wollen den Niedergang möglichst verträglich organisieren und dabei auch noch von oben besser wissen, wie es geht, als die Menschen, die damit leben müssen.

(Beifall bei der CDU)

In der praktischen Politik kommt es darauf an, wie man mit diesen Prozessen umgeht. Dazu will ich nur ein Beispiel nennen. Im Zusammenhang mit der Veränderung der Schullandschaft in Niedersachsen haben wir in zahlreichen Städten Außenstellen zugelassen, in Gemeinden und Dörfern sind neue Schulen entstanden, sind Außenstellen entstanden. Das haben wir ermöglicht, um eine wohnortnahe Beschulung zu sichern. Dies ist genau das Gegenteil von dem, was Sie wollen. Damit stärken wir die Gemeinden; denn jeder weiß, dass in eine funktionierende Gemeinde eine Schule vor Ort gehört.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Sie haben die Raumordnung angesprochen. Dabei setzen wir in der Tat auf dezentrale Strukturen und wollen die Verantwortung nach unten verlagern. Wir sind nicht dafür, nur die Zentren zu stärken und den ländlichen Raum sich selbst zu überlassen. Bei uns hat der ländliche Raum eine Zukunft, bei uns hat der ländliche Raum Perspektive und Stellenwert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben ja Ihren Auftritt beim Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund gehabt, wo Sie wieder Ihr Regionenmodell vertreten haben. Sie sind für die Zerschlagung der Landkreise und für die Einrichtung von Regionen. Auch das tragen wir nicht mit. Deshalb sind Sie nur in der Analyse gut, in der Umsetzung geht Ihr Antrag in die völlig falsche Richtung.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Ich fasse zusammen: Ihr Antrag geht an der Zeit vorbei. Die Herausforderungen des demografischen Wandels werden in der Enquete-Kommission hervorragend aufgearbeitet. Hinsichtlich der Lösungsvorschläge liegen Sie mit Ihren Antworten völlig daneben. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Reinhold Coenen [CDU]: Das waren deutliche Worte!)

Zu Kurzinterventionen haben sich Herr Hagenah und Frau Heiligenstadt gemeldet. Herr Hagenah, Sie haben eineinhalb Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gegenteil ist der Fall. Unser Ansatz ist kein Misstrauen gegenüber der örtlichen Ebene, er ist im Gegenteil ein Ernstnehmen der örtlichen Ebene und ein Schutz für die Schwächeren im Wettbewerb. Das, was Sie den Leuten vormachen wollen, dass alle im demografischen Wandel im Grunde die gleichen Chancen hätten, ist eben falsch. Sie verschließen die Augen vor den Konsequenzen. Sie starten mit ganz unterschiedlichen Bedingungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht nicht um Dirigismus von oben. Wir sprechen von demokratisch legitimierten Regionen. Demokratisch legitimierte Regionen sind das genaue Gegenteil des augenblicklichen Wildwuchses an Versammlungen von Hauptverwaltungsbeamten, die in verschiedenen Zusammensetzungen über die Regionen entscheiden. Aber keiner der demokratisch gewählten Politiker kann den Überblick darüber behalten, was in diesem Wildwuchs der verschiedenen regionalen Kooperationen derzeit funktioniert.

(Reinhold Coenen [CDU]: Also doch Misstrauen!)

Das ist das Gegenteil von dem, was Sie den Leuten weismachen wollen. Unser Ansatz ist insofern viel demokratischer, viel transparenter für die Bürgerinnen und Bürger als das, was Sie ihnen verkaufen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt kann Frau Heiligenstadt für eineinhalb Minuten sprechen. Dann können Sie antworten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir den Antrag der Grünen heute ablehnen, kann das, was Herr Hilbers ausgeführt hat, nicht unkommentiert bleiben. Sie haben als Beispiel die Kooperationsprojekte genannt. Ich meine, das, was die Landesregierung in der Enquete-Kommission genau zu diesem Punkt vorgetragen hat, hat am wenigsten weitergebracht: Alibi-Projekte, die überhaupt nichts mit dem demografischen Wandel zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben ferner die Schulentwicklung angesprochen. Sie und die Vertreter der Ministerien tun in der Enquete-Kommission immer so, als wäre alles in Ordnung, als hätten Sie alles im Griff.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist ja auch so!)

Genau das Gegenteil ist der Fall. Denn die anderen Sachverständigen, die dort vortragen, sagen deutlich, dass an dieser Stelle gehandelt werden muss. Das ist doch auch Konsens. Bei der demografischen Entwicklung wird es leider nicht nur Gewinner geben, sondern es gibt schrumpfende Regionen. Und wenn allen Regionen nur ihre eigenen Entfaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dann wird es nach wie vor Regionen geben, die verlieren. Denn die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger wird nicht zunehmen, sondern abnehmen. Das müssen wir alle einmal zur Kenntnis nehmen. Da nützt es doch nichts, wenn wir alles nur den Akteuren vor Ort überlassen und von der Landesseite nicht einmal versuchen, auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Einfluss zu nehmen. Gleichwertig entwickeln sie sich in Niedersachsen im Moment leider nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt antwortet Herr Hilbers.

Frau Heiligenstadt und Herr Hagenah, das unterscheidet uns: Sie haben es als Schutz bezeichnet Schutz derer, die im Wettbewerb nicht mithalten können, die andere Entwicklungen haben. Wir nennen das „regionaler Maßanzug“ und wir meinen, dass der Wettbewerb einiges regeln kann

(Rolf Meyer [SPD]: Das ist doch eine Floskel!)

und dass wir nicht jeden so begrenzen sollten, dass für jeden mit Blick auf die Entwicklung ausreichend Schutz gegeben ist, damit alle gleich langsam marschieren. Wir wollen vielmehr, dass die Starken ihre Chancen bekommen und dass wir denen, denen wir helfen müssen, auch helfen können.

(Beifall bei der CDU)

Das, was nicht gleichförmig verläuft, nennen Sie Wildwuchs. Und wenn Sie unterschiedliche Perspektiven erkennen, dann sind Sie nicht bereit, diese auch anzuerkennen. Erkennen Sie doch an, dass es unterschiedliche Entwicklungen in den Regionen Niedersachsens gibt! Es ist doch auch in der Enquete-Kommission unstreitig, dass es in manchen Wachstumsregionen Wachstumssätze bis zu 15 % gibt.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Das hat doch niemand bestritten!)

Es gibt auch Regionen mit Schrumpfungsprozessen von 15 bis 20 %. Daher müssen Sie unterschiedliche Antworten finden. Sie können die regionale Vielfalt nicht dadurch ersetzen, dass Sie Gleichmacherei im Land organisieren. Wir wollen nicht, dass das so in der Raumordnung gemacht wird.

(Beifall bei der CDU)

Die Projekte, die aufgezeigt worden sind, sind keine Alibiprojekte, sondern zielweisende Vorhaben und Lösungsansätze, die in die richtige Richtung zeigen, die unter Umständen weiterentwickelt werden müssen, aber die im Ansatz ganz klar funktionieren und eine ganz klare Perspektive für die Zukunft bieten.

Herr Hilbers, Ihre Redezeit von eineinhalb Minuten ist abgelaufen. Bitte setzen Sie sich!

Ich bedanke mich.

(Zustimmung von Jan-Christoph Oet- jen [FDP])

Der nächste Redner ist Herr Minister Ehlen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen zwar Zeit sparen, aber ich muss trotzdem noch einige Punkte hervorheben.

Der vorliegende Entschließungsantrag stellt die rückläufige Bevölkerungsentwicklung als eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen dar. Das ist in der Tat so, und das ist auch unstrittig. Darüber sind wohl wir alle uns einig.

Die prognostizierte Entwicklung ist aber keine Gesetzmäßigkeit, sondern eine Rahmenbedingung für die politische Gestaltung. Deshalb müssen wir uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren, um den neuen Entwicklungen zu begegnen. Wir müssen Konzepte entwickeln, damit wir mit dem Thema umgehen können.

Sicherlich hat es eine Region, in der die Bevölkerung anwächst, sehr viel einfacher als eine Region, in der die Bevölkerungszahlen rückläufig sind. Darin sind wir alle uns einig. Aber man kann nicht einfach wie Sie, Herr Hagenah, sagen, dass der Städte- und Gemeindebund und die Kreistage keine Ahnung davon haben; denn das stimmt nicht.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das habe ich nicht gesagt!)

Dass Sie so reden und dass Sie glauben, diese Gremien hätten keine Ahnung, liegt wohl hauptsächlich daran, dass Sie in diesen Gremien zu wenig vertreten sind. Sie sollten vielleicht noch ein bisschen in sich gehen und sich mehr mit dieser Materie befassen.

Meine Damen und Herren, die Dinge, die die Landesregierung auf den Weg bringt oder gebracht hat, sind für die Zukunft maßgebend. Ich meine nicht, dass wir ein neues Gremium - ob einen Runden Tisch oder sonst etwas - brauchen. Wir

haben ein Gremium im Landtag, und zwar die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“. Warum wollen Sie diese denn infrage stellen? - Damit stellen Sie sich doch selber infrage.

Seitens des Landes - ich nenne das LandesRaumordnungsprogramm und die Ebene der Förderung; die neue Förderperiode läuft von 2007 bis 2013 - haben wir Möglichkeiten, das eine oder andere auszugleichen. Wir wollen gleichmäßige Lebensbedingungen in Niedersachsen. Gleiche Lebensbedingungen werden wir nicht erreichen können - wir sollten uns darauf einigen, dass das nicht zu leisten ist -, aber gleichmäßig sollen sie sein. Wir wollen also das eine oder andere ausgleichen.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns jetzt über die Umgestaltung des Zentrale-Orte-Konzepts unterhalten, dann ist es richtig, dass wir den Leuten vor Ort ein Mitspracherecht bzw. ein Recht zur Beurteilung einräumen. Wir sollten nicht zentralistisch von oben - vonseiten des Landes - eine Einteilung vornehmen. Die Menschen vor Ort, unsere Kolleginnen und Kollegen aus den Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen, wissen sehr wohl, worum es geht. Sie wissen auch, wo die Probleme liegen. Deshalb sollten wir sie mit einbinden.

Es ist auch Bestandteil unseres Konzepts, regionsübergreifend und stadt- oder gemeindegrenzenübergreifend vorzugehen. Wir haben jetzt integrierte ländliche Entwicklungskonzepte. Es ist eine ganz tolle Entwicklung, dass sich Leute jetzt darüber Gedanken machen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Sie stellen plötzlich fest, dass sich Synergieeffekte ergeben, wenn sie etwas mit den Nachbarn zusammen machen. Dieses sollten wir nicht von oben zerreden, sondern in diesem Bereich weiß die Bevölkerung vor Ort viel besser Bescheid, als wir glauben. Wir lehnen diesen Antrag ab.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat sich noch einmal Frau Stief-Kreihe zu Wort gemeldet.