Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, gerade Zwangsverheiratungen müssen auch durch politische Maßnahmen verhindert werden. Die Landesregierung hat aufgrund der Entschließung des Niedersächsischen Landtages mit dem Titel „Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten - Zwangsehen vorbeugen“ am 24. Mai 2005 unter Federführung des MS einen interministeriellen Arbeitskreis eingerichtet, der bis Ende 2006 ein entsprechendes Handlungskonzept vorlegen wird.

In einer Bundesratsinitiative hat Niedersachsen für die anstehende Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorgeschlagen, den Nachzug von Ehegatten aus dem Ausland künftig an zwei Bedingungen zu knüpfen: Erstens müssen beide Ehepartner mindestens 21 Jahre alt sein - das heutige Recht sieht überhaupt kein Mindestalter vor -, und zweitens muss der nach Deutschland nachziehende Ehepartner zumindest über einfache Deutschkenntnisse verfügen. Diese Maßnahme dient auch dem Ziel, Zwangsverheiratungen entgegenzuwirken. Gerade hier muss aber auch präventiv gearbeitet werden. Als Impuls für Diskussionen mit Jugendlichen über Werte und Ideale hat sich die von der Ausländerbeauftragten des Landes verbreitete Postkarte mit der Aufschrift „Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“ als besonders gut geeignet gezeigt.

Meine Damen und Herren, mit den nach Deutschland zugewanderten Menschen sind auch neue Religionsgemeinschaften zu uns gekommen. Fremde Religionen können, nicht zuletzt vor dem Hintergrund islamistisch motivierter Anschläge, Unsicherheit erwecken, die mitunter zur Ablehnung der Religionsgemeinschaft und ihrer Mitglieder

führt. Dem stellen wir uns entschieden entgegen. Erst recht stellen wir uns denjenigen entgegen, die diese Unsicherheit für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die Niedersächsische Landesregierung bekämpft Fremdenfeindlichkeit mit aller Entschlossenheit, und dies gilt insbesondere für politischen Extremismus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir richten unsere Anstrengungen auf die Förderung des interreligiösen Dialogs. Die Rolle der religiösen Bindungen und Überzeugungen im Integrationsprozess erfordert die Auseinandersetzung damit. Nur so können wir Integrationshindernisse abbauen und eine im Sinne des Grundgesetzes gestaltete und integrationsförderliche Entwicklung unterstützen. Meine Damen und Herren, für alle, auch für uns selber, ist es nach meiner Überzeugung unerlässlich, unser eigenes christliches und abendländisches Fundament, unsere eigenen Wurzeln zu kennen. Nur wenn wir wissen und deutlich machen, woher wir kommen und auf welchem Fundament wir stehen, können wir tolerant und selbstbewusst mit Menschen anderer Herkunft umgehen und zusammenleben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, durch Zuwanderung hat der Islam in unserem Land eine besondere Bedeutung erlangt. Diskussionen über den Islam und mit den Muslimen verlaufen nicht immer sachlich und sind nicht selten von Unkenntnis geprägt.

(Dr. Harald Noack [CDU]: In der Tat!)

Erforderlich sind mehr Informationen und Hintergrundwissen. Deshalb haben wir eine Wanderausstellung „Integration von Muslimen in Niedersachsen - Problemfelder und Perspektiven“ konzipiert, die auf großes Interesse in allen Teilen Niedersachsens stößt und bislang an sehr unterschiedlichen öffentlichen Orten in über 20 Städten gezeigt wurde.

Die Einführung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach ist gegenwärtig Thema in vielen Bundesländern. Niedersachsen nimmt mit dem sehr erfolgreichen Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ auch hier wieder eine Vorreiterrolle ein. Seit dem Schuljahr 2003/2004 ermöglichen wir an inzwischen 19 Grundschulen knapp 700 muslimischen Schülerinnen und Schülern im Rahmen dieses Schulver

suchs die Teilnahme am islamischen Religionsunterricht. Im nächsten Schuljahr kommen drei weitere Schulen dazu. Die Zufriedenheit mit dem Schulversuch ist außerordentlich hoch. Die Muslime fühlen sich ernst genommen und sehen ihre Religion wertgeschätzt.

Mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts hat Niedersachsen Pionierarbeit geleistet. Das gilt auch für die Ausbildung der Lehrkräfte. Seit 2004 gibt es an der Universität Osnabrück einen Fernstudiengang zur Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in dem neuen Fach „Islamischer Religionsunterricht“. Inzwischen hat das Wissenschaftsministerium einen neuen Masterstudiengang im Fach „Islamische Religionspädagogik“, ebenfalls an der Universität Osnabrück, genehmigt, der es muslimischen Lehramtsstudenten erlauben wird, dieses Fach als Erweiterungsfach zu studieren.

Meine Damen und Herren, beim Integrationsgipfel am 14. Juli, also in wenigen Tagen, sollen alle diese Forderungen beschlossen werden. Wir können hier feststellen: In Niedersachsen sind wir bereits weiter.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Integration - ich habe es ausgeführt - zielt auf das Hineinwachsen in die zentralen Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Die Integration von Zugewanderten ist dieser Landesregierung ein ganz besonderes Anliegen. Wer Integration voranbringen will, muss Orientierung vorgeben, muss klar sagen, in welche Richtung die Integrationsbemühungen laufen sollen, muss klar sagen, was von der Mehrheit und vor allem auch, was von der zugewanderten Minderheit erwartet wird und was in unserem Land toleriert und was nicht akzeptiert werden kann. In unserem Land wird nicht akzeptiert, wenn z. B. Frauen ausschließlich in ihrem Familienverband leben müssen und ihnen durch das männliche Familienoberhaupt jeglicher Zugang zum gesamtgesellschaftlichen Leben untersagt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies widerspricht unserer grundrechtlich geschützten Auffassung der Gleichbehandlung von Mann und Frau.

Es kann nicht akzeptiert werden, dass muslimischen Mädchen von ihren Eltern beispielsweise die

Teilnahme am schulischen Schwimm- und Sportunterricht oder an Klassenfahrten verwehrt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es kann nicht toleriert werden, wenn sich Zuwanderer abschotten und Parallelgesellschaften entwickeln.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es kann aber auch nicht akzeptiert werden, wenn integrationswillige Migrantinnen und Migranten aufgrund ihrer Herkunft abgelehnt werden und fremdenfeindlichen Angriffen ausgesetzt sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Von unserer Gesellschaft wird zu Recht erwartet, dass sie mit Offenheit und Dialogbereitschaft auf Migranten und Spätaussiedler zugeht; denn Anerkennung ist auf Gegenseitigkeit angewiesen. Alle Integrationsbemühungen müssen sich an dem orientieren, was etwa der amerikanische Soziologe Amitai Etzioni mit dem Bild der Mosaikgesellschaft als Ziel beschreibt: eine Komposition aus Steinchen verschiedener Farbe und Form, zusammengehalten durch einen Zementuntergrund und einen festen Rahmen. Unsere Verfassung bietet den stabilen Untergrund, unsere Gesetze einen festen Rahmen. Sich darauf bewegend und darin verortet finden Menschen verschiedener Herkunft ihren Platz und viel Raum zur individuellen Entfaltung. In diesem Sinne ist längst eine Vielzahl von Migranten und Spätaussiedlern in unserem Land bestens integriert.

Aber wir wissen, dass es nicht reicht, verschiedene Kulturen in unserem Land aufeinander treffen zu lassen und davon zu träumen, dass alle friedlich miteinander umgehen, um produktiv zusammenzuleben. Die Unverbesserlichen freilich halten an diesem Traum immer noch fest. So hat Claudia Roth von den Grünen vorgestern Abend in der „Tagesschau“ die tolle friedliche Stimmung bei der Fußballweltmeisterschaft als Beleg dafür gewertet, dass Multikulti nun zum Standortfaktor Deutschlands geworden sei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bei aller Freude über die WM kann man ihr nur zurufen: Lass‘ das Träumen, steh auf, und komm in der Realität an!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der sozialromantische Traum von Multikulti ist endgültig ausgeträumt. Wir sehen die Realität und sagen klar und deutlich, was wir in unserem Land akzeptieren und was nicht. Ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir das so sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dazu gehört aber auch, sich klar und deutlich zur Perspektive derer zu äußern, die mit einer Duldung bei uns leben. Es gab und gibt im Lande, auch hier im Landtag, eine breite öffentliche Diskussion um ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlingsfamilien. In der Vergangenheit haben sich Hoffnungen, durch eine angeblich allerletzte Bleiberechtsregelung einen Schlussstrich zu ziehen, nicht erfüllt. Diese enttäuschten Hoffnungen haben nach einer gewissen Zeit Forderungen nach weiteren Bleiberechtsregelungen ausgelöst. Die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung aber muss grundsätzlich Sache des Parlaments bleiben. Bleiberechts- und Härtefallentscheidungen dürfen nur in besonderen Einzelfällen oder für bestimmte Gruppen getroffen werden, bei denen hinreichende Gründe vorliegen, die ein Abweichen von der gesetzlichen Ausreiseverpflichtung rechtfertigen.

Ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Dieses festzustellen, wird Aufgabe der Härtefallkommission sein, die ich auf Wunsch des Parlamentes in Kürze einrichten werde.

Ich sehe die Probleme, die sich daraus ergeben, dass ausreisepflichtige Menschen jahrelang mit so genannten Kettenduldungen bei uns leben. Um aber hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bei geduldeten Ausländern handelt es sich um Personen, die nach den Feststellungen des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte weder politisch verfolgt noch schutzbedürftig sind. Sie sind somit zur Ausreise verpflichtet und halten sich nur noch in Deutschland auf, weil sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen wollen und Abschiebungen aus häufig selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich sind.

Der mir im Entwurf vorliegende Evaluierungsbericht des Bundesinnenministers zum Zuwanderungsgesetz kommt nach erster Durchsicht nicht zu dem Ergebnis, dass es einer erneuten Bleiberechtsregelung zwingend bedarf. Seit In-KraftTreten des Zuwanderungsgesetzes wurden insgesamt 41 560 geduldeten Personen nach § 25 Auf

enthaltsgesetz Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen erteilt und damit die bisherigen so genannten Kettenduldungen ersetzt. Wenn man diese Zahl mit den aufgrund der Bleiberechtsregelung von 1999 erteilten rund 30 000 Aufenthaltsbefugnissen vergleicht, lässt sich die vielfach wiederholte Behauptung, das Zuwanderungsgesetz habe in dieser Hinsicht keine Verbesserung ergeben, sicherlich nicht aufrecht erhalten; diese Bemerkung, Frau Merk, ist schlicht falsch.

(Zuruf von Heidrun Merk [SPD])

Im Herbst 2006 wird die IMK die Frage beantworten müssen, ob eine weitere Bleiberechtsregelung erforderlich ist. Ich gebe zu, das ist keine leichte Entscheidung; denn es handelt sich in jedem Fall um ein Einzelschicksal. Und auch das ist wahr: Es geht auch um Kinder, die hier geboren sind. Deshalb bin ich froh, dass das neue Zuwanderungsgesetz durch die neuen Regelungen eine Perspektive für gut integrierte Familien gefunden zu haben scheint. Die neuesten Zahlen, die ich gerade zitiert habe, zeigen in diese Richtung. Ob dieses ausreicht, werden wir intensiv prüfen.

Jeder Innenminister steht nunmehr vor der Frage, ob er ein Bleiberecht für die abgelehnten Asylbewerber einräumt, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können, deren Aufenthalt wegen Identitätsverschleierung nicht beendet werden konnte oder die straffällig geworden sind.

Meine Damen und Herren, für mich persönlich steht fest: Wer zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt ist, muss unser Land verlassen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer unseren Staat massiv getäuscht, seine Identität bewusst verschleiert hat, um staatliche Leistungen zu erschleichen, darf kein Daueraufenthaltsrecht erhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage auch ganz persönlich: Das ist nicht halbherzig, sondern das ist gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wer keine Anstrengungen unternimmt und keine Perspektive hat, seinen Lebensunterhalt auf Dauer selbst zu sichern, kann nicht auf die Solidarität unserer Gesellschaft hoffen.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Sie können aber die Arbeitsmöglichkeit erleichtern!)

Meine Damen und Herren, wer aber integriert ist, sich auf dem schwierigen Arbeitsmarkt behaupten kann, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Das darf man, und das muss man auch feststellen.

(Beifall bei der CDU)