Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Frau Kollegin Helmhold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Böhlke?

Ja, gerne.

Herr Kollege Böhlke!

Frau Kollegin, Sie beziehen sich auf das Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Könnten Sie mir einmal deutlich machen, welche inhaltlichmateriellen Aussagen in diesem Gesetz im Gegensatz zu anderen, die nicht nur einen Appellcharakter haben, wiederzufinden sind?

Frau Helmhold!

Ich gehe davon aus, Herr Böhlke, dass Sie den Entwurf für ein Landesbehindertengesetz vorlegen werden, der über das Gesetz von MecklenburgVorpommern weit hinausgeht. Darauf freue ich mich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben auch in der Debatte hier im Landtag immer wieder versucht, behinderte Menschen aus dem Diskriminierungsschutz im Antidiskriminierungsgesetzes des Bundes herauszukegeln. Und hier auf Landesebene dient Ihnen bei allen Gesetzen, die wirkliche sozial- oder gesundheitspolitische Verbesserungen bringen könnten, das Konnexitätsprinzip als Vorwand, um nicht gewünschte Vorhaben scheitern zu lassen.

Vorläufiger tragischer Höhepunkt des Ganzen ist die Tatsache, dass am Wochenende ein niedersächsisches Landesfest stattfindet, bei dem Behinderte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, von der Teilnahme praktisch ausgeschlossen sind, weil der Bahnhof in Melle nicht behindertengerecht ausgestattet ist.

Das ist beschämend, meine Damen und Herren, und es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir jetzt endlich Regelungen finden, die diese Diskriminierungen behinderter Menschen aufheben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was ist Ihnen eigentlich die Verbesserung der Menschenwürde und die Stärkung der selbständigen Lebensführung behinderter Menschen wert? Dieser gesamte Vorgang kann doch nur noch als peinlich gewertet werden.

Sie haben hier unzählige Gesetzentwürfe in Rekordzeit durch dieses Parlament gepeitscht. In diesem Fall ist nun der Ministerpräsident mit seiner Staatskanzlei gefragt; denn dort liegt offenbar alles seit längerem alles auf Eis. Herr Wulff müsste jetzt endlich einmal Einsatz für die Rechte der behinderten Menschen zeigen.

Ich hoffe, dass wir dem Trauerspiel nicht noch einen Aufzug in der nächsten Legislaturperiode werden hinzufügen müssen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Danke schön, Frau Helmhold. - Für die FDPFraktion hat Frau Kollegin Meißner das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Helmhold, ich möchte Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie mit Ihrer dem Theater entlehnten

Darstellung noch einmal deutlich gemacht haben, dass sich die SPD, die uns immer wieder vorwirft, dass wir noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt haben, selbst schon längere Zeit damit befasst hatte, ohne dabei etwas auf den Weg gebracht zu haben.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Gerecht muss man schon sein!)

In der Debatte wurde schon mehrfach gesagt, auch von Herrn Böhlke, dass die SPD Ende 2002 einen Entwurf vorgelegt hatte, der wegen der Landtagswahl allerdings nicht mehr behandelt werden konnte. Seitdem werden wir von der SPD in regelmäßigen Abständen daran erinnert, dass wir einen solchen Gesetzentwurf vorlegen sollten.

Im Grunde genommen kann ich heute wiederholen, was ich bei den vorangegangenen Debatten zu diesem Thema bereits gesagt habe: Auch wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, ein Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu haben. Wir haben von vornherein gesagt, dass wir einen entsprechenden Entwurf vorlegen wollen. Wir haben aber auch von vornherein versprochen, das Konnexitätsprinzip in der Verfassung zu verankern. Es wäre unlauter gewesen, einen Gesetzentwurf zu formulieren, der dies nicht berücksichtigt hätte.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen war diese zeitliche Abfolge nun einmal notwendig.

Wegen des Konnexitätsprinzips müssen wir mit den kommunalen Spitzenverbänden sehr genau abstimmen, welche Kosten die Regelungen, die wir aufnehmen möchten, vor Ort auslösen würden und welchen finanziellen Ausgleich das Land erbringen muss. Wir wollten uns hier ausdrücklich nicht durchmogeln. Wenn wir Gesetze machen, dann machen wir ehrliche und saubere Gesetze.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Böhlke hat richtigerweise gefragt, was in dem Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern steht. Es ist zwar richtig, Frau Helmhold, dass wir das letzte Bundesland ohne eigenes Gesetz sind. Aber ein Gesetz, in dem faktisch nichts steht, ist sicherlich auch nicht der richtige Weg.

Vor Ort ist schon eine ganze Menge passiert. Damit will ich nicht sagen, dass wir kein Gesetz wollen. Es ist schon wichtig zu betonen, was wir als

Landesregierung für Menschen mit Behinderungen für richtig halten. Wir wissen auch, dass viele Maßnahmen erforderlich sind, damit Menschen mit Behinderungen ihr Leben eigenständig leben können.

Frau Helmhold hat vorhin den Anschein erweckt, als würden wir uns nicht um die Würde und die Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderungen kümmern. Das stimmt nicht, was allein schon das persönliche Budget deutlich macht. Wir wissen schon, worum es geht. Aber wir machen eine solide, eine saubere Arbeit. Ein Gesetz, das lediglich Appellcharakter hat, ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll.

(Uwe Harden [SPD]: Wer nichts macht, kann nichts falsch machen!)

- Das ist ja nun wirklich Quatsch, Herr Harden.

Herr Schwarz, Sie haben gesagt, kein Land hätte im Sozialbereich so drauflos gekürzt wie wir. Wir haben immer wieder gesagt, wir müssen den Haushalt wieder verfassungskonform machen, damit wir in Zukunft überhaupt noch Mittel haben, die wir u. a. Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stellen können. Dabei haben wir in allen Bereichen gekürzt, zum Teil sicherlich auch im Sozialbereich. Das haben wir nicht gerne gemacht, aber wir mussten diesen Bereich mit einbeziehen. Das hat jetzt aber nichts damit zu tun, dass der Gesetzentwurf noch nicht vorliegt.

Nun zu dem Gesetzentwurf selbst. Die Ministerin wird sich dazu auch noch äußern. Sie wissen, dass es einen Gesetzentwurf gibt, der sich im Moment in Arbeit befindet. Ich habe Anfang des Jahres erklärt, dass es mir wichtig ist, dass ein Gesetzentwurf auf jeden Fall in diesem Jahr kommt. Ich bin guter Dinge, dass das auch passiert. Von daher sind wir absolut in der Zeit. Wir achten also sehr auf die Belange von Menschen mit Behinderungen und überlegen uns genau, wie wir vorgehen, um Schritte zu deren Gleichstellung vonseiten der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen ins Land zu bringen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Meißner. - Frau Ministerin Ross-Luttmann, gestatten Sie im Vorfeld Ihrer Rede zwei Kurzinterventionen?

Herzlichen Dank. - Dann hat jetzt der Kollege Hoppenbrock von der CDU-Fraktion das Wort zu einer Kurzintervention auf den Redebeitrag der Kollegin Meißner. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme der Kollegin Meißner ausdrücklich zu, dass es sicherlich wünschenswert wäre, dass alle Behinderten freien Zugang zu Bahnhöfen und öffentlichen Einrichtungen hätten, wie es gefordert wird. Ich muss aber sagen: Es gibt einen großen Unterschied zwischen dieser und jener Seite hier im Parlament. Frau Meißner, vorhin wurde angesprochen, dass der Tag der Niedersachsen gefeiert werden muss, ohne dass der Bahnsteig am Ort behindertengerecht ausgebaut ist. Ich möchte sagen: Für den Tag der Niedersachsen ist alles erledigt. Diejenigen, die mit einem Rollstuhl oder gehbehindert dorthin reisen, werden am Bahnhof vorher oder sogar in Osnabrück abgeholt und nach Melle gebracht. Sie werden auch zurückgebracht.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Nach Riesenprotesten!)

Trotzdem stellt sich die Frage: Warum haben wir in Melle nicht schon lange einen behindertengerechten Zugang? - Die Fahrgastzahlen, die von der rotgrünen Bundesregierung gefordert wurden, um Fördermittel für den Bau zu bekommen, wurden in Melle bisher nicht erreicht. Jetzt werden sie erreicht. Im Gegensatz zu vielen anderen haben wir gehandelt. Frau König, Herr Meyer von der Bahn, die Stadtverwaltung und auch ich haben uns dort getroffen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Frau Polat auch!)

Wir haben einen Zeitplan entwickelt, nach dem in Melle ein behindertengerechter Zugang gebaut werden soll. Ich denke, da ist alles in trockenen Tüchern. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. Sie haben Ihre Kurzintervention geschickt formuliert. Sie gingen im Prinzip auch auf die Vorrednerin, Frau Helmhold, ein, bezogen sich aber auf Frau Meißner. Das ist nicht ganz einfach, aber so gestattet.

Jetzt kommen wir zur nächsten Kurzintervention auf die Rede der Kollegin Meißner. Bitte schön, Herr Kollege Schwarz von der SPD-Fraktion!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Meißner, ich fand schon sehr entlarvend, was Sie gesagt haben. Wenn ich das richtig interpretiert habe, ist gar nicht mehr sicher, ob überhaupt noch ein Gesetz kommt.

(Werner Buß [SPD]: Genau!)

Ich will Sie an Ihren Anspruch erinnern: Ehrliche, solide, saubere Arbeit. Wissen Sie, was Sie vor drei Jahren hier gesagt haben?

„Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Es darf nicht nur sein, dass dieses Jahr von der Europäischen Union als ‚Jahr der Behinderten‘ benannt worden ist, sondern wir wollen auch zeigen, dass wir alle dafür sind, dass die Behinderten gleichberechtigt am Leben teilhaben können.“

Ich nehme das nur auf. Das „Jahr der Behinderten“ war vor drei Jahren. Schon damals wollten Sie das machen. Jetzt sagen Sie: Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt noch Sinn hat, ein Gesetz zu machen, wenn wir gar nichts mehr regeln können. - Ich nehme Ihre Aussage wieder auf: Solide, ehrliche, saubere Arbeit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)