Protokoll der Sitzung vom 06.06.2008

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass die Fraktionen übereingekommen sind, die Tagesordnungspunkte 27 und 34 nur zum Zwecke der Ausschussüberweisung aufrufen zu lassen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung: Atommülllager Asse II: Geplantes Flutungskonzept führt zur Verseuchung der Umwelt nach 150 Jahren - Genehmigung versagen und andere Optionen wie Rückholung vorantreiben! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/183

Mir liegt die Wortmeldung des Kollegen Herzog von der Fraktion DIE LINKE vor. Herr Herzog, ich erteile Ihnen zur Einbringung das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist weit vorangeschritten. Es sind auch nicht mehr so viele da. Das ist umgekehrt proportional zur Wichtigkeit des dringenden Problems Asse, wie ich finde. Lassen Sie mich mit einem Zitat zum Thema „Atomare Entsorgung“ aus der Broschüre der Landesregierung beginnen, die den Titel „Umweltgerechter Wohlstand für Generationen“ trägt:

„Das deutsche Entsorgungskonzept sieht vor, alle Arten von radioaktiven Abfällen in tief gelegenen geologischen Formation endzulagern. Dies ist die beste Entsorgungsoption, da die Abfälle so sicher für mindestens eine Million Jahre vor der Biosphäre ferngehalten werden können.“

Es schließen sich dann die Maßnahmen an, die das Programm vorsieht, „Konrad“ und „Gorleben“

als Endlager einzurichten. Was fehlt - Desaster verschweigt man ja gern -, ist die Asse.

Meine Damen und Herren, wir Deutsche haben ja gelernt, dass 1 000 Jahre nach 12 Jahren vorbei sind. Ich habe allerdings nicht gewusst, wie schnell 1 Million Jahre vorbei sind. Das lernt man beim Thema Asse.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, die Asse ist eine beispiellose Folge von Pleiten und Pannen. Ich spreche extra nicht von Pech; denn dafür hat es in diesem Zusammenhang viel zu viel Ignoranz, Fehleinschätzungen und fachliches Unvermögen gegeben. Wieder einmal wurden, wie so oft bei der Nutzung der Atomenergie, Fakten ignoriert, Warnungen von Wissenschaftlern in den Wind geschlagen. Wieder einmal waren alle Prognosen von Betreibern, vom Bergamt, von Ministerien falsch. Während der AK End und die Landesregierung in Niedersachsen noch von 1 Million Jahren für die Abschottung sprachen, redet der Betreiber davon, dass nach seinen Simulationsrechnungen schon nach 23 000 Jahren maximaler Austritt von Nukliden stattfindet. Das BfS aber prognostiziert in seinen Berechnungen - darum geht es heute - eine Überschreitung der heute gültigen Grenzwerte um 300 %.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Hört, hört!)

Es ist nicht wichtig, ob 50 Jahre oder 250 Jahre. Die Größenordnung ist entscheidend. Denn das ist ein Wimpernschlag im Vergleich mit 1 Million Jahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es lohnt ein Blick auf die Chronologie des Versagens in Bezug auf die Asse. 1963 hat das Oberbergamt Clausthal festgestellt: Wenn Atommüll eingelagert wird, darf nicht geflutet werden. 1964 haben Wissenschaftler prognostiziert, dass Wassereinbrüche stattfinden würden. Herr Minister Sander, ich lade Sie nach Dannenberg ein; dort haben wir am 20. Juni jemanden zu Gast, der in der damaligen Zeit sehr involviert war und darüber berichten wird. In den 70er-Jahren hat der Betreiber GSF alle Wasserzuflüsse ausgeschlossen. 1979 wurden Wassereinbrüche nochmals wissenschaftlich prognostiziert. 1988 war es dann soweit: Wasser marsch im Schacht!

So weit, so gut. Aktuell wird das alles dadurch getoppt, dass die Tropfsteinhöhle durchsackt. Die Wassereinbrüche sind jetzt bei den Einlagerungs

kammern angekommen. Das Wasser enthält Cäsium 137, das mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Fässern stammt. Wir haben also nicht nur den GAU in der Grube, sondern darüber hinaus vor dem Hintergrund des Skandals des Verschweigens der Tatsache, dass die Kammern erreicht sind, auch einen Glaubwürdigkeits-GAU.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das BfS fällt in diesem Zusammenhang ein vernichtendes Urteil über die Berechnungen der Betreiber. Zitat: Hier wurde bewusst von den Vorgaben der Strahlenschutzverordnung zur Art und Weise, wie die Einhaltung der effektiven Dosis nachzuweisen ist, abgewichen. - Außerdem wird das Fehlen von Unterlagen bemängelt, das Verändern von Parametern, die Nichtbeachtung von Sicherheitsmargen, das teilweise Weglassen von Sensitivitätsbetrachtungen. Das ist eine schallende Ohrfeige für den Betreiber. Ich kann nur sagen: Sechs, setzen!

(Beifall bei der LINKEN)

Erst vor wenigen Tagen schrieb Umweltminister Sander, der die Atomaufsicht wahrzunehmen hat, einen Brief an die Fraktionen, in dem er sagt, das sei ihm seit Ende 2007 bekannt. - Er hat es aber offensichtlich nicht nötig, der Öffentlichkeit irgendetwas mitzuteilen. Außerdem schreibt er, die Berechnungen seien überholt und würden überarbeitet. - Meine Damen und Herren, das kennen wir aus den Jahrzehnten der Atomnutzung: Wenn es wirklich eng wird, wird so lange überarbeitet, bis es wieder passt.

Er leugnet die 150 Jahre, die berechnet worden sind.

Wie führte das Bergamt 2006 aus? - Die Endlagerung in der Asse ist gelöst. Es gibt nur noch ein politisches Problem. - Dass das verschwindet, daran arbeitet Minister Sander mit Hochdruck.

Wir fordern: Nicht nur der Müll muss offensichtlich heraus aus der Asse, sondern vor allem, Herr Minister, muss die Wahrheit heraus!

(Beifall bei der LINKEN)

Worauf fußt die totale Fehleinschätzung des Bergamtes? - Auch ihm wurde möglicherweise verschwiegen, dass die Laugen unten angekommen sind. Oder folgt es der Naivität des ehemaligen Grubenleiters Egon Albrecht? Der hat gesagt: Der Salzstock hat sich 100 Millionen Jahre nicht bewegt; es ist nicht einzusehen, dass das nicht so bleibt. - Oder folgt es der völligen Fehleinschät

zung des Entsorgungspapstes Professor Kühn, der noch 2002 für sein Lebenswerk geehrt wurde? - Wofür eigentlich? Aus meiner Sicht müsste er seinen Preis abgeben, und zwar schnell.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer belangt eigentlich die für die Verschwendung von Geld und für die Folgen für Umwelt und Menschen Verantwortlichen?

Meine Damen und Herren, die Asse zeigt: Das Motto „Salz ist Trumpf“ ist passé. Auch das BfS bekommt offensichtlich Skrupel; denn es hat den niederländischen Wissenschaftler den Hartog eingeladen, nachdem es letztes Jahr gesagt hat, Salz sei durchaus gleichwertig mit Ton und Granit. Dieser Wissenschaftler aus den Niederlanden ist ein absoluter Kritiker des Mediums Salz. Er wird das sicherlich auch dem BfS beibringen können.

Meine Damen und Herren, Modellberechnungen treffen in der Praxis nie ein. Rahmenannahmen und Parameter sind willkürlich gesetzt. Aber sie sind eben so zu setzen, dass sie dem Minimierungsgebot entsprechen. Dazu sind Sicherheitsmargen anzusetzen. Auch das hat der Betreiber weitgehend vergessen. Er arbeitet weiterhin mit Mittelwerten. Als Referenzperson nimmt er z. B. einen Erwachsenen an. Wir haben durch die Kinderkrebsstudie gelernt, wie empfindlich für Strahlung gerade der kindliche Organismus ist. Wir halten eine solche Mittelwertbildung für unzulässig.

Wer nicht einmal klären kann, woher die Laugenzuflüsse kommen, der soll seriös abschätzen können, wie sich Nuklide über Gas- und Lösungspfad ausbreiten? - Aus meiner Sicht ist das ein Märchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Konsequenzen aus dem Desaster um die Asse:

Erstens fordern wir - das wäre vielleicht die wichtigste Konsequenz -, Umweltminister Sander, den Chef der Atomaufsicht, aus seinem Tiefschlaf zu wecken.

Zweitens sind in der Asse alle Arbeiten zu stoppen, die vollendete Tatsachen in Richtung Flutung schaffen.

Drittens. Die irreversible Flutung ist gescheitert. Sie ist nicht durchzuführen.

Viertens. Andere Optionen sind schnell und seriös zu entwickeln und vorzustellen.

Eine weitere Konsequenz ist: Salz ist out. Salz ist auch für Gorleben out. Nun sagen Sie nicht, alles sei dort ganz anders! Das ist es eben nicht. Auch dort gab es von Anfang an scharfe Kritik, z. B. vom Projektleiter der PTB, Professor Duphorn.

Das Mehrbarrierensystem, das es in der Asse nie gegeben hat, ist komplett gescheitert. In der Asse gibt es keine erste und keine zweite Barriere. Die Fässer geben jetzt schon Radioaktivität frei.

Herr Dürr von der FDP beklagt einseitige Materialien zur Atomkraft in den Schulen. Ich sage: Wenn die Geschichte der Asse dort wahrheitsgemäß dargestellt würde, dann würde ein Schuh daraus.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen keine Renaissance der Atomkraft, auch kein Weitermachen für 15 Jahre. Ich will noch einmal das Bild der Landebahn bemühen: Man ist seinerzeit ohne Landebahn gestartet. Dann hat man begonnen, in der Luft zu kreisen. Jetzt ist der Sprit alle. Keiner weiß, wo man landen kann. Aber man weiß jetzt schon: Die Landebahn ist auf jeden Fall zu kurz.

Sie, Herr Minister, und die Landesregierung fordern wir auf: Lassen Sie die Menschen dort nicht allein! Hier geht es nicht um einen Laborversuch mit weißen Mäusen. Das Experiment sind die Menschen, das Experiment sind wir.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Bosse von der SPDFraktion das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Worüber reden wir? - Wir reden über 125 000 Fässer schwach radioaktiven Müll. Wir reden über 1 300 Fässer mittelradioaktiven Müll. Wir reden über 102 t Uran. Wir reden über 87 t Thorium. Vor allem reden wir über knapp 12 kg des Supergiftes Plutonium. Was da unten passiert - das ist sehr wohl war -, ist wirklich unfassbar. Das sind die Sünden der Vergangenheit.

Die Geschichte der Asse II ist eine relativ kurze und hier schon mehrfach Thema gewesen. Nachdem das Salzbergwerk ausgebeutet war, wurde es als Versuchsendlager missbraucht. Von 1967 bis 1978 wurde eingelagert. Ministerpräsident Ernst

Albrecht war wesentlich daran beteiligt, dass diese Einlagerung endgültig gestoppt wurde.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Sehr gut!)

Der Wolfenbütteler Kreistag hat damals einmütig gegen die Einlagerung gestimmt. Aber das spielte zum damaligen Zeitpunkt keine Rolle.