Protokoll der Sitzung vom 15.03.2011

Zu dem Kollegen Schminke: Lesen Sie die Protokolle nach, dann können Sie es sehen!

Warum also sind 10 Euro gerechtfertigt? - Ich werde Ihnen das in drei Punkten sagen:

Laut OECD-Definition liegt die Niedriglohnschwelle bei zwei Drittel des Bruttomedian-Stundenlohns. Laut einem aktuellen Report des Instituts Arbeit und Qualifikation beträgt diese 9,50 Euro für die alten Bundesländer, 6,87 Euro für die neuen Bundesländer und 9,06 Euro für den Bund insgesamt. Das bedeutet, dass nach Berechnungen des IAQ und der Bundesagentur für Arbeit ca. jeder fünfte Deutsche im Niedriglohnsektor arbeitet. In absoluten Zahlen ausgedrückt, bedeutet dies, dass ungefähr 6,8 Millionen Deutsche für einen Armutslohn arbeiten. In Niedersachsen sieht es übrigens ganz ähnlich aus: Auch hier beträgt die Niedriglohnschwelle laut einer Studie des DGB 9,62 Euro. Demnach arbeiten ca. 20 % aller knapp 2,9 Millionen abhängig Beschäftigten in Niedersachsen im Niedriglohnsektor, was ungefähr 573 000 Beschäftigte betrifft.

Selbst Tarifverträge sind nicht immer eine Gewähr für armutsfeste Löhne. So bewegen sich die unteren Tarife für viele Branchen in Niedersachsen zwischen 5,70 Euro und 9 Euro. Das betrifft vor allem die Bekleidungsindustrie, Wachdienste, Einzelhandel, Floristik - ich könnte die Liste fortführen. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn derzeit die SPD und der DGB fordern, ist im Bereich des Armutslohns angesiedelt, meine Damen und Herren. Das kann doch wohl nicht Ihr Ziel sein!

(Beifall bei der LINKEN)

Denn damit würden immer noch gut 1 Million Menschen in Deutschland weniger als zwei Drittel des Bruttomedianlohns verdienen. Aus diesem Grund muss die Untergrenze für einen Mindestlohn bei 10 Euro liegen. Zumindest die IG BAU hat das begriffen und fordert einen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro.

Ich möchte noch kurz begründen, warum wir den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen. Kollege Lies, Sie haben die Lage richtig dargestellt. Aber Ihr Antrag greift zu kurz. Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann können Sie das wieder wettmachen! Sie haben mit dem Mindestlohn für die Leiharbeit das Prinzip des Equal Pay sozusagen ausgesetzt und sind dahinter zurückgeblieben. Das können wir nicht mittragen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab, obwohl Sie die Lage durchaus richtig beschrie

ben haben. Stimmen Sie unserem Antrag zu, überdenken Sie das! 10 Euro sind gerechtfertigt!

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Nun hat Herr Kollege Rickert für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die Situation sachlich wirklich richtig dargestellt worden ist, bezweifle ich.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Gucken Sie mal nach!)

Aber interessant sind ja diese Koalitionsabsprachen, die vor dem Plenum getroffen werden. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.

Herr Kollege Rickert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Weisser-Roelle?

Nein danke, ich möchte meine Rede jetzt beginnen, Frau Präsidentin.

Im Kern geht es doch um den gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen in Deutschland mit dem Ziel, Dumpinglöhne zu vermeiden. - Das klingt akzeptabel.

(Olaf Lies [SPD]: Das ist akzeptabel!)

Damit wäre aber auch der Niedriglohnsektor, der bisher als Maßnahme zum Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt - mit Verlaub - subventioniert wurde, beeinträchtigt. Ich befürchte, dass damit die Hürden für den Einstieg in diesen ersten Arbeitsmarkt zu hoch werden könnten.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das ist doch eine Mär!)

Darüber hinaus soll damit vermieden werden, dass Arbeitnehmer aus sogenannten Billiglohnländern mit ihren niedrigen Löhnen einheimische Arbeitskräfte verdrängen - ein ernst zu nehmender Einwand. Dieses Problem konnte aber mit den jüngst getroffenen Regelungen zum Thema Mindestlohn für Beschäftigte in der Leiharbeits- und Weiterbildungsbranche etc. geheilt werden.

Wir dürfen auf der anderen Seite nicht verkennen, dass mit der Freizügigkeit ab dem 1. Mai das Problem des Arbeitskräftemangels gelöst werden kann - nicht nur bei den Saisonarbeitskräften. Um hier Dumpinglöhne zu vermeiden, existiert in Deutschland übrigens bereits ein ganzes Bündel von Gesetzen und Vorschriften. Ich nenne nur das Arbeitnehmerentsendegesetz, das Mindestarbeitsbedingungengesetz oder natürlich auch das Tarifvertragsgesetz mit seinen zugeordneten Untergesetzen.

Bei der Diskussion um die Leiharbeit wird häufig die Lebensmittelindustrie - Stichwort „Zerlegebetriebe“ - beispielhaft angeführt, eine Branche, die gelegentlich - das gebe ich zu - etwas anstrengende Vorstellungen von Arbeitsbedingungen und Bezahlung hat.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Was heißt „anstrengend“?)

Aber es gibt auch andere Beispiele, etwa aus dem Bereich der Metall- und Elektroindustrie.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt ist, dass kein Leiharbeiter den Betrieb ohne Zustimmung des Betriebsrates betreten darf.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Und Sie wissen auch, dass es nur wenige Ab- lehnungsgründe gibt!)

In diesem Zusammenhang wird gelegentlich die Forderung des Equal Pay erhoben und damit, dass Leiharbeiter genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaft. Ich betone: Wir haben natürlich eine ganze Menge Sympathie für den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ - das gilt übrigens auch für Frau und Mann; das nur am Rande -,

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Wer glaubt Ihnen das?)

aber es sollte doch auch berücksichtigt werden, dass es nicht von heute auf morgen möglich ist, den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit für Leiharbeiter zu generieren. Ich denke dabei an Branchen wie den Flugzeugbau. Dort muss eine bestimmte Qualifizierung erreicht werden. Das kann nur innerhalb von Monaten, wenn nicht sogar nur innerhalb von Jahren passieren.

Herr Kollege, Sie gestatten weiterhin keine Zwischenfragen? - Herr Will hat sich jetzt gemeldet.

Nein, danke.

Ich glaube auch nicht, dass der Betriebsrat und die Stammbelegschaft begeistert sind, wenn ein Leiharbeiter von Anfang an den gleichen Lohn erhält wie die alten Hasen.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Un- glaublich! Das tut weh! - Gerd Ludwig Will [SPD]: Das wird ja immer aben- teuerlicher!)

Ich halte daher einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen nicht für zielführend. Dies würde im Widerspruch zur Tarifautonomie stehen. Das heißt: Der Lohnfindungsprozess, das wichtigste Privileg der Tarifvertragsparteien, würde unter staatlichen Einfluss kommen. Das kann niemand wollen. Das Instrument der Leiharbeit, aber auch der Kurzarbeit, hat in den Boomjahren, aber auch in der Wirtschaftskrise die Stammbelegschaften geschützt.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich bestreite nicht, dass insbesondere das Instrument der Leiharbeit hier und da zu großzügig in Anspruch genommen worden ist. Aber ich warne davor, dieses Instrument durch Bürokratie und Dirigismus zu unhandlich und zu teuer für die Unternehmen zu machen.

Das könnte dazu führen, dass wir den schönsten Mindestlohn haben, aber niemand mehr Arbeit dafür anbietet.

(Oh! bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Die Wirtschaft tickt leider etwas anders als der Niedersächsische Landtag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ganz herzlichen Dank an Sie, Herr Rickert. - Es liegen zwei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen vor. Zunächst hat Frau Weisser-Roelle von der Fraktion DIE LINKE für anderthalb Minuten das Wort. Bitte!

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Rickert, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, dass Sie bezweifeln, dass die Sachlage hier richtig geschildert worden ist. Ich würde von Ihnen gerne einmal hören, an welcher Stelle Sie diese Zweifel haben bzw. die hier getroffenen Aussagen nicht richtig sind. Ansonsten wäre das nur so in den Raum gestellt; das genügt mir einfach nicht.

Ich möchte noch zwei weitere Punkte ansprechen. Sie sprachen von „anstrengenden“ Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die mal vorkommen könnten. In der Fleischindustrie gibt es keine anstrengenden Arbeitsbedingungen, sondern das ist Ausbeutung pur, und dem muss ein Riegel vorgeschoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Rickert, Sie haben dann gesagt, dass Betriebsräte bei Einstellungen zustimmen müssten und Firmen ohne die Zustimmung des Betriebsrats nicht einstellen könnten. Sie sollten sich einmal den entsprechenden Paragraphen im Betriebsverfassungsgesetz ansehen! Dann werden Sie feststellen, wie begrenzt die Möglichkeiten von Betriebsräten sind, Einstellungen abzulehnen. Und die Kriterien beziehen sich nicht auf den zu zahlenden Lohn, sondern das sind ganz andere Kriterien. Bei vier Punkten - ganz begrenzt - haben die Betriebsräte die Möglichkeit, eine Einstellung abzulehnen. Also sagen Sie nicht, die Betriebsräte könnten Einstellungen ablehnen. Das stimmt nicht, Herr Rickert.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

Nun hat Herr Kollege Lies von der SPD-Fraktion für anderthalb Minuten das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rickert, ich habe zwei Fragen an Sie.

Erstens. Wie erklären Sie eigentlich Millionen von Menschen in Deutschland, die unter prekärer Beschäftigung leiden und für geringste Löhne arbeiten müssen, dass das für sie der Einstieg in Arbeit ist? - Sie arbeiten dafür nicht Wochen oder Monate, sondern zum Teil ihr Leben lang, Herr Rickert.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)