Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

und dann kann nicht lapidar gesagt werden: Na gut, das ist ein Großeinsatz, das ist alles schwierig, und manches läuft da auch schief. - Auch er hat sich an die Gesetze zu halten. Das fordern wir auch ganz massiv ein.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Ich möchte noch etwas zu der Aktion „Castor? Schottern!“ sagen - das haben wir in unserer Anfrage auch abgefragt - und dazu, wie damit umgegangen wird. Ich persönlich finde, das ist keine besonders gute oder kluge Aktionsform. Ich habe eine klare Meinung zu Gewalt und Sachbeschädigung und lehne es ab, was die einzelnen Leute da gemacht haben.

(Zustimmung von Jens Nacke [CDU])

Das sollte man ganz eindeutig sagen. Aber man sollte wiederum auf der anderen Seite, Herr Nacke - - -

(Jens Nacke [CDU]: Dieses Bekennt- nis ist in Ihrer Partei nicht selbstver- ständlich!)

- Ja, das ist richtig. - Aber man sollte auf der anderen Seite in dieser Frage bitte schön auch etwas differenzieren: Es handelt sich bei der Entfernung

von Schotter aus einem Gleisbett nicht um ein schweres Kapitalverbrechen oder um primitiven Ökoterrorismus. Ein Verbrechen gegen Natur und Menschheit sind tatsächlich Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima mit Toten, Strahlungsopfern und Evakuierungszonen. Das sollte man ganz klar sagen, um die Verhältnismäßigkeit oder auch die Differenzierung zu wahren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Schünemann: Unsere Anfrage räumt auch mit einem Mythos auf, den Sie und leider auch andere Fraktionen in diesem Hause immer wieder verbreiten, nämlich den der leichten Identifizierbarkeit von Polizisten in geschlossenen Einheiten. Sie bestätigen sogar selber in der Antwort auf unsere Anfrage, dass nur 50 % der entsprechenden Vorwürfe bis jetzt aufgeklärt werden konnten. Nur 50 % der Polizisten konnten identifiziert werden. Immer wieder wird von der Polizei und auch von Ihnen behauptet, es sei überhaupt kein Problem, die Polizisten entsprechend zu identifizieren, wenn behauptet wird, dass sie sich strafbar gemacht haben. Das ist schlicht und ergreifend ein Mythos; das ist falsch. Gerade einmal 50 % konnten identifiziert werden. Deswegen bleibt die Forderung nach einer Identifizierbarkeit der Polizisten eine richtige Forderung. Wir werden sie langfristig in diesem Land auch durchsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich möchte noch zwei, drei Punkte anführen, die an dem Gesamteinsatz problematisch waren. Das eine ist der nach wie vor ungeklärte Einsatz ausländischer Polizisten und die Frage, welche Befugnisse sie in diesem Zusammenhang überhaupt haben. Es ist nach wie vor ungeklärt, was dieser ominöse französische Polizist im Gleis gemacht hat. Ich weiß, das fällt nicht originär in Ihren Verantwortungsbereich. Das war der Bereich der Bundespolizei, die bei diesem Gesamteinsatz ohnehin nicht unbedingt besser agiert hat, sondern sie hat sehr viel problematischer agiert als die Länderpolizeien.

(Glocke des Präsidenten)

Aber es ist nach wie vor unklar, was der gute Mann, dieser Super-Flic aus Frankreich, dort überhaupt zu suchen hatte. Es wäre hilfreich - verklausuliert ist das auch in der Anfrage formuliert -, wenn Sie der Bundespolizei einmal ganz deutlich

sagen würden: Wir halten es nicht für besonders hilfreich, wenn ausländische Polizisten auf einmal einen Schlagstock einsetzen. - Sagen Sie das der Bundespolizei noch einmal in aller Deutlichkeit!

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Einsatz dieser ominösen Minidrohne, auf die Sie immer so stolz sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Auch der Einsatz der Minidrohne ist nicht besonders hilfreich gewesen. Neben der interessanten Rechtsfrage, ob ein solcher Einsatz überhaupt schon durch das Recht gedeckt ist und nicht einen Eingriff in das Versammlungsrecht darstellt, zerstört er auch die Vertrauenskultur. Auf einmal technisches Spielzeug einzusetzen und zu sagen „Irgendwo ist ein ‚Unknown Flying Object’ über euren Köpfen, das dann und wann mal ein paar Aufnahmen macht“, das sollten Sie zukünftig einstellen. Diese Minidrohne hat auf Versammlungen schlicht und ergreifend gar nichts zu suchen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

Das war eine Punktlandung, Herr Briese!

Leider ist meine Redezeit schon abgelaufen. Es gäbe noch vieles zu sagen, z. B. zu den Kosten oder zu dem zukünftigen Endlagersuchverfahren. Die Antwort - letzter Satz, Herr Präsident - dazu aus dem Hause Sander ist völlig unbefriedigend. In dieser Frage wissen Sie überhaupt nicht, was Sie wollen. Mal wollen Sie gar keine neue Endlagersuche, dann wollen Sie Transmutation, dann wollen Sie oberirdisch lagern. - Am Ende kann man sagen: Alle Ideen, die aus Ihrem Hause dazu kommen, Herr Sander, sind ziemlich unterirdisch.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Schünemann das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Briese hat zu Recht darauf hingewiesen: Aufgrund einer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rücknahme von hoch radioaktiven Materialien finden seit Mitte der 90er

Jahre Transporte mit hoch radioaktivem Abfall nach Gorleben statt.

Von Beginn an mussten diese sogenannten Castortransporte mit erheblichem Aufwand polizeilich gesichert werden. Mittlerweile hat die Polizei dabei umfangreiche und vielschichtige Erfahrungen sammeln können. Wer allerdings glaubt, ein polizeilicher Castoreinsatz wäre deshalb heute polizeiliche Routine, der irrt sich gewaltig; denn jeder Castoreinsatz ist anders. Die Einsätze werden in erster Linie durch das jeweils zu mobilisierende Protestpotenzial gegen die Transporte und das teilweise unvorhersehbare Störerverhalten bestimmt. In Verbindung mit der Größe und strukturellen Eigenart des Einsatzraumes sowie der mehrtägigen Dauer des Transportes führt dies zu jeweils großen Kräfte- und Logistikbedarfen. Ich bin davon überzeugt, dass die Planung und Durchführung eines Castoreinsatzes nach wie vor eine der schwierigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben für die deutschen Polizeien ist.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das stimmt!)

Dieser Herausforderung stellt sich die in Niedersachsen gesamtverantwortliche Polizeidirektion Lüneburg jedes Mal. Sie tut dies mit Professionalität und Augenmaß - sowohl bei der schwierigen und umfangreichen Einsatzvorbereitung als auch in den oftmals komplizierten Einsatzsituationen. Die Polizei gewährleistet dabei mit motiviertem und fachkundigem Einsatz einerseits die sichere Transportdurchführung und andererseits das Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger. Die polizeilichen Maßnahmen im Einsatz richten sich dabei ausschließlich nach Recht und Gesetz und werden lageangepasst sowie recht- und verhältnismäßig getroffen.

Ich darf mich an dieser Stelle bei allen eingesetzten Beamtinnen und Beamten bedanken; denn sie haben auch im letzten Jahr wieder einen hervorragenden Job gemacht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Jahr 2010 stand der Castortransport besonders im Fokus des öffentlichen Interesses. Die Folge für die Polizei war, dass aufgrund von Erkenntnissen zu einem gesteigerten Protestumfang auch der Personaleinsatz gegenüber dem Einsatz 2008 um ca. 700 Kräfte auf etwa 10 500 Einsatzkräfte verstärkt werden musste. Für den mehrtägigen Dauereinsatz dieser Kräfte hatte die Polizeidirektion Lüneburg erneut ein schlüssiges Einsatzkonzept erstellt.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Na ja!)

Die Versorgung und Unterbringung der Einsatzkräfte entsprechend den bundesweit festgelegten Mindeststandards war durch ein umfassendes Logistikkonzept ebenfalls sichergestellt. Der Castoreinsatz 2010 war fachlich hervorragend und verantwortungsbewusst geplant und vorbereitet.

Meine Damen und Herren, auch die Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundespolizei verlief unproblematisch.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ach so! - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das glau- ben Sie doch selbst nicht! - Helge Limburg [GRÜNE]: Von dem französi- schen Polizisten wussten Sie aber nichts!)

- Das hatte mit dem Einsatz direkt überhaupt nichts zu tun. Das waren Beobachter, die bei solchen Einsätzen immer dabei sind.

(Victor Perli [LINKE]: Schlagende Be- obachter!)

Insofern spielt das in dem Zusammenhang keine Rolle. Die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landespolizei hat hervorragend geklappt. Da können Sie hier erzählen, was Sie wollen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das ist nicht richtig! Das ist definitiv falsch!)

Sowohl Vorbereitung als auch Durchführung des Einsatzes basierten auf abgestimmten Einsatzleitlinien und erfolgten jeweils im gegenseitigen Benehmen. Die Kommunikation zwischen beiden Einsatzleitungen war wie immer sichergestellt. Sofern im Einzelfall Kommunikationsdefizite auftraten, wie im Falle der Teilnahme eines französischen Beamten am Einsatz der Bundespolizei im Wendland, ist dieses gemeinsam nachbearbeitet worden.

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass auch 2010 der überwiegende Teil der Proteste friedlich verlief. Insgesamt haben die Proteste 2010 aber quantitativ und auch qualitativ ein Ausmaß erreicht, welches das der Vorjahre deutlich überstieg. Erneut waren dabei gewaltsame Stör- und Blockadeaktionen bis hin zu schweren Straftaten durch größere Personengruppen festzustellen. Die Anzahl massiver Straf- und Gewalttaten ist gegenüber dem vorangegangenen Transport gestiegen. Das hat leider gleichzeitig dazu geführt, dass die An

zahl verletzter Einsatzkräfte der Landes- und Bundespolizei von 50 im Jahr 2008 auf 131 gestiegen ist.

(Reinhold Coenen [CDU]: Traurig!)

Insbesondere am 7. November 2010 kam es diesbezüglich zu bedenklichen Szenarien entlang der Bahnstrecke in der Göhrde. Bis zu 4 000 Personen versuchten dort mehrmals massiv, die Initiative „Castor? Schottern!“, also das Unterhöhlen von Bahngleisen durch Entfernen der Steine, in die Tat umzusetzen. Die Aktionen waren offensichtlich detailliert vorbereitet und verliefen straff organisiert. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft Lüneburg die im Internet erfolgten Aufrufe zum „Castor? Schottern!“ frühzeitig als öffentliche Aufforderung zu Straftaten eingestuft und angekündigt hatte, Ermittlungen gegen alle Unterstützer einzuleiten.

Polizeikräfte, die die rechtswidrigen Aktionen unterbinden wollten, wurden mehrfach angegriffen, mit Steinen beworfen und sogar mit Signalmunition sowie Reizstoffen beschossen.

(Ulf Thiele [CDU]: Schlimm, schlimm!)

Zahlreiche Beamtinnen und Beamte wurden dabei verletzt. Unter Anwendung hoher krimineller Energie schreckten einige der Gewalttäter auch nicht davor zurück, schwerste Straftaten zu begehen. Im Fall des in Brand gesetzten Sonderwagens werden derzeit Ermittlungen aufgrund eines versuchten Tötungsdeliktes geführt.

Meine Damen und Herren, um es wirklich in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese Aktionen haben weder etwas mit friedlichem Protest gegen Atomtransporte zu tun, noch sind sie durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt. Derartiges Tun ist aus meiner Sicht gemeingefährlich und rechtswidrig. Herr Briese, auch Sie haben es relativiert. Es sind gezielte Angriffe auf den Rechtsstaat, die dieser schlichtweg nicht tolerieren darf.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mehrmals mussten die Beamtinnen und Beamten zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren Zwangsmittel anwenden, teilweise ohne dass eine vorherige Ankündigung überhaupt noch möglich war.

Auch wenn derzeit einzelne der Zwangsanwendungen durch die Polizei auf eine strafrechtliche Relevanz überprüft werden, habe ich keine Zweifel daran, dass die Maßnahmen der Polizei in diesem Zusammenhang insgesamt gesehen gerechtfertigt waren. Festzuhalten ist: Nicht die Polizisten mit