Es war in diesem Land jahrzehntelang möglich, gebührenfrei zu studieren. Mir ist kein einziger Reichtums- oder Armutsbericht bekannt, der ausweist, dass die Zahl der Reichen gesunken oder der gesamte gesellschaftliche Reichtum nicht gestiegen wäre.
Auch wenn Sie das immer abstreiten: Ein Studium bringt nicht nur einen persönlichen Vorteil, sondern kommt grundsätzlich auch der gesamten Gesellschaft zugute. Ein Patient hat im Zweifelsfall mehr von einem hoch qualifizierten Studium einer Medizinerin als diese selbst. Eine Gerechtigkeitsdebatte kann nur bei Vermögen und Einkommen und bei der Abgaben- und Steuerbelastung ansetzen. Wenn der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern Steuern gerecht eintreiben will, dann darf dies doch nicht anhand eines formalen Bildungsgrades, sondern anhand von Einkommen und Vermögen geschehen. Da Hochschulabsolventen in der Regel höhere Einkommen erzielen, zahlen sie im Laufe ihres Lebens auch einen ordentlichen Beitrag zurück, wenn der Sozialstaat ordentlich organisiert wäre. Auf diese Weise refinanziert sich das gebührenfreie Bildungswesen ganz von allein.
Wenn Studiengebühren angeblich so bedeutend für die Verbesserung der Studienbedingungen sind, warum folgen Sie dieser Logik dann nicht und führen auch ein jährliches Schulgeld zur Verbesserung der Lernbedingungen an den Schulen ein? Die Schulen hätten dies jedenfalls bitter nötig.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abschaffung der Studiengebühren ist keine Frage der Finanzierbarkeit, sondern eine Frage der Prioritäten. Vor wenigen Tagen wurde die an der Universität Hohenheim erstellte Gebührenkompassstudie veröffentlicht. Die niedersächsischen Studierenden haben Ihrer Gebührenpolitik die Note
„mangelhaft“ erteilt. Nur jeder fünfte niedersächsische Studierende meint, dass sich die Qualtität an den Hochschulen verbessert habe. Jetzt hören Sie genau zu: Rund 76 % der Studierenden in Niedersachsen sprechen sich für die Abschaffung der Studiengebühren aus,
in Hildesheim sogar 91 %. Draußen gibt es keine Mehrheiten für Studiengebühren. Allein das gebietet es, dass Sie diesen Gesetzentwurf in den weiteren Beratungen sehr ernst nehmen.
Niedersachsen wirbt immer mit dem Slogan: Immer eine gute Idee. - Die Einführung der Studiengebühren war keine gute Idee. Lassen Sie uns die Campus-Maut wieder abschaffen! Denn das, was Hessen mit Links macht, können wir in Niedersachsen erst recht.
(Victor Perli [LINKE] zerreißt ein Stück Papier, auf dem ein 500-Euro-Schein abgedruckt ist - Beifall bei der LIN- KEN)
Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Heinen-Kljajić von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Studiengebührenmodell CDU-geführter Bundesländer scheint bereits Geschichte zu sein, bevor es sich wirklich hat etablieren können; denn zum einen wurden in Hessen mit rot-rotgrüner Mehrheit die Studiengebühren komplett abgeschafft, und zum anderen gibt es in Hamburg unter Schwarz-Grün immerhin ein stark modifiziertes Modell.
Das Kompromissmodell schafft zwar die Studiengebühren nicht völlig ab, lieber Herr Zielke, aber immerhin sind die Gebühren erst nach dem Studium zu zahlen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Es entfällt das Kreditrisiko. Die Semestergebühr ist im Vergleich zu Niedersachsen deutlich niedriger, und die Einkommensgrenze, ab der gezahlt werden muss, ist wesentlich höher.
Aber abgesehen davon, ob es das Modell ist, das Grüne wollen oder nicht wollen: Für Niedersachsen bedeuten beide Entscheidungen, dass die Attraktivität benachbarter Bundesländer die Abwanderungstendenz junger Abiturienten wird steigen lassen. Auch Niedersachsen wird die Studiengebühren nach dem Stratmannschen Modell über kurz oder lang wieder abschaffen müssen - das ist jedenfalls meine Prognose; denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie haben ein Problem: Ihnen gehen langsam die Bündnispartner aus.
Die Wirtschaft, von Verbandsseite zu Beginn der Debatte durchaus noch ein Wortführer für die Einführung von Studiengebühren, hat sich die Protagonistenrolle nie angezogen und verhält sich, wie ich finde, jetzt dort auffällig still, wo sie gerade abgeschafft werden. Denn die Wirtschaft sieht Hochschulen als Fachkräfteschmiede. Sie braucht in großem Stil Führungskräftenachwuchs. Da ist jede staatliche Intervention, die den Zugang zur Hochschule erschwert, schlicht kontraproduktiv.
Die Bildungswissenschaften haben Sie gegen sich, weil sie Ihnen immer wieder attestieren, dass beim Zugang zur Hochschule nicht die individuelle Eignung, sondern schlicht der soziale Hintergrund des Elternhauses entscheidend ist. Bildungsökonomisch sind Studiengebühren für das Erststudium die Fortführung einer auf Besitzstandswahrung und Ressourcenvergeudung basierenden Fehlsteuerung, mit der wir innerhalb der OECD absolutes Schlusslicht sind.
Solange Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ideologisch verbohrt an einem Bildungssystem festhalten, das längst gescheitert ist, werden wir diesen entscheidenden Wettbewerbsnachteil, der unisono in allen Untersuchungen zur Wirtschaftskraft Niedersachsen moniert wird, nicht aufholen können. Wenn bereits heute mehr als 80 % aller Kinder aus einem Akademikerhaushalt studieren, aber nur gut 20 % aller Kinder aus einem Nichtakademikerhaushalt, dann werden Sie diese Verteilung doch nicht dadurch aushebeln, dass Sie jetzt von jedem verlangen, dass er 1 000 Euro pro Jahr auf den Tisch legen muss, bevor er überhaupt eine Hochschule besuchen darf.
Die steigende Zahl von Studienanfängern im letzten Wintersemester, die wir bestimmt gleich als Gegenargument hören werden, hilft an dem Punkt nicht wirklich weiter; denn zeitgleich ist die Zahl der Abiturienten gestiegen und gab es in SachsenAnhalt einen doppelten Abiturjahrgang.
Aussagekräftiger sind schon die Zahlen über die Inanspruchnahme der Studienkredite. Nicht einmal 5 % aller Studierenden nehmen diesen Studienkredit wahr, obwohl 25 % von ihnen Bafög erhalten. Selbst der Landesregierung scheint es angesichts dieser Zahlen mulmig zu werden, wenn sie jetzt Vergünstigungen für ehrenamtlich Tätige einfordert oder Stipendien ankündigt, die selbstverständlich die Studierenden aus ihrem Gebührenaufkommen finanzieren sollen und nicht das Land. Studierende werden Sie mit diesem Studiengebührenmodell nie gewinnen können; denn es gibt angesichts der gnadenlosen Unterfinanzierung der Hochschulen insgesamt schlicht keinen spürbaren Mehrwert durch diese Studiengebühren. Sogar das Zentrum für Hochschulentwicklung - wahrlich ein Befürworter von Studiengebühren - muss eingestehen, dass Investitionen in die Infrastruktur - das Gros der Studiengebühren kommt der Infrastruktur zugute - keine nachweisbare Verbesserung der Studienbedingungen bedeuten.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Ihr einziger Bündnispartner ist der Finanzminister, der sich logischerweise darüber freut, wenn Studierende die Kürzungen kompensieren, die er an den Hochschulen vorgenommen hat.
Ein Teil dieser Studierenden mag die Mehrbelastung über das Elternhaus auffangen können. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die trotz starker Verdichtung des Studiums dank Bologna neben dem Studium jobben müssen und damit unter ungleich härteren Bedingungen studieren als ihre finanziell bessergestellten Kommilitonen. Chancenlos bleiben diejenigen, deren Eltern jetzt erst recht sagen werden, dass ein Studium für sie zu teuer ist.
Ihr Studiengebührenmodell ist die logische Fortsetzung einer Bildungspolitik, die bereits im Schulsystem die soziale Spaltung immer weiter voranbringt. Sie sagen ganz einfach: Warum sollen wir ein Bildungssystem ändern, bei dem wir und diejenigen, zu deren Gesellschaftsschicht wir uns zäh
Erkennen Sie endlich, dass diese Politik nicht nur zutiefst unsozial ist, sondern wegen des Fachkräftemangels langfristig zu einem volkswirtschaftlichen Kollaps führen wird!
Lassen Sie mich noch einen Satz zum Schluss sagen: Ob man jetzt den Antrag der Linken übernimmt, der das Hochschulstudium grundsätzlich freistellt, also auch keine Gebühren mehr für Weiterbildungsstudiengänge kennt und Verwaltungskostenbeiträge abschafft, sei dahingestellt. Aber die Forderung nach Abschaffung von Gebühren für das Erststudium unterstützen wir als Grüne ausdrücklich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf stimmt in einem wesentlichen Punkt mit den Vorstellungen der SPD überein. Dieser Punkt betrifft die Abschaffung der Erhebung der Studiengebühren nach § 11 Abs. 1 NHG.
Wir lehnen die Studiengebühren für das Erststudium ab, weil wir die Zukunftsperspektive Niedersachsens sichern wollen. Da wir den übrigen vorgeschlagenen Änderungen nicht folgen können, werden wir den Gesetzentwurf allerdings ablehnen.
In Niedersachsen fehlen über 6 000 Ingenieurinnen und Ingenieure. Das heißt, wir brauchen mehr Fachkräfte und mehr Menschen mit akademischer Ausbildung.
Nein, jetzt nicht. - Das heißt, wir brauchen mehr Fachkräfte. Wir wollen, dass in Zukunft mehr junge Menschen studieren und nicht weniger. Wir wollen junge Menschen zum Studium motivieren und nicht abschrecken, und wir wollen Studierende aus allen Bevölkerungsgruppen, unabhängig von der sozialen Herkunft, unabhängig davon, ob sie aus Migranten- oder Akademikerfamilien kommen.
Hürden müssen abgebaut werden und nicht in Form von Studiengebühren neu errichtet werden. Deshalb müssen die Studiengebühren fallen.
Aber, meine Damen und Herren, wie sieht die von Schwarz-Gelb geschaffene Wirklichkeit in Niedersachsen aus? - Nach Angaben des Studentenwerkes schaffen von 100 Akademikerkindern 83 den Sprung an eine Hochschule, aber nur 23 von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition. Daran wird sich nichts ändern; denn die Landesregierung sorgt für mehr soziale Auslese an den Schulen und hat neue Hürden für den Uni-Zugang aufgebaut. Damit werden wir uns nicht abfinden.
Für die meisten Studierenden und ihre Eltern sind Gebühren eine hohe zusätzliche Belastung. 90 % werden von den Eltern unterstützt, müssen jobben und sich das Studium mitfinanzieren. Der Alltag vieler Studentinnen und Studenten sieht doch so aus: Sie pendeln zwischen Hörsaal, Nebenjob und Prüfungsvorbereitungen. Durch die Straffung der Lehrpläne infolge der Einführung von BA und MA müssen sich Studierende mehr Wissen in kürzerer Zeit aneignen. Die starren Leistungsvorgaben reduzieren mögliche Lebensweisen auf eine einzige Norm: Pauken ohne Freiraum! - Zeit für ehrenamtliches Engagement bleibt da kaum.
Das Plus von 80 Euro monatlich für die Studiengebühren mag für viele von Ihnen kein Thema sein. Für die Studierenden bedeutet dies aber eine hohe zusätzliche Belastung.
Die Aufnahme eines Studiengebührenkredits ist für die wenigsten ein Thema. Die meisten wollen die Studiengebühren mit mehr Jobben finanzieren. Künftig werden sie also noch mehr Jobben und noch mehr Zeit investieren, anstatt diese Zeit für ein schnelles Studium zu nutzen. Ob sich das für
die Studierenden und den Staat, die Hochschulen und die Gesellschaft rechnet? - Da bin ich skeptisch.
Herr Minister Stratmann wird gleich wieder behaupten, die Studiengebühren seien ein Erfolgsmodell. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass fast 76 % der niedersächsischen Studierenden gegen die Studiengebühren sind. Warum ist das so? - Weil die Verwendung der Gelder auf größte Unzufriedenheit stößt. Auf einer Notenskala von 1 bis 6 gaben die Befragten aus Niedersachsen im Schnitt die Note 4,58. In der Schule wäre das ein „gerade noch ausreichend“ bzw. „mangelhaft“. Sie sehen nicht ein, warum sie die Anschaffung von Geräten, technischer Ausstattung, Büchern und Hörsaalrenovierung selbst zahlen sollen. Das muss der Staat bezahlen, finden sie.