Protokoll der Sitzung vom 13.09.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Arbeitszeitverlängerungen von bis zu 78 Stunden wöchentlich als Abweichung - wer das zulassen will, will den sozialen Rückschritt. Das ist unerhört!

Außerdem soll - so Arbeitsminister aus den EULändern - zwischen aktiver und inaktiver Bereitschaftszeit unterschieden werden. Während die aktive Bereitschaftszeit als Arbeitszeit anerkannt werden soll, soll die inaktive Bereitschaftszeit gar

nicht einbezogen werden, obwohl der Europäische Gerichtshof in einigen Urteilen klargestellt hat, dass alle Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit anerkannt werden müssen.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wie gesagt: Jede geleistete Arbeitszeit, auch die inaktive Bereitschaftszeit, muss nach Auffassung meiner Partei vollständig als Arbeitszeit anerkannt werden. Zugleich setzen wir uns für die Begrenzung des Arbeitstages ein. Überlange Arbeitszeiten schaden der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und stehen im Widerspruch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Glocke des Präsidenten)

Warum wir diesem Antrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen können, warum wir uns enthalten, ist, dass wir sagen: Auch 48 Stunden mit diesen Umgehungsmöglichkeiten sind zu viel. Wir sagen: Die Höchstarbeitsgrenze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf 40 Stunden nicht überschreiten.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Eine Arbeitszeitverlängerung vernichtet Arbeitsplätze. Arbeitszeitverkürzung schafft Arbeitsplätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Rickert das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland sehr umfassende, ausführliche und, wie ich glaube, auch arbeitnehmerfreundliche Regelungen zum Thema Arbeitszeit. Zumindest überall dort, wo Tarifvertragsparteien an einem Tisch sitzen, gibt es meiner Ansicht nach und auch meiner praktischen Erfahrung nach ausführliche und umfassende Regelungen. Entsprechend haben sich die Tarifvertragsparteien in Deutschland aufgrund der Bundesratsinitiative zu diesem Komplex eingelassen.

Herr Kollege Rickert, Frau Flauger möchte eine Zwischenfrage stellen.

Nein, danke. Ich möchte jetzt zu Ende ausführen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist schade!)

Die Tatsache, dass die Einlassungen der einzelnen Sozialpartner im Rahmen der EU-Beratungen gewürdigt werden sollten, hat zu dem Ergebnis geführt, dass von insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten längst nicht alle diesen Ideen und Vorstellungen zugestimmt haben.

Ich habe dem Beratungsprozess im Ausschuss zwar nur partiell folgen können, aber es hat eine Beratung stattgefunden - es gab eine Anhörung des MW -, u. a. mit der Erkenntnis, dass wir mit unseren Beratungen zu diesem Antrag zu spät kommen und dass die Phase II, um die es hier geht, bereits abgeschlossen ist, sodass wir als Landtag hier keine Einflussmöglichkeiten mehr haben. Insofern haben wir gesagt, dass man diesem Antrag nicht zustimmen kann. Von daher müssen wir ihn ablehnen.

Ich gebe zu, dass das Thema Arbeitszeitregelung sehr wichtig ist, auch gerade für den Standort Deutschland im Verhältnis zu den anderen Staaten, sodass wir hier durchaus eine interstaatliche Regelung gebrauchen könnten. Aber in diesem Prozess ist es dann doch zu spät.

Zum Opt-out noch eine Anmerkung: Der hier gewünschten Aufhebung des Ganzen kann ich nicht zustimmen. Natürlich müssen wir in den Verhandlungen eine gewisse Flexibilität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erreichen. Das darf - das gestehe ich zu - allerdings nicht dazu führen, dass hier einseitig etwas ausgenutzt wird. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir dies alles so lassen sollten.

Natürlich bin ich bei Ihnen, wenn wir sagen: Das Thema Arbeitszeit in der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit der EU ist mit diesem Antrag nicht von der Tagesordnung verschwunden, sondern wird uns immer weiter beschäftigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu dem Beitrag von Herrn Kollegen Rickert hat sich Frau Weisser-Roelle zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön!

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Rickert, Sie haben ausgeführt, dass es die Tarifvertragsparteien einvernehmlich regeln, und das sei auch gut so. - So weit kann ich Ihnen zustimmen. Aber ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass 53 % der arbeitenden Menschen einem Tarifvertrag unterliegen. Was machen Sie mit den 47 % der Menschen, die keinen tariflichen Schutz mehr haben? Wollen Sie diese sich allein überlassen? - Deshalb brauchen wir rechtliche Regelungen, die alle Menschen vor Ausbeutung und vor zu langen Arbeitszeiten schützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Rickert möchte antworten. Bitte sehr!

Zunächst einmal kann ich nicht beurteilen, inwieweit dies daher rührt, dass in einigen Betrieben keine Gewerkschaften mehr vertreten sind. Das liegt auch an den Gewerkschaften. Das kann durchaus sein.

Auf der anderen Seite habe ich bewusst die tarifvertraglichen Regelungen in den Vordergrund gestellt, weil diese sehr umfassend sind. Aber in Deutschland gibt es, was die Arbeitszeiten angeht, nicht gerade einen rechtsfreien Raum. Es gibt die Arbeitszeitrichtlinie, das BGB etc. Auch dort sind Urlaub und Arbeitszeit gesetzlich geregelt. Ganz ohne rechtliche Grundlage stehen wir in diesem Bereich also nicht da.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Widerspruch von Kreszentia Flauger [LINKE])

Jetzt hat Herr Hagenah für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rickert, als Sie sich zunächst mit dem Hinweis herausreden wollten, um keine Position beziehen zu müssen, weil bei der EU die Frist abgelaufen ist, um Einfluss zu nehmen, wollte ich Sie schon auf den 8. März hinweisen, als der Antrag eingebracht worden ist. Bei einer zügigen Beratung hätte in der ersten Jahreshälfte, als die Themen bei der EU noch in der ersten Beratungs

phase waren, also sehr wohl Stellung genommen werden können.

Im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie dann allerdings klar gemacht, dass Sie diesem Antrag auch bei einer zügigen Beratung nicht zugestimmt hätten, weil Sie genau gegenteiliger Ansicht sind. Da liegt also der Hase im Pfeffer! Das ist wohl das Entscheidende: Sie nehmen hier im Haus einen gnadenlosen Wettbewerb nach unten um die niedrigsten sozialen Standards in Europa billigend in Kauf. Ich meine, damit schädigen Sie den Standort Deutschland. Inzwischen weiß auch die Wirtschaft, dass ein solches Kopf-in-den-Sand-Stecken für unseren Standort sehr, sehr schädlich ist. Denn wir haben eine sehr negative Entwicklung zu verzeichnen. Wir haben nicht mehr wie vor einigen Jahren nur 4 Länder in der EU, die das Opting-out nutzen, sondern mittlerweile 15.

Dass Deutschland dies auch zulässt, nämlich durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig über die 48-StundenGrenze hinwegzugehen, ist nicht standortsichernd. Denn in diesem Negativwettbewerb, in dieser Spirale nach unten können wir mit unseren hiesigen Löhnen nicht bestehen. Lange wird es nämlich nicht mehr dauern, bis wir einen gesetzlichen Mindestlohn haben. Den brauchen wir in diesem Land!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Dann ist das Opting-out europaweit überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig. Deswegen wären wir gut beraten - auch die FDP, wenn sie irgendwie in der Wirklichkeit ankommen würde -, sich für europäische Sozialstandards im Arbeitsmarkt mit einzusetzen; denn darum kommen wir nicht herum. Wir konkurrieren hier untereinander auf dem gleichen Markt zu unterschiedlichen Bedingungen. Wir werden die niedrigen Bedingungen beim Lohn in einigen anderen Ländern bei uns nicht herstellen können. Auch im Bereich der Arbeitszeit sollten wir diese Bedingungen nicht übernehmen. Da werden wir eher Kopfstehen, auch die Arbeitnehmer, die noch gewerkschaftlich organisiert sind.

Mit diesem Augenverschließen vor dem, was EUweit passiert, und vor der Tatsache - was Sie noch als vermeintlichen Standortvorteil annehmen -, dass man hier Opting-out anwenden kann, führen Sie die Wirtschaft genau in die falsche Richtung, nämlich in einen für uns nicht zu gewinnenden Wettbewerb.

Das ist das Negativbeispiel, wie die FDP Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene betreibt, wodurch offensichtlich auch die CDU, die - wie ich von der CDA weiß - eigentlich anders positioniert ist, hier scheinbar gebunden ist. Deswegen ist diese Koalition für Niedersachsen derzeit zu einer echten Belastung geworden. Sie führen in jeder Beratung, die sich um Wirtschaftspolitik dreht, wieder vor, wie Sie sich mit altem Denken neuen Problemen nicht stellen wollen. Sie sind mit Ihrer Programmatik wirklich am Ende, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Bley das Wort. Bitte schön, Herr Bley!

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Karl-Heinz, wirf die Fesseln ab!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „Im Interesse der niedersächsischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Land muss sich zur ‚Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie’ auf europäischer Ebene positionieren“ - wer sagt das? - Die SPD-Landtagsfraktion!

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Kluger Satz!)

Dies ist aber aus vielerlei Gründen überholt. Daher wird dieser Antrag von den Regierungsfraktionen abzulehnen sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Hagenah, auch ich bin der Meinung, dass wir eine Lohnuntergrenze für alle Branchen am Beispiel der Zeitarbeit brauchen, die tariflich zu regeln ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Herr Aller, ich bin bei vielen Themen mit Ihnen einer Meinung, aber hier habe ich eine andere. Ich versuche, Ihnen das zu erklären, was Herr Rickert eigentlich schon in vielen Punkten gemacht hat.

Hintergrund des vorliegenden Antrags ist die im Bundesrat behandelte Drucksache 874/10, mit der die Bundesländer über die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie informiert wurden. Zum Antrags