Protokoll der Sitzung vom 14.09.2011

Sie haben damit in bester röslerscher Art und Weise geliefert, nämlich ein Trauerspiel in puncto Gestaltungswillen und Diskussionsfähigkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie offenbaren, wie ich finde, einen bemerkenswerten Zustand der Regierungsfraktionen: inhaltsleer, mutlos und ziellos.

Was haben wir bei der Einbringung des Antrages für eine Rede von Herrn Professor Dr. Zielke zur Rechtsstaatspartei FDP, zur Bedeutung der Liberalen für den Rechtsstaat und deren Vorschlag zum Quick-Freeze-Verfahren gehört! Das war, wie sich herausgestellt hat, zwar alles komplett unzutreffend, aber immerhin mit Verve und auch mit Theatralik vorgetragen. Herr Zielke, warum waren

Sie dann im Rechtsausschuss eigentlich so sprachlos? War es die pure Angst vor einer Anhörung? - Jedenfalls ist das der Beleg dafür, dass Ihr Vorschlag nicht mehr ist als ein Luftschloss, eine Blase zur Vortäuschung des Eintretens für Bürgerrechte. Wir nennen so etwas Wählertäuschung.

(Zustimmung von Detlef Tanke [SPD] und Helge Limburg [GRÜNE])

Ich bin sehr neugierig, was Sie hier heute eigentlich erzählen wollen. Ich finde, Sie müssten einmal erklären, warum Sie Angst gehabt haben, diesen Vorschlag, dieses Thema im Rahmen einer öffentlichen Anhörung zu diskutieren.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Wer spricht denn von Angst, Herr Tonne?)

Den gleichen Vorwurf muss sich die CDU gefallen lassen. Es wird ja keine Gelegenheit ausgelassen, sich öffentlich als der vermeintliche Garant für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger darzustellen.

In der Debatte um die Neuformulierung einer Vorratsdatenspeicherung haben insbesondere die Minister Busemann und Schünemann - dies zu besten Zeiten - nahezu täglich mit Pressemitteilungen gequält - immer gut für reißerische Überschriften, für Angstkampagnen und für Verunsicherung.

Im Mai 2011 erdreisteten sich die Minister, eine Formulierungshilfe in das Justizministerium nach Berlin zu senden. Die Art und Weise, wie dort aufgetreten wurde, machte deutlich: Man wollte provozieren und sich selber gut in der Presse platziert sehen, aber Interesse an einer wirklichen Lösung hatte dort niemand.

(Minister Busemann: Was?)

Da stellt sich doch die Frage: Fehlt es an der Überzeugung in der Sache? Wie wichtig ist Ihnen von der CDU eigentlich die Sicherheit der Bevölkerung? Oder fehlt es Ihnen an Durchsetzungskraft? - Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass eine DreiProzent-Partei, die mittlerweile von der Hälfte der Bundesbürger für komplett überflüssig gehalten wird, die CDU vorführt, an der in Niedersachsen angeblich nichts vorbeiführt. Oder fehlt es an Charakter in dieser Frage? Wie gehen Sie eigentlich mit Überzeugungen, mit Ihren Werten um, wenn Sie die Behandlung in der Sache verweigern?

Wenn mit der Vorratsdatenspeicherung, wie von Herrn Busemann und Herrn Schünemann immer wieder behauptet, die Sicherheit der Bevölkerung steht und fällt, müsste dann nicht auch die CDU in

der Lage sein, sich aus den gemütlichen Regierungssesseln zu erheben?

Die CDU-Fraktion hatte nicht den Mumm, den Vorschlag ihrer Minister zur Diskussion zu stellen. Wir hätten gerne im Ausschuss darüber gesprochen. Wir hätten gerne die Experten gebeten, hierzu eine Bewertung abzugeben.

Wir halten fest: Weder CDU noch FDP sind in der Lage gewesen, das Thema Vorratsdatenspeicherung im Niedersächsischen Landtag zu behandeln, geschweige denn zu lösen. Wo ist denn der ansonsten immer so erwünschte niedersächsische Beitrag zu diesem Thema?

Der Vorgang ist ein Armutszeugnis für die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen. Als vorläufiger trauriger Höhepunkt war im Hamburger Abendblatt vom 10. September ein Interview mit Herrn Innenminister Schünemann zu lesen, in dem er sich über die fehlende Lösung mit den Worten beschwert - ich zitiere -: „Das ist Arbeitsverweigerung.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Bitte richten Sie das an Ihre eigene Fraktion!

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank an CDU und FDP für diese Vorführung Ihres Verständnisses von Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein. Sie dokumentieren damit, dass es höchste Zeit ist, mit dieser Karikatur von Politik Schluss zu machen. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Kollegin Ross-Luttmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letzten Sonntag haben wir der Tausenden von Opfern der verheerenden Terroranschläge in den USA vor zehn Jahren gedacht. Wir alle haben noch die schrecklichen Bilder aus dem Fernsehen vor Augen.

Vor dem Hintergrund dieser Terroranschläge und weiterer Anschläge 2004 in London und Madrid wurden zum Schutz der Bürger vor terroristischen Angriffen weltweit Konsequenzen gezogen, so auch von der EU. Sie hat 2006 eine Richtlinie erlassen. Diese sieht die Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten vor, die Anbieter öffentlich zugängli

cher elektronischer Dienste zu verpflichten, Verkehrs- und Standortdaten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu speichern.

Das auf dieser Richtlinie von der Großen Koalition von SPD und CDU/CSU im Bund ausgestaltete Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung hat das Bundesverfassungsgericht im März 2010 wegen mangelnder Datensicherheit und zu niedriger Hürden beim Abruf gespeicherter Daten für verfassungswidrig erklärt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die verdachtsunabhängige und anlasslose Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen für zulässig erklärt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit bleibt nach wie vor der Bundesgesetzgeber in der Pflicht, dies zu regeln, und zwar nicht nur, wenn er sich nicht einem Vertragsverletzungsverfahren der EU aussetzen will, sondern auch vor dem Hintergrund, dass dieses Thema immer wichtiger wird. Dass die Terrorgefahr in Deutschland nach wie vor hoch ist, hat nicht zuletzt die Festnahme zweier Terrorverdächtiger in Berlin vor einigen Tagen gezeigt.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das steht noch nicht einmal fest!)

Ich bin auch nach den Debatten im Landtag nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Speicherung und die Verwendung von Telekommunikationsdaten in engen Grenzen zur Verfolgung von schwerwiegenden Straftaten und der Organisierten Kriminalität sowie zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen notwendig und für eine effektive Arbeit der Strafermittlungsbehörden unerlässlich ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um eine sechsmonatige Speicherung von Daten, auf die bei schwerwiegenden Verbrechen zurückgegriffen werden kann, nachdem ein Richter geprüft hat, ob die Voraussetzungen vorliegen. Dies halte ich auch angesichts der Veränderungen der Kommunikationsmöglichkeiten und, damit einhergehend, des Kommunikationsverhaltens für zwingend geboten; denn die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, auch vor Straftaten im Internet geschützt zu werden. Das setzt eine effektive Ermittlungsarbeit voraus. Hierfür müssen die Strafverfolgungsbehörden die technischen Möglichkeiten nutzen können. Das, meine Damen und Herren, umfasst zwingend auch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung.

Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass das Bundeskriminalamt zugeben muss, dass es aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten gewisse Straftaten nicht hat aufklären können. Ich möchte nochmals hervorheben, worum es bei der Vorratsdatenspeicherung eigentlich geht: Es sollen nicht die Inhalte von Telefonaten, E-Mails oder Internetseiten aufgezeichnet werden, sondern es geht um die Speicherung reiner Nutzungsdaten: Rufnummer, Zeit und Dauer der Verbindung, Art des genutzten Dienstes, Standorte und IP-Adressen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl sich die CDU für die verdachtsunabhängige und anlasslose Vorratsdatenspeicherung massiv und auf allen Ebenen einsetzt - Herr Tonne, Sie haben eben zu Recht die Bemühungen von Minister Busemann und Minister Schünemann erwähnt -, können wir Ihrem Entschließungsantrag aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmen.

Zum einen sind wir seit 2003 erfolgreich in einer Koalition unterwegs. Wir - FDP und CDU - haben vereinbart, dass wir uns erst einigen, bevor wir Entschlüsse fassen. Es ist hinlänglich bekannt, dass es zwischen FDP und CDU eine Einigung auf diesem Gebiet - ich sage hier auch an die Adresse der FDP gerichtet: leider - nicht gibt. Wir sind für eine anlasslose Speicherung in den engen Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht formuliert hat. Wir werden uns weiterhin darum bemühen, dass diese anlasslose Speicherung im Bund Gesetzeskraft erhält.

Meine Damen und Herren, warum ist das so schwierig? - Auch das haben Sie teilweise ausgeführt. Es geht darum, einen Ausgleich zwischen den Rechten der Menschen auf Wahrung ihrer Privatsphäre auf der einen Seite und den Möglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden, effektiv arbeiten zu können, auf der anderen Seite zu finden. Wenn ich mit jemandem telefoniere, so ist das grundsätzlich privat, meine eigene Angelegenheit. Erst wenn ich ein Verbrechen begehe, ist das Interesse der Strafverfolgungsbehörden geweckt, und erst dann müssen auch die Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Dieser Ausgleich ist eben nicht ganz einfach.

Zum anderen können wir Ihrem Antrag auch inhaltlich nicht zustimmen. Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag z. B. eine Speicherung der Kommunikationsdaten für maximal sieben Tage gefordert. Das sieht die EU-Richtlinie eben nicht vor.

(Zustimmung von Elisabeth Heister- Neumann [CDU])

Die EU-Richtlinie sieht eine Speicherung von sechs Monaten bis zu zwei Jahren vor. Nach meinem Kenntnisstand halten sich alle Staaten der EU, die inzwischen eine Regelung getroffen haben, an diese Vorgabe. Da Ihr Vorschlag nicht mit der EU-Vorgabe vereinbar ist, können wir Ihrem Antrag auch inhaltlich nicht zustimmen. Deshalb müssen wir ihn ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile jetzt der Kollegin Flauger das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen von der SPD! Es gibt politische Themen, bei denen wir uns inhaltlich einig sind. Bei weiteren sind wir zumindest recht nah beieinander. Dazu gehört das Thema der Vorratsdatenspeicherung eindeutig nicht.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Ich finde Ihren Antrag schon in sich widersprüchlich. Ich möchte daraus zitieren:

„Zwar ist eine bedingungslose anlasslose Speicherung von Daten generell abzulehnen,“

- also Nein zur Vorratsdatenspeicherung -

„jedoch in Zeiten der Cyber-Welt auch nicht ganz verzichtbar.“

Also doch Ja zur Vorratsdatenspeicherung, oder was? - Das passt nicht zusammen.

Sie schreiben weiter, dass mit der Vorratsdatenspeicherung weder Terrorismus noch Kriminalität mehr als sonst verhindert würden. Sie schreiben ferner, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht zu gravierenden Schutzlücken in unserem Rechtssystem geführt habe.

Das alles ist richtig. Wir hatten inzwischen immerhin Zeiten mit und ohne Vorratsdatenspeicherung. Danach ist nun statistisch erwiesen: Vorratsdatenspeicherung führt weder zu weniger Kriminalität noch zu höheren Aufklärungsraten. Da sollte es doch Ihre Konsequenz sein - immerhin handelt es sich um massive Grundrechtseingriffe -, dass Sie davon Abstand nehmen und alles dafür tun, dass

auch die EU das nicht mehr vorschreibt. So müssten Sie doch konsequenterweise vorgehen.

Ich frage Sie - dazu habe ich schon im Mai ausgeführt; bedenken Sie das ernsthaft -: Sie müssten sonst doch konsequenterweise fordern, dass auch in anderen Bereichen des Lebens die Bewegungen von Menschen, die Kontakte von Menschen, was sie gelesen haben, z. B. welche Bücher sie gelesen haben, rein vorsorglich aufgezeichnet werden. Die technischen Möglichkeiten dafür werden immer besser. Nur weil dies technisch geht und möglicherweise irgendwie dazu beitragen könnte, Verbrechen besser zu bekämpfen, können Sie doch nicht pauschal in der Abwägung von Grundrechten auf der einen Seite und möglichen Erfolgen im Kriminalitätsbekämpfungsbereich auf der anderen Seite entscheiden: Dann machen wir das einfach mal. - Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!